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17. KapitelDie Verteidigung des freien Mannes

Als der Abend hereinbrach, war im Quäkerhaus alles in gelinder Aufregung. Rachel Halliday ging ruhig hin und her und entnahm ihren Vorräten alle brauchbaren Artikel, die sich auf kleinstem Raum zusammenpacken ließen, für die Wanderer, die heute nacht aufbrechen wollten. Die Schatten des Nachmittags streckten sich nach Osten, und die rote, runde Sonne verharrte nachdenklich am Horizont, und ihre Strahlen fielen gelb und still in die kleine Schlafstube, wo Georg mit seinem Weib zusammensaß. Er hielt ihre Hand und hatte sein Kind auf den Knien. Beide sahen ernst und nachdenklich aus, Tränenspuren lagen auf ihren Wangen.

»Ja, Eliza«, sagte Georg, »ich weiß, du hast recht. Du bist ein guter Mensch, viel besser als ich, und ich will versuchen, dir zu folgen. Ich will jetzt handeln, wie es einem freien Mann ziemt. Ich will versuchen, wie ein Christ zu fühlen. Gott der Allmächtige weiß, daß ich mich bemüht habe, selbst als alles sich gegen mich verschwor. Und nun will ich die Vergangenheit vergessen und alle Bitterkeit ablegen. Nun will ich die Bibel lesen und ein guter Mensch werden.«

»Wenn wir erst nach Kanada kommen«, sagte Eliza, »kann ich dir helfen. Ich verstehe mich auf die Schneiderei, und ich kann waschen und plätten; mit vereinten Kräften werden wir weiterkommen.«

»Ja, Eliza, solange wir nur einander haben und das Kind. O Eliza! Wenn die Leute nur wüßten, was für einen Segen es für einen Mann bedeutet, Weib und Kind sein eigen zu nennen! Wie man sich da noch sorgen und grämen kann, verstehe ich nicht. Doch ich fühle mich so reich und stark, obgleich wir doch nichts haben als unsere leeren Hände. Mir ist, als dürfte ich Gott nun um nichts mehr bitten. Ja, wenn ich auch bis zu meinem fünfundzwanzigsten Jahr schwer gearbeitet habe und keinen Pfennig besitze, kein Dach über meinem Kopf, kein Fleckchen Erde mein eigen nenne, wenn sie mich nur in Frieden lassen, will ich dankbar und glücklich sein. Ich will arbeiten und das Geld für dich und das Kind zurücklegen. Was meinen Herrn angeht, so hat er fünfmal soviel an mir verdient; ihm bin ich nichts schuldig.«

»Aber noch sind wir nicht der Gefahr entronnen«, sagte Eliza, »noch sind wir nicht in Kanada.«

»Richtig«, erwiderte Georg, »aber mir ist, als atmete ich schon die Luft der Freiheit, und das beflügelt mich.«

In diesem Augenblick ließen sich im Vorderzimmer Stimmen in ernster Unterhaltung vernehmen, und sogleich wurde an die Tür geklopft. Eliza fuhr auf und öffnete.

Da stand Simeon Halliday und neben ihm ein Quäkerbruder, den er als Phineas Fletcher vorstellte. Phineas war groß und dürr und rothaarig. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck von Schlauheit und Durchtriebenheit. Er hatte nichts von Simeons Hallidays ruhigem, gelassenem und unweltlichem Wesen; im Gegenteil, er schien immer auf dem Sprung und bei der Sache zu sein; er wirkte wie ein Mann, der weiß, was er will, und immer seinen Kopf oben behält, was absonderlich von seinem umständlichen, förmlichen Reden abstach.

»Unser Freund Phineas hat etwas Wichtiges entdeckt, was dich und deine Gesellschaft interessieren wird, Georg«, sagte Simeon; »du hörst es dir am besten selber an.«

»Das stimmt«, sagte Phineas, »und es zeigt, daß ein Mann gut daran tut, an gewissen Orten nur mit einem Ohr zu schlafen, wie ich schon immer sagte. Vorige Nacht kehrte ich in einer kleinen einsamen Schenke abseits vom Wege ein. Du wirst dich an den Ort erinnern, Simeon, wir haben dort im vorigen Jahr die Äpfel an die dicke Frau mit den großen Ohrringen verkauft. Ich war müde vom langen Fahren und streckte mich in der Ecke auf einem Haufen Säcke aus und zog mir eine Büffelhaut übers Ohr, um zu warten, bis mein Bett fertig war, und was geschieht mir? Ich schlafe fest ein.«

»Mit einem offenen Ohr, Phineas?« fragte Simeon ruhig.

»Nein, ich schlief, ein zwei Stunden ganz fest, denn ich war hundemüde; als ich wieder ein wenig zu mir kam, merkte ich, daß Leute im Zimmer waren, die um einen Tisch saßen und tranken und redeten; da dachte ich bei mir, ehe ich aufstehe, will ich sehen, was sie im Schilde führen, besonders als ich sie die Quäker erwähnen hörte. >Sie sind jedenfalls in der Quäkersiedlung<, sagte der eine. Dann spitzte ich beide Ohren und merkte, daß sie ausgerechnet von euch sprachen. Also lag ich und hörte, wie sie ihre Pläne entwickelten. Du, junger Mann, sagten sie, solltest nach Kentucky zurückgeschickt werden zu deinem Herrn, der mit dir ein Exempel statuieren will, damit allen Niggern das Weglaufen vergeht; dein Weib wollten zwei von ihnen nach New Orleans bringen und dort auf eigene Faust verkaufen; sie berechneten schon, daß sie wohl sechzehn–oder achtzehnhundert Dollar bekämen, und das Kind müßte an den Händler gehen, der es gekauft hat; der junge Jim und seine Mutter sollten zurück an ihren Herrn in Kentucky. Sie behaupteten, im nächsten Ort wohnten zwei Gendarmen, die würden mitmachen und die junge Frau vor den Richter schleppen; und einer von den Kerlen, der kleine, der sehr redegewandt war, will dann schwören, sie sei sein Eigentum damit sie ihm ausgeliefert wird und er sie in den Süden mitnehmen kann. Sie wissen Bescheid über unseren Weg heute nacht und werden uns mit sechs bis acht Mann überfallen. Was machen wir da?«

Nach dieser Mitteilung befand sich die ganze Gruppe in einer Haltung, die einen Maler gereizt hätte. Rachel Halliday, die ihre Hände aus dem Biskuitteig gezogen hatte, um die Neuigkeit mitan–zuhören, hielt sie mehlig und aufrecht gen Himmel gestreckt, tiefes Mitleid malte sich auf ihrem Gesicht. Simeon war in tiefes Sinnen versunken; Eliza hielt ihren Gatten umschlungen und blickte zu ihm auf. Georg aber hatte die Fäuste geballt, seine Augen loderten, und er sah aus, wie jeder aussehen mag, dessen Weib öffentlich versteigert und dessen Sohn an einen Händler ausgeliefert werden soll, alles unter dem Schutz des Gesetzes eines christlichen Volkes.

»Was fangen wir an, Georg?« fragte Eliza mit schwacher Stimme.

»Ich weiß, was ich tun werde«, erwiderte Georg, ging nach nebenan und prüfte seine Pistolen.

»Ja, ja«, sagte Phineas und nickte Simeon zu, »da siehst du die Wirkung.«

»Ich sehe es wohl«, antwortete Simeon und seufzte; »ich bete nur, daß uns das erspart bleibt.«

»Ich will niemand meinetwegen in Ungelegenheit bringen«, sagte Georg. »Wenn Ihr mir Euren Wagen leiht und uns den Weg zeigt, will ich wohl allein zur nächsten Station fahren. Jim ist bärenstark und so tapfer wie der Tod und Teufel.«

»Alles gut und schön, Freund«, bemerkte Phineas, »trotzdem brauchst du einen Kutscher. Du magst das Kämpfen schon allein besorgen, weißt du; aber vom Weg verstehe ich mehr.«

»Aber ich mag Euch nicht mit hineinziehen.«

»Hineinziehen«, wiederholte Phineas mit einem verschlagenen Gesichtsausdruck, »ich möchte nur wissen, wann du mich hineinziehen solltest!«

»Phineas ist ein kluger und geschickter Mann«, sagte Simeon. »Du tust gut daran, Georg, wenn du dich auf ihn verläßt; außerdem«, setzte er freundlich hinzu, Georg die Hand auf die Schulter legend und auf die Pistolen deutend, »sei damit nicht zu voreilig; junges Blut ist hitzig.«

»Ich werde keinen Menschen angreifen«, sagte Georg. »Alles, was ich von diesem Lande verlange, ist, in Ruhe gelassen zu werden, dann werde ich es friedlich verlassen; aber« - er machte eine Pause; seine Stirn umwölkte sich, und es arbeitete in seinem Gesicht -»meine Schwester wurde verkauft auf jenem Markt in New Orleans. Ich wußte wozu. Und da soll ich ruhig zulassen, daß sie mein Weib verkaufen, wenn Gott mir doch starke Arme gab, um sie zu verteidigen? Nein, Gott steh mir bei! Ich werde bis zum letzten Atemzug kämpfen, ehe sie mir Weib und Kind nehmen. Könnt Ihr mich deshalb tadeln?«

»Sterbliche Menschen können dich gewiß nicht tadeln, Georg. Fleisch und Blut können nicht anders handeln«, antwortete Simeon. »Wehe der Welt wegen des Ärgernisses, aber wehe denen, so das Ärgernis geben.«

»Und Ihr, würdet Ihr nicht auch an meiner Stelle ebenso handeln?«

»Ich bete zu Gott, daß er mich nicht in Versuchung führt«, sagte Simeon, »das Fleisch ist schwach.«

»Ich glaube, mein Fleisch wäre ganz hübsch stark in einem solchen Fall«, bemerkte Phineas und streckte seine Arme aus, die so kräftig wie die Flügel einer Windmühle waren. »Ich weiß nicht, Freund Georg, ob ich dir nicht einen der Kerle festhielte, wenn du eine Rechnung mit ihm zu begleichen hättest.«

»Wenn jemals ein Mensch sich gegen das Unrecht wehren darf«, sagte Simeon, »dann dürfte jetzt Georg sich zur Gegenwehr berechtigt fühlen. Dennoch lehrten die Führer unserer Sekte eine bessere Methode, denn der Zorn des Menschen vollzieht nicht den Willen Gottes; aber noch will der Mensch in seiner Verblendung das nicht einsehen, und die Lehre kann nur empfangen, wem die Einsicht vergönnt ist. Laßt uns den Herrn bitten, daß wir nicht in Versuchung kommen.«

»Das will ich gern tun«, sprach Phineas, »kommen wir aber zu arg in Versuchung, na, dann mögen sie sich hüten, mehr sage ich nicht.«

»Man merkt es doch, daß du kein geborener >Freund<[2] bist«, sagte Simeon lächelnd. »Deine alte Natur bricht sich immer wieder Bahn.«

Um die Wahrheit zu sagen, Phineas war ein treuherziger Hinterwäldler gewesen, mit riesigen Fäusten, ein gewaltiger Jäger und das Verderben eines jeden Rehbocks; aber nachdem er eine hübsche Quäkerin geehelicht, war er der nächsten Gemeinde beigetreten; so wurde er zwar ein aufrichtiges, tüchtiges Mitglied, dem im einzelnen nichts vorzuwerfen war, doch die Geistigen und tiefer Veranlagten konnten nicht umhin, einen gewissen Mangel an Milde in seiner Entwicklung festzustellen.

»Freund Phineas hat nun einmal seine eigenen Ansichten«, bemerkte Rachel Halliday lächelnd; »aber wir sind alle überzeugt, trotz allem hat er das Herz auf dem rechten Fleck.«

»Wäre es dann nicht am besten«, fragte Georg, »wenn wir unsere Flucht beschleunigten?«

»Ich bin um vier Uhr aufgestanden und kam in größter Eile her, ich bin ihnen gut zwei bis drei Stunden voraus, wenn sie zur vereinbarten Zeit aufgebrochen sind. Auf jeden Fall wäre es unklug, vor Einbruch der Dunkelheit loszufahren, denn in den nächsten Dörfern gibt es einige Schurken, die unseren Wagen anhalten könnten, und das würde uns mehr Zeit kosten als hier das Warten; aber in zwei Stunden könnten wir es riskieren. Ich werde inzwischen Michael Cross aufsuchen und ihn beauftragen, mit seinem schnellen Roß hinter uns herzureiten und ein wachsames Auge auf den Weg zu halten. Wenn dann irgendwelche Reiter kommen, kann er uns warnen. Michaels Pferd überholt alle anderen, und wenn Gefahr droht, kann er einen Warnungsschuß abgeben. Ich werde auch Jim und die alte Frau benachrichtigen, damit sie sich bereithalten, und nach Pferden sehen. Wir haben einen guten Vorsprung und die besten Aussichten, die nächste Station zu erreichen, bevor sie uns einholen. Also, sei guten Mutes, Freund Georg, dies ist nicht die erste scheußliche Klemme, der ich mit euch Flüchtlingen entkommen bin«, meinte Phineas und schloß die Tür.

»Phineas ist ganz gerissen«, meinte Simeon. »Bei ihm bist du gut aufgehoben, Georg.«

»Es tut mir leid, daß ich euch alle in Gefahr bringe«, sagte Georg.

»Tu uns einen Gefallen, Freund, und sprich nicht mehr davon. Wir handeln nur nach unserem Gewissen, wenn wir dir helfen. Wir haben da gar keine Wahl. Und jetzt, Mutter«, fügte er hinzu und wandte sich an Rachel, »beeile dich mit deinen Vorbereitungen, wir wollen unsere Freunde nicht mit leerem Magen ziehen lassen.«

Während also Rachel und ihre Kinder geschäftig dabei waren, Maiskuchen zu backen, Schinken und Hühnchen zu kochen und alle Zutaten zum Abendessen herzurichten, saßen Georg und sein Weib in dem kleinen Stübchen eng umschlungen beieinander und unterhielten sich über alle Dinge, die gesagt sein müssen, wenn ein Abschied für immer droht.

Jetzt kam Rachel und nahm liebevoll Elizas Hand und führte sie an den Abendbrottisch. Als sie alle Platz nahmen, klopfte es leicht an die Tür und Ruth kam herein.

»Ich bin nur herübergelaufen, um dem kleinen Jungen die Strümpfchen zu bringen — drei Paar, schöne, warme, wollene. In Kanada werdet ihr es kalt genug haben. Ist Eliza auch guten Mutes?« fragte sie und huschte an die Tischseite, wo Eliza saß. Sie schüttelte ihr herzlich die Hand und steckte Harry einen Kringel in die Hand. »Ich hab ihm davon noch eine Tüte voll mitgebracht«, setzte sie hinzu und zerrte an ihrer Tasche, um sie herauszuholen. »Man weiß ja, Kinder können immer essen.«

»Oh, danke vielmals; Ihr seid so gut«, rief Eliza.

»Komm, Ruth, iß mit zu Abend«, bat Rachel.

»Das kann ich unmöglich. Ich habe John bei dem Baby gelassen und habe den Kuchen im Ofen. Ich kann nicht länger bleiben, sonst läßt John den Kuchen verbrennen und gibt dem Baby den ganzen Zucker aus der Dose. So treibt er es immer«, sagte die kleine Quäkerfrau und lachte. »Also, leb wohl, Eliza; leb wohl, Georg; der Herr schenke euch eine sichere Fahrt«, und schon war Ruth zur Tür hinaus.

Kurz nach dem Abendbrot fuhr ein großer Planwagen vor dem Hause vor; die Nacht war sternenklar; mit einem Satz sprang Phi–neas rasch herab, um seine Fahrgäste unterzubringen. Georg schritt aus der Haustür, das Kind auf einem Arm und am anderen sein Weib. Sein Schritt war fest, und sein Gesicht sah gefaßt und entschlossen aus. Rachel und Simeon begleiteten sie.

»Steigt Ihr einen Augenblick aus«, wandte sich Phineas an die Insassen, »dann kann ich die Sitze für die Frauensleute und den Jungen richten.«

»Hier sind die beiden Büffelhäute«, sagte Rachel. »Mach es ihnen recht bequem, so eine Fahrt in der Nacht ist anstrengend.«

Jim stieg zuerst aus und half behutsam seiner Mutter, die sich an seinen Arm klammerte und ängstlich umherblickte, als sei ihr der Verfolger schon auf den Fersen.

»Jim, sind deine Pistolen in Ordnung?« fragte Georg mit leiser, fester Stimme.

»Ja, natürlich«, erwiderte Jim.

»Und du weißt Bescheid, was du zu tun hast, wenn sie kommen?«

»Das will ich meinen«, sagte Jim, sich in die Brust werfend und tief Atem holend. »Denkst du, ich lasse sie meine Mutter noch einmal fangen?«

Während dieser kurzen Unterhaltung hatte sich Eliza von Rachel, ihrer mütterlichen Freundin, verabschiedet. Simeon half ihr in den Wagen, wo sie sich mit dem Kind auf den Büffelfellen niederließ. Die alte Frau kam an ihre Seite, Georg und Jim setzten sich ihnen gegenüber auf ein Brett, und Phineas stieg auf den Kutschbock.

»Fahrt mit Gott!« rief Simeon von draußen.

»Vergelt's Gott!« riefen sie von drinnen.

Und der Wagen fuhr holpernd über den gefrorenen Weg in die Nacht hinaus.

Zur Unterhaltung war keine Gelegenheit, der Weg war uneben und die Räder ratterten. Der Wagen rumpelte dahin, durch lange Strecken dunklen Waldgebietes — über weite öde Ebenen, bergauf, bergab, Stunde um Stunde. Das Kind war gleich eingeschlafen und lehnte sich schwer gegen die Mutter. Die arme, verängstigte, alte Frau hatte allmählich ihre Furcht verloren, und selbst Eliza konnte, als die Nacht voranschritt, sich trotz aller Sorgen des Schlafes nicht erwehren. Phineas schien von allen der Munterste zu sein, er vertrieb sich die lange Fahrt, indem er sich ein leichtes Liedchen pfiff, das wenig den strengen Quäkersitten entsprach.

Aber gegen drei Uhr morgens vernahm Georgs feines Ohr in der Ferne den eiligen raschen Hufschlag eines einzelnen Pferdes, er stieß Phineas an den Ellbogen, Phineas bremste seine Pferde und horchte.

»Das muß Michael sein«, sagte er; »ich denke, ich erkenne ihn an seinem Galopp«, und er stand auf und blickte besorgt über den Weg zurück.

Man erkannte jetzt undeutlich auf dem Gipfel einer Anhöhe einen mit verhängten Zügeln dahersprengenden Reiter.

»Ich glaube, das ist er!« rief Phineas. Ohne Besinnen sprangen Georg und Jim aus dem Wagen. Schweigend standen sie da und erwarteten den Boten. Er kam immer näher. Jetzt verschwand er in einer Talsenke, aber sie vernahmen deutlich, wie der eilige Hufschlag immer näher kam, endlich tauchte er wieder auf und kam in Rufnähe.

»Ja, das ist Michael!« sagte Phineas und rief mit erhobener Stimme, »Hallo, Hallo, Michael!«

»Phineas, bist du das?«

»Ja, was ist los? Kommen sie?«

»Direkt hinter mir, acht oder zehn Mann, betrunken, fluchend und schäumend wie die Wölfe.«

Während er noch sprach, trug der Wind den schwachen Hall galoppierender Reiter herüber.

»Einsteigen, rasch, Jungens!« rief Phineas. »Wenn es zum Kampf kommt, ist es besser, ich fahre euch noch ein Stück weiter.«

Beide waren auf sein Geheiß in den Wagen gesprungen, und Phi–neas schlug auf die Pferde, um sie in Trab zu bringen, während der Reiter dicht neben ihnen folgte.

Der Wagen ratterte, er flog fast über den gefrorenen Erdboden dahin, aber immer deutlicher wurde der Lärm der näherkommenden Reiter. Die Frauen hörten sie auch; sie lehnten sich angstvoll hinaus und sahen weit hinten auf dem Rand eines fernen Hügels einen Trupp Reiter sich in unbestimmten Umrissen gegen den rotstreifigen Himmel des grauenden Morgens abheben. Noch eine Anhöhe, da hatten die Reiter offensichtlich den Wagen erblickt, dessen weiße Plane schon von weitem auffiel, der Wind trug ihr lautes Triumphgebrüll herüber. Eliza wurde es dunkel vor den Augen, sie preßte ihr Kind fester an die Brust, und Georg und Jim packten ihre Pistolen mit verzweifelten Fäusten. Die Verfolger holten rasch auf, da bog der Wagen scharf hinter einer steil aufragenden Felsklippe ein, die sich als einzelner Ausläufer eines felsigen Geländes aus der Ebene erhob und ringsherum glatt abfiel. Diese Felsgruppe stand schwarz und schwer gegen den heller werdenden Himmel und schien Schutz und Obdach zu verheißen. Phineas kannte sich hier von seinen Jagdzeiten her gut aus, er hatte seine Pferde nur angetrieben, um diesen Standort zu erreichen.

»Jetzt gilt's!« sagte er, hielt die Pferde an und war mit einem Satz vom Wagen. »Raus mit euch und dann mir nach, die Felsen hinauf. Michael, du bindest dein Pferd an die Deichsel und fährst weiter zu Amariah und holst ihn und seine Leute, damit sie mit den Kerlen verhandeln.«

Im Nu waren sie alle heraus aus dem Wagen.

»Los«, sagte Phineas und ergriff Harry, »ihr beide seht nach den Frauen, und jetzt lauft, was ihr nur laufen könnt!«

Es bedurfte keiner Ermahnung. Schneller, als wir es schildern können, waren alle über den Zaun geklettert und strebten den Felsen zu, während Michael sich eilig vom Pferd warf, es mit dem Zaum am Wagen befestigte und, so schnell er konnte, mit dem Wagen davonfuhr.

»Kommt weiter«, sagte Phineas, als sie die Felsen erreichten und in dem erblassenden Licht der schwachen Sterne und der aufsteigenden Morgendämmerung die Spur eines schmalen Fußpfades erkannten, der zur Höhe führte. »Das ist ein altes Jagdversteck. Hinauf!«

Phineas schritt voran, mit dem Jungen auf dem Arm sprang er wie eine Ziege über die Steine. Jim kam als zweiter und trug seine zitternde, alte Mutter über der Schulter, Georg und Eliza bildeten den Abschluß. Die Reiter langten bei dem Zaun an und stiegen unter Geschrei und Fluchen ab, um ihren Opfern zu Fuß nachzueilen. Diese waren nach kurzem Klettern auf dem Gipfel der Felsklippe angelangt, nun führte der Pfad durch eine schmale Kluft, in der jeweils nur eine Person Platz hatte, bis sie plötzlich vor einem neuen Querspalt ankamen, der mehr als meterbreit zu einer neuen Felsgruppe führte, die abermals getrennt sich dreißig Fuß hoch erhob, mit steil abfallenden Wänden wie die Wälle einer Burg.

»Springt!« rief Phineas, »springt um euer Leben!« Und einer nach dem anderen sprang hinüber. Mehrere lose Felsstücke bildeten drüben eine Art Brustwehr und verbargen sie vor den Blicken der Verfolger.

»So, da wären wir«, sagte Phineas und spähte über die Steine nach den Verfolgern aus, die mit lautem Getöse unter den Felsen herankamen. »Nun mögen sie kommen. Wer herauf will, muß einzeln zwischen den beiden Felsen durch in bester Schußweite, seht ihr?«

»Jawohl«, sagte Georg, »und jetzt ist es unsere Sache, jetzt tragen wir das Risiko und übernehmen den Kampf.«

»Das Kämpfen will ich dir schon überlassen, Georg«, bemerkte Phineas und zerkaute beim Sprechen einige Mitchellablätter; »aber das Zusehen wirst du mir wohl noch erlauben. Aber seht, die Kerle bereden sich anscheinend und blicken herauf wie Hühner, die auf die Stange fliegen wollen. Ob man ihnen nicht lieber einen Wink gibt und ihnen höflich erklärt, daß sie erschossen werden, wenn sie es wagen?«

Die Gesellschaft unten war beim wachsenden Licht des Morgens jetzt allmählich besser zu erkennen. Sie bestand aus unseren alten Bekannten, Tom Locker und Marks, zwei Gendarmen und einer Rotte von Gesellen, die man im letzten Wirtshaus unter der Einwirkung des Branntweins leicht überredet hatte, sich an dieser Niggerjagd zu beteiligen.

»Na, Tom, dein Wild hätten wir gestellt«, sagte einer von ihnen.

»Ja, ich habe sie dort hinauflaufen sehen«, erwiderte Tom. »Und hier ist auch ein Fußpfad. Ich bin dafür, wir gehen sofort hinterher. So schnell können sie nicht herunterspringen, und es wird nicht lange dauern, da haben wir sie aufgestöbert.«

»Aber Tom, sie könnten uns hinter den Felsen auflauern und schießen. Das wäre doch sehr unangenehm.«

»Pah!« grinste Tom, »du bist immer bange um dein kostbares Leben, Marks! Keine Gefahr! Nigger sind viel zu feige, um zu schießen.«

»Ich sehe nicht ein, daß ich mir nicht mein Leben bewahren soll«, sagte Marks. »Ein anderes habe ich nicht, und Nigger können sich zuweilen wie die Teufel verteidigen.«

In diesem Augenblick erschien Georg auf der Höhe des Felsens und hub mit fester, klarer Stimme an zu reden: »Wer sind Sie, meine Herren, und was wollen Sie da unten?«

»Wir suchen eine entlaufene Niggerbande«, rief Tom Locker. »Einen gewissen Georg Harris und Eliza Harris mit ihrem Sohn, Jim Seiden und eine alte Frau. Wir haben die Beamten hier und einen Haftbefehl, wir werden sie also zu fassen kriegen, versteht ihr? Bist du nicht Georg Harris, der dem Mr. Harris in der Grafschaft Shelby in Kentucky gehört?«

»Ich bin Georg Harris. Ein Mr. Harris in Kentucky hat mich einst sein Eigentum genannt. Aber jetzt bin ich ein freier Mann und stehe auf Gottes freiem Boden. Mein Weib und mein Kind gehören zu mir. Jim und seine Mutter sind auch hier. Wir führen Waffen zur Verteidigung bei uns und werden davon Gebrauch machen. Sie können gern heraufkommen. Aber der erste, der uns vor die Flinte kommt, ist ein toter Mann, und ebenso der nächste, alle der Reihe nach.«

»Spart Euch die schönen Reden«, rief jetzt ein vierschrötiger kurzer Mann, der vortrat und sich die Nase schneuzte. »Junger Mann, das steht Euch nicht zu. Ihr seht, wir sind Gerichtsbeamte. Das Recht steht auf unserer Seite, auch die Gewalt und alles andere. Also gebt das Rennen auf. Am Ende zieht Ihr doch den kürzeren.«

»Ich weiß wohl, daß Ihr Recht und Gewalt auf Eurer Seite habt«, rief Georg mit Bitterkeit. »Ihr wollt mir meine Frau wegreißen und in New Orleans verkaufen und meinen Knaben wie ein Kalb an den Händler abliefern. Jims Mutter wollt Ihr der Bestie zurückgeben, die sie schon einmal auspeitschen und mißhandeln ließ, weil er ihren Sohn nicht greifen konnte. Jim und mich aber wollt Ihr zur Folter und Mißhandlung unseren alten Herren ausliefern, damit sie uns mit Füßen treten. Und Eure Gesetze sagen ja dazu — Schmach und Schande über Euch! Noch habt Ihr uns nicht. Eure Gesetze gehen uns nichts an, Euer Staat kümmert uns nicht; wir stehen hier als freie Menschen unter Gottes freiem Himmel, nicht anders als Ihr. Und bei dem lebendigen Gott, der uns alle erschaffen hat, wir werden bis zum Tode um unsere Freiheit kämpfen.«

Georg stand frei und offen auf der Felshöhe, als er diese Unabhängigkeitserklärung abgab; seine wettergebräunten Wangen flammten im Morgenrot; Verzweiflung und bittere Empörung loderten in seinen dunklen Augen; als ob er sich vom Menschen ab zu Gott wandte, hatte er seine Hand zum Himmel erhoben.

Haltung und Blick, Stimme und Auftreten des Sprechers brachten die Verfolger für einen Augenblick zum Schweigen. Kühnheit und Entschlossenheit nötigen selbst der rohesten Natur für kurze Minuten eine gewisse Achtung ab. Nur Marks blieb ganz ungerührt. Er spannte vorsichtig den Hahn seiner Pistole, und in der kurzen Stille, die Georgs Rede folgte, schoß er nach ihm. »Man kriegt für ihn denselben Preis in Kentucky, ob tot oder lebendig«, sagte er kalt und wischte seine Pistole am Rockärmel ab.

Georg sprang zurück — Eliza stieß einen Schrei aus — die Kugel war knapp an seinem Haar vorbeigegangen, hatte fast die Wange seiner Frau gestreift und war in einem Baum steckengeblieben.

»Es ist nichts, Eliza«, sagte Georg sogleich.

»Du wärst mit deinen Reden besser in Deckung geblieben«, meinte Phineas; »das sind gemeine Hunde.«

»Los, Jim«, sagte Georg, »mach deine Pistole fertig; wir wollen beide den Paß da im Auge behalten. Ich schieße auf den ersten Mann, der sich zeigt; du nimmst den zweiten und dann so weiter. Wir können nicht zwei Schuß für einen Mann vergeuden, verstehst du?«

»Und wenn du nicht triffst?«

»Ich werde treffen«, erwiderte Georg ruhig.

»Gut, der Junge ist aus dem richtigen Holz«, brummte Phineas durch die Zähne.

Unten stand die Bande, nachdem Marks den Schuß abgegeben, noch unentschlossen zusammen.

»Ich glaube, du mußt jemand getroffen haben«, bemerkte einer der Leute, »ich habe jemand schreien hören.«

»Ich gehe jetzt stracks hinauf«, sagte Tom. »Vor Negern habe ich niemals Angst gehabt, soll mir auch jetzt nicht passieren. Wer kommt mir nach?« Und schon sprang er die Felsen hinauf.

Georg hatte die Worte deutlich gehört. Er entsicherte seine Pistole, prüfte sie und hielt sie dann auf den Felspaß gerichtet, wo der erste Mann erscheinen mußte.

Der mutigste der Bande folgte Tom; nachdem so der Anfang gemacht war, drängten alle hinterher — die letzten stießen die ersten, so daß sie ins Gedränge kamen und sich eiliger hindurchquetschten, als es einzeln der Fall gewesen wäre. Sie kamen immer näher, bis Toms ungeschlachte Gestalt zum Vorschein kam, unmittelbar vor der Felsspalte.

Georg schoß — der Schuß traf den anderen in die Seite -, aber trotz der Verwundung wich er nicht zurück, sondern sprang wie ein wildgewordener Stier mit einem Wutgebrüll direkt über die Spalte unter die Flüchtlinge.

»Nein, mein Freund«, sprach Phineas, plötzlich hervortretend, und stieß ihn mit kräftigem Arm zurück. »Dich können wir hier nicht brauchen.«

Da stürzte er den Spalt hinunter, Bäume, Sträucher, Baumstämme, lose Steine, alles im Fallen mit sich reißend, bis er in dreißig Fuß Tiefe zerschlagen und ächzend liegenblieb. Der Sturz hätte ihn getötet, wären nicht seine Kleider an den Zweigen der Bäume hängengeblieben; aber der Aufprall war doch ziemlich stark, wenigstens alles andere als angenehm und sanft.

»Gott, steh uns bei, das sind die reinen Teufel!« zischte Marks und führte die Bande als erster und mit größerer Eile als beim Aufstieg wieder hinab. Die anderen stolperten hinter ihm her; besonders der dicke Gendarm schnob pustend den Berg hinunter.

»Hört, Leute«, sagte Marks, »Ihr geht um die Ecke und hebt Tom auf, während ich mein Pferd nehme und Hilfe hole — gehabt euch wohl«; und ungeachtet der Schimpf–und Spottreden der Bande schlug sich Marks durch die Büsche und galoppierte davon.

»Da sieht man den feigen Hund«, sagte einer der Leute; »uns bringt er alle her und dann drückt er sich.«

»Wir müssen den andern auflesen. Verflucht, mir soll es gleich sein, ob er tot oder lebendig ist.«

Die Leute gingen dem Stöhnen des Verwundeten nach, sie kletterten über Baumstämme und Klötze und arbeiteten sich durch dichtes Gestrüpp hindurch bis zu der Stelle, wo Tom abwechselnd stöhnend und fluchend am Boden lag.

»Du machst ja schönen Radau, Tom«, sagte einer. »Bist du ernstlich verwundet?«

»Weiß ich nicht. Bringt mich in die Höhe. Soll der Henker diesen verfluchten Quäker holen! Wäre er nicht gewesen, hätte ich die Nigger hier runtergestoßen und gewartet, wie ihnen das zusagte.«

Unter großen Anstrengungen und mit vielem Gestöhn hob man den Verletzten auf, zwei Leute packten ihn unter den Schultern, und so schleppte man ihn mühsam und fluchend zu den Pferden zurück.

»Wenn ihr mich nur zurück in die Schenke schaffen könntet. Gebt mir doch einen Lappen, damit ich dies verfluchte Bluten stillen kann.«

Georg spähte über die Felsen und sah, wie sie versuchten, Toms ungeschlachte Gestalt in den Sattel zu heben. Nach zwei oder drei vergeblichen Versuchen taumelte er und stürzte zu Boden.

»Ach, hoffentlich ist er nicht tot!« sagte Eliza, die mit der ganzen Gesellschaft dem Vorgang gefolgt war.

»Warum nicht?«, fragte Phineas, »er hätte es wahrhaftig verdient.«

»Weil nach dem Tode das Gericht folgt«, antwortete Eliza.

»Ja«, sagte die alte Frau, die während des ganzen Vorfalles gestöhnt und auf ihre Methodistenweise gebetet hatte, »seine arme Seele wird Schreckliches erleiden.«

»Wahrhaftig, ich glaube, sie wollen ihn im Stich lassen«, rief Phineas.

Das war richtig: denn nach einigem Zaudern und Bereden stieg die Bande auf die Pferde und ritt davon. Als sie verschwunden war, besann sich Phineas wieder.

»Wir müssen jetzt hinunter und ein Stück zu Fuß gehen«, sagte er. »Ich hatte Michael beauftragt, Hilfe zu holen und den Wagen wieder zurückzubringen. Aber ein Stück Weges werden wir wohl noch zurücklegen müssen, bis wir ihn treffen. Gott gebe, daß er bald kommt. Es ist noch früh am Tage, da wird noch nicht viel Verkehr unterwegs sein; wir sind nicht viel mehr als zwei Meilen von unserem nächsten Halteplatz entfernt. Wären die Wege in der Nacht nicht so schlecht gewesen, wären wir ihnen längst entkommen.«

Als unsere Flüchtlinge an dem Zaun wieder ankamen, sahen sie bereits in der Ferne auf der Straße ihren eigenen Wagen zurückkehren, einige Reiter begleiteten ihn.

»Da kommen ja schon Michael und Stephan und Amariah«, rief Phineas freudig aus. »Jetzt haben wir es geschafft, als ob wir schon dort wären.«

»Dann könnten wir uns doch um den armen Kerl kümmern«, sagte Eliza, »er stöhnt so schrecklich.«

»Das wäre nicht mehr als Christenpflicht«, sagte Georg, »wir wollen ihn aufheben und mitnehmen.«

»Und ihn bei den Quäkern verarzten! Ganz sinnig! Na, mir soll's gleich sein. Zuerst wollen wir ihn einmal ansehen«, und Phineas, der sich in seinem Wald–und Jägerleben einige primitive chirurgische Kenntnisse erworben hatte, kniete neben dem Verwundeten nieder und untersuchte ihn sorgfältig.

»Marks«, sagte Tom mit schwacher Stimme, »bist du das, Marks?«

»Nein, Freund, anscheinend nicht. Marks kümmert sich erst um dich, wenn er seine Haut in Sicherheit weiß. Er ist schon lange auf und davon.«

»Dann bin ich geliefert«, stöhnte Tom. »Der verfluchte feige Hund, mich hier allein sterben zu lassen. Meine arme alte Mutter hat es mir immer vorausgesagt.«

»Hört ihn an! Der arme Mensch, jetzt hat er eine Mammy«, sagte die alte Negerin. »Er tut mir doch leid.«

»Sachte, sachte; jetzt brumme und beiße nicht, mein Freund«, sagte Phineas, als Tom zusammenzuckte und seine Hand wegstieß. »Es ist aus mit dir, wenn ich das Blut nicht zum Stillstand bringe.« Und Phineas mühte sich, einen Notverband anzulegen, zu dem alle ihr Taschentuch beigesteuert hatten.

»Ihr habt mich hinuntergestoßen«, sagte Tom mit schwacher Stimme.

»Ja, siehst du, sonst hättest du uns hinabgestoßen«, antwortete Phineas, als er sich bückte und den Verband anlegte. »So, so — laß mich nur den Verband festmachen. Wir meinen es gut mit dir, wir tragen dir nichts nach. Wir bringen dich jetzt in ein Haus. Da werden sie dich erstklassig pflegen, deine eigene Mutter könnte es nicht besser.«

Tom ächzte und schloß die Augen. Bei Leuten seiner Art war Kraft und Entschlossenheit eine rein körperliche Sache, die mit dem strömenden Blut vorbei war; der riesige Bursche sah in seiner Hilflosigkeit wirklich bemitleidenswert aus.

Inzwischen war der Wagen herangekommen. Man nahm die Sitze heraus, breitete die doppelt zusammengelegten Büffelfelle alle auf eine Seite und dann hoben vier Mann Toms schweren Körper mühsam hinein. Noch bevor er lag, verlor er die Besinnung. In überströmendem Mitleid setzte sich die alte Negerin auf den Boden und nahm seinen Kopf auf ihren Schoß. Eliza, Georg und Jim teilten sich, so gut es ging, in den übrigen Platz, und der Wagen fuhr weiter.

»Was haltet Ihr von seinem Zustand?« fragte Georg, der vorn neben Phineas saß.

»Ach, er hat nur eine ziemlich tiefe Fleisch wunde; der Fall hat ihm nicht gerade gut getan. Es hat tüchtig geblutet — das hat anscheinend alles mitgeschwemmt, den ganzen Mut — aber er wird es überstehen, und vielleicht war es ihm eine Lehre.«

»Das freut mich«, sagte Georg. »Es hätte mir doch sehr auf der Seele gelegen, wenn ich seinen Tod verursacht hätte, selbst in gerechter Sache.«

»Ja«, erwiderte Phineas. »Töten ist kein angenehmes Geschäft, wie man es auch drehen mag — Mensch oder Tier. Ich bin zu meiner Zeit ein großer Jäger gewesen, und ich kann dir sagen, ich habe gesehen, wie ein sterbender Rehbock mich anblickte, daß ich mir schlecht vorkam, ihn geschossen zu haben, und bei den Menschen ist es noch schlimmer, denn wie deine Frau sagt, ihnen folgt das Letzte Gericht nach dem Tode. Daher weiß ich nicht, ob unsere Leute nicht recht haben, wenn sie so streng über diese Dinge denken. Wenn ich bedenke, was ich erlebte, bin ich doch ziemlich ihrer Ansicht.«

»Was wollt ihr mit diesem armen Kerl anfangen?« fragte Georg.

»Oh, den tragen wir zu Amariah; da wohnt Stephans alte Großmutter — Doreas mit Namen -, die versteht sich großartig auf die Krankenpflege. Nichts kommt ihr mehr gelegen, als wenn sie einen Kranken zu versorgen hat. Wir können damit rechnen, daß er vierzehn Tage liegen bleiben muß.«

Nach einstündiger Fahrt hielt man vor einem schmucken Farmhaus, wo die erschöpften Reisenden mit einem reichen Frühstück empfangen wurden. Tom Locker wurde behutsam in ein Bett gelegt, das viel weißer und sauberer war als alle bisherigen, in denen er gelegen hatte. Seine Wunde wurde sorgfältig behandelt und verbunden, so daß er wie ein krankes Kind ruhig liegen und zuweilen auf die weißen Fenstervorhänge und die ruhigen Gestalten blicken konnte, die in seinem Krankenzimmer leise hin und her gingen. Und hier wollen wir unseren Freunden vorderhand Lebewohl sagen.


  1. Bezeichnung für Quäker.