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Während der langen Taxifahrt sprechen wir kaum. Anfangs versuche ich noch, eine fröhliche Fassade aufrechtzuerhalten, aber alles, was ich sage, klingt in meinen Ohren irgendwie falsch und hohl. Wir biegen nach Oxshott ab und sind fast da, und ich sollte vor Freude übersprudeln ... doch es ist kein bisschen so, wie ich es geplant hatte.
Plötzlich rollt eine kleine Träne über meine Wange, und ich wische sie weg, bevor Luke sie sehen kann.
»Becky ... « Luke klingt gequält.
Toll. Er hat es gesehen. Nicht mal mein blöder Körper kann irgendwas für sich behalten.
Einen Augenblick lang starren wir einander an, und es ist, als funktionierte die eheliche Telepathie zwischen uns nun endlich doch. Ich weiß, was er denkt. Ich weiß, was er fühlt. Er würde alles dafür geben, wenn wir zurückspulen könnten. Er würde alles dafür geben, es nicht zu wissen. Aber er kann sich nicht entwissen.
»Becky ... « Luke sieht so bedrückt aus, als er mich ansieht. »Bitte ... «
»Es geht schon. Ich bin nur ... «
Alles, was wir sagen, sind bedeutungslose Halbsätze. Es ist, als wollte keiner von uns das Risiko eingehen, der Wahrheit allzu nah zu kommen. Dann plötzlich scheint Luke einen Entschluss zu fassen, und er zieht mich näher an sich heran.
»Ich werde überrascht sein«, sagt er leise. »Bestimmt. Ich weiß von nichts. Wenn du wüsstest, wie gerührt. .. « Er stockt und seufzt. »Becky, bitte sei nicht traurig ... « Er nimmt meine Hände und drückt sie so fest, dass es schon wehtut.
Ich kann nichts sagen. Ich kann nicht fassen, dass wir dieses Gespräch führen. »Wir sind gleich da.« Schließlich wische ich mir die Augen und prüfe mein Make-up. Suze wartet bestimmt schon mit meinem Kleid, und Danny kümmert sich um Lukes Outfit.
Es ist okay, sage ich mir streng. Selbst wenn es nicht genau so ist, wie ich es geplant hatte, ist es doch okay. Luke ist hier, ich bin hier, er kriegt seine Party, und alles wird wunderbar.
»Alles Gute zum Geburtstag, Liebling«, murmle ich, als das Taxi in Janices Auffahrt einschert, und ich drücke seine Hand.
»Was ... Wieso biegen wir hier ein?«
Luke gibt sich heroisch alle Mühe, wie der erstaunteste Mensch der Welt zu klingen. Ich wünschte, er würde es lassen. Es gelingt ihm nicht besonders gut.
»Steig aus ...« Ich schenke ihm ein Lächeln -und obwohl ich weiß, dass er es weiß, spüre ich doch, wie die Spannung wieder in mir perlt. Ich meine, er weiß ja nicht alles. Ich bezahle den Taxifahrer und führe Luke durch Janices dunkles Haus. Die Leute vom Partyservice verstecken sich entweder in der Küche, oder sie sind schon draußen im Zelt, aber so oder so traue ich mich nicht, Licht zu machen.
Autsch. Eben bin ich mit der Hüfte gegen Janices blöden Tisch gestoßen. Wieso hat sie eigentlich überall Tische stehen?
»Okay, raus mit dir!« Ich schiebe ihn vor mir her, durch die Terrassentür in den Garten. Da steht das Zelt, dekoriert mit funkelnden, bunten Lichtern, drinnen hell erleuchtet -und doch ist alles still, als hätten sich nicht zweihundert Leute darin versammelt.
»Becky ...« Luke bleibt stehen und starrt das Zelt an. »Ich kann es nicht glauben. Ich kann nicht glauben, was du ... Hast du das alles allein organisiert?«
»Komm schon!«
Ich zerre ihn über die Matten zum Eingang, und plötzlich rast mein Herz. Ich hoffe, sie sind auch alle da. Bestimmt sind sie da. Ich hole tief Luft ... dann klappe ich die Plane am Zelteingang zur Seite.
»ÜBERRASCHUNG!«
Der Lärm ist ohrenbetäubend. Ein dicht gedrängter Pulk leuchtender Gesichter steht vor uns. Ich erkenne nur ein paar davon. Janice ist ganz vorn, in ihrem Mrs.-Bennet-Kleid, und Jess trägt ein absolut atemberaubendes, schwarzes Etuikleid mit entsprechend dramatischem Make-up. Als ich mich im Zelt so umsehe, bin ich doch unwillkürlich stolz. Überall hängen kleine Lichter und wippen silberne Ballons mit der Aufschrift »Happy Birthday Luke« im Logo von Brandon Communications. Und alles ist voller nachgemachter Werbeplakate und vergrößerter Titelblätter von Tageszeitungen, jeweils mit einer anderen Schlagzeile über Luke Brandon. (Die habe ich damals alle selbst geschrieben.) Die Krönung ist ein riesiger LCD-Bildschirm, wie Brandon C sie bei Pressevorstellungen verwendet. Darauf sind Bilder von Luke zu sehen, eins aus jedem Lebensjahr, vom Baby bis zum Erwachsenen, und darüber steht: »Luke -im Lauf der Jahre«.
Und direkt über unseren Köpfen hängen überall meine Troddeln. Wir haben kleine Lämpchen hindurch gezogen und sie als Girlanden aufgehängt, und sie sehen einfach traumhaft aus.
»Happy birthday to you ...«, fangt irgendjemand an zu singen, und die Menge stimmt mit ein.
Ich werfe einen Blick zu Luke hinüber.
»Wow!«, ruft er wie aufs Stichwort. »Das ist ja eine ... Ich wusste von nichts!« Er gibt sich allergrößte Mühe, total überrascht zu wirken. Das muss ich ihm lassen.
»For he's a jolly good fellow ... «, singen die Gäste jetzt. Luke entdeckt immer mehr Gesichter in der Menge und grüßt sie winkend und lächelnd, und sobald die Singerei vorbei ist, nimmt er sich ein Glas und erhebt es.
»lhr Spinner!«, ruft er, und alles lacht. Das kleine Trio in der Ecke stimmt einen Gershwin-Song an, die Leute drängen sich um Luke, und ich beobachte sein Gesicht, als er alle begrüßt.
Er war nicht von den Socken. Er war nicht sprachlos vor Überraschung. Aber andererseits ... ich wusste, dass er es nicht sein würde. Im selben Moment, als dieser Typ im Berkeley Hotel den Mund aufgemacht hatte.
»Becky! Das ist fantastisch!« Eine Frau von Brandon Communications, deren Namen ich vergessen habe (das atemberaubende Alexander-McQueen-Kleid ist mir aber in Erinnerung geblieben), stürzt sich auf mich. »Haben Sie die ganze Dekoration selbst gemacht?«
Erica und ihre Leute ziehen mit Schnittchen ihre Kreise, und ich sehe, wie Janice mit einer Puderdose an eine gepflegte Blondine herantritt. Gott im Himmel, ich habe ihr doch gesagt, dass sie die Leute nicht schminken soll. Ich muss sie abfangen, und zwar schnell.
Doch bevor es mir gelingt, reicht mir ein grauhaariger Mann einen Cocktail, stellt sich als alten Kollegen von Luke vor und erkundigt sich, wie lange es gedauert hat, das alles zu planen, und dann fragt mich seine Frau (wehendes Kleid, zu viel Lippenstift) ganz aufgeregt, ob ich die Clips auf YouTube gesehen hätte, und nach etwa einer Viertelstunde habe ich noch nichts anderes gemacht, als mich mit wildfremden Menschen zu unterhalten. Ich weiß nicht mal, wo Luke ist.
Es zieht etwas am Zelteingang, und alle halten sich davon fern.
»Leute! Hört mal eben zu!« Lukes gebieterische Stimme weht durchs Zelt, und augenblicklich hören alle Mitarbeiter von Brandon C auf zu reden und sehen sich um, als käme jetzt eine Firmenpräsentation. Auch die anderen fügen sich, und es wird erstaunlich schnell still im Zelt.
»Ich wollte nur sagen ... ich danke euch.« Er blickt in die Runde der lächelnden Gesichter. »Euch allen. Ich kann gar nicht glauben, dass so viele alte Freunde hier sind, und ich freue mich schon darauf, von allen zu hören, wie es ihnen geht. Ich kann nicht glauben, dass ihr alle Bescheid wusstet! Hinterlistige Bande!« Überall im Zelt wird anerkennendes Lachen laut. »Und ich kann nicht glauben, wie clever meine Frau war.« Er dreht sich zu mir um. »Becky, meine Hochachtung.«
Kurzer Beifall brandet auf, und ich verbeuge mich pflichtschuldig. »War es eine echte Überraschung, Luke?«, ruft die Frau mit zu viel Lippenstift. »Hattest du wirklich keine Ahnung?« Luke wirft mir einen klitzekleinen, vorsichtigen Blick zu. Man hat es kaum bemerkt.
»Ja, absolut!« Er klingt etwas gepresst. »Ich hatte keine Ahnung, bis ich in die ... « Er stockt. »Allerdings habe ich natürlich geahnt, dass irgendetwas los sein muss, als wir ins Taxi stiegen ... « Wieder stockt er und kratzt sich unbehaglich im Gesicht. Erwartungsvolle Stille macht sich breit.
»Wisst ihr was ... ?« Schließlich blickt Luke auf, ohne seine übliche Fassade. »Ich will euch nicht belügen. Ich will euch nichts vormachen, denn es bedeutet mir einfach zu viel. Ich möchte sagen, was ich wirklich empfinde. Tatsächlich hat sich vorhin jemand verplappert. Ein bisschen jedenfalls. Also, ja, ich habe etwas ... geahnt. Aber wisst ihr was? Entscheidend ist bei so einer Party nicht die Überraschung. Entscheidend ist die Mühe, die sich jemand gibt, sodass es einen einfach ... umhaut. Und man denkt: »Womit habe ich das verdient?« Er macht eine Pause. Seine Stimme bebt ein bisschen. »Ich bin der glücklichste Mann auf der Welt, und ich möchte einen Toast ausbringen. Auf Becky!«
Ich schiele auf mein Handy. Es piept mir die ganze Zeit schon Nachrichten, und ich habe Lukes kleiner Ansprache nur halb zugehört. Doch jetzt blicke ich auf.
»Okay, Luke.« Ich gestatte mir ein kleines Lächeln. »Du täuschst dich. Bei so einer Party kommt es allein auf die Überraschung an. Nimm deinen Drink. Nimm deinen Mantel. Und komm bitte hier entlang. Wenn Sie bitte alle Ihre Mäntel nehmen und uns folgen würden ...«
Aus heiterem Himmel sind Daryl, Nicole, Julie und drei ihrer Freunde aufgetaucht und schieben Garderobenständer herein. Die Gäste starren einander ratlos an. Daryl zwinkert mir zu und ich zwinkere zurück. Er ist ein echter Schatz, dieser Daryl.
Vor einer Woche hat er sich gemeldet und meinte, er hätte das mit dem Feuerschlucken schon viel besser drauf und ob ich ihn mir noch mal ansehen wollte. Woraufhin ich dankend abgelehnt habe, aber ich hatte eine andere kleine Aufgabe für ihn. Alle sechs Teenager tragen smarte, weiße Hemden und Schürzen, und Nicole trägt -wie ich sehe -ihre Vivienne-Westwood Schuhe.
Luke rührt sich nicht von der Stelle. Er scheint völlig baff zu sein.
Ha!
»Becky ... »Er legt seine Stirn in Falten. »Was um alles in der Welt ... « Ha! Ha! »Du meinst, das hier ist deine Party?« Verächtlich nicke ich zum Zelt hin.
Am liebsten möchte ich vor Freude hüpfen, als ich ihn durch Janices Haus zur Auffahrt führe. Und da stehen sie. Wie auf Kommando. Drei riesige Busse parken dort. Sie sind pechschwarz, und auf der Seite steht in Weiß:
LUKES EIGENTLICHE ÜBERRASCHUNGSPARTY.
»W...«
Lukes Mund steht offen. Ihm scheinen die Worte zu fehlen.
Ja!!!
»Rein mit dir!«, sage ich selig.
Ich weiß, ich weiß, ich habe bisher nichts davon erzählt. Tut mir leid. Ich wollte es ja. Aber ich hatte Angst, jemand könnte sich verplappern.
Die Stimmung im Bus ist fantastisch. Alle sind plötzlich ganz aufgekratzt. Immer wieder höre ich Satzfetzen wie »Wohin fahren wir?« und »Wusstest du was davon?« und dann schallendes Gelächter.
Und Luke scheint mir richtig platt zu sein. So platt habe ich ihn noch nie gesehen. Ich muss ihn öfter überraschen. »Okay, jetzt die Augenbinde ... «, sage ich, als wir zur Abzweigung kommen. »Nein.« Er fangt an zu lachen. »Das kann nicht dein Ernst sein ...« »Los, Augenbinde um!« Im Spaß wackle ich streng mit dem Zeigefinger.
Ich genieße die Macht, die ich über ihn habe. Ich habe ihn total in der Hand. Rasch knote ich die Augenbinde richtig fest und spähe vorn aus dem Bus. Wir sind fast da!
Ich simse Suze Fünf Minuten und kriege sofort OK zurück. Sie ist da und wartet auf mich, zusammen mit Mum, Dad, Minnie, Danny und dem Rest von Team zwei.
Oh, ja. Wir hatten zwei Teams. Also eigentlich war es Elinors Idee.
Ich weiß, dass Elinor auch noch da ist, denn Suze hat mir vor ein paar Minuten eine Nachricht geschickt, in der stand, dass Elinor noch bis zum letzten Augenblick fanatisch jedes kleine Detail gecheckt hat und alle Mitarbeiter eine Heidenangst vor ihr hatten.
Als wir die Allee entlangfahren, sehe ich, wie alle Gäste neugierig aus den Busfenstern spähen, und ich halte mit panischer Geste meinen Zeigefinger an den Mund, damit sie leise sind. Nicht, dass Luke etwas ahnen würde. Er war erst einmal in Suzes neuem Haus.
Ich sage »Haus«. Was ich meine, ist: »Anwesen mit Park«.
Es war eine Entscheidung in letzter Minute hierherzukommen. Wir hatten ein Lokal mieten wollen, und Elinor wäre sogar bereit gewesen, eine andere Veranstaltung auszukaufen, damit sie woanders stattfand (da ist sie absolut rücksichtslos, wie eine Berufskillerin), als Suze plötzlich sagte: »Moment! Was ist denn mit Letherby Hall?«
Manchmal denke ich, Suze vergisst tatsächlich, wie viele Häuser sie und Tarquin eigentlich besitzen. Auf jeden Fall hatte sie keine Ahnung, wie viele Schlafzimmer es dort gibt.
Egal. Nachdem wir diese Entscheidung getroffen hatten, ergab sich alles andere von selbst. Oder zumindest wurde es zügig so bewegt, dass es sich von selbst ergab. Und es ist die perfekte, die traumhafteste, romantischste Umgebung für eine Party. Ich höre, wie die Leute hinter mir oohen und aahen, als sie das Haus sehen, mit seinen zwei großen Flügeln und der Kuppel in der Mitte und den dorischen Pilastern überall. (Ich weiß, dass es dorische Pilaster sind, weil Tarkie es mir gesagt hat. Ich hoffe, irgendjemand fragt mich danach.)
Eine milde Brise weht, als wir alle aus dem Bus steigen und über den Kies knirschen. Der Haupteingang ist offen und erleuchtet, und ich führe alle leise hinein, immer noch mit Luke an der Hand. Wir laufen über den alten Steinfußboden, und bald schon haben sich alle vor den mächtigen Doppeltüren der Großen Halle versammelt.
Ich höre das Flüstern und Kichern und »Schscht!« hinter mir. Ich bin total angespannt. Fast habe ich Angst. Es ist so weit. Der Augenblick ist gekommen.
»Okay.« Meine Stimme zittert ein bisschen, als ich ihm die Augenbinde abnehme. »Luke ... Happy Birthday!«
Als ich die Doppeltüren aufstoße, rauscht das Seufzen der Gäste hinter mir wie ein Wasserfall. Aber ich sehe nur sein Gesicht. Es ist aschfahl.
Wenn es ihn so richtig umhauen sollte, so sehr, dass es ihm die Sprache verschlägt ... dann habe ich das geschafft. Verwundert tritt er einen Schritt vor. Dann noch einen ... und noch einen.
Der gesamte Saal wurde in die Bühne des alten Spielzeugtheaters verwandelt, das er für Minnie gekauft hat. Des Puppentheaters aus seiner Kindheit. Sämtliche Bühnenbilder des Sommernachtstraums wurden akribisch reproduziert. Es sind die gleichen Büsche und Bäume undTurmspitzen, es gibt einen Bach und Moos. Kleine Tische und Stühle stehen unter dem Laub. Eine Band spielt leise Musik. Magische Klänge. Hier und da hängen in den Bäumen -wie große Blumen -noch mehr von meinen Troddeln. Irgendwie bin ich richtig stolz auf mich. Die sehen echt gut aus.
»Das ist. .. « Luke muss schlucken. »Das ist ganz genauso wie ... «
»Ich weiß.« Ich halte seine Hand ganz fest.
Das war von Anfang an meine Idee gewesen. Aber ich hätte sie nie dermaßen spektakulär umsetzen können, wenn Elinor nicht gewesen wäre.
»Daddyyyyyy!« Minnie kommt hinter einem Baum hervorgerannt, in einem absolut zauberhaften, hauchdünnen Feenkleid mit Flügeln, das Danny für sie geschneidert hat. »Happy! Happy Daddy!«
»Minnie!« Luke wirkt richtig überwältigt, als er sie hochhebt und in die Arme schließt. »Wo hast du ... wie hast du ... Suze! Jane! Graham! Danny!« Staunend sieht er hin und her, als alle aus ihren Verstecken kriechen.
»Happy Birthday!«
»Überraschung!«
»Sag was, Luke, mein Bester! Halt eine kleine Rede! »Ich kann nicht fassen, dass Mum Luke einen Camcorder ins Gesicht hält. Sie weiß doch, dass wir einen professionellen Kameramann engagiert haben.
»Bonnie?« Lukes Miene wird noch fassungsloser, als Bonnie in einem spektakulären, aquamarinblauen Kleid hinter dem Wasserfall hervortritt, mit einem verlegenen Lächeln im Gesicht. »Bitte sagen Sie nicht, Sie waren auch eingeweiht!«
»Nur ein bisschen.«
»Das ist einfach ... unglaublich.« Er schüttelt den Kopf und sieht sich wieder im Zauberwald um. »Wer weiß noch, dass ich Geburtstag habe?«
»Wer noch? Äh ...« Ich sehe Bonnies Blick und möchte loslachen. »Ziemlich viele Leute. Fast die ganze Stadt.«
»Die Leser der Daily World«, fügt Bonnie hinzu. »Und der Standard und die Daily Mail haben auch gerade was gebracht.« »Du hast Glückwünsche von drei Mitgliedern der Königlichen Familie bekommen«, wirft Suze fröhlich ein. »Nicht zu vergessen YouTube!«, sagt Dad. »Hunderttausend Klicks, als ich vorhin nachgesehen habe!« Luke sieht aus, als hätten wir alle den Verstand verloren. »Ihr macht Witze«, sagt er, aber wir schütteln nur die Köpfe. »Warte, bis du die Glückwünsche gesehen hast!«, sagt Mum. »Und du hast deine eigene Happy-Birthday-Website!« »Aber ... das ist doch verrückt!« Luke fasst sich an den Kopf. »Ich feiere nie meinen Geburtstag. Wer hat denn ...«
»Becky hatte ordentlich zu tun«, sagt Bonnie.
»Vor allem damit, es geheim zu halten!«, rufe ich entrüstet. »Und die Leute davon abzuhalten, dass sie sich verplappern und irgendwas ins Internet stellen! Einen Sack Flöhe zu hüten ist leichter!«
»Etwas zu trinken, Sir?« Ein männliches Model in einem von Dannys Sommernachtstraum-Kostümen steht unvermittelt da. Seine Oberschenkel sind in Fell gewandet, er trägt einen Kranz aus Blättern um den Kopf, und seine Brust ist nackt und braungebrannt und sehr gut gebaut. (Ich schätze, das dürfte wohl Dannys ganz persönlicher Sommernachtstraum sein, im Grunde ein ganzer Wald voll heißer Männer.)
Das Model hält ein Holztablett in Händen, das wie eine Baumscheibe aussieht und auf dem Cocktails mit kleinen Silberschildchen stehen. »Ich kann Ihnen einen Brandon, einen Bloomwood oder einen Minnie anbieten. Und wenn Sie und Ihre Frau sich dann vielleicht für die Vorstellung umkleiden würden ... ! ?«
»Die Vorstellung?« Luke wendet sich zu mir um. Vielsagend ziehe ich die Augenbrauen hoch und drücke seine Hand.
»Wart's ab.«
Diese Party ist einfach unglaublich, absolut fantastisch. Wirklich wahr.
Ich meine, ich weiß, ich habe geholfen, sie zu organisieren und alles, also sollte ich nicht so aufschneiden. Ich sollte lieber schamhaft und bescheiden bleiben und sagen: »Ach, alles in allem war es wohl ganz okay« »Wie Partys ebenso sind, nicht schlecht«, und dann mit den Schultern zucken, das Thema wechseln und übers Wetter reden.
Schade eigentlich, aber das werde ich nicht tun. Ich werde die Wahrheit sagen. Und die Wahrheit ist, dass man diese Party nur als absoluten Knaller bezeichnen kann, was auch alle Leute sagen, selbst welche, die dauernd auf Partys sind, wie Seine Exzellenz St. John Gardner-Stone, der sich als echtes Herzchen entpuppt und einen ganzen Haufen blöder Witze kennt.
Bisher hat alles perfekt geklappt. Als Luke sein Dinnerjacket anhatte und ich mein göttliches, grünes Kleid, haben wir uns mit unseren Drinks auf die kleinen Stühle überall im Saal verteilt, und eine Zirkustruppe hat überall um uns herum in den Bäumen des Waldes die unglaublichsten akrobatischen Kunststücke vorgeführt, zu pompöser Musik und Laserblitzen.
Dann kamen die Feuerschlucker -eine tschechische Truppe, die alle möglichen Tricks beherrscht. (Sie haben die Alonzol Alvin-Nummer mit eingebaut, weil ich sie darum gebeten habe, und er sah die ganze Zeit über etwas panisch, aber selig aus.)
Dann kam ein riesiger Bildschirm von der Decke, und Musik setzte ein, und alle YouTube-Grüße an Luke liefen ab, und ich musste fast weinen.
Okay. Ich habe tatsächlich ein paar Tränen weggeblinzelt.
Nicht, dass irgendwelche Clips besonders gut gewesen wären. Ich meine, wenn ein paar Marketingleute aus Kettering ein schwachsinniges ,»Happy Birthday Luke da Man« in ein wackliges Handy rappen, ist das nicht gerade Die Geschichte vom Weinenden Kamel. Aber entscheidend war die Tatsache, dass sie es überhaupt getan haben. Leute, die ich nicht mal kenne, gratulierten Luke zum Geburtstag. Sogar richtige Berühmtheiten.
Sobald Sage auf dem Bildschirm erschien, fuhr Lukes Kopf zu mir herum, und er sagte:
»Wie zum ... «
Und da musste ich doch lachen und habe ihm ins Ohr geflüstert: »Luke, sieh es ein. Es hat keinen Sinn, etwas vor mir zu verheimlichen.« Ich hatte erwartet, dass er auch lachen würde, aber das tat er nicht. Offen gesagt, sah er ein kleines bisschen erschrocken aus.
Dann nahmen wir zu einem fantastischen Festmahl in der »Long Gallery« Platz, die mit Blumengirlanden und noch mehr Plastiktroddeln dekoriert war. (Ich habe echt viele gemacht.) Es folgten diverse Ansprachen, und Luke hat sich bei allen hunderttausend Mal bedankt, und ich habe mich bei allen hunderttausend Mal bedankt. Dann hat Luke eine wirklich zu Herzen gehende Rede über Annabel und das Puppentheater gehalten und darüber, dass ihm diese Erinnerung besonders viel bedeutete und dass wir das gleiche Theater für Minnie gekauft hätten und er hoffte, dass sie eines Tages so ähnliche Erinnerungen an ihn haben würde. Und alle tupften an ihren Augen herum.
Ach, und er hat auch ein paar nette Sachen über mich gesagt. Ihr wisst schon.
Dann kam der Kaffee mit Suzes speziellem »Luke's Walnut Shortbread«, und wieder oohten und aahten alle, und ich sah Suze an und sagte lautlos: »Danke!«
Da erklomm die Band die Bühne in der »East Hall« (alle Räume bei Suze haben Namen). Und jetzt wird da getanzt, und es gibt eine riesige Lounge mit entspannter Musik und Sofas, und die Leute treiben sich noch immer im Saal des Sommernachtstraums herum, und später wird es Eiskrem und Feuerwerk und einen Stand-up-Comedian geben, nur weiß Luke davon noch nichts.
Ich beobachte ihn von meinem Sitzplatz am Bach. Er ist von alten Freunden umringt, hält Minnie im Arm, und ich habe sein Gesicht schon lange nicht mehr so leuchten sehen, jedenfalls seit ...
Ich weiß nicht. Schon viel zu lange.
Gerade überlege ich, zu welchem Cocktail ich als Nächstes übergehen sollte, als Suze in ihrem Kleid zu mir herangerauscht kommt, das -wie ich zugeben muss -fast so toll ist wie meins. Es ist dunkelrot mit einer Schleppe, und sie hat es in Paris bei Christian Dior gekauft und will mir nicht verraten, was es gekostet hat, was bedeutet, dass es bestimmt Fantastillionen waren.
»Bex, ich weiß nicht, was ich machen soll mit ...« Sie stutzt, dann sagt sie lautlos: »Elinor.«
»Was ist mit ihr?« Nervös blicke ich mich um, ob Luke irgendwo in der Nähe ist. Suze beugt sich zu mir herab und haucht mir ins Ohr: »Sie ist immer noch hier.«
Mich trifft der Schlag. Sie ist hier?
Tausend Mal hat Elinor gesagt, dass sie nicht zur Party bleiben wolle. Sie meinte, sie wolle weg sein, bevor wir kommen. Ich war einfach davon ausgegangen, dass sie längst abgedüst war.
»Aber wo ... ?« Hektisch sehe ich mich um.
»Es ist meine Schuld.« Suze zerknittert ihr Gesicht. »Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie von alldem nichts mitbekommt. Nach allem, was sie getan hat. Ich wusste, dass sie nicht zur Party kommen wollte ... also habe ich ihr angeboten, dass sie sich im Priestergang verstecken und zusehen könnte.«
Vielsagend blickt Suze auf, und ich folge ihrem Blick. Im ersten Stock befindet sich ein winziger, schmiedeeiserner Balkon, der mir bisher eigentlich nicht aufgefallen war. Aber er ist leer.
»Ich verstehe nicht«, sage ich begriffsstutzig. »Wo ist sie denn?«
»Versteckt sich hinter einem verborgenen Paneel und guckt durch ein kleines Loch.« Suze kaut bedrückt auf ihrer Lippe herum. »Sie hat gesagt, sie wollte nur sehen, wie du mit Luke eintriffst, um sicherzugehen, dass auch alles klappt. Sie sagte, danach wolle sie sich raus schleichen. Aber ich hab Tarkie gerade losgeschickt, damit er mal nach ihrem Wagen sieht, und der parkt noch immer an derselben Stelle. Sie muss immer noch da sein! Sie hat nichts gegessen und steht in dieser engen Kammer ... ich mache mir Sorgen. Was ist, wenn ihr schwindlig wird? Ich meine, wie alt ist sie eigentlich?«
Oh, Gott. Das Ganze könnte schrecklich schiefgehen. Ich sehe zu Luke hinüber, aber er lacht über irgendwas und scheint mich gar nicht zu bemerken. »Komm, gehen wir!«
Die Stufen zum Priestergang sind eng und staubig, und ich raffe mein kostbares Valentino-Kleid zusammen. Als Suze vorsichtig eine kleine Holztür aufdrückt, sehe ich als Erstes Elinors Schultern, schmal und starr. Sie presst ihr Gesicht an die Holzplatte vor sich und sieht aus wie eine Statue. Sie hat uns nicht mal gehört.
»Elinor?«, flüstere ich, und sie fährt herum, mit einem kurzen Anflug von Panik auf ihrem blassen Gesicht.
»Keine Sorge! Ich bin's nur -und Suze. Wir haben dir eine Kleinigkeit zu essen mitgebracht.« Ich reiche ihr einen Teller mit kleinen Desserts, aber sie weicht zurück.
»Ich muss los!«
»Nein, das musst du nicht. Wir wollten nur sichergehen, dass alles in Ordnung ist.« »Luke vermutet mich nicht hier? »Nein. Absolut nicht.« Wir schweigen. Elinor geht wieder auf Posten, und ich sehe Suze an, die mich achselzuckend ansieht, als wollte sie sagen:»Was sollen wir jetzt machen?«
»Luke und Minnie scheinen sich sehr nahzustehen«, sagt Elinor mit dem Auge am Guckloch. »Er benimmt sich ihr gegenüber ganz natürlich.«
»Äh ... ja.«
»Deinen Eltern gegenüber auch.«
Ich antworte nicht. Das ist doch alles surreal. Wie bin ich nur in diese Lage geraten? Wie kann ich mich mit meiner reichen, bösen Schwiegermutter in eine enge Kammer drängen, damit wir uns gemeinsam vor dem Mann verstecken können, der uns miteinander verbindet?
Und wie kann es sein, dass mir danach zumute ist, sie in den Arm zu nehmen, wie man es in richtigen Familien tut? Sie zu befreien und aus diesem dunklen Versteck zu holen, hinaus ins Licht und in die Herzlichkeit dieser Party? Noch nie ist sie mir so verletzlich und einsam vorgekommen wie in diesem Augenblick. Nur ihretwegen amüsieren wir uns königlich.
»Es ist einfach toll da unten ... « Ich strecke eine Hand aus und drücke ihren Arm. »Alle sagen, es ist die beste Party, auf der sie jemals waren.«
»Hat sich Luke gefreut?« Sie dreht sich um. »Oh, mein Gott, ja! Er ist fast hintenübergefallen! Hast du sein Gesicht gesehen?«
»Sie haben ihm eine Riesenfreude gemacht!« Suze nickt begeistert. »Er war so gerührt. Er ist im ganzen Wald herumgelaufen, hat sich alles genau angesehen. Es ist so liebevoll gemacht!«
Elinor sagt nichts, doch ich sehe die Zufriedenheit in ihren Augen blitzen. Und plötzlich kann ich es nicht mehr ertragen. Es ist so ungerecht! Ich will, dass Luke Bescheid weiß. Alle sollen es wissen. Es gab eine treibende Kraft, die sich für diesen Abend eingesetzt hat, und das war Lukes Mutter.
»Elinor, komm mit runter!« Die Worte sprudeln heraus, bevor ich es verhindern kann. »Komm mit runter, und feiere mit uns!« Ich höre Suze erstaunt aufstöhnen, achte aber nicht darauf. »Komm mit! Ich kläre das mit Luke.«
»Ich fürchte, das geht nicht.«
»Doch!«
»Ich muss nach Hause. Jetzt gleich. Ich bin schon viel zu lange hiergeblieben.« Elinor hat ihre Handtasche aufgemacht und streift ein Paar Samthandschuhe über. Oh, Gott, jetzt habe ich sie vor den Kopf gestoßen!
»Ich weiß, dass ihr zwei Probleme hattet«, rede ich auf sie ein. »Aber jetzt ist der richtige Moment, diese Probleme aus der Welt zu schaffen. Auf dieser Party! Und wenn er erfährt, dass du hinter allem steckst ... er wird dich lieben! Er wird dich lieben müssen!«
»Genau deshalb kann ich nicht hinuntergehen.« Ihre Stimme klingt so harsch, dass ich zurückzucke, obwohl es vielleicht auch nur an der staubigen Luft hier oben liegt. »Ich habe diese Party nicht finanziert, um mir Lukes Liebe zu erkaufen.«
»Das ist es nicht ... ich meinte ja nicht ... «
»Ich werde nicht hinuntergehen. Ich werde mich nicht an den Feierlichkeiten beteiligen. Ich werde nicht zulassen, dass er von meinem Beitrag zu diesem Abend erfährt. Du wirst es ihm niemals erzählen. Niemals, hast du mich gehört, Rebecca?«
Ihre Augen blitzen mich böse an, und erschrocken weiche ich zurück. Bei aller Verletzlichkeit kann sie doch immer noch Angst und Schrecken verbreiten.
»Okay!« Ich schlucke.
»An den heutigen Abend sind keinerlei Bedingungen geknüpft. Ich habe es für Luke getan.« Noch einmal blickt sie durch das Guckloch. »Ich habe es für Luke getan«, wiederholt sie, fast wie zu sich selbst.
Dann herrscht Schweigen. Suze und ich sehen einander unruhig an, doch keine von uns wagt etwas zu sagen.
»Wenn ich hinunterginge, wenn ich mich als WohItäterin erklären würde, hätte ich es für mich getan.« Sie dreht sich zu mir um und sieht mich ganz ruhig an. Ihr Blick verrät mir nichts. »Wie ich dir bereits deutlich erklärt habe, erwartet man für eine Tat, an welche keine Bedingungen geknüpft sind, keine Gegenleistung.«
Mein Gott, ist sie hart gegen sich selbst. Ich an ihrer Stelle würde mir irgendwas ausdenken, wie ich das alles für Luke machen, die edle WohItäterin sein und zur Party gehen könnte.
»Also ... willst du es ihm nie erzählen?«, frage ich. »Niemals? Er wird nie erfahren, dass du es warst?« »Er wird es nie erfahren.« Leidenschaftslos sieht sie Suze an. »Bitte treten Sie beiseite, damit ich gehen kann.« Das war's? Kein High Five, keine Mannschaftsumarmung, kein Bis-zum-nächsten-Mal? »Elinor, warte!« Ich breite die Arme aus, doch sie reagiert nicht, also schiebe ich mich ihr in dem winzigen Raum entgegen, aber sie scheint immer noch nicht zu wissen, was ich vorhabe. Schließlich lege ich meine Arme vorsichtig um ihren knochigen Leib und komme mir vor wie Minnie, wenn sie einen Baum im Park umarmt.
Ich kann nicht recht glauben, was hier gerade passiert. Ich umarme Elinor.
Ich. Umarme Elinor. Und zwar weil ich es möchte.
»Danke«, murmle ich. »Für alles.«
Elinor weicht zurück und wirkt steifer als je zuvor. Sie nickt mir und Suze kurz zu, dann zwängt sie sich durch die Holztür hinaus. »Was wenn jemand sie sieht?«, raune ich Suze zu, doch die schüttelt den Kopf. »Es gibt einen Hinterausgang. Den habe ich ihr schon gezeigt.« Ich lehne mich an die staubige, alte Wand und atme schwer aus. »Wow.«
»Ich weiß.«
Im trüben Licht sehen wir uns an, und ich weiß, dass Suze genau dasselbe denkt wie ich. »Glaubst du, er wird je erfahren, dass sie es war?« »Keine Ahnung.« Ich schüttle den Kopf. »Ich finde nur ... ach, ich weiß nicht.« Ich werfe noch einen Blick durch das Guckloch. »Komm! Wir sollten lieber wieder runtergehen.«
Die Party ist voll in Gang. Überall laufen Gäste herum, mit Drinks in Händen, mit silbernen Partyhütchen auf den Köpfen (es gab beim Essen Knallbonbons), spazieren durch den sommernächtlichen Wald und bewundern den Wasserfall, der inzwischen von bunten Lampen beleuchtet wird, oder versammeln sich um die Roulettetische. Die Kellner schweben mit winzigen Maracuja-Sorbets auf Löffeln durch den Saal. Dannys Models schleichen in ihren spektakulären Sommernachts-Kostümen umher und sehen aus, als kämen sie direkt aus einer fernen Zauberwelt. Überall hört man schallendes Gelächter und Geplapper, das Wummern der Band überträgt sich durch den Boden, und immer wieder blitzt ein Laser als Teil der Show. Ich muss bald wieder tanzen gehen.
Ich steuere auf die Cocktailbar zu, wo ein extra aus New York eingeflogener Barkeeper eine kleine Gesellschaft mit seinen Cocktail-Shaker-Tricks unterhält. Dort sehe ich zu meinem Erstaunen, wie Janice und Jess einander lächelnd zuprosten.
Was geht hier vor sich? Ich dachte, sie hassen sich.
»Hi!« Ich tippe Jess an die Schulter. „Wie geht's?« Und an Janice gewandt füge ich hinzu: „Sieht Jess nicht einfach toll aus?«
»Absolut fantastisch!«, sagt Janice. „Was für ein wundervolles Kleid!«
»Das ist wirklich hübsch«, sagt Jess und zupft unbeholfen daran herum, bis der Ausschnitt krumm und schief ist. „Hübsch und schlicht. Selbst der Stoff ist aus einer Naturfaser.«
Es ist doch immer dasselbe mit ihr. Sobald man ihr ein Kompliment macht, wird ihr unbehaglich.
„Jess hat es von Danny geliehen«, erkläre ich Janice, während ich geduldig den Ausschnitt zurechtrücke. Es ist ein Prototyp aus seiner neuen Öko-Couture-Kollektion. Wisst ihr, dass es wahrscheinlich das teuerste Kleid im ganzen Saal ist?«, füge ich vage hinzu. Was stimmt, selbst wenn Suze Fantastillionen bezahlt haben mag. Es ist teurer als meins«, füge ich hinzu.
„Was?« Jess erbleicht. „Was redest du da?« Am liebsten möchte ich in schallendes Gelächter ausbrechen. Die kleine Spitze habe ich mir extra aufgespart.
»Oh, ja. Weil es aus handgesponnener Seide direkt aus der Natur gefertigt ist«, erkläre ich. „Sie müssen darauf warten, dass die Kokons von selbst von den Bäumen fallen, und verwenden keinerlei Maschinen, und die Weber werden sehr großzügig entlohnt. Von diesem Kleid wird es nur drei Exemplare geben. Bei Browns kostet so was mindestens…«
Ich beuge mich vor und flüstere Jess den Preis ins Ohr. Sie sieht aus, als müsste sie auf der Stelle tot umfallen.
»Dazu kommt, dass auf der ganzen Welt noch niemand irgendein Stück aus seiner neuen Kollektion getragen hat«, teile ich ihr mit. »Bist du dir darüber im Klaren, dass du eine exklusive Fashion Story bist?«
Jeder andere auf der Welt wäre stolz, eine exklusive Fashion Story zu sein. Jess sieht aus, als würde sie gleich ausflippen. »Genieß es! Du siehst super aus.« Ich lege ihr einen Arm um die Schulter und drücke fest, bis sie widerwillig lacht.
»Und amüsierst du dich? Hast du schon getanzt?« Unwillkürlich muss ich grinsen, als ich Janices seliges Lächeln sehe. Sie macht den Eindruck, als hätte sie schon ein paar Cocktails gehabt.
»Ach, Becky!«, sprudelt es aus Janice hervor. »Weißt du was, Liebes, weißt du was? Jess bekommt ein Baby!«
Bitte? Sprachlos blicke ich von Jess zu Janice, dann auf Jess' Bauch, auf ihren Drink, und wieder in ihr Gesicht. Sie kann doch nicht ...
Oh, mein Gott, hat Janices Fruchtbarkeitsmittel gewirkt? Aber wieso sieht sie so glücklich aus?
»Es besteht nur die vage Möglichkeit«, korrigiert Jess und verdreht die Augen. »Und er ist kein Baby mehr. Er ist schon drei.« »Er ist so ein süßer kleiner Enge!!« Janice tut, als hätte Jess gar nichts gesagt. »Können wir Becky das Foto zeigen?«
Staunend sehe ich, wie Jess in ihr Abendtäschchen greift. Sie holt ein Foto hervor und dreht es um, damit wir uns einen grinsenden kleinen Jungen mit dunklem glattem Haar, olivfarbener Haut und ein paar Sommersprossen auf der Nase ansehen können.
Augenblicklich schmilzt mein Herz. Er sieht so liebenswert und dämlich aus, dass ich fast lachen möchte, nur dass es Jess wohl kränken würde.
»Ist das ... «
»Vielleicht.« Jess leuchtet. »Wir stehen noch ganz am Anfang.«
»Weißt du, ihr solltet wirklich auch mal über eine Adoption nachdenken, Becky.« Janice hat sich aufgeplustert wie eine Taube. »Wie ich schon zu deiner Mutter sagte, ist es heutzutage die einzig verantwortungsvolle Methode, zu einem Kind zu kommen. Da hat uns natürlich Angelina den Weg gewiesen. «
Angelina hat uns den weg gewiesen? Ist das dieselbe Frau, die bis vor fünf Minuten noch hysterische Anfälle bekam, weil ihr Sohn seine Gene möglicherweise nicht weitergeben wollte? Ich rolle mit den Augen, als ich Jess ansehe, doch sie lacht nur und zuckt mit den Schultern.
»Na, dann viel Glück!«, sage ich. »Wann sollt ihr ... du weißt schon. Ihn kriegen?«
»Wie gesagt, wir stehen noch ganz am Anfang.« Sofort passt Jess auf, was sie sagt. »Vielleicht werden wir gar nicht anerkannt. Wir könnten immer noch in mancher Hinsicht scheitern ... ich hätte euch das Bild lieber nicht zeigen sollen.«
Ja, genau. Als würde Jess ernstlich irgendwas misslingen.
Ich werde Tante! Minnie kriegt einen Cousin!
»Ich freue mich wirklich für dich.« Ich drücke Jess' Arm.
»Und ich bin froh, dass du dich so gut amüsierst, Janice.«
»Ach, Liebes, es ist zauberhaft! Ich weiß, dass es ein Riesenaufwand für dich war.« Janice legt mir angeheitert einen Arm um die Schulter. »Aber es war die Sache wert.«
»Ja«, sagt Jess, bevor ich antworten kann. »Es war die Sache wert.« Sie sieht mir tief in die Augen und lächelt leise.
Jess und Janice machen sich auf die Suche nach Tom, und ich bestelle mir was zu trinken, und als ich da so stehe, fast verloren in einem seligen Traum, entdecke ich Luke im Spiegel hinter der Bar. Er steht beim Roulette und hat Minnie bei sich, die über den Rand des Tisches hinwegguckt. Er sieht absolut total hundertprozentig glücklich aus. Alle konzentrieren sich auf einen Riesenhaufen Chips, und als das Rad dann stehen bleibt, folgt ein gewaltiger Aufschrei. Alle lachen und klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, und Minnie kräht vor Vergnügen.
Als der Croupier sein Sprüchlein aufsagt und die Spieler ihre Einsätze wagen, merkt Luke plötzlich, dass ich ihn beobachte. Er deutet mit dem Kopf zu einem stillen Sofa in der Ecke und löst sich aus der Menge, mit Minnie an der Hand.
»Bonbons!«, sagt Minnie triumphierend, als die beiden bei mir ankommen, und schwenkt eine Handvoll roter und grüner Spielchips.
»Das sind keine Bonbons, Süße.« Ich möchte lachen. »Das sind Chips!« Jetzt ist sie völlig verwirrt. »Nicht Chips zum Essen -besondere Chips. Mit denen kann man am Zaubertisch Geld verdienen! Oder verlieren«, füge ich eilig hinzu, als ich Lukes hochgezogene Augenbrauen sehe. »Oft verliert man auch. Du solltest also lieber nicht zocken, Minnie. Zocken ist ganz schlecht. «
Geht doch. Ein kurzer Ausflug in die Pädagogik.
Luke versinkt im Sofa, und ich tue es ihm nach. Mir klingeln die Ohren, nachdem ich eine Weile direkt vor der Band getanzt habe, und langsam tun mir die Füße weh ... aber ansonsten bin ich vor lauter Hochgefühl beinah in Trance. Diese Party ist so absolut perfekt. Sie läuft besser, als ich es mir erhoffen konnte. Und sie ist noch nicht mal zu Ende. Ein paar Höhepunkte kommen noch!
»Warst du überrascht?«, frage ich ihn zum millionsten Mal, nur um es ihn noch mal sagen zu hören. »Becky ...« Ungläubig schüttelt Luke den Kopf. »Ich war nicht nur überrascht. Ich war absolut von den Socken.«
»Gut«, sage ich zufrieden. Ich nehme einen Schluck von meinem Cocktail (einem Brandon) und mache es mir auf dem plüschigen, alten Sofa bequem, mit Minnie auf dem Schoß und Lukes Arm um uns. Eine Weile lang sagen wir beide nichts und lassen nur die Umgebung auf uns wirken.
»Dieser Weihnachtswunsch«, sagt Luke plötzlich. »Du hast dir etwas gewünscht, was mit mir zu tun hatte. In diesem Einkaufszentrum. Weißt du noch?«
Oh, Gott. Ich wusste, dass er es gehört hat. Er hat es die ganze Zeit für sich behalten ... »Hatte dein Wunsch etwas mit dieser Party zu tun?«, sagt er. »Hast du die Elfe deshalb so schnell zum Schweigen gebracht?«
Blitzartig versuche ich, mich zu erinnern, was ich auf dieses Weihnachtspapier gekritzelt hatte. Es kommt mir vor, als wäre es schon Millionen Jahre her.
»Ja«, sage ich nach kurzer Pause. »Das stimmt. Ich habe mir gewünscht, dass ich für dich eine Überraschungsparty organisieren könnte und du wirklich überrascht wärst. Und das hat hingehauen!«
»Dein Wunsch ging in Erfüllung.« Er lächelt. »Das stimmt.« Ich sehe ihm ins Gesicht, dann streiche ich sanft über seine Wange. »Das stimmt wirklich.«
»Also, sag mal ... « Plötzlich funkeln seine Augen vor Vergnügen. »Was von deinem merkwürdigen Benehmen lässt sich denn nun auf die Partyplanung zurückführen?«
»Ich war nicht merkwürdig.« Ich boxe ihn.
»Meine Liebste, du warst dem Wahnsinn nah. Einen Jungen zu zeugen, indem wir ganz, ganz schnell Sex haben?« »Party.« Ich grinse. »Ovulieren?« »Party.« »Botox? Die angebliche Brustvergrößerung?« Unwillkürlich muss ich lachen, als ich seinen Gesichtsausdruck sehe.
»Party« Da hatte ich mich gerade zum ersten Mal mit Bonnie getroffen. Ach, und mach ihr keine Vorwürfe mehr, weil sie dich auf dein Duschgel angesprochen hat!«, füge ich ernst hinzu. »Ich hatte ihr gesagt, dass sie dich darauf ansprechen soll. Und auf den Fitnessraum. Und alles andere, was ein bisschen seltsam klang.«
»Du?« Er starrt mich an. »Das kann ja wohl nicht ... « Er schüttelt den Kopf, als würde ihm nun langsam alles klar. »Wieso bin ich bloß nicht selbst darauf gekommen? Ich hätte wissen müssen, dass sie nicht über Nacht so komisch wird. Was war mit den sechzehn Mänteln?«, fügt er plötzlich hinzu. »Hatte das auch mit der Party zu tun?«
»Äh ... nein«, räume ich ein. »Das war wirklich Minnie. Böses Mädchen, Minnie«, füge ich tadelnd hinzu.
»Aber was ich wirklich nicht verstehe ... wie hast du das alles hingekriegt?« Er deutet in die Runde. »Ich meine, Becky, das ist mehr als spektakulär. Das ist ... « Sein Satz verklingt.
Ich weiß, was hinter seiner Frage steckt. Er möchte es nicht sagen, aber er macht sich Sorgen, dass ich einen Riesenkredit aufgenommen habe und ihm morgen beichten werde, dass wir pleite sind.
Ehrlich, ein bisschen mehr vertrauen könnte er schon haben.
Aber es hat keinen Sinn, so zu tun, als hätte dieser Abend nicht Unmengen an Geld gekostet. Jeder Blödmann kann das sehen.
»Ich hatte ... Hilfe«, sage ich. »Große, große Hilfe. Bei allem. Bonnie war unglaublich«, füge ich eilig hinzu, bevor er mich weiter damit bedrängt, wer mir finanziell beigestanden hat. »Sie hat alles koordiniert, sie hat die Gästeliste zusammengestellt, sie hat die Einladungen verschickt ... «
»Und das war natürlich auch der Grund, wieso sie sich neulich so seltsam benahm.« Luke atmet aus, macht ein reuiges Gesicht. »Okay. Verstehe. Ich lag echt daneben. Ich schulde ihr einen Riesenblumenstrauß. «
»Keine Lilien«, werfe ich ein. »Die kaufst du ihr immer, und sie kann sie nicht leiden, ist aber zu höflich, um etwas zu sagen. Besorg ihr Wicken und Ranunkeln. Oder ich könnte dir ihre Lieblingsprodukte von Jo Malone verraten.«
Luke wirft mir einen erstaunten Blick zu. »Noch was?«
»Massenweise, falls es dich interessiert«, sage ich unbekümmert. »Bonnie und ich sind inzwischen beste Freundinnen. Wir erzählen uns alles.«
»Ach, tut ihr, ja?« Luke sieht aus, als wüsste er nicht so recht, wie er das finden soll.
»Diese ganze Sache hat uns richtig zusammengeschweißt. Es war ein echtes Abenteuer.« Ich nehme einen Schluck von meinem Cocktail und ziehe mir die Schuhe aus. Wenn ich hier so mit Luke sitze und über alles rede, fühlt es sich an, als würde sich in meinem Inneren etwas entkrampfen und endlich mal zur Ruhe kommen. »Du kannst es dir nicht vorstellen. Ich musste verhindern, dass du ins Internet gehst, dann musste ich deinen BlackBerry zertrümmern ... «
»Ich kann es immer noch nicht fassen, dass du das getan hast.« Er verzieht den Mund zu einem schmalen Lächeln, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob er über die Sache mit seinem BlackBerry wirklich lachen kann.
»Aber das Schlimmste war dieses verfluchte Meeting in Paris! Oh, mein Gott, ich hätte dich umbringen können!« Da muss ich jetzt doch lachen. »Wir waren alle so: »Was sollen wir tun? Wie können wir das ändern?« Und du warst so was von stolz, dass der Termin endlich zustande kam ... «
»Verdammt.« Ich sehe, dass Luke langsam begreift. »Klar. Das Meeting sollte heute stattfinden ... « Er stutzt. »Aber Moment mal. Du willst doch nicht sagen ...« Ich kann sehen, wie die Rädchen in seinem Hirn arbeiten. »Dahinter kannst du doch wohl unmöglich gesteckt haben. Willst du mir allen Ernstes erzählen, du hättest Sir Bernard Cross rumgekriegt, mir einen Termin zu gewähren?« Er schnaubt ein ungläubiges Lachen hervor. »Ich meine, ich glaube dir ja so einiges, Becky, aber das ...«
Ich lächle immer weiter, aber insgeheim trete ich mir in den Hintern. Ich habe zu viel gesagt. Schnell das Thema wechseln ...
»Nein, nicht wirklich ich. Oh, Gott, und dann das Zelt ...« Eilig stürze ich mich in einen ausführlichen Bericht über die Tauschaktion für das Zelt, und Luke lacht immer an den richtigen Stellen, aber ich merke, dass ihn etwas beschäftigt. Als ich fertig bin, schweigen wir wieder, und er nimmt nachdenklich einen Schluck von seinem Drink. Ich weiß genau, worüber er nachdenkt.
»Ich wusste die ganze Zeit, dass irgendjemand Einflussreiches hinter diesem Termin stand«, sagt er schließlich und starrt in sein Glas. »Das habe ich gleich gesagt. Ich konnte spüren, dass sich jemand hinter den Kulissen für mich eingesetzt hatte. Und ich glaube, jetzt weiß ich auch, wer es war.« Er sieht mich an. »Es ist offensichtlich. Und es ist auch offensichtlich, wieso du es mir nicht sagen möchtest.«
Mir bleibt das Herz stehen. Meine Hand krampft sich um den Stiel meines Glases. Luke ist schlau. Er denkt so schnell. Mir hätte nichts rausrutschen dürfen.
Ist er böse? Nervös lecke ich mir die Lippen. »Luke, ich kann wirklich nichts dazu sagen.« »Verstehe.« Er nimmt einen großen Schluck von seinem Drink, und eine Weile sagt keiner von uns ein Wort.
Während wir da so sitzen und die Party um uns herum summt, werfe ich ihm immer wieder vorsichtige Blicke zu. Er ist nicht explodiert. Er ist nicht rausgerannt und hat gebrüllt, dass ihm jetzt der ganze Abend verdorben sei. Ist er gar nicht so verbittert, wie ich dachte?
Dauernd denke ich an Elinor in ihrem engen, staubigen Versteck. Wenn ich sie zum Bleiben überredet hätte ... hätte ich den Streit zwischen den beiden schlichten können?
»Aber Becky, du bist dir doch darüber im Klaren, dass das kein kleiner Gefallen war.« Luke bricht in meine Gedanken ein. »Es ist ein Riesending. Ich meine das alles hier.« Er deutet auf den Saal und flüstert: »Diese ... Person. Die stand auch hinter dem hier, nicht«
Ich nicke langsam. Wenn er es schon weiß, muss ich mich nicht mehr verstellen.
Luke atmet scharf aus, hält seinen Drink mit beiden Händen. »Du weißt, dass ich mich werde bedanken müssen, Becky. Irgendwie. Selbst wenn diese Person keinen Dank möchte.«
»Ich ... ich denke, das wäre nett, Luke.« Ich schlucke. »Wirklich nett.« Ich spüre die Tränen, die mir in die Augen steigen. Wie von selbst hat sich alles geklärt. Wir werden uns treffen, und -ja es wird sicher steif und betreten sein, aber sie werden miteinander sprechen. Und Luke wird sehen, wie seine Mutter mit Minnie umgeht. Und er wird merken, dass sie noch eine andere Seite hat.
»Was du heute kannst besorgen ...« Mit abruptem Schwung steht Luke auf. »Weißt du, ich habe nichts gesagt, doch ich hatte Tarquin schon die ganze Zeit irgendwie in Verdacht. Woher kennt er Sir Bernard? Die beiden gehen zusammen auf die Jagd, oder«
Ich brauche einen Moment, bis ich begreife, was er da sagt. Er meint, Tarquin stünde hinter alledem?
»Und natürlich wollte er sich schon die ganze Zeit unbedingt für meine Hilfe Anfang des Jahres revanchieren«, sagt Luke. »Aber mal ehrlich: »So viel Geld hätten sie wirklich nicht ausgeben dürfen.« Er sieht sich um, als könnte er es nicht fassen. »Ich weiß nicht, wie ich ihm jemals dafür angemessen danken kann. Und Suze genauso. Ich vermute doch, die beiden stecken unter einer Decke?«
Neeeeiiiin! Falsch! Du hast alles falsch verstanden!
Ich möchte etwas sagen, ihn von seiner falschen Spur abbringen. Aber was kann ich tun? Ich darf Elinors Vertrauen nicht missbrauchen, nicht nach allem, was sie gesagt hat.
»Warte mal!« Ich komme auf die Beine, setze Minnie auf das Sofa. »Luke, du darfst nichts sagen ... «
»Keine Sorge, Becky.« Er lächelt. »Ich werde nicht verraten, dass ich alles weiß. Wenn sie inkognito bleiben wollen, dann soll es so sein. Aber wenn jemand die Mühe auf sich nimmt, etwas derart Besonderes wie das hier auf die Beine zu stellen ... « Sein Gesicht leuchtet. »Dann hat er einen öffentlichen Dank verdient. Findest du nicht?«
Mein Herz verkrampft sich zu einem festen Knoten. Er sollte wissen, was seine Mutter für ihn getan hat. Er sollte es wissen, er sollte es wissen.
»Komm mit, Minnie! Daddy muss eine kleine Rede halten.« Bevor ich reagieren kann, marschiert Luke schon in die East Hall. »Suze?« Er winkt ihr im Vorübergehen. »Könntest du mal kurz mitkommen? Und Tarquin auch?« »Was ist los?«, fragt Suze, als sie uns folgt. »Was hat Luke vor?«
»Er glaubt, ihr hättet das alles gemacht«, raune ich ihr zu. »Du und Tarkie. Er glaubt, ihr hättet Sir Bernard rumgekriegt und alles bezahlt. Jetzt will er sich bei euch bedanken. «
»Du machst Witze!« Abrupt bleibt Suze stehen, mit sorgenvollem Blick. »Aber wir waren es gar nicht!«
»Ich weiß! Wie soll ich es ihm nur sagen?«
Einen Moment starren wir einander bekümmert an.
»Ahnt Luke, dass Elinor etwas damit zu tun hat?«, sagt Suze schließlich. »Nein. Er hat sie mit keinem Wort erwähnt.« Jeden anderen auf der Welt hat er erwähnt. Seine Familie.
Seine Freunde. Auf alle hat er einen Trinkspruch ausgebracht. Nur nicht auf sie. Schon ist Luke zwischen zwei Songs auf die Bühne geklettert und der Sänger der Band hat ihm das Mikrofon gegeben.
»Ladies and Gentlemen, darf ich kurz um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit bitten?« Lukes Stimme donnert durch den Saal. »Heute Abend wurde vielen gedankt. Aber ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf ein ganz besonderes Pärchen lenken. Die beiden haben uns in dieses wunderschöne Haus eingeladen und uns in den Genuss ihrer grenzenlosen Gastfreundschaft kommen lassen ... und darüber hinaus haben sie noch viel, viel mehr für mich getan, worauf ich hier und jetzt nicht weiter eingehen möchte ... « Er macht eine vielsagende Pause, und ich kann sehen, wie Tarquin Suze einen verwunderten Blick zuwirft. »Suze und Tarquin, ihr sollt wissen, dass ich nie vergessen werde, was ihr getan habt. Auf die Cleath-Stuarts!« Luke erhebt sein Glas, und alle Gäste auf der Tanzfläche tun es ihm nach und fangen an zu klatschen.
Suze versucht, charmant zu lächeln, als die Leute um sie herum sich ihr zuwenden und applaudieren.
»Ich fühle mich schrecklich«, flüstert sie, verzweifelt lächelnd. »Was ist mit Elinor?« »Sie hat es so gewollt«, flüstere ich zurück. »Da können wir nichts machen.«
Ich denke an Elinor, wie sie nach Hause eilt, die Schultern starr. Ohne dass irgendwer sie hochleben lässt, ohne dass irgendwer sie anlächelt, ohne dass irgendwer auch nur einen Gedanken an sie verschwendet. Und plötzlich merke ich, wie ich mir im Stillen etwas vornehme.
Eines Tages wird Luke es erfahren. Eines Tages wird er es erfahren.
»Los, sing« New York, New York!«, ruft jemand Luke zu, und alles lacht.
»Ganz bestimmt nicht. « Luke lächelt und reicht das Mikrofon an den Sänger weiter, der sofort die Band zum nächsten Song einzählt.
»Suze, Liebling.« Tarquin hat sich zu uns durchgedrängelt. Er wirkt doch etwas baff. »Was um alles in der Welt wollte Luke damit ... «
»Er wollte uns nur dafür danken, dass wir ihm gute Freunde sind«, sagt sie fröhlich. »Du weißt schon ... «
»Ah.« Tarquins Stirn glättet sich. »Großmütig.« Ein altes Namensschild ragt aus seinem Dinnerjacket, wie mir plötzlich auffällt. Darauf steht »W.F.S. Cleath-Stuart«. Was sein Vater ist.
»Tarkie.« Ich winke ihn heran. »Du hast da einen Fussel.« Ich schiebe das Namensschildehen wieder zurück und zwinkere Suze zu, die lächelnd den Kopf schüttelt.
Wir sehen, wie Luke sich langsam durch die Menge schiebt, plaudernd und nickend. Als er stehen bleibt, um mit Matt von Brandon C zu sprechen, sehe ich plötzlich, wie Minnie nach Matts Cocktailglas greift und es an den Mund führt. Matt merkt nichts davon.
»Minnie!« Ich renne hin und schnappe es mir. »Nein! Du trinkst keine Cocktails! Luke, hast du gesehen, was sie da eben gemacht hat?«
Es gab einmal eine Zeit, da wäre er an die Decke gegangen. Jetzt dreht er sie nur zu sich um und sieht sie mit spielerischem Ernst an.
»Komm schon, Minnie. Kennst du denn die Regeln nicht? Kein Zocken und kein Saufen! Kapiert? Und kein OnlineShopping, bis du mindestens ... drei bist.«
»Happy Daddy!« Minnie piekst ihn mit einem glitzernden Cocktailschirmchen.
»Jetzt geh mal einen Moment zu Oma!« Er setzt sie ab und scheucht sie zu Mum. »Ich muss mal eben kurz mit Mami sprechen.« Als er mich von der Tanzfläche führt, bin ich etwas überrascht. Worüber muss er mit mir sprechen?
Doch hoffentlich nicht über das Valentino-Kleid. Das kann nicht sein. Ich habe ihm erzählt, dass Mum es mir geschenkt hat.
»Ich wollte eigentlich bis nachher warten«, beginnt er, als wir uns ein ruhiges Plätzchen auf der Lichtung des Sommernachtstraumes gesucht haben. »Aber warum nicht jetzt gleich?«
»Absolut.« Ich nicke mit einem etwas unguten Gefühl.
»Obwohl du es wahrscheinlich längst ahnst.« Er verdreht die Augen. »Ich meine, offensichtlich weißt du ja, dass Sage Seymour meine Klientin ist. «
»Wir Partyplaner achten darauf, immer gut informiert zu sein.« Ich lächle zuckersüß. »Sogar über Dinge, die unsere Ehemänner uns verheimlichen wollen.«
»Und du hast mit ihr gesprochen.«
»Sogar mehrfach.« Lässig werfe ich mein Haar. »Wir haben uns wirklich gut verstanden. Sie meinte, wir sollten mal was zusammen trinken gehen.«
Suze ist fast gestorben, als ich es ihr erzählt habe. Sie meinte, ob sie wohl mitkommen könnte, als meine Assistentin? »Dann ... weißt du also alles?«, fragt Luke. Offensichtlich zielt er auf etwas Bestimmtes ab, doch ich weiß nicht was.
»Äh ... «
»Du weißt nicht alles.« Er forscht in meinem Gesicht, als versuchte er, mich zu durchschauen.
»Vielleicht ja doch«, pariere ich.
Verdammt. Wieso weiß ich nicht alles?
»Das Maklerbüro hat angerufen und eine Nachricht bei Bonnie hinterlassen.« Er scheint mir einen völlig neuen Kurs einzuschlagen. »Die haben uns ein Haus zur Miete besorgt. Aber es kommt natürlich darauf an ... «
»Genau.« Ich nicke wissend. »Natürlich. Es kommt darauf an. Auf. .. so manches.« »Becky ... « Luke sieht mich so komisch an. »Du hast absolut keine Ahnung, wovon ich rede, stimmt's?«
Ach, ich kann nicht mehr so tun als ob.
»Nein!«, rufe ich genervt. »Hab ich nicht! Sag es mir!«
»Du hast nicht den leisesten Schimmer, was ich gleich sagen werde.« Er verschränkt die Arme und sieht aus, als würde er sich amüsieren. »Wahrscheinlich ist es totallangweilig«, gebe ich zurück. »Ich weiß es, habe es aber vergessen, weil es so öde ist.« »Auch gut.« Er zuckt mit den Schultern. »Ist auch nicht wichtig. Wollen wir zurückgehen?«
Gott, er macht mich wahnsinnig.
»Sag es mir.« Ich funkle ihn an. »Auf der Stelle. Sonst kriegst du keine Wundertüte. Und wir haben echt tolle Wundertüten für die Gäste.«
»Okay.« Luke gibt nach. »Nun, um noch mal zu rekapitulieren, was du vermutlich bereits weißt ... « Er grinst mich an. »Ich arbeite inzwischen für Sage Seymour.«
Ich spüre, wie die Freude in mir glimmt. Mein Mann arbeitet für einen Filmstar! Das ist echt cool!
»Und ihr gefällt es ganz offensichtlich, jemanden zu haben, der nicht im Filmgeschäft ist und einen frischen Blick auf die Dinge wirft. Tatsächlich gefällt es ihr so gut ... «, Luke macht eine Pause, und sein Mund zuckt, »... dass sie mich gebeten hat, für eine Weile nach L.A. zu kommen. Ich würde eng mit ihrem Team zusammenarbeiten, ein paar eigene Kontakte machen und vielleicht, wenn alles wirklich gut läuft, bei Brandon Communications eine Medienabteilung einführen. »Becky.« Sein Gesichtsausdruck wird panisch. »Ist alles in Ordnung? Becky?« Ich kann nicht sprechen. L.A.?
Hollywood?
»Und ... und wir würden alle hingehen?«, stottere ich, als ich meine Stimme wiedergefunden habe.
»Nun, das war meine Idee. Gary kann sich eine Weile hier um alles kümmern, und ich dachte so an drei Monate. Aber natürlich ist dein Job ein Faktor, der mitberücksichtigt werden muss.« Voll Sorge sieht er mich an. »Ich weiß, dass es bei dir gerade gut läuft, dass du hoffst, in den Vorstand zu kommen ... «
Mein Job. Mist. Das von meinem Job weiß er alles noch gar nicht.
»Weißt du was, Luke?«, sage ich so ernst, wie ich kann. »Wir sind Partner. Ein Team. Und wenn meine Karriere eine Weile zurückstecken muss... dann soll es eben so sein. Darum geht es in einer Ehe doch. Außerdem kann man in L.A. doch auch shoppen, oder? Und eine Green Card hab ich auch schon!«
»Na ... großartig!« Er hebt sein Glas. »Sieht so aus, als hätten wir einen Plan. «
Ist das sein Ernst? Einfach so?
»Also ... wären wir in Hollywood«, sage ich, um sicherzugehen. »Für drei Monate.«
»Jep.«
»Ich war noch nie in Hollywood.«
»Ich weiß.« Er grinst. »Könnte lustig werden, hm?«
Mein Herz zappelt wie ein Fisch auf dem Trockenen. Hollywood! Ich, Becky Brandon, geborene Bloomwood, in Hollywood!
Luke sagt noch irgendwas. Sein Mund bewegt sich. Aber ich kann ihn nicht hören. Mein Kopf ist randvoll mit verlockenden Bildern. Ich auf Rollerblades auf einem Boardwalk, braungebrannt und fit. Ich in einem Cabrio auf dem Sunset Boulevard. (Ich muss raus finden, wie man amerikanische Autos fährt.) Sage Seymour und ich an ihrem pinken Pool, in Bikinis aus irgendeiner superhippen Boutique in Downtown, während Minnie in ihrem Sommerkleidchen einfach anbetungswürdig aussieht.
Die Leute werden mich Das Mädchen mit dem Englischen Akzent nennen. Oder vielleicht Das Mädchen, das mit Sage Seymaur eng befreundet ist. Oder vielleicht ... Das Mädchen mit der weißen Sonnenbrille. (Ja, die kauf ich mir gleich morgen. Das könnte mein Look werden.)
Und immer scheint die Sonne! Und wir trinken Smoothies am Rodeo Drive! Und vielleicht gehen wir zur Oscarverleihung ... vielleicht lernen wir Johnny Depp kennen ... vielleicht kann ich als Komparsin in einem Film mitspielen .. .
»Becky?« Schließlich dringt Lukes Stimme in meine Träumereien ein. »Was denkst du gerade?« Es kommt mir vor, als würde mein Grinsen mein Gesicht zerschneiden. »Wann fliegen wir?«
THE LOOK
601 Oxterd Street
Lenden W1
Mrs. Rebecca Brandon
The Pines
43 Elton Road
Oxshott
Surrey
11. April 2006
Liebe Rebecca,
vielen Dank für Ihren Brief vom 10. April.
Es tut mir leid zu hören, dass Sie mein Angebot auf eine Wiedereinstellung bei The Look -einschließlich Vorstandsposten und Gehaltserhöhung -nicht wahrnehmen können. Selbstverständlich hat Ihr Familienleben Vorrang. Seien Sie bitte versichert, dass Ihre Stelle noch frei sein wird, sobald Sie aus Los Angeles wiederkommen.
Mit den besten Wünschen für Ihre Reise
Trevor Holden
Geschäftsführer
NANNY SUE ENTERPRISES
Wo das Familienleben Vorrang hat ….
Beratung – Workshops – Medien – Elternhilfe – Gastvorträge
Mrs. Rebecca Brandon
The Pines
43 Elton Road
Oxshott
Surrey
12. April 2006
Liebe Rebecca,
vielen Dank für Ihren Brief vom 10. April.
Mit Bedauern nehme ich zur Kenntnis, dass Sie nun aufgrund Ihrer Reise nach Kalifornien doch nicht an unserem Kaufsucht-Seminar teilnehmen können. Ich verstehe, wie enttäuscht und »todunglücklich« Sie deshalb sein müssen.
Wenn es Sie tröstet, gibt es in Los Angeles sicher ähnliche Gruppen, und vielleicht könnten Sie dort um eine Therapie nachsuchen.
Mit den allerbesten Wünschen
Julia Summerton
Leiterin Erwachsenen-Programme
ZENTRALBEHÖRDE FÜR FINANZEN UND WIRTSCHAFTSPOITIK
5. Stock
180Whitehall Place
London
SWI
Mrs. Rebecca Brandon
The Pines
43 Elton Road
Oxshott
Surrey
13. April 2006
Liebe Rebecca,
vielen Dank für Ihren Brief vom 10. April und meine besten Wünsche für Ihre bevorstehende Reise nach Los Angeles.
Leider bin ich mir ziemlich sicher, dass die Britische Zeitschrift für Geldwirtschaft keinen Bedarf für einen »L.A-Korrespondenten« hat, wie Sie vorschlagen. Ebenso wenig plant der Redakteur, »sich mit interessanteren Bereichen wie Film und Klatsch und Tratsch zu befassen«.
Sollten sich jedoch derartige Gelegenheiten bieten, will ich es Sie gern wissen lassen.
Beste Grüße -und Bon Voyage!
Edwin Tredwell
Abteilungsleiter Strategierecherche
Die Weihnachtsmannwerkstatt
Weihnachtswunsch
(in den Wunschbrunnen werfen, damit der Weihnachtsmann
Deinen Wunsch liest!!!)
Lieber Weihnachtsmann,
hier ist wieder Becky. Ich hoffe, es geht Dir gut.
Ich wünsche mit ein Zac-Posen-Top in Aquamarin, das eine mit der Schleife,
Größe 36.
Außerdem diese Marni-Schuhe, die ich mit Suze gesehen habe, nicht die mit
hohen Absätzen, die anderen.
Ein Geschwisterchen für Minnie.
Aber vor allem, lieber Weihnachtsmann, wünsche ich mir, dass Luke einmal vollkommen 100 Prozent glücklich ist, sich entspannt und den ganzen Scheiß* vergisst. Einmal nur.
Danke. Alles Liebe Becky xxx
*Sorry