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So viel ist passiert. Es sind nur noch drei Tage. Ich kann es gar nicht fassen. Und endlich, endlich läuft alles nach Plan.
Elinor hat einfach unfassbare Kontakte. Sie lässt Dinge einfach geschehen. Sie zeigt mit ihrem knochigen Finger auf irgendwas, und sofort wird es in die Tat umgesetzt. Zumindest zeigt sie mit ihrem knochigen Finger auf einen Assistenten, und der sorgt dann dafür, dass es in die Tat umgesetzt wird.
Sie ist also nicht gerade eine Stimmungskanone. Wir klatschen uns nicht ab, wenn etwas klappt. Und die Funktion von Schokolade scheint ihr fremd zu sein, von einem kleinen Kitkat zwischendurch mal zu schweigen. Die Vorteile aber sind:
1. Sie möchte, dass Lukes Party fabelhaft wird.
2. Sie hat schon Millionen schicke Partys ausgerichtet.
3. Sie hat unheimlich, unheimlich, unheimlich viel Geld.
Ich meine, Geld ist einfach überhaupt kein Thema mehr. Selbst Suze hat ziemlich große Augen gemacht, wie Elinor es kommentarlos raushaut. Jess kommt damit natürlich nicht klar. Jess hält sich die Ohren zu und sagt: »Davon will ich nichts hören.« Aber dann hält sie Elinor einen Vortrag über Nachhaltigkeit und den verantwortungsbewussten Einsatz von Ressourcen. Zu meinem Erstaunen hört Elinor ihr jedes Mal mit ernster Miene zu -und gelegentlich hat sie Jess' Ideen sogar schon zugestimmt. (Allerdings nicht, als sie vorschlug, wir sollten Wollmützen aus recyceltem Garn stricken und an die Gäste verteilen, damit wir die Kosten für die Heizung einsparen. Gott sei Dank.)
Ehrlich, die Party wird einfach .. .
Ich meine, es wird bestimmt die .. .
Nein. Ich sage lieber nichts. Ich möchte nichts gefährden.
Es hat sogar echt Spaß gemacht, wenn wir fünf unsere Geheimtreffen hatten (Suze, Jess, Bonnie, Elinor und ich). Elinor muss dann immer als Erste wieder los, und wir anderen halten die Luft an, bis sie uns nicht mehr hören kann, dann prusten wir los, weil sie mal wieder irgendwas gesagt oder getan hat. Ich meine, meistens ist sie immer noch die Königin der Eisblöcke. Aber dennoch scheint sie sich langsam -auf merkwürdige Weise -beinah als Teil der Gang zu fühlen.
Luke hat keinen blassen Schimmer davon. Null und gar nicht. Er denkt immer noch, dass ich an zweieinhalb Tagen in der Woche bei der Arbeit bin. Und ich habe ihn bisher in dem Glauben gelassen.
Das einzige Problem, das bisher noch nicht gelöst ist, dürfte wohl der Termin mit Christian Scott-Hughes sein. Bernard Cross weilt auf irgendeinem Anwesen in Schweden und ist nicht zu erreichen. Aber er kommt heute zurück. Elinor hat erklärt, dass sie heute früh mit ihm telefonieren und sich auf keinen Fall mit einer abschlägigen Antwort zufriedengeben wird. Und ich glaube ihr.
Die größte Herausforderung besteht also darin, die Party von jetzt bis Freitag vor Luke geheim zu halten. Aber wir sind schon so weit gekommen -da schaffen wir es bestimmt auch noch bis Freitag. Heute wird Bonnie der versammelten Belegschaft von Brandon C eröffnen, dass es keine Schulung, sondern eine Überraschungsparty geben wird. Da dürfte es hoch hergehen, und deshalb haben wir beschlossen, dass ich Luke unter irgendeinem Vorwand vom Büro fernhalten sollte. Also sehen wir uns heute Morgen eine Schule für Minnie an. (Ich habe Luke gesagt, dass wir schon echt spät dran sind und er mitkommen muss, weil sie uns sonst nicht abnehmen, dass wir Eltern sind, denen es ernst ist, und nein, ich könnte ihm nicht hinterher erzählen, wie es war.)
»Fertig?« Luke kommt die Treppe herunter, perfekt im dunkelblauen Anzug und seinem teuren Kaschmirmantel aus Mailand.
»Ja, fertig.« Ich trage noch etwas Lippenstift auf und betrachte mich im Spiegel in der Diele. Die Uniform der Schule, die wir uns heute ansehen, ist rot-blau, also trage ich heute auch Rot und Dunkelblau, um zu zeigen, wie begeistert wir von dieser Schule sind. (Fast hätte ich auch noch die Mütze mit dem Abzeichen von der Website gekauft, aber dann dachte ich, das geht wohl doch etwas zu weit.)
»Nanny Sue hat eben angerufen«, fügt Luke hinzu. »Sie kommt um sechs.« »Gut“, sage ich nach einem Moment. Es hat keinen Sinn, Luke diese Nanny Sue auszureden. Ich habe es schon versucht.
»Viel Glück in der Schule!«, sagt Janice, die herübergekommen ist, um auf Minnie aufzupassen. »Macht euch um uns keine Gedanken. Wir kommen schon allein zurecht, wir zwei!« Ich werfe einen Blick hinüber, und sie zwinkert mir unauffällig zu.
Seit dem Frühstück haben Janice und ich schon mindestens sechsmal heimlich gesimst. Die Zeltleute kommen heute früh, um in Janices Garten alles Nötige vorzubereiten, aber darüber verliert selbstverständlich keiner von uns ein Wort.
Als ich zur Tür hinausgehe, hält mich Janice zurück und raunt mir etwas zu.
»Schätzchen, ich habe gestern mit deiner Mutter gesprochen.«
»Ach, ja?“
Die Maklerfirma hat ein echtes Problem damit, uns ein Haus zu besorgen, und deshalb lassen es sich Mum und Dad nach wie vor im West PIace gut gehen, vermutlich mit täglichen Schlammpackungen und Champagnercocktails.
»Sie hat mir erzählt, dass sie nicht zur Party eingeladen ist.« Janice sieht mich voll Sorge an. »Das kann doch nicht wahr sein, Becky, Schätzchen.«
Das ist so was von typisch Mum. Sie versucht, alle auf ihre Seite zu ziehen. Und außerdem stimmt es nicht. Sie hat eine Einladung gekriegt.
»Wieso will sie denn überhaupt kommen?« Ich weiß, ich klinge beleidigt, aber ich kann nicht anders. »Sie meint doch sowieso, es würde ein Fiasko werden.«
»Aber Becky, es wird eine wundervolle Party.« Janice ist ganz aufgewühlt. »Und du musst dafür sorgen, dass deine Mutter dabei ist.«
»Sie kann kommen, wenn sie will. Sie weiß, wo sie mich findet.« Mein Handy meldet mir eine SMS, und ich hole es hervor.
Ich habe für heute ein kurzes Gespräch mit Bernard vereinbart. Ich halte Dich auf dem Laufenden. Herzliche Grüße. Elinor.
Elinor ist wahrscheinlich der einzige Mensch auf der Welt, der »Herzliche Grüße«, in einer SMS schreibt. Allerdings ist »Herzliche Grüße« immer noch besser als >Verbleibe ich missbilligend die Deine< womit sie einmal einen Brief an mich beendet hat.
Danke!, simse ich zurück. Freue mich auf Nachricht!
Ich gehe hinaus -und ich brauche einen Moment, bis ich merke, was Luke da macht. Er schließt die Garage auf. Scheiße. Scheiße! Wo hat er den Schlüssel her? Den hatte ich extra versteckt, damit er sie nicht aufschließt und das schimmlige Zelt findet, zusammen mit den 132 Plastiktüten-Troddeln. (Die ich nicht wegwerfen werde, egal was Elinor sagt. Ich habe sie für die Party gebastelt und Stunden dafür gebraucht, und deshalb kommen die auf jeden Fall mit.)
»Neeeeiiiiin!« Irgendwie schaffe ich es, aus dem Auto zu hechten und einmal quer über die Auffahrt zu spurten, um mich zwischen ihn und das Garagentor zu werfen. »Nicht! Ich meine ... was brauchst du denn? Ich hole es dir. Lass du den Motor an! Wärm den Wagen auf!«
»Becky ... «, Luke sieht mich erstaunt an. »Was ist denn los?« »Du ... willst dir doch bestimmt nicht deinen hübschen Mantel schmutzig machen!«
»Na, aber dein Mantel muss auch nicht unbedingt schmutzig werden«, erklärt er mir sinnreich. »Ich suche nur die Straßenkarte. Mein verdammtes Navi ist kaputt.« Wieder langt er nach dem Griff, aber ich versperre ihm den Weg.
»Wir können uns unterwegs eine Karte kaufen.«
»Eine kaufen?« Er mustert mich scharf. »Warum denn das?«
»Eine Ersatzkarte kann man doch immer gebrauchen.« Meine Hand umklammert den Garagengriff. »Das wird lustig. Wir können sie zusammen aussuchen!«
»Aber wir haben schon eine«, sagt er geduldig. »Wenn du mich nur einfach in die Garage lassen würdest ... «
Okay, ich muss zu extremen Mitteln greifen.
»Weißt du, wie dringend ich irgendwas kaufen muss?«, klage ich theatralisch, mit bebender Stimme wie eine Shakespeare-Darstellerin. »Ich darf mir keine Kleider kaufen. Und jetzt darf ich mir nicht mal eine Straßenkarte kaufen! Ich muss ein bisschen Geld ausgeben, sonst werde ich noch verrückt!«
Ich halte inne, keuchend. Luke sieht so erschrocken aus, dass er mir fast leid tut.
»Okay, Becky. Gut.« Er weicht zurück, wirft mir einen argwöhnischen Blick zu. »Wir können an einer Tankstelle halten. Kein Problem.«
»Gut.« Ich wedle mir Luft zu, als rissen mich die Emotionen mit. »Danke für dein Verständnis. Sag mal, woher hast du eigentlich den Garagenschlüssel?«, füge ich beiläufig hinzu. »Ich dachte, er ist weg.«
»Das war echt ein Ding.« Luke schüttelt den Kopf. »Ich habe ihn gesucht und laut gesagt: »Wo ist bloß dieser Schlüsse!?«, und Minnie hat mich direkt hingeführt. Wahrscheinlich hat sie ihn selbst versteckt!«
Ehrlich. Das war das letzte Mal, dass ich Minnie in irgendwelche Vorbereitungen miteinbezogen habe. Sie ist eine echte Plaudertasche.
»Du wirst nicht glauben, wo er war«, fügt Luke hinzu, als er den Wagen anlässt. »In deiner Make-up-Tasche. Kannst du das glauben?«
»Unfassbar!« Ich versuche, erstaunt zu klingen. »Was für ein kleiner Schlingel!« »Übrigens, möchtest du am Freitag mit mir nach Paris kommen?«, fügt Luke lässig hinzu, während er zurücksetzt.
Ich bin so verdattert, dass ich nicht antworten kann. Leeren Blickes starre ich ihn an, und meine Gedanken rattern. Was soll ich sagen? Was wäre die natürlichste Reaktion?
»Paris?«, bringe ich schließlich hervor. »Wie meinst du das?«
»Ich muss doch zu diesem Termin nach Paris, weißt du noch? Ich dachte einfach, du und Minnie, ihr würdet vielleicht gern mitkommen. Wir könnten übers Wochenende bleiben. Du weißt, dass ich Geburtstag habe, oder?«
Das Wort »Geburtstag« explodiert wie eine Handgranate im Auto. Was soll ich sagen? Soll ich so tun, als hätte ich es vergessen? Soll ich so tun, als hätte ich ihn nicht gehört?
Nein. Benimm dich normal, Becky. Benimm dich normal. »Äh ... ach ja?« Ich schlucke. »Stimmt, klar hast du Geburtstag! Na, das klingt doch hübsch!«
»Den Freitagabend müssten wir leider mit meinen Klienten verbringen, aber zumindest gäbe es was zu feiern. Ich meine, wenn wir mit Christian gesprochen haben, steht einem Treffen mit Sir Bernard selbst nichts mehr im Wege!« Luke klingt überschwänglich. »Ich sage Bonnie, sie soll alles arrangieren. Dann ist es also abgemacht?«
»Super!« Ich lächle kraftlos. »Ich muss nur eben Suze noch was simsen ... « Ich nehme mein Handy und simse Bonnie eilig: Luke will uns am Freitag mit nach Paris nehmen! KEINE Tickets buchen!!
Ehrlich, wenn das so weitergeht, geh ich bald am Stock. Nein, tu ich nicht. Wird schon klappen. Elinor ist an der Sache dran. Durchatmen. Nur noch drei Tage.
Die Hardy House School ist eine viel nettere Schule als St. Cuthbert's, wie ich finde. Erstens trägt die Sekretärin, die uns begrüßt, ein echt cooles Pippa-Small-Kettchen um den Hals. Und es gibt hier keine Eloise. (Ich habe extra nachgefragt.) Und sie backen ihre Kekse selbst.
Während wir unseren Kaffee trinken und die Kekse knabbern, blicken wir auf den Spielplatz hinaus, der von Rosskastanien umsäumt ist. Ich sehe die kleinen Mädchen hüpfen und herumrennen, und plötzlich packt mich so eine Sehnsucht. Ich sehe Minnie schon mittendrin. Es wäre perfekt.
»Meinst du, Minnie kriegt hier einen Platz?« Voll Sorge wende ich mich an Luke. »Da bin ich mir ganz sicher.« Er blickt von seinem BlackBerry auf. »Wieso sollte sie nicht?«
»Weil die hier total überbucht sind!«
Ich werfe noch einen Blick auf die Broschüre, die man uns gegeben hat. Sie heißt »Unser Aufnahmeverfahren«. Dieses besteht aus sechs Stufen, beginnend mit dem Ausfüllen eines Formulars, und es endet mit einer »Tea Party zur abschließenden Beurteilung«. Plötzlich wird mir klar, wieso alle von den Schulen immer so gestresst sind. Ich kriege jetzt schon Angst. Was ist, wenn Minnie sich alle Kekse schnappt und »Meeeinn!« schreit? So kriegt sie hier nie einen Platz.
»Luke, hör auf, deinen BlackBerry anzustarren!«, fauche ich. ,>Wir müssen einen guten Eindruck machen.« Ich nehme einen Zettel mit den Leistungsstufen und will gerade darin herumblättern, als die Sekretärin wiederkommt.
»Mr. und Mrs. Brandon? Kommen Sie bitte hier entlang.« Sie führt uns einen kurzen Korridor entlang, in dem es nach Bienenwachs riecht. »Hier ist das Büro unserer Rektorin«, sagt sie und führt uns direkt in einen holzgetäfelten Raum mit Mahagoni-Schreibtisch und grün gepolsterten Sesseln. »Unsere derzeitige Leitung verlässt uns zum Ende des Jahres, und die kommende Rektorin ist für ein paar Tage bei uns, sodass wir es für sinnvoller hielten, wenn Sie mit ihr sprechen. Sie wird jeden Moment hier sein. «
»Danke«, sagt Luke charmant. »Und darf ich der Schule mein Kompliment für die köstlichen, selbst gebackenen Kekse aussprechen?«
»Danke!« Sie lächelt. »Ich bin gleich mit unserer neuen Schulleiterin wieder da. Sie heißt Mrs. Grayson«, fügt sie im Gehen noch hinzu. »Harriet Grayson.«
»Siehst du?«, murmelt Luke. »Wir machen einen perfekten Eindruck.« Ich kann nichts antworten. Ich erstarre zur Salzsäule. Habe ich diesen Namen nicht schon mal gehört? Okay. Das könnte böse ausgehen. Ich muss hier verschwinden oder Luke warnen oder ...
Doch schon fliegt die Tür wieder auf -und sie ist es. Harriet Grayson MA, in demselben Strickkostüm. Mit professionellem Lächeln kommt sie auf mich zu ... und dann erkennt sie mich.
»Professor Bloomwood!«, sagt sie erstaunt. »Professor Bloomwood ist doch richtig, oder?«
Es gibt kein Entrinnen.
»Äh ... ja!«, sage ich schließlich, und das Blut steigt mir ins Gesicht. »Hi!«
»Nun, welch eine Überraschung!« Sie strahlt Luke an. »Professor Bloomwood und ich sind uns schon einmal begegnet. Brandon muss dann wohl Ihr Ehename sein, was?«
Ich riskiere einen ultrakurzen Blick zu Luke, dann wünschte ich, ich hätte es nicht getan. Bei seinem Gesichtsausdruck möchte ich halb losprusten, halb weglaufen.
»Sind Sie auch in der Welt der Künste tätig, Mr. Brandon?«, sagt sie freundlich, als sie ihm die Hand schüttelt. »Der Welt der Künste?«, sagt Luke nach einer ziemlich langen Pause.
»Nein, ist er nicht«, werfe ich eilig ein. »Ganz im Gegenteil. Jedenfalls, um auf das eigentliche Thema zu sprechen zu kommen: Wir möchten gern unsere Tochter Minnie auf diese Schule schicken. Ihr Spielplatz ist so hübsch! Traumhaft schöne Bäume!« Ich hoffe, wir können zum nächsten Thema übergehen, aber Harriet Grayson MA wirkt doch leicht verwundert.
»Sie ziehen also von New York wieder hierher?«
»Ja . .. das stimmt«, sage ich nach einer Weile. »Stimmt es nicht, Liebling?« Ich werfe Luke einen kurzen, verzweifelten Blick zu.
»Großer Gott! Aber was ist mit Ihrer Arbeit am Guggenheim Museum, Professor Bloomwood?« »Am Guggenheim?«, wiederholt Luke mit leicht erstickter Stimme.
»Ja, das Guggenheim. Absolut.« Ich nicke mehrmals, schinde Zeit. »Das Guggenheim wird mir natürlich sehr fehlen. Aber ich werde ... mich auf meine eigene Kunst konzentrieren.«
»Sie sind selbst auch Künstlerin?« Harriet Grayson ist überwältigt. »Wie wundervoll! Sind Sie Malerin?« »Nicht wirklich.« Ich huste. »Meine Arbeit ist ... ist ziemlich schwer zu beschreiben ... «
»Beckys Kunstform ist einzigartig«, stimmt Luke plötzlich mit ein. »Sie erschafft ... surreale Welten. Manche mögen es als Fantasielandschaft bezeichnen.«
Ich werfe ihm einen kurzen Blick zu, als es an der Tür klopft.
»Mr. Brandon?« Zögerlich sieht die Sekretärin herein. »Für Sie kam Nachricht, dass Sie dringend Ihr Büro anrufen sollen.«
»Wie unangenehm.« Luke sieht überrascht aus. »Es muss sehr wichtig sein, wenn man mich hier aufstöbert. Entschuldigen Sie mich.« Als er hinausgeht, nehme ich mir den Prospekt und blättere wahllos zu irgendeiner Seite.
»So!«, sage ich eilig. »Wenn Sie sagen, die Kinder lesen jeden Tag, was genau meinen Sie damit?«
Gott sei Dank. Etwa fünf Minuten redet Mrs. Grayson über Leselisten, und ich nicke intelligent. Dann stelle ich eine Frage zum Naturwissenschaftlichen Gebäude, was mir weitere drei Minuten beschert, und gerade will ich zum Korbball übergehen, als die Tür aufgeht.
Staunend starre ich Luke an. Er strahlt. Er sieht aus, als hätte er im Lotto gewonnen. Was um alles in der ...
Oh, mein Gott. Elinor hat es geschafft!
Okay, jetzt kann ich es kaum mehr erwarten, meine Nachrichten zu checken. »Es tut mir wirklich leid«, sagt Luke höflich zu Mrs. Grayson.
»Ich muss in einer dringenden Angelegenheit in mein Büro. Aber Becky kann bleiben und sich alles zeigen lassen. «
»Nein!« Wie von der Tarantel gestochen springe ich auf. »Ich meine. .. Ich würde es mir lieber mit dir ansehen, Liebling. Seien Sie mir nicht böse, Mrs. Grayson ... «
»Das ist schon in Ordnung«, sagt sie lächelnd. »Und darf ich vielleicht noch einmal hinzufügen, wie sehr es mich freut, Sie wiedergesehen zu haben, Professor? Wissen Sie, Ihr Ratschlag hinsichtlich des kleinen Ernest Cleath-Stuart war unbezahlbar.«
Ich spüre, wie Luke neben mir die Ohren spitzt. »Was war das?«, sagt er höflich.
»Gern geschehen«, sage ich hastig. »Nicht der Rede wert ... «
»Da muss ich widersprechen! Professor Bloomwood hat auf den ersten Blick das Potential eines meiner Schüler in St. Cuthbert's erkannt«, erklärt Harriet Grayson. »Eines kleinen Jungen, der ein paar ... wollen wir sagen: Probleme hatte. Aber er ist wirklich aus sich herausgekommen, seit wir ihm diesen Kunstpreis verliehen haben. Er ist wie ausgewechselt!«
»Ah.« Luke nickt, denn jetzt hat er begriffen. »Verstehe.« Sein Blick ist schon viel sanfter, als er mir in die Augen sieht. »Nun, in solchen Dingen ist Professor Bloomwood wirklich sehr gut.«
Wortlos laufen wir durch die Korridore und zum Schultor hinaus, steigen in den Wagen und sehen uns eine Weile schweigend an.
»So.« Luke zieht fragend eine Augenbraue hoch. »Professor.«
»Luke ... «
»Kein Wort zu Suze.« Er nickt. »Ich hab's kapiert. Und Becky ... das hast du gut gemacht. Nur können wir Minnie jetzt nicht mehr auf diese Schule schicken. Das weißt du, oder?« »Ich weiß«, sage ich trübe. »Und dabei hat sie mir so gut gefallen.«
»Wir finden eine andere.« Er drückt mein Knie, dann greift er nach seinem Handy und wählt. »Hi, Gary? Ich komme gleich rüber. Ich weiß, unglaublich!«
Heimlich werfe ich einen Blick auf meinen BlackBerry. Er blinkt und zeigt mir neue Nachrichten an. Die erste ist von Elinor.
Ich habe mit Bernard gesprochen. Herzlich, Elinor.
Schlicht und einfach. Geklärt, ohne großen Aufwand. Je näher ich Elinor kennenlerne, desto bewusster wird mir, was für eine unglaubliche Frau sie ist. Ich schätze, Luke dürfte wohl ein paar von ihren Genen abbekommen haben. Die tatkräftigen und stählernen, mit denen man alle Hindernisse überwindet. Nicht, dass ich es ihm jemals sagen würde.
»Also ... was ist los?<«, sage ich unschuldig, als Luke den Wagen anlässt. »Woher die große Aufregung bei der Arbeit?«
»Du erinnerst dich an unseren Ausflug nach Paris?« Luke sieht über seine Schulter hinweg, um zurückzusetzen. »Der ist leider abgesagt. Wir treffen uns gar nicht mit Christi an Scott-Hughes wir treffen den Häuptling selbst, heute Nachmittag. Sir Bernard hat beschlossen, uns eine halbe Stunde zu widmen, aus heiterem Himmel! Sir Bernard Cross höchstpersönlich! «
»Wow!« Zum Glück bin ich eine gute Schauspielerin. »Das ist ja echt ein Ding!«
»Das hat es noch nie gegeben.« Luke nickt und hält die Augen auf die Straße gerichtet. »Alle können es irgendwie gar nicht fassen.«
»Na, Glückwunsch! Du hast es verdient!«
Danke, Elinor, simse ich zurück. Du bist absolut die GRÖSSTE!!!!!!!!!
»Ich glaube aber ... « Luke macht eine Pause, während er einen unübersichtlichen Kreisverkehr umrundet, » ... dass da irgendwer für uns die Fäden zieht. So etwas passiert nicht einfach von selbst.« Er sieht mich an. »Irgendjemand irgendwo steckt dahinter. Irgendjemand mit Einfluss.«
Es ist, als pochte mir das Herz im Hals. Einen Moment lang kann ich vor lauter Panik gar nichts sagen. »Wirklich?«, bringe ich schließlich hervor. »Wer würde denn so was tun?« »Ich weiß nicht. Schwer zu sagen.« Nachdenklich runzelt er die Stirn, dann wirft er mir ein kleines Lächeln zu. »Aber wer es auch sein mag, ich liebe ihn.«
Den Rest des Nachmittags sitze ich wie auf glühenden Kohlen. Alles läuft nach Plan -sofern die einzelnen Teile des Plans funktionieren. Sofern das Meeting gut läuft. Sofern Luke nicht beschließt, trotzdem nach Paris zu fliegen. Sofern sich niemand im Büro verplappert ...
Ich versuche, einen Sitzplan aufzustellen, aber ehrlich, das ist schlimmer als Sudoku, und ich bin zu abgelenkt, um mich zu konzentrieren. Ständig kommt Janice hereingelaufen und macht einen Aufstand, weil sie sich nicht sicher ist, wo genau der Eingang zum Zelt hin soll, und Minnie rammt auf der Hälfte von Findet Nemo einen Bleistift in den DVD-Player. So wird es mehr oder weniger siebzehn Uhr, und ich bin noch nicht überTisch 3 hinausgekommen, als ich einen Schlüssel in der Haustür höre. Eilig sammle ich meine Tischkarten zusammen und lasse sie hinter Dads Sound ofthe 70's-CD-Sammlung verschwinden. Als Luke hereinkommt, sitze ich auf dem Sofa und lese ein Buch, das ich noch schnell vom Boden aufgehoben habe.
»Hi, wie war's?« Ich blicke auf.
»Gut. Wirklich gut.« Luke strahlt sogar noch triumphierender als am Morgen. »Sir Bernard ist ein klasse Typ. Er war bei der Sache, hat zugehört, war interessiert, wir haben eine Menge interessanter Nebenaspekte angesprochen ...«
»Fantastisch!« Ich lächle, kann mich aber noch nicht recht entspannen. Ich muss sichergehen. »Also ... musst du am Freitag nicht nach Paris?«
»Leider nicht. Aber wir könnten trotzdem hin, wenn du möchtest ... «, fügt Luke hinzu.
»Nein!« Die Erleichterung schießt meine Stimme in höchste Höhen. »Oh, Gott, nein! Lass uns einfach ... hierbleiben. Ausruhen. Nichts tun.« Ich kann nicht verhindern, dass ich vor mich hinplappere. »Also, alles in allem ein guter Tag.« Ich lächle ihn an. »Wir sollten eine Flasche Champagner köpfen!«
»Ja. Von einer Sache abgesehen.« Luke runzelt kurz die Stirn. »Ich musste meiner Assistentin eine mündliche Abmahnung aussprechen. Nicht gerade schön, seinen Nachmittag so zu beenden. Unter Umständen muss ich sie gehen lassen.«
»Was? Mein Lächeln erstirbt. »Du meinst Bonnie? Aber ... warum? Du hast gesagt, du wolltest nichts sagen. Was hat sie getan?«
»Ach, es ist wirklich enttäuschend.« Luke seufzt. »Monatelang war sie die perfekte Sekretärin. Ich hatte überhaupt nichts an ihr auszusetzen. Aber dann fing sie an, diese unpassenden Bemerkungen zu machen, von denen ich dir erzählt hatte. Und kürzlich habe ich bemerkt, dass sie reichlich abgelenkt ist. Inzwischen bin ich mir sicher, dass sie während ihrer Arbeitszeit irgendwelche Telefonate tätigt.«
Oh, Gott, oh, Gott. Alles nur wegen mir und der Party!
»Jeder darf doch mal privat telefonieren«, sage ich eilig, aber Luke schüttelt den Kopf.
»Es ist mehr als das. Ich habe so einen Verdacht. Vielleicht hat sie noch einen Nebenjob, aber es könnte auch sein, dass sie Firmeninformationen weiterleitet. «
»So was würde sie nie tun!«, sage ich entsetzt. »Sie sieht doch total ehrlich aus. «
»Meine Süße, du bist ein gutgläubiger Mensch.« Luke wirft mir ein liebevolles Lächeln zu. »Aber ich fürchte, du täuschst dich. Irgendwas ist da im Busch. Ich habe Bonnie mit einem Stapel Unterlagen erwischt, der ganz offensichtlich nichts mit Brandon Communications zu tun hatte. Und nicht nur das. Sie hatte ein unübersehbar schlechtes Gewissen, als ich hereinkam. Und sie hat die Papiere sofort unterm Tisch versteckt. Offenbar hatte sie nicht damit gerechnet, dass ich schon so bald wiederkommen würde. Also musste ich ein ernstes Wort mit ihr reden.« Er zuckt mit den Achseln. »Es war für uns beide eher unangenehm, aber so ist das nun mal.«
»Du hast sie ins Gebet genommen?«, sage ich entsetzt.
Ich kann mir genau vorstellen, was passiert ist. Bonnie: ist heute Nachmittag die Gästeliste mit mir durchgegangen. Die hat sie bestimmt unterm Tisch versteckt. Ich dachte mir schon, dass sie sehr eilig aufgelegt hat.
»Was genau hast du gesagt?«, will ich wissen. »Hat sie die Fassung verloren?«
»Ist das wichtig?«
»Ja!« Eine Woge der Frustration geht über mich hinweg. Du blöder Hammel!, möchte ich schreien. Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass sie mir vielleicht dabei hilft, deine Überraschungsparty zu organisieren?
Ich meine, natürlich bin ich froh, dass es ihm nicht in den Sinn gekommen ist. Ich hoffe nur, dass es Bonnie gut geht. Sie hat so ein sanftes Wesen und ist so lieb. Ich kann den Gedanken kaum ertragen, dass Luke sie vielleicht aus der Fassung gebracht hat.
»Becky ... « Luke ist leicht verwundert. »Was hast du denn?«
Ich darf nichts sagen. Ich würde alles verraten.
»Nichts.« Ich schüttle den Kopf. »Kein Problem. Du hast sicher recht. Es ist ... schade.«
»Okay«, sagt Luke ganz langsam und sieht mich so komisch an. »Na gut, ich gehe mich umziehen. Nanny Sue müsste bald hier sein.«
Sobald er weg ist, wetze ich nach unten in die Toilette, wähle Bonnies Nummer und kriege die Mailbox.
»Bonnie!«, rufe ich. »Luke hat mir eben erzählt, dass er Sie mündlich abgemahnt hat. Es tut mir so leid. Sie wissen, dass er nichts ahnt. Er wird sich sicher schämen, wenn er es rausfindet. Aber das Gute ist, dass Paris definitiv nicht stattfindet! Also fügt sich endlich eins zum anderen. Haben Sie der Belegschaft von Brandon C schon Bescheid gesagt? Rufen Sie mich zurück, sobald Sie können. «
Als ich auflege, höre ich es an der Tür klingeln.
Toll. Das muss Nazi Sue sein.
Heute trägt Nanny Sue ihre offizielle, blaue Uniform. Wie sie da auf dem Sofa sitzt, mit einer Tasse Tee und ihrem Notebook neben sich, sieht sie aus wie eine Polizistin, die gekommen ist, um uns zu verhaften.
»So«, sagt sie, blickt von mir zu Luke und lächelt dann zu Minnie herab, die mit ihrem Puzzle auf dem Boden hockt. »Es hat Spaß gemacht, etwas Zeit mit Becky und Minnie zu verbringen.«
Dazu sage ich nichts. Auf ihre ach so freundliche Ouvertüre falle ich nicht herein. So fängt sie ihre Fernsehsendung immer an. Erst ist sie supernett, dann stürzt sie sich auf ihre Beute, und am Ende schluchzen sich alle an ihrer Schulter aus und heulen: »Nanny Sue, wie können wir bessere Menschen werden?«
»Okay.« Sie tippt etwas ins Notebook, und auf dem Bildschirm erscheint mit schwarzen Buchstaben »Minnie Brandon«. »Wie Sie wissen, habe ich -wie ich es immer tue -unseren gemeinsamen Morgen gefilmt. Nur für meine eigenen Aufzeichnungen.«
»Bitte?« Ich glotze sie an. »Ist das Ihr Ernst? Wo war die Kamera?«
»An meinem Revers.« Nanny Sue ist ebenso erstaunt und wendet sich Luke zu. »Ich dachte, Sie hätten Becky darüber informiert?«
»Du wusstest es? Und hast mir nichts gesagt!«, fahre ich Luke an. »Ich bin die ganze Zeit gefilmt worden, und du hast mir nichts davon gesagt?«
»Ich hielt es für besser. Ich dachte, wenn du es wüsstest, würdest du vielleicht. …« Er zögert. »Dich unnatürlich benehmen. Theater spielen.«
»Ich würde nie Theater spielen«, erwidere ich wütend.
Nanny Sue scrollt durch die Bilder, hält hier und da an, und ich sehe mich, wie ich theatralisch einen Vortrag über Knetgummi aus Bio-Mehl halte.
»Der Part ist unwichtig«, sage ich hastig. »Da können wir vorspulen.«
»Und, was sagen Sie denn nun, Nanny Sue?«, Luke beugt sich auf seinem Stuhl vor, die Hände erwartungsvoll auf den Knien gefaltet. »Haben Sie größere Probleme festgestellt«
»Leider ist mir tatsächlich etwas aufgefallen, das mir Sorgen bereitet«, sagt Nanny Sue ernst. »Ich zeige es Ihnen gleich ... können Sie beide den Bildschirm sehen?«
Was ist ihr aufgefallen? Was es auch war, sie täuscht sich. Ich bin außer mir vor Entrüstung. Woher nimmt sie das Recht, in unser Haus zu kommen, uns zu filmen und uns zu sagen, was mit unserer Tochter nicht stimmt? Wer hat eigentlich gesagt, dass sie Expertin ist?
»Moment!«, rufe ich, und überrascht hält Nanny Sue das Video an. »Viele Kinder sind lebhaft, Nanny Sue. Aber das heißt nicht, dass sie verwöhnt sind. Es heißt nicht, dass sie Probleme haben. Der Mensch ist ein vielfältiges und wunderbares Wesen. Manche sind ängstlich, manche sind beherzt! Unsere Tochter ist eine wundervolle Person, und ich werde nicht zulassen, dass ihr freier Geist in einem ... autoritären Boot Camp unterdrückt wird! Und Luke sieht das genauso!«
»Ich auch.« Nanny Sues Stimme überrascht mich.
»Bitte?«, sage ich flau.
»Meiner Ansicht nach hat Minnie nicht das geringste Problem. Sie könnte etwas mehr Struktur und Disziplin gebrauchen, aber ansonsten ist sie ein lebendiges, ganz normales Kind.«
»Normal?« Benommen starre ich sie an.
»Normal?«, ruft Luke. »Ist es normal, Leute mit Ketchup zu bespritzen?«
»Für ein zweijähriges Kind, ja.« Nanny Sue scheint sich zu amüsieren. »Völlig normal. Sie testet nur die Grenzen aus. Wann hat sie denn übrigens das letzte Mal jemanden mit Ketchup bespritzt?«
»Nun ... « Etwas unsicher sieht Luke mich an. »Also ... das weiß ich gerade nicht. Es ist schon eine Weile her.«
»Sie ist stur. Und gelegentlich scheint sie die Oberhand zu gewinnen. Ich schlage vor, dass ich einen Tag mit Ihnen verbringe und Ihnen ein paar Ratschläge gebe, wie Sie Minnies wilderes Gebaren lenken können. Aber ich möchte wirklich nicht, dass Sie glauben, Sie hätten ein Problemkind. Minnie ist ein ganz normales Kind. Und ein wirklich süßes Kind dazu.«
Ich bin so verdutzt, dass ich gar nicht weiß, was ich dazu sagen soll.
»Sie ist sehr intelligent«, fügt Nanny Sue hinzu, »was eine Herausforderung wird, wenn sie etwas älter ist. Intelligente Kinder testen ihre Eltern oft am meisten aus ... «
Dann fangt sie wieder von den Grenzen an, aber ich freue mich viel zu sehr, als dass ich ihr weiter zuhöre. Minnie ist intelligent! Nanny Sue hat gesagt, mein Kind ist intelligent! Eine echte Expertin aus dem Fernsehen!
»Sie wollen uns also kein Boot Camp vorschlagen?“, breche ich beschwingt in ihren Vortrag ein.
»Oh, das habe ich nicht gesagt.“ Nanny Sues Miene verdüstert sich. »Wie bereits erwähnt, ist mir bei meinen Beobachtungen sehr wohl etwas aufgefallen. Und es hat mich doch beunruhigt. Sehen Sie hier ... „
Sie drückt eine Taste, und der Film fangt an -doch zu meiner Überraschung ist auf dem Bildschirm nicht Minnie zu sehen. Da bin ich. Ich sitze im Taxi auf dem Weg zum Einkaufszentrum, und die Kamera zoomt auf meine Hände.
»Wo seid ihr da?“ Luke versucht, auf dem Bildschirm etwas zu erkennen. »In einem Taxi?“
»Wir sind ... unterwegs. Müssen wir uns das wirklich ansehen?“ Ich will den Bildschirm schon zuklappen, doch Nanny Sue nimmt ihn sanft aus meiner Reichweite.
»Vielleicht könnten wir mal einen Blick in dieses neue Shopping Center werfen, statt zum Turnen zu fahren«, höre ich mich auf dem Bildschirm sagen.
»Becky, ich möchte, dass Sie sich Ihre Hände ansehen.« Nanny Sue zeigt mit einem Bleistift. »Sie zittern. Sehen Sie, wie Ihre Finger zucken? Es fing an, als Sie das Schild des Shopping Centers zum ersten Mal sahen, und ich glaube, es hörte erst auf, nachdem Sie etwas gekauft hatten.« »Manchmal zucken meine Finger eben.« Ich stoße ein kleines Lachen aus. Aber Nanny Sue schüttelt den Kopf. »Ich möchte Sie nicht beunruhigen, Becky ... aber ist Ihnen schon mal in den Sinn gekommen, dass Sie vielleicht shoppingsüchtig sein könnten?«
Luke gibt ein unvermitteltes Schnauben von sich, das ich ignoriere. »Shopping?«, wiederhole ich schließlich, als wäre ich mir nicht mal ganz sicher, was das Wort bedeutet. »Äh ... ich glaube nicht .. .«
»Sehen Sie sich Ihren Unterkiefer an. Wie verkrampft er ist!« Sie deutet auf den Bildschirm. »Sehen Sie sich an, wie Sie mit den Fingern auf dem Sitz herumtrommeln.«
Ehrlich. Darf man jetzt schon nicht mehr auf dem Sitz trommeln?
»Sie strahlen eine gewisse Verzweiflung aus«, beharrt Nanny Sue. »In meinen Augen ist das eine Reaktion, die über das normale Maß hinausgeht.«
»Nein, ist es nicht!« Ich merke, dass ich zu bockig klinge, und rudere sofort zurück. »Hören Sie. Ich war eine Weile nicht shoppen, und das ist ein nagelneues Shopping Center, ich bin auch nur ein Mensch! Es gab etwas umsonst! Es gab Jimmy Choo für die Hälfte! Und Burberry! Da würden doch jedem die Finger zucken!«
Nanny Sue sieht mich einen Moment an, als hätte ich irgendwelches Kauderwelsch geredet, dann wendet sie sich Luke zu.
»Ich bin dabei, neue Behandlungsprogramme für Erwachsene einzuführen. Dabei wird es um alle möglichen Störungen gehen, von Suchtverhalten über Aggressionen ... «
»Moment mal eben!« Ungläubig falle ich ihr ins Wort. »Soll das heißen, Sie wollen mich in ein Boot Camp schicken? Luke, kannst du das glauben?«
Ich sehe ihn an, warte, dass er lacht und sagt: »Was für eine lächerliche Idee.« Aber er runzelt nur sorgenvoll die Stirn.
»Becky, ich dachte, du hättest gesagt, du wolltest eine Weile nicht shoppen gehen. Ich dachte, wir hätten eine Vereinbarung.«
»Ich war nicht für mich shoppen«, sage ich ungeduldig. »Ich habe nur ein paar notwendige Kleinigkeiten für Minnie gekauft. Und die waren alle heruntergesetzt!«
»Wie Sie leben wollen, ist selbstverständlich Ihre Sache«, sagt Nanny Sue. »Allerdings habe ich die Sorge, dass Minnie vielleicht einige Ihrer Neigungen übernimmt. Schon jetzt verfügt sie über ausgesprochen fortgeschrittene Kenntnisse von Markennamen, sie scheint über unbegrenzte finanzielle Mittel zu verfügen ...«
Das geht zu weit.
»Das stimmt nicht!«, schreie ich gekränkt. »Sie gibt nur ihr Taschengeld aus! Es steht alles in dem kleinen Buch, das ich Ihnen gezeigt habe!« Ich greife in meine Tasche und hole Minnies Taschengeldbüchlein hervor. »Sie erinnern sich?« Ich halte es Nanny Sue hin. »Ich meine, ja, hin und wieder kriegt sie einen kleinen Vorschuss, aber ich habe ihr erklärt, dass sie das Geld zurückzahlen muss.«
Eine Weile blättert Nanny Sue in dem Buch herum, dann sieht sie mich so seltsam an.
»Wie viel Taschengeld bekommt sie wöchentlich?«
»Fünfzig Pence« , sagt Luke. »Vorläufig.«
Nanny Sue hat aus ihrer Mappe einen Taschenrechner hervorgezaubert und tippt darauf herum. »Nach meinen Berechnungen ...« , gelassen blickt sie auf, » ... hat Minnie ihr Taschengeld bis zum Jahr 2103 ausgegeben.«
»Wie bitte?«, Verunsichert starre ich sie an.
»Wie bitte?«, Luke reißt ihr das Büchlein weg und fängt an, darin herumzublättern. »Was zum Teufel hat sie denn gekauft?« »Gar nicht so viel ... «
Bis zum Jahr 2103? Kann das stimmen? Panisch versuche ich, es im Kopf durchzurechnen, während Luke die Einträge in Minnies Büchlein untersucht, als wäre er von der Gestapo.
»Sechs Puppen?« Er zeigt auf eine Seite. »An einem Tag?« »Die gehörten zusammen.« sage ich trotzig. »Und sie haben französische Namen! Das hilft ihr mit der Sprache!« »Was ist das hier?« Er ist schon auf einer anderen Seite. »Junior-Dolce-Boots?« »Die hat sie neulich getragen! Diese kleinen Wildleder stiefel. Du hast gesagt, wie hübsch sie aussehen!«
»Ich wusste ja nicht, dass sie zweihundert Pfund kosten!«, platzt er heraus. »Ich meine, Herrgott noch mal, Becky, sie ist ein kleines Kind! Wozu braucht sie Designerstiefel?«
Er sieht richtig schockiert aus. Ehrlich gesagt, bin ich selbst etwas schockiert. Vielleicht hätte ich zwischendurch doch mal die Ausgaben zusammenzählen sollen.
»Okay, ich behalte ihr Taschengeld vorerst ein ... « Luke hört mir gar nicht zu. Er hat sich wieder zu Nanny Sue umgedreht. »Sie meinen, wenn wir Becky nicht kurieren, könnte Minnie ebenfalls zum Shopaholic werden?«
So besorgt habe ich ihn noch nie gesehen.
»Nun, Suchtverhalten wird in Familien bekanntermaßen weitergereicht.« Die beiden reden, als wäre ich gar nicht da.
»Ich bin nicht süchtig«, sage ich wütend. »Und Minnie auch nicht!« Ich reiße ihm das Büchlein aus der Hand. Bestimmt hat Nanny Sue nur falsch addiert. So viel können wir gar nicht ausgegeben haben.
Minnie hat sich wirkungsvoll durch die Shortbread-Kekse auf dem Kaffeetisch gefuttert, doch jetzt fällt ihr das Taschengeldbüchlein auf.
»Taschengeld?« Ihre Augen leuchten auf. »Shops?« Sie zieht an meiner Hand. »Starbucks-Shops?«
»Nicht jetzt«, sage ich hastig.
»Shops! Shops!« Enttäuscht reißt Minnie an meiner Hand, als müsste ich nur begreifen, was sie will. Den gleichen Gesichtsausdruck hatte Dad in Frankreich, als wir einen Ventilator kaufen wollten und die französischen Verkäufer ihn nur mit leeren Blicken anstarrten, während er » Ventilator! ventilator! Electrique!« rief und mit beiden Händen herumwedelte.
»Shops.«
»Nein, Minnie!« fahre ich sie an. »Sei jetzt still!«
Minnie sieht aus, als würde sie ihr Hirn nach einer anderen Möglichkeit martern, wie sie es mir sagen könnte -da hellt sich ihre Miene auf. » Visa?«
Luke unterbricht sein Gespräch und starrt sie an, sprachlos.
»Hat sie eben < Visa < gesagt?«
»Ist sie nicht schlau?« Ich lache etwas zu fröhlich. »Was Kinder so reden ...« »Becky ... das ist schlimm. Richtig schlimm.« Er sieht so aufgebracht aus, dass es mir die Brust zusammen schnürt.
»Das ist nicht schlimm!«, sage ich verzweifelt. »Sie ist nicht ... ich bin nicht ...« Mein Satz versandet. Einen Moment lang sagt keiner was, nur Minnie, die noch immer an meinem Arm zieht und »Visa!«, ruft.
Schließlich hole ich Luft. »Du meinst tatsächlich, es gibt da ein Problem? Na, gut. Wenn du meinst, ich sollte ins Boot Camp gehen, dann gehe ich ins Boot Camp.«
»Keine Sorge, Becky.« Nanny Sue lacht. »So schlimm wird es nicht werden. Bei dem Programm geht es nur um Gespräche und Verhaltensmodifikationen in unserer Londoner Zentrale, mit einer Unterbringungsmöglichkeit für anreisende Teilnehmer. Es gibt Workshops, Einzelgespräche, Rollenspiele ... Ich glaube, es wird Ihnen gefallen!«
»Mir gefallen?«
Sie reicht mir einen Zettel, aber ich bringe mich nicht dazu, ihn anzusehen. Ich kann nicht fassen, dass ich eingewilligt habe, ins Boot Camp zu gehen. Ich wusste, ich hätte Nanny Sue gar nicht erst ins Haus lassen sollen.
»Hauptsache, mit Minnie ist alles in Ordnung«, seufzt Luke. »Wir haben uns schon Sorgen gemacht.«
Nanny Sue nimmt einen Schluck Tee und blickt von ihm zu mir. »Nur so aus Interesse ... wie sind Sie denn überhaupt darauf gekommen, dass etwas mit ihr nicht stimmen könnte?«
»Ich hab mir von Anfang an keine Sorgen gemacht«, sage ich sofort. »Das war Luke. Er meinte, wir könnten kein Kind mehr bekommen, weil wir Minnie nicht im Griff haben. Er meinte, sie ist zu wild.«
Während ich rede, wird es mir bewusst. Jetzt gibt es für ihn keine Ausreden mehr! Sieg! Ich fahre zu Luke herum. »Und wirst du dir das mit dem zweiten Kind jetzt überlegen? Du musst es dir noch mal überlegen!«
»Ich ... weiß nicht.« Luke sitzt in der Falle. »Solche Entscheidungen sollte man nicht überstürzen, Becky. Es ist ein großer Schritt ... «
»Alles im Leben ist ein großer Schritt!«, sage ich abfällig. »Sei nicht so ein Schisshase! Sie finden doch auch, dass Minnie noch ein Geschwisterchen haben sollte, oder?«, flehe ich Nanny Sue an.Sie glauben doch auch, dass es gut für sie wäre.«
Ha! Das wird Luke eine Lehre sein. Dieses Spielchen Wie ziehe ich Nanny Sue auf meine Seite? beherrsche ich auch.
»Das ist eine sehr persönliche Entscheidung.« Sie wirkt nachdenklich. »Allerdings dürfte es bisweilen hilfreich sein, solche Fragen zu besprechen. Luke, hat es einen speziellen Grund, wieso Sie nicht noch ein Kind möchten?«
»Nein«, sagt Luke nach einer langen Pause. »Eigentlich nicht.« Er fühlt sich offensichtlich unwohl, wie ich plötzlich merke.
»Warum ist es für ihn so ein wunder Punkt?«
»Natürlich sind Babys kleine Störenfriede ... «, beginnt Nanny Sue.
»Minnie nicht!«, verteidige ich sie sofort. »Ich meine, nur ein ganz kleines bisschen ... « Betroffen stutze ich. »Hat es damit zu tun, dass sie damals deine Akten zerkaut hat? Sie hat gezahnt, Luke! Und du hättest die Unterlagen nicht auf dem Bett liegen lassen sollen, und vielleicht hättest du auch eine Kopie davon machen sollen ... «
»Damit hat es nichts zu tun!«, fallt mir Luke ins Wort. »Sei nicht albern! Das wäre kein Grund. Das wäre doch kein ... « Abrupt kommt er ins Stocken, und seine Stimme bekommt plötzlich so etwas Schneidendes. Er hat sich abgewandt, aber ich sehe die Anspannung in seinem Nacken.
»Was ist los?«
»Ich glaube, hier geht es nicht nur darum, wie sich Ihr Kind benimmt, habe ich recht, Luke?«, sagt Nanny Sue leise, und ich starre sie nur an. Das ist genau wie im Fernsehen! »Lassen Sie sich Zeit«, fügt sie hinzu, als Luke tief Luft holt. »Kein Grund zur Eile.«
Alles ist still, nur Minnie kaut an einem Keks. Ich wage nicht, mich zu rühren. Die Atmosphäre im Raum hat sich total verändert. Es ist viel ruhiger. Was wird er sagen?
»Minnie zu bekommen war wundervoll.« Endlich sagt Luke etwas, wenn auch mit ein wenig rauer Stimme »Aber ich glaube einfach nicht, dass ich einem anderen Kind dieselbe Intensität an Gefühl entgegenbringen könnte. Und das Risiko möchte ich nicht eingehen. Ich weiß, was es für ein Kind bedeutet, wenn es sich verlassen und ungeliebt fühlt, und das werde ich meinem eigenen Kind nicht antun.«
Ich bin dermaßen baff, dass ich keinen Laut von mir geben kann. Ich hatte keine Ahnung, dass Luke so empfindet. Gar keine. Überhaupt keine.
»Warum fühlen Sie sich verlassen, Luke?« Nanny Sue spricht mit der weichen, mitfühlenden Stimme, wie immer am Ende ihrer Sendung.
»Meine Mutter hat mich verlassen, als ich klein war«, sagt Luke nüchtern. »Wir sind uns zwar später wieder begegnet, aber wir hatten nie ... eine innere Verbindung, könnte man vielleicht sagen. Vor Kurzem kam es zu einer schweren Auseinandersetzung, und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir nie wieder ein Wort miteinander sprechen werden.«
»Ich verstehe.« Nanny Sue wirkt unbeeindruckt. »Haben Sie schon versucht, sich mit ihr wieder zu versöhnen? Oder hat sie es versucht?«
»Meine Mutter verschwendet keinen Gedanken an mich.« Er lächelt bitter. »Glauben Sie mir.«
»Becky, sind Sie mit dieser Situation vertraut?« Nanny Sue wendet sich mir zu. »Glauben Sie auch, dass Lukes Mutter keinen Gedanken an ihn verschwendet?«
Mein Gesicht wird heiß, und ich gebe einen kleinen, unartikulierten Laut von mir, der nichts bedeutet.
»Becky hasst meine Mutter noch mehr als ich«, wirft Luke mit barschem Lachen ein. »Stimmt es nicht, Schatz? Du bist doch bestimmt froh, wenn wir sie nie mehr wiedersehen müssen.«
Ich schlucke meinen Tee herunter, mit brennenden Wangen. Es ist nicht auszuhalten. Ich habe etwa zweihundert Nachrichten in meinem Handy, alle von Elinor, alle wegen Luke. Sie will ihm die beste Party der Welt organisieren.
Aber ich darf nichts verraten. Was soll ich sagen?
»Ich bin bei einer wunderbaren Stiefmutter aufgewachsen«, erzählt Luke weiter. »Sie war meine richtige Mum. Aber trotzdem lässt einen dieses Gefühl des Verlassenseins nie los. Wenn ich noch ein zweites Kind hätte, und es würde sich verlassen fühlen ... « Er verzieht das Gesicht. »Das könnte ich einfach nicht.«
»Aber wieso sollte es sich verlassen fühlen?«, fragt Nanny Sue sanft. »Es wäre Ihr Kind. Sie würden es lieben.«
Es folgt langes Schweigen. Dann schüttelt Luke den Kopf.
»Das ist das Problem. Meine Angst, wenn Sie so wollen.« Plötzlich wird seine Stimme ganz tief und heiser. »Ich weiß nicht, wie ich so viel Zuneigung aufbringen soll, um sie unter mehreren aufteilen zu können. Ich liebe Becky. Ich liebe Minnie. Fertig, aus.« Plötzlich dreht er sich zu mir um. »Geht es dir nicht auch so? Hast du nicht auch Angst, dass dir die Kraft fehlen könnte, noch ein Kind zu lieben?«
»Also ... nein, sage ich etwas perplex. »Ich denke immer ... je mehr, desto besser.“
»Luke, diese Angst ist weitverbreitet«, sagt Nanny Sue. »Ich habe viele, viele Eltern erlebt, die vor ihrem zweiten Kind dieselbe Sorge hatten. Sie lieben ihr erstes Kind und fühlen sich schuldig, weil sie nicht genügend Liebe für ein zweites in sich tragen.“
»Genau.« Angestrengt runzelt er die Stirn. »Genau so ist es. Es liegt an den Schuldgefühlen.«
»Aber jeder Einzelne von diesen Eltern -ausnahmslos -hat mir später gesagt, dass sehr wohl genügend Liebe da war. Da war mehr als genug.« Ihre Stimme wird noch sanfter. »Liebe gibt es im Überfluss.«
Plötzlich fangen meine Augen an zu brennen. Ach, du je. Ich werde nicht zulassen, dass Nanny Sue mich zum Heulen bringt!
»Sie wussten doch auch vorher nicht, wie sehr Sie Minnie lieben würden, oder?«, sagt Nanny Sue zu Luke. »Und dennoch hat es Sie nicht daran gehindert.«
Es folgt eine lange Pause. Plötzlich merke ich, dass ich Daumen drücke. Mit beiden Händen. Und Füßen.
»Ich ... glaube nicht“, sagt Luke schließlich langsam. »Ich glaube, am Ende muss man wohl einfach Vertrauen haben.« Er blickt zu mir auf und lächelt schief, und ich strahle ihn an.
Nanny Sue ist die schlauste Expertin der Welt, und ich liebe sie.
Eine Stunde später haben wir endgültig von Nanny Sue Abschied genommen, haben versprochen, auf ewig in Kontakt zu bleiben, und schließlich Minnie zu Bett gebracht. Luke und ich schleichen auf Zehenspitzen aus ihrem Zimmer, lehnen draußen an der Wand und sehen uns schweigend einen Moment lang an.
»Okay«, sagt Luke schließlich.
»Okay.«
»Meinst du, wir sollten einen Jungen oder ein Mädchen bekommen?« Er zieht mich an sich, und ich sinke in seine Arme. »Meinst du, Minnie möchte ein Brüderchen oder ein Schwesterehen herumkommandieren?«
Ich kann nicht glauben, dass er so redet. Ich kann nicht glauben, dass er damit so entspannt ist. Nanny Sue ist ein echtes Genie. (Abgesehen von der Sache mit dem Shopping-BootCamp, das fürchterlich klingt und aus dem ich mich irgendwie herauswinden muss.)
Ich schließe die Augen und lehne mich an Lukes Brust. Plötzlich wird mir ganz warm und wohlig. Die Party ist geregelt. Luke will noch ein Baby. Minnie ist ein liebenswertes, intelligentes Kind. Und endlich kann ich mich entspannen.
»Es gibt so viel, worauf wir uns freuen können«, sage ich selig.
»Stimmt.« Gerade lächelt er zurück, da klingelt mein Handy. Ich sehe Bonnies Nummer und mache mich von ihm los, um den Anruf entgegenzunehmen.
»Oh, hi!«, sage ich freundlich, aber zurückhaltend. »Luke ist gerade bei mir ... « »Hat er seinen BlackBerry bei sich?«, unterbricht mich Bonnie auf höchst unbonniege Weise.
»Äh ... er stellt ihn gerade an«, sage ich, als ich mich zu ihm umsehe. (Er hatte ihn ausgemacht, solange Nanny Sue da war, was nur zeigt, wie sehr er ihre Meinung respektiert.)
»Nehmen Sie ihn ihm weg! Suchen Sie irgendeine Ausrede! Er darf es·nicht sehen!«
Sie klingt panisch, und ich reagiere sofort.
»Gib mal her!« Ich reiße Luke den BlackBerry aus der Hand, als er gerade zu summen und zu blinken anfangt. »Entschuldige!« Ich tarne mich eilig mit einem Lachen. »Es ist nur ... meine Arbeitskollegin will mir gerade was von verschiedenen BlackBerry Modellen erzählen. Du hast doch nichts dagegen, oder?«
»Lassen Sie ihn auch nicht an seinen Computer!«, höre ich Bonnies Stimme an meinem Ohr. « Nichts mit E-Mails!«
»Luke, würdest du mir vielleicht einen Becher Tee machen?«, sage ich schrill. »Jetzt sofort? Ehrlich gesagt ... ich fühle mich nicht gut. Könntest du ihn mir vielleicht ans Bett bringen? Und dazu einen Toast?«
»Also ... okay.« Luke wirft mir einen etwas seltsamen Blick zu. »Was ist los?«
»Toilette!«, keuche ich. »Mach mir Tee! Danke!«
Ich hetze ins Badezimmer, schnappe mir sein Notebook vom Schreibtisch und verstecke es in meinem Schrank, dann wende ich mich atemlos wieder dem Handy zu. »Was ist denn los, Bonnie?«
»Becky, ich fürchte, mir ist vor einer Weile ... «, sie atmet schnell, » ... ein einschneidender Fehler unterlaufen.«
Ein Fehler? Bonnie?
Oh, mein Gott. Der Stress hat seinen Tribut gefordert. Sie hat irgendwas bei der Arbeit vermasselt, und jetzt soll ich sie decken. Vielleicht bittet sie mich gleich, Beweisstücke zu fälschen oder Luke zu belügen oder E-Mails von seinem Computer zu löschen. Ich bin gleichzeitig gerührt, dass sie mir so sehr vertraut ... und erschüttert, dass ich' sie so weit getrieben habe.
»Waren Sie bestürzt, weil Luke Sie ab gemahnt hat? Ist Ihnen deshalb ein Fehler unterlaufen?« »Ich war heute Nachmittag etwas nervös«, sagt sie zögernd. »Das stimmt.« »Ich wusste es!« Ich fasse mir an den Kopf. »Bonnie, ich habe so ein schlechtes Gewissen. War Luke wirklich böse auf Sie?« »Nicht unangemessen, angesichts der Umstände, aber ich war doch erschüttert, wie ich gestehen muss ... «
»Bonnie, kein Wort mehr!« Meine Stimme bebt vor Entschlossenheit. »Was Sie auch getan haben, welcher Fehler Ihnen auch unterlaufen sein mag, wie groß der Schaden für Brandon Communications auch deshalb sein mag ... nie im Leben war es Ihre Schuld. Ich werde nicht zulassen, dass Luke Sie feuert. Ich werde Sie bis aufs Blut verteidigen!«
Plötzlich habe ich so ein Bild vor Augen, wie ich mich vor Luke in seinem Büro aufbaue, Bonnie am Handgelenk halte und sage: »Weißt du eigentlich, was für ein Schatz diese Frau ist? Weißt du eigentlich, was für eine Stütze sie ist?«
»Becky, seien Sie beruhigt! Mir ist kein Fehler unterlaufen, der Brandon Communications betrifft.« Bonnies Stimme bohrt sich in meine Träumereien. »Ich fürchte, es hat mit der Party zu tun.«
»Mit der Party?« Ich spüre ein leises Beben. »Was ist passiert?«
»Wie Sie wissen, war heute der Tag, an dem ich unsere Belegschaft von Lukes Geburtstagsüberraschung in Kenntnis gesetzt habe. Ich habe eine Rundmail verschickt, und alles ging glatt. Alle sind gespannt und freuen sich.«
»Gut.« Ich versuche, die aufkommende Panik zu ersticken. »Und ... ist irgendwas schiefgegangen?«
»Kurz darauf habe ich gemerkt, dass ich die gemeinsame Geburtstagskarte nicht erwähnt hatte. Also habe ich eine weitere Mail vorbereitet und den Empfängern mitgeteilt, dass eine Glückwunschkarte vorbereitet und Luke bei der Party überreicht werden würde. Ich war gerade dabei, die Mail noch mal durchzusehen, als ich dachte, ich höre Lukes Stimme. In der Hektik habe ich die Mail eilig abgeschickt und meinen Bildschirm zugeklappt.« Sie macht eine Pause. »Mein Fehler ist mir erst später aufgegangen.«
»Ihr Fehler?« Mein Herz rast. »Oh, Gott. Sie haben sie doch nicht auch an Luke geschickt, oder?« »Doch, leider ist sie auch an Luke rausgegangen«, sagt Bonnie nach einer kurzen Pause. Der Schock lässt winzig kleine Funken in meinem Kopf aufblitzen. Einatmen ... ausatmen ...
»Das macht nichts.« Ich staune, dass ich Ruhe bewahre, wie ein erfahrener Notarzt. »Keine Sorge, Bonnie. Ich lösche sie von seinem Computer und vom BlackBerry. Nichts passiert. Gott sei Dank ist es Ihnen noch eingefallen ...«
»Becky, Sie verstehen nicht. Luke hat sie bekommen, weil er auf unserer Liste sämtlicher Kontakte steht. Dahin habe ich die Mail versehentlich geschickt.« »Sämtliche Kontakte?«, wiederhole ich unsicher. »Und ... wen betrifft das? Wer steht auf dieser Liste?«
»Ungefähr zehntausend Londoner Analysten und Experten ... und die Presse. Unglücklicherweise ist die Mail an alle raus gegangen.«
Wieder blitzt es in meinem Kopf... aber diesmal sind es keine kleinen Funken. Es ist ein gewaltiger, donnernder, überwältigender Tsunami des Entsetzens.
»Zehntausend Empfänger?«
»Natürlich habe ich umgehend eine Richtigstellung herumgeschickt und um absolute Diskretion gebeten. Nur fürchte ich, so einfach ist es nicht. Manche haben schon geantwortet. Die ersten Geburtstagsgrüße für Luke treffen ein. Sein Postfach ist voll. Er hat schon sechsundfünfzig Mails.«
Mit zitterndem Daumen tippe ich mich zu den eingegangenen Nachrichten auf seinem BlackBerry durch. Als die Seite aufgeht, ist der Bildschirm voll von ungelesenen Mails.
Alles Gute, mein Freund! Feier schön Glückwünsche & Grüße vom HSBC Marketing Team
Ich höre Lukes Schritte, als er die Treppe heraufkommt. Ich könnte schreien. Ich muss den BlackBerry verstecken. Ich muss alles verstecken, alles verhindern.
»Er wird es sich zusammenreimen!«, flüstere ich entsetzt und tauche im Badezimmer ab. »Wir müssen sie löschen! Wir müssen sie aufhalten!«
»Ich weiß.« Auch Bonnie klingt ziemlich verzweifelt. »Aber anscheinend haben die Leute die Mail bereits weitergeleitet. Er bekommt Glückwünsche von überall her. Ich weiß nicht, wie wir sie aufhalten können.«
»Es soll doch ein Geheimnis sein!«, heule ich beinah. »Wissen die das denn nicht?« »Becky.« Bonnie seufzt. »Vielleicht haben Sie das Geheimnis jetzt lange genug gehütet. Die Party ist schon übermorgen. Wäre es nicht an der Zeit, Luke einzuweihen?«
Schockiert starre ich das Handy an. Sie meint, ich soll einfach aufgeben? Nach allem, was gewesen ist?
»Nie im Leben!« fauche ich »Niemals! Es soll eine Überraschungsparty werden. Okay? Eine Überraschung. Ich muss Luke nur einfach ablenken, damit er keine E-Mails oder irgend so was sieht.«
»Liebes, Sie können ihn unmöglich zwei volle Tage von seinen E-Mails fernhalten ... «
»Doch, kann ich! Ich verstecke seinen BlackBerry, und mit dem Notebook werde ich auch irgendwie fertig ... Sorgen Sie dafür, dass die Techniker wenn möglich sämtliche E-Mails löschen. Halten Sie mich auf dem Laufenden. Bonnie, ich muss los ... «
»Becky?«, ruft Luke aus dem Schlafzimmer. »Liebling, ist alles okay?«
Ich lege auf, starre Lukes BlackBerry ein paar Herzschläge lang an, dann trete ich schnell darauf, stampfe ihn in die Bodenfliesen. Da! Nimm das! Zehntausend Leute verraten meine Überraschungsparty .
»Becky?«
Ich öffne die Tür, und da steht er mit einem Becher und einem Teller mit zwei Scheiben Toast .
»Alles okay?« Voll Sorge sieht er mich, dann streckt er eine Hand aus »Kann ich meinen BlackBerry wiederhaben?«
»Ich hab' ihn kaputt gemacht. Sorry.«
»Du meine Güte. »Schockiert starrt er die demolierten Überreste an »Wie hast du das denn hingekriegt?« Er sieht sich im Badezimmer um. »Wo ist eigentlich mein Notebook geblieben? Ich muss Bonnie eine Mail schreiben ... «
»Nein!« Mein Schrei ist so schrill, dass er verdutzt zusammenzuckt und Tee aus dem Becher schwappt. »Vergiss dein Notebook! Vergiss das alles! Luke ... « Verzweifelt sehe ich mich um. »Ich ... ich ovuliere!«
Ja!
»Was?« Mit leerem Blick starrt er mich an.
»Genau jetzt!« Ich nicke heftig. »In diesem Moment! Ich habe gerade einen Test gemacht. Die sind heutzutage sehr genau. Wir müssen sofort loslegen! Schnell! Minnie schläft, wir zwei sind ganz allein zu Haus ... « Verführerisch mache ich mich an ihn heran, nehme ihm Becher und Teller aus der Hand und stelle beides auf ein Regal. »Komm mit, Liebster ... « Ich spreche mit tiefer, heiserer Stimme. »Lass uns ein Baby machen.«
»Hm, im Grunde keine schlechte Idee.« Seine Augen leuchten, als ich anfange, sein Hemd aufzuknöpfen, und es ihm aus der Hose ziehe. »Was du heute kannst besorgen ...«
»Ganz genau.« Ich schließe die Augen und fahre mit der Hand supersinnlich über seine Brust. »Ich bin total in Stimmung.«
Was sogar stimmt. Das ganze Adrenalin in meinem Körper macht mich total heiß und fiebrig. Ich ziehe ihm das Hemd aus und drücke ihn an mich, atme seinen schwachen Duft von Schweiß und Aftershave ein. Mmmmh. Das war eine sehr gute Idee .
»Finde ich auch«, murmelt Luke an meinem Hals. Er ist offensichtlich ebenfalls in Stimmung, und zwar gewaltig. Ausgezeichnet. Das könnte ein paar Stunden dauern. Er wird keinen Gedanken an Notebooks oder BlackBerrys verschwenden. Wenn ich es richtig anstelle, müsste es ihn sogar bis morgen früh beschäftigen. Und dann ...
Oh, Gott. Keine Ahnung. Ich muss mir einfach was einfallen lassen. Ich hab ja noch reichlich Zeit, mir was zu überlegen. Ich weiß nur eins: Ich werde ihn am Freitag überraschen, und wenn es mich umbringt.