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Onkel Toms Hütte war ein kleines Blockhäuschen neben dem >Hause<, wie die Neger die herrschaftliche Wohnung allgemein bezeichnen. An seine Vorderfront grenzte ein sauberes Stück Garten, wo jeden Sommer Erdbeeren, Himbeeren und manche andere Früchte und Gemüsearten unter sorgfältiger Pflege gediehen. An der Vorderseite der Hütte wucherten eine rote Begonie und eine einheimische Heckenrose, die so ineinander verwachsen waren, daß sie kaum eine Spur von den rohen Balken freiließen. Ferner wuchsen hier im Sommer in bunter Eintracht viele einjährige Pflanzen, Ringelblumen, Petunien und Löwenmäulchen, die unbekümmert und so recht zur Freude und Genugtuung von Tante Chloe ihren Glanz entfalten konnten.
Betreten wir also das Häuschen. Die Abendmahlzeit im Herrenhause war vorbei, und Tante Chloe, die als erste Köchin alle Vorbereitungen überwachte, hatte untergeordneten Kräften das Geschäft des Spülens und Aufräumens überlassen, um nun im eigenen blitzblanken Heim ihrem Alten das Abendbrot zu richten. In höchsteigener Person steht sie dort am Feuer und beobachtet voll Spannung und Interesse, wie es dort in der Pfanne brutzelt, oder sie lüftet mit heiligem Ernst den Deckel einer Kuchenform, deren Dämpfe zweifellos etwas Gutes verheißen. Sie hat ein rundes, schwarzes, glänzendes Gesicht, so glänzend, daß man denken könnte, sie habe es mit Eiweiß glasiert wie ihre leckeren Obsttörtchen. Unter dem gutgestärkten karierten Turban strahlt ihr fettes Gesicht vor Zufriedenheit und Genugtuung, ja wir müssen gestehen, ein Zug von Selbstbewußtsein findet sich auch darin, wie es sich für die erste Köchin der Umgegend gehört, als welche sie allgemein gilt und auch zu gelten beansprucht.
Da gab es im ganzen Hühnerhof kein Huhn, keinen Truthahn und keine Ente, die bei ihrem Anblick nicht nachdenklich wurden und angstvoll ihr letztes Stündlein nahen fühlten. Denn ihr ganzes Trachten war so sehr auf Schlachten, Füllen und Braten gerichtet, daß es jedes empfindsame Gefühl in Angst und Schrecken versetzen mußte. Ihr Maiskuchen in allen Formen seiner Abwandlung, wie Waffeln, Hörnchen und Plinsen, war allen Uneingeweihten ein heiliges Geheimnis. Ihr fetter Leib bog sich vor stolzer Heiterkeit, wenn sie von den vergeblichen Anstrengungen berichtete, die man in der Konkurrenz nicht gescheut hatte, um den Stand ihrer Vollkommenheit zu erreichen. Erwartete man >im Hause< Gäste, waren Mittagsoder Abendtafeln besonders festlich zu richten, dann erwachten ihre Lebensgeister, dann war sie in ihrem Element. Kein Anblick war ihr mehr willkommen, als ein Stapel Reisekoffer, der sich in der Veranda türmte, dann witterte sie heiße Küchenschlachten und neue Triumphe.
Gegenwärtig jedoch ist sie vertieft in den Anblick ihrer dampfenden Kuchenform, bei welcher Beschäftigung wir sie getrost belassen können, um so lange die Hütte zu betrachten.
In einer Ecke stand ein Paradebett, sauber, mit einer schneeweißen Decke überzogen, davor lag ein Teppich von beachtlicher Größe. Auf diesen Teppich war Tante Chloe mächtig stolz, er gehörte zu einem vornehmen Leben, deshalb pflegte und hütete sie ihn, und auch das Bett, das er schmückte, ja die ganze Ecke, wie ihren Augapfel und wehrte dem Toben und Tollen des jungen Volkes, das hier nichts berühren durfte. Denn diese Ecke war der Salon der Hütte. In der anderen Ecke hingegen stand ein Bett von viel bescheidenerem Ausmaß, offensichtlich zum Gebrauch bestimmt. Über dem Kamin hingen herrliche Bilder aus der Heiligen Schrift, neben einem Porträt des Generals Washington, so erstaunlich gezeichnet und gemalt, daß es den Helden, hätte er es je zu Gesicht bekommen, bestimmt höchlichst belustigt hätte.
Auf einer einfachen Holzbank in der dritten Ecke unterhielten sich ein paar wollköpfige Jungen mit funkelnden schwarzen Augen und fettglänzenden Wangen damit, die ersten Gehversuche der Jüngsten zu überwachen, die, wie das zu sein pflegt, nur darin bestanden, daß das Baby sich aufrichtete, einen Augenblick balancierte, um dann wieder hinzufallen, wobei die Lausbuben jeden einzelnen Vorgang weidlich bewunderten.
Den Tisch, der sich etwas mühsam auf den Beinen hielt, hatte man vor dem Kaminfeuer aufgestellt. Auf dem Tischtuch prangten Tassen und Teller in schreiendem Muster, anscheinend sollte die Mahlzeit alsbald beginnen. An diesem Tisch nun saß Onkel Tom, Mr. Shelbys erste Kraft, und als den Helden unserer Geschichte müssen wir ihn dem Leser etwas näher beschreiben. Er war ein großer, breitschultriger, kräftig gebauter Mann, von glänzender tiefschwarzer Farbe, mit einem Gesicht, auf dessen typisch afrikanischen Zügen sich ein Ausdruck von ernster und verständiger Ruhe spiegelte, der von Wohlwollen und Freundlichkeit erhellt wurde.
Seine ganze Erscheinung drückte neben Würde und Selbstbewußtsein eine treuherzige und bescheidene Einfachheit aus.
In diesem Augenblick war er völlig in eine Schreibübung vertieft. Langsam und umständlich malte er auf eine Schiefertafel einige Buchstaben, wobei ihn der junge Herr Georg beaufsichtigte, ein aufgeweckter frischer Junge von dreizehn Jahren, der sich der Würde eines Lehrmeisters durchaus bewußt zu sein schien.
»Nicht nach der falschen Seite, nicht doch«, rief er eifrig, als Onkel Tom die Schleife eines g nach rechts abbrechen wollte, »das wird ja ein q, sieh doch!«
»Ihr habt recht«, sagte Onkel Tom, und sah voll Bewunderung und Respekt, wie sein junger Lehrer wahllos beliebig viele g und q auf die Tafel zauberte, um den Stift aufs neue in seine Hand zu nehmen und von vorn zu beginnen.
»Wie leicht das alles den Weißen fällt«, sagte Tante Chloe, einen Augenblick innehaltend — sie wischte gerade eine Bratpfanne mit einer Speckschwarte aus — und den jungen Georg bewundernd anblickend, »wie fein er schreiben und lesen kann, und dann auch noch jeden Abend herüberzukommen, um seine Lektion vorzulesen, das ist allerhand.«
»Ich bin hungrig, Tante Chloe, das ist auch allerhand«, sagte Georg. »Ist dein Kuchen in der Form nicht endlich fertig?«
»Beinahe, junger Herr, beinahe«, sagte Tante Chloe, indem sie den Deckel prüfend in die Höhe hob, »wird schön braun, goldbraune Farbe. Da soll mir einer kommen! Neulich ließ die Gnädige Sally einmal backen, damit sie es lerne, wie sie sagte. >Ach, gnädige Frau<, sagte ich, >das kann ich nicht mit ansehen, da wird mir schlecht, wenn so die guten Zutaten verschleudert werden, ein Kuchen, der nur an einer Seite aufgeht und keine richtige Form annimmt wie ein alter Schuh, der kann mir gestohlen bleiben.<«
Mit diesem abschließenden Urteil ihrer Verachtung für Sallys Anfängerkünste entfernte Tante Chloe endgültig den Deckel von der Kuchenform und brachte einen herrlich gebackenen Kuchen zum Vorschein, dessen sich kein Konditor in der Stadt hätte zu schämen brauchen. Er war als Höhepunkt der Mahlzeit gedacht, so daß Tante Chloe sich nun dem anderen Teil des Abends widmen mußte.
»Weg mit euch, Mose und Peter, geht mir aus dem Weg, ihr Nigger, du auch, Polly, mein Honigkuchen, wart noch ein bißchen, Mammi gibt dir gleich etwas. Und jetzt, junger Herr, nehmt eben die Bücher fort und setzt Euch hin mit meinem Alten, ich nehme jetzt die Würstchen heraus, und dann bekommen Sie die ersten Puffer auf den Teller.«
»Ich sollte eigentlich nach Hause gehen zum Abendessen«, sagte Georg, »aber ich wußte schon, wo ich etwas Gutes bekommen würde, Tante Chloe.«
»Recht hast du, recht hast du, mein Goldjunge«, sagte Tante Chloe und häufte ihm die knusprigen Puffer auf den Teller. »Du hast gewußt, deine alte Tante hebt dir etwas Leckeres auf, du kennst dich aus«, und damit schubste sie ihn strahlend in die Seite, lachte herzlich und wandte sich wieder voll Eifer ihrer Bratpfanne zu.
»Jetzt her mit dem Kuchen«, rief Georg, nachdem der Aufruhr um die Puffer sich etwas gelegt hatte, und dabei zückte er sein großes Messer.
»Da sei Gott vor, junger Herr«, sprach Tante Chloe im Brustton der Überzeugung, »daß Ihr mit dem schweren Messer auf meinen Kuchen losgeht, ihn plattdrückt, daß alles Lockere dahin ist — hier, das alte dünne Messer, das schärfe ich mir eigens nur dafür. Da, seht her, das schneidet leicht — nun laßt es Euch schmecken, Besseres gibt es anderswo nicht.«
»Tom Lincon behauptet« - sagte Georg mit vollen Backen kauend -, »daß ihre Jinny besser kocht als du.«
»Was kümmern uns die Lincons!« sagte Tante Chloe verächtlich, »ich meine, verglichen mit unserer Herrschaft. Sie sind gewiß ganz respektabel, wenn man keine großen Ansprüche stellt, aber von einem vornehmen Stil haben sie keinen Schimmer. Stellt doch nur Mr. Lincon einmal neben Mr. Shelby, Grundgütiger! Und erst Mrs. Lincon, kann sie so hoheitsvoll ins Zimmer rauschen wie unsere Gnädige? Keine Spur! Kommt mir nicht mit den Lincons!«
»Trotzdem hast du manchmal gesagt, Jinny sei eine ganz annehmbare Köchin«, entgegnete Georg.
»Das mag ja sein«, antwortete Tante Chloe. »Eine gute einfache Hausmannskost mag Jinny wohl zuwege bringen. Sie versteht sich aufs Brotbacken, sie kann Kartoffeln kochen, aber schon ihre Maiskuchen sind gar nicht berühmt, und was versteht sie von den feineren Künsten? Gar nichts. Freilich bäckt sie Pasteten, aber wie ist die Kruste? Schmilzt sie einem im Munde, geht der Teig locker auf wie ein Federbett? Ich bin drüben gewesen, als Fräulein Minny heiratete, und da hat Jinny mir ihre Hochzeitskuchen gezeigt. Wir sind nämlich gute Freunde, Jinny und ich. Ich habe ja nichts gesagt, aber hört Ihr bloß auf, junger Herr. Ich hätte ja die ganze Woche in der Nacht kein Auge zugetan, wenn ich solch ein Zeug gebacken hätte. Keinen Pfifferling war das wert.«
»Ich glaube, Jinny war mächtig stolz auf ihr Machwerk«, sagte Georg.
»Ja, nicht wahr? Darum zeigte sie es auch in aller Unschuld. Sie weiß es eben nicht besser. Woher sollte sie auch, bei so einer Familie? Ach, junger Herr, Ihr ahnt ja nicht, wie gut Ihr es habt in Eurer Familie und mit solch einer Erziehung.« Tante Chloe seufzte tief und verdrehte gefühlvoll die Augen.
»Aber ja, Tante Chloe, ich weiß schon, daß ich es gut habe bei all den Puddings und Pasteten«, antwortete Georg. »Frag nur Tom Lincon, ob ich nicht jedesmal radschlage vor Stolz, wenn ich ihn treffe.«
Tante Chloe lehnte sich in ihren Stuhl zurück und brach über diesen Scherz ihres jungen Herrn in ein solch schallendes Gelächter aus, daß ihr die Tränen über die schwarzen, glänzenden Backen kugelten; dabei puffte sie Georg in die Seite, schlug ihm auf die Schulter und versicherte ihm, er sei ein ausgekochter Schlingel, sie müsse sich ja totlachen, eines Tages sei sie sicher tot, wobei sie erneut zu lachen anfing, immer länger, immer herzlicher, so daß Georg es schließlich glaubte, daß er unwiderstehlich sei und mit seinen Witzen wirklich etwas anrichten könne.
»Da hast du es aber dem Tom gegeben? O Gott, was stellt die Jugend alles an! Radgeschlagen hast du? Da lachen ja die Hühner.«
»Ja«, bestätigte Georg. »Ich sagte zu ihm: >Du solltest einmal Tante Chloes Pasteten sehen, die sind die Krone.<«
»Welch ein Jammer, daß Tom sie noch nicht kennt«, sagte Tante Chloe, deren gutmütiges Herz bei dem Gedanken an Toms glanzloses Leben sofort zu schmelzen drohte. »Ihr müßt ihn einfach mal zum Essen mitbringen, junger Herr, da könnt Ihr Euch gefällig zeigen, man darf nicht hochmütig sein, nur weil man mancherlei Vorteile genießt, die uns Gott gegeben hat ohne unser Verdienst«, und Tante Chloe wurde ganz ernst.
»Ich will Tom gern für nächste Woche hierher zum Essen einladen«, erwiderte Georg bereitwillig. »Und du wirst vom Besten auftischen, Tante Chloe, die Augen sollen ihm übergehen. Und dann soll er essen, bis er platzt, nicht wahr?«
»Ja gewiß«, rief Tante Chloe begeistert, »Ihr werdet staunen! O Gott, wenn ich an unsere Festmähler denke, wißt Ihr noch die Hühnerpastete, die ich General Knox zu Ehren buk? Die gnädige Frau und ich haben uns fast gezankt über die Kruste. Ach, ich weiß nicht, was manchmal so in die Damen fährt, immer, wenn man die Hände voll zu tun hat und die ganze Verantwortung auf einem lastet, dann ausgerechnet müssen sie hereinkommen und einem im Wege stehen. Ja also, die gnädige Frau, sie wünschte dies und wünschte das, bis ich schließlich giftig wurde und losfuhr: >Ach, gnädige Frau, betrachten Sie doch einmal Ihre Hände mit den langen Fingern, an denen die Ringe blitzen, wie meine weißen Lilien, wenn der Tau auf ihnen glänzt, und sehen Sie mal meine großen schwarzen und plumpen Hände. Glauben Sie nicht, daß Gott der Herr mich für die Pastetenkruste auserwählte und Sie für den Sa–lon?< Weiß Gott, ich war ganz giftig, junger Herr!«
»Und was hat Mutter geantwortet?« fragte Georg.
»Geantwortet? Ach, sie lachte mit den Augen, mit ihren großen, schönen Augen und sagte dann: >Oh, Tante Chloe, ich glaube, du hast recht.< Und dann ging sie stracks in den Salon. Eigentlich hätte sie mir den Kopf waschen müssen, aber es ist nun mal so, Damen kann ich in der Küche nicht brauchen.«
»Aber mit dem Essen hast du große Ehre eingelegt, ich erinnere mich noch genau, wie alle Leute voll des Lobes waren.«
»Nicht wahr? Ich habe doch hinter der Eßzimmertür gestanden und gesehen, wie der General sich dreimal seinen Teller mit Pastete füllen ließ, und habe gehört, wie er sagte: >Sie müssen eine ausgezeichnete Köchin haben, Mrs. Shelby!< Guter Gott, ich wäre fast vor Stolz geplatzt.«
»Und der General versteht etwas vom Kochen«, fuhr Tante Chloe fort und reckte sich selbstgefällig, »sehr vornehmer Mann, der General. Stammt aus einer der ersten Familien von Altvirginia. Er versteht sich auf die Feinheiten, genau wie ich, der General. Seht Ihr, junger Herr, Pasteten haben auch ihre Feinheiten, aber die wenigsten verstehen sich darauf; der General nun, der kennt sie. Das merkte ich gleich an seinen Reden, ja, ja, der kennt die Feinheiten.«
Inzwischen war der junge Herr an dem Punkt angelangt, an dem selbst Jungen (freilich selten genug) beim besten Willen keinen Krümel mehr essen können. Als er sich aufatmend zurücklehnte, fiel sein Blick auf die wolligen Köpfe und glänzenden Augen, die aus der entgegengesetzten Ecke seiner Mahlzeit mit hungrigem Interesse gefolgt waren.
»Kommt her, ihr zwei, Mose und Peter, ihr wollt auch etwas haben, nicht wahr?« Und damit brach er freigebig große Stücke ab, die er ihnen zuwarf.
»Los, Tante Chloe, backe ihnen frische Puffer.«
Während Georg und Tom sich in die behagliche Kaminecke verzogen, buk Tante Chloe einen ansehnlichen Berg Puffer, nahm dann ihr Baby auf den Schoß und schob abwechselnd ihm und sich die Bissen in den Mund. An Mose und Peter teilte sie auch aus, die schienen aber am liebsten unter dem Tisch zu essen, wobei sie sich auf dem Boden kugelten, einander in den Haaren zausten und zuweilen das Baby an den Füßchen kitzelten.
»Macht, daß ihr weiterkommt«, schalt die Mutter, aufs Geratewohl unter den Tisch tretend, wenn der Trubel gar zu sehr überhand nahm. »Könnt ihr euch nicht benehmen, wenn weiße Herrschaften zu Besuch da sind? Nun hört auf, verstanden! Nehmt euch in acht, sonst faß ich euch ein Knopfloch tiefer, wenn der junge Herr weg ist.«
Es war nicht recht klar, was diese fürchterliche Drohung besagen sollte, aber offensichtlich verfehlte sie ihre Wirkung auf die jugendlichen Sünder vollkommen.
»Laß nur«, brummte Onkel Tom, »sie stecken voller Flausen, sie können nichts dafür.«
Nach diesen Worten krochen die Jungens unter dem Tisch hervor und machten sich mit herrlich verschmierten Sirupgesichtern und–händen daran, das Baby abzuküssen.
»Schert euch!« rief die Mutter und drängte die wolligen Köpfe zur Seite. »Ihr klebt ja alle zusammen, und ich kriege euch nicht mehr auseinander. Marsch, geht an den Brunnen und wascht euch!« Bei diesem Gebot verabfolgte sie jedem einen Klaps, der gefährlich klang, den Kindern aber nur ein neues Gelächter entlockte. Einer über dem anderen purzelten sie aus der Tür, wo sie vor Übermut hell aufkreischten.
»Hat man je so eine Bande gesehen«, seufzte Tante Chloe wohlgefällig und kramte ein altes Handtuch hervor, das zu diesen Zwecken diente, goß ein wenig Wasser aus dem alten wackeligen Teekessel und säuberte Babys Hände und Füße von den Sirupspuren. Blank geputzt und schwarz poliert setzte sie die Kleine auf Toms Knie und räumte den Tisch ab. Das Baby benutzte die Zeit, um Tom an der Nase zu ziehen, sein Gesicht zu kratzen und die Händchen in seinem wolligen Haar zu vergraben, was ihm offensichtlich großes Vergnügen bereitete.
»Ist sie nicht eine gelungene Person?« sagte Tom, hielt Polly in Armeslänge von sich und betrachtete sie. Dann stand er auf, setzte sie auf seine breite Schulter und sprang und tanzte mit ihr, während Georg ihr mit seinem Taschentuch zuwinkte und Mose und Peter, die zurückgekommen waren, ein wahres Löwengebrüll anstimmten, bis Tante Chloe erklärte, dieser Krach brächte sie noch um den Verstand. Da er aber nach ihrer eigenen Erklärung zum täglichen Programm gehörte, machte ihre Drohung der Heiterkeit kein Ende, sie verebbte erst, als jeder nach Herzenslust geschrien, getanzt und getobt hatte.
»Na, nun habt ihr euch hoffentlich beruhigt«, sagte Tante Chloe, geschäftig ein ungefügtes Rollbett hervorziehend. »Hier, Mose und Peter, ihr verschwindet, denn wir haben jetzt die Abendandacht.«
»Ach, Mutter, wir haben keine Lust, wir wollen dabei sein, bei der Andacht. Da ist es immer so komisch, wir haben das so gern.«
»Ach, Tante Chloe, laß sie aufbleiben, schieb das Bett weg«, sagte Georg, dem Ding einen Tritt versetzend.
Tante Chloe hatte nur das Ansehen wahren wollen, nun war sie allzu bereit, das Bett wieder zusammenzuschieben, wobei sie bemerkte: »Die Andacht wird ihnen heilsam sein.«
Die ganze Familie beriet sich nun, welche Vorkehrungen zur Andacht zu treffen seien.
»Wie es ohne Stühle gehen soll, ist mir schleierhaft«, erklärte Tante Chloe. Da die Andacht aber schon seit undenklichen Zeiten bei Onkel Tom stattfand, konnte man hoffen, auch diesmal dieser Schwierigkeit Herr zu werden.
»Der alte Onkel Peter hat das letztemal den besten Stuhl beim Singen um seine zwei Beine gebracht«, erinnerte Mose.
»Du halt den Mund, ich wette, du hast sie rausgezogen, das sähe dir ähnlich«, entrüstete sich Tante Chloe.
»Ach, er steht ja, wenn man ihn fest gegen die Wand lehnt«, sagte Mose.
»Dann darf Onkel Peter nicht darauf sitzen, er rutscht immer beim Singen, neulich ist er durch die ganze Küche gerutscht, als er sang«, sagte Peter.
»Au fein, dann muß er gerade darauf sitzen«, rief Mose, »wenn er dann anfängt - >Kommt Heilige und Sünder, kommt herbei< -, pardautz, liegt er unten.« Bei diesen Worten ahmte Mose die nasalen Laute des alten Mannes getreulich nach und ließ sich zu Boden fallen, um die geschilderte Katastrophe deutlich zu machen.
»Jetzt hör aber auf«, rief Tante Chloe, »schämst du dich denn gar nicht?«
Georg aber stimmte herzlich in das Lachen des Sünders ein und erklärte, er sei ein Tausendsassa. Damit verfehlte die mütterliche Entrüstung ihre Wirkung.
»Na, Alter«, sagte Tante Chloe, »dann roll nur deine Fässer herein.«
»Mutters Fässer sind wie die Fässer der Witwe, von denen der junge Herr neulich vorlas, sie sind immer sicher«, flüsterte Mose seinem Bruder zu.
»Ich weiß noch, eins brach das letztemal zusammen, und alle sind beim Singen hingestürzt, nennst du das sicher?« Während dieser Seitenbemerkung hatte man zwei leere Fässer hereingerollt, mit Steinen auf jeder Seite am Weiterrollen gehindert und Bretter darüber gelegt, dann stürzte man etliche Wannen und Eimer um, richtete die wackeligen Stühle her und hatte damit alle Vorbereitungen beendet.
»Der junge Herr kann so schön vorlesen, vielleicht bleibt er noch und liest uns das Evangelium. Es klingt dann gleich so viel interessanter«, sagte Tante Chloe. Georg stimmte bereitwillig zu; Jungens sind immer zu allem bereit, was ihnen eine gewisse Wichtigkeit verleiht.
Bald füllte sich die Hütte mit einer bunten Gesellschaft. Von den alten grauköpfigen Patriarchen von achtzig Jahren bis zu den jungen Mädchen und Burschen von fünfzehn. Es entspann sich sogleich eine harmlose kleine Klatscherei, wo zum Beispiel die alte Tante Sally ihr rotes Taschentuch herhabe und daß die gnädige Frau Lissy das gepunktete Musselinkleid schenken würde, wenn die Schneiderin ihr die neuen Toiletten gerichtet hätte, und daß Mr. Shelby sich einen neuen Rotfuchs kaufen wolle, was dem Hause neue Ehre bringen würde. Einige Mitglieder der Gemeinde gehörten zu benachbarten Familien, die ihnen die Teilnahme an der Andacht gestatteten; sie brachten immer einige besonders interessante Neuigkeiten über Geschehnisse und Gespräche ihres Hauses und ihres Gutes mit, die wie Münzen fröhlich von Hand zu Hand gingen, nicht anders als in den Kreisen der Gesellschaft.
Kurz danach begann sichtlich zur allgemeinen Freude das gemeinsame Singen.
Danach wurde Georg gebeten, die letzten Kapitel der Offenbarung vorzulesen, wobei er oftmals unterbrochen wurde von den verschiedensten Ausrufen »Wie wunderbar«, »Hört nur, hört«, »Stellt euch das vor«, »Wird das alles gewiß geschehen?«
Georg, als ein aufgeweckter Junge, in religiösen Dingen von seiner Mutter auf das Sorgfältigste unterwiesen, sah sich damit im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, was ihn anfeuerte, mit lobenswertem Ernst eigene Erläuterungen einzuflechten, weshalb ihn die jungen Zuhörer bewunderten und die alten segneten. Allgemein war man der Ansicht, daß kein Prediger es besser verstünde und daß es tatsächlich erstaunlich sei.
Onkel Tom aber galt für die ganze Umgebung in religiösen Dingen als eine Art Patriarch. Vorherrschend in seinem Charakter war ein starker, natürlicher Sinn für das Moralische. Dazu kam die größere Tiefe und Bildung seines Gemüts, so daß er unter seinesgleichen allgemein eine geistliche Autorität genoß; der schlichte, zu Herzen gehende und ehrfürchtige Ton seiner Erklärungen hätte selbst gebildete Zuhörer erbauen können. Im Gebet aber zeigte er seine größte Kraft. Die rührende Einfalt und der kindliche Ernst seines Gebets waren nicht zu überbieten; dazu kam, daß er sich die Sprache der Heiligen Schrift unbewußt so zu eigen gemacht hatte, daß sie ihm frei und natürlich von den Lippen floß. Nach Aussage frommer alter Neger war sein Gebet wahrhaft >erhebend< und wirkte so stark auf die Gemüter seiner Gemeinde, daß es zuweilen von den stürmischen Antwortgesängen ganz übertönt wurde.
Während dieser Szene in der Hütte seines Sklaven ging eine ganz andere im Hause des Herrn vor sich.
Dort saßen der Händler und Mr. Shelby in dem bereits erwähnten Eßzimmer zusammen an einem runden Tisch, der mit Papieren und Schreibgerät bedeckt war.
Mr. Shelby war dabei, ein Bündel Banknoten zu zählen, die er dem Händler zuschob, der sie gleichfalls zählte.
»In Ordnung«, sagte der Händler, »und nun noch die Unterschrift.«
Mr. Shelby griff hastig nach dem Kaufkontrakt und unterschrieb ihn wie ein Mann, der rasch ein lästiges Geschäft erledigt. Zusammen mit dem Gelde schob er ihn zurück. Haley brachte nun aus seiner abgeschabten Brieftasche ein Pergament zum Vorschein, das er einen Augenblick überprüfte und dann Mr. Shelby aushändigte, der mit heimlichem Eifer danach griff.
»Damit ist die Sache aus der Welt geschafft«, sagte der Händler und stand auf.
»Scheint mir, daß es Sie wenig freut«, bemerkte der Händler.
»Haley«, sagte Mr. Shelby, »ich hoffe sehr, Sie werden Ihr Versprechen nicht vergessen, daß Sie auf Ehre Tom nicht in unbekannte Verhältnisse verkaufen wollen.«
»Das haben Sie aber soeben getan«, erwiderte der Händler.
»Sie wissen sehr wohl, daß die Umstände mich gezwungen haben«, antwortete Shelby hochmütig.
»Das könnte auch bei mir der Fall sein«, sagte der Händler. »Jedenfalls werde ich mein Bestes tun, um Tom eine gute Stelle zu verschaffen. Wegen meiner Behandlung machen Sie sich keine Sorgen. Ich danke dem Himmel, daß Grausamkeit nicht zu meinen Fehlern gehört.«
Die früheren Ausführungen des Händlers über seine humanen Prinzipien waren nicht dazu angetan gewesen, Mr. Shelby besonders zu beruhigen, freilich waren sie in diesem Fall der einzige Trost; so entließ er den Händler stillschweigend und widmete sich nachdenklich einer Zigarre.