39600.fb2 Shades of Grey - Geheimes Verlangen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 20

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SIEBZEHN

Die Kerzenflamme ist heiß. Sie flackert und tanzt in der viel zu warmen Brise, die keinerlei Kühlung bringt. Hauchzarte Flügel flattern in der Dunkelheit umher, winzige Staubteilchen tanzen im hellen Kreis des Kerzenscheins. Ich kämpfe dagegen an, doch der Sog ist zu stark. Mit einem Mal ist es gleißend hell, und ich fliege geradewegs in die Sonne hinein, geblendet vom Licht, schmelzend in der Hitze, erschöpft von meinem verzweifelten Kampf, in der Luft zu bleiben. Mir ist so heiß. Die Hitze … sie droht mich zu ersticken, mich zu verschlingen. Sie reißt mich aus dem Schlaf.

Ich schlage die Augen auf. Und bin eingehüllt in Christian Grey, der sich wie eine Siegesfahne um mich geschlungen hat. Er schläft tief und fest. Sein Kopf ruht auf meiner Brust, sein Arm umschlingt mich und hält mich fest, ein Bein liegt quer über meinen Schenkeln, so dass ich mich nicht bewegen kann. Er erstickt mich mit der Wärme seines Körpers und mit seinem Gewicht.

Draußen ist es bereits hell. Es ist Morgen. Und ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass er die ganze Nacht bei mir war.

Ich habe einen Arm ausgestreckt, zweifellos ein Versuch, eine kühle Stelle zu finden. Ein Gedanke schiebt sich in mein Bewusstsein: Er liegt neben mir und schläft, also kann ich ihn berühren. Vorsichtig hebe ich die Hand und streiche mit den Fingerspitzen über seinen Rücken. Ein leises, gequältes Stöhnen dringt aus den Tiefen seiner Kehle, während er sich regt und mit einem tiefen Atemzug aufwacht. Verschlafen öffnet er die Augen und sieht mich an – graue Augen unter einem dichten Schopf zerzauster Haare.

»Guten Morgen«, grummelt er und runzelt die Stirn. »Gütiger Himmel, selbst im Schlaf fühle ich mich noch zu dir hingezogen.« Langsam löst er sich von mir und kommt vollends zu sich. Ich spüre seine Erektion an meiner Hüfte. Beim Anblick meiner weit aufgerissenen Augen verzieht er das Gesicht zu einem langsamen sexy Lächeln.

»Hm … hier ergeben sich ja ungeahnte Möglichkeiten, aber ich finde, wir sollten trotzdem bis Sonntag warten.« Er stupst zärtlich mit der Nase an mein Ohr.

Ich werde rot und spüre eine neuerliche Woge der Hitze, die mich überkommt. »Du bist so heiß.«

»Du bist auch nicht zu verachten«, gibt er zurück und reibt sich anzüglich an mir.

Meine Gesichtsfarbe nimmt einen noch tieferen Rotton an. Das habe ich damit nicht gemeint. Er stützt sich auf einen Ellbogen und mustert mich amüsiert, dann beugt er sich vor und küsst mich zu meiner Verblüffung mitten auf den Mund.

»Gut geschlafen?«, fragt er.

Ich nicke, während mir bewusst wird, dass ich tatsächlich gut geschlafen habe; bis auf die letzte halbe Stunde, als die Hitze unerträglich wurde.

»Ich auch.« Er runzelt die Stirn. »Sogar sehr gut«, fügt er hinzu und hebt erstaunt die Brauen. »Wie spät ist es?«

Ich sehe auf den Wecker.

»Halb acht.«

»Halb acht … Scheiße.« Er springt aus dem Bett und in seine Jeans.

Nun bin ich diejenige, die amüsiert ist. Ich setze mich auf. Christian Grey ist in Hektik, weil es schon so spät ist. Das habe ich ja noch nie erlebt. Erst jetzt merke ich, dass mein Hintern nicht mehr wehtut.

»Du hast einen schlechten Einfluss auf mich. Ich habe ein Meeting und muss dringend los. Ich muss um acht in Portland sein. Lachst du mich etwa aus?«

»Ja.«

Er grinst. »Ich bin spät dran. Normalerweise passiert mir das nie. Noch eine Premiere, Miss Steele.« Er zieht sein Jackett über, beugt sich herunter und legt die Hände um mein Gesicht.

»Sonntag«, sagt er, und ich höre die unausgesprochene Verheißung, die darin mitschwingt. Jede Faser meines Körpers vibriert vor Erregung – ein unbeschreibliches Gefühl.

Wäre mein Verstand doch nur auch so bereitwillig und schnell wie mein Körper. Noch einmal beugt er sich vor und küsst mich flüchtig, dann sammelt er seine Sachen vom Nachttisch ein und nimmt seine Schuhe, zieht sie jedoch nicht an.

»Taylor kommt später vorbei und kümmert sich um den Käfer. Ich habe es ernst gemeint. Lass ihn stehen. Wir sehen uns am Sonntag bei mir. Ich melde mich per Mail.« Und damit fegt er wie ein Wirbelwind aus dem Zimmer.

Christian Grey hat die Nacht in meinem Bett verbracht, und ich fühle mich gut und ausgeruht. Kein Sex, nur Kuscheln. Er hat mir erzählt, er habe vorher noch nie mit einer Frau im selben Bett geschlafen – außer mit mir. Grinsend stehe ich auf, erfüllt von einem Optimismus, den ich gestern definitiv noch nicht empfunden habe. Ich gehe in die Küche, um mir eine Tasse Tee zu kochen.

Nach dem Frühstück gehe ich unter die Dusche und mache mich für meinen letzten Tag bei Clayton’s fertig – bald heißt es Abschied nehmen von Mr. und Mrs. Clayton, der WSU, Vancouver, meinem Apartment und meinem Käfer. Ich werfe einen Blick auf die Uhr im Computer. Es ist 07:52 Uhr, ich habe also noch ein bisschen Zeit.

Von: Anastasia Steele

Betreff: Tätlicher Angriff und Körperverletzung

Datum: 27. Mai 2011, 08:05 Uhr

An: Christian Grey

Sehr geehrter Mr. Grey,

Sie wollten wissen, wieso ich so durcheinander war, nachdem Sie mich – welchen Euphemismus sollten wir dafür verwenden? – versohlt, bestraft, geschlagen, misshandelt haben. Nun, während der gesamten beunruhigenden Prozedur habe ich mich erniedrigt, gedemütigt und misshandelt gefühlt. Und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass Sie Recht haben – es hat mich erregt, worauf ich definitiv nicht vorbereitet war. Wie Ihnen ja bewusst ist, bin ich in puncto Sexualität noch sehr unbedarft und wünschte, ich würde ein wenig mehr Erfahrung mitbringen, so dass es mich nicht ganz aus heiterem Himmel getroffen hätte. Dass mich diese Situation erregt hat, war ein echter Schock für mich.

Am meisten setzt mir jedoch zu, wie ich mich danach gefühlt habe, was noch viel schwieriger zu beschreiben ist. Ich war glücklich, weil Sie glücklich waren. Ich war erleichtert, dass es nicht ganz so schmerzhaft war, wie ich gedacht hatte. Und als ich in Ihren Armen lag, habe ich so etwas wie … Befriedigung empfunden. Aber genau das macht mir zu schaffen, und ich habe sogar ein schlechtes Gewissen deswegen. Es passt so gar nicht zu mir, deshalb bin ich verwirrt. Beantwortet das Ihre Frage?

Ich hoffe, die Geschäftswelt zeigt sich in gewohnt stimulierender Art und Weise … und dass Sie nicht zu spät zu Ihrem Meeting gekommen sind.

Danke fürs Hierbleiben

Ana

Von: Christian Grey

Betreff: Keine falschen Gewissensbisse

Datum: 27. Mai 2011, 08:24 Uhr

An: Anastasia Steele

Ein interessanter, wenn auch leicht übertriebener Betreff, Miss Steele.

Um Ihre Fragen zu beantworten: Ich entscheide mich für »Versohlen«  – denn genau das war es.

Sie schreiben, Sie hätten sich gedemütigt, erniedrigt und misshandelt gefühlt – Tess Durbeyfield lässt grüßen. Wenn ich mich recht entsinne, waren Sie diejenige, die sich diese Erniedrigung ausgesucht hat. Empfinden Sie tatsächlich so, oder glauben Sie nur, dass Sie so empfinden sollten? Das sind zwei grundverschiedene Dinge. Wenn Sie tatsächlich so empfinden, könnten Sie vielleicht versuchen, diese Regungen zu akzeptieren, sich mit ihnen zu arrangieren? Für mich? Genau das würde eine Sub nämlich tun.

Außerdem bin ich dankbar für Ihre Unerfahrenheit, schätze sie und beginne erst jetzt, allmählich ihre Bedeutung zu begreifen. Mit einfachen Worten – es bedeutet, dass Sie in jeder Hinsicht mir gehören.

Ja, Sie waren erregt, was wiederum für mich sehr erregend war. Das ist nichts Schlimmes.

Und glücklich trifft es nicht einmal annähernd. Ich würde es eher als ekstatisch bezeichnen.

Eine Tracht Prügel im Zuge einer Bestrafung ist wesentlich schmerzhafter als eine erotische. Schlimmer wird es nicht mehr werden, es sei denn, natürlich, Sie machen sich eines groben Verstoßes schuldig. In diesem Fall würde ich ein Züchtigungsmittel zu Hilfe nehmen. Meine Hand hat sehr gebrannt. Aber ich mag das.

Auch ich habe große Befriedigung empfunden. Mehr, als Sie ahnen.

Verschwenden Sie Ihre Energie nicht auf Regungen wie Gewissensbisse oder das Gefühl, etwas Falsches zu tun. Wir sind Erwachsene, die einvernehmlich eine Vereinbarung getroffen haben, und was wir hinter geschlossenen Türen tun, ist allein unsere Sache. Werfen Sie Ihre Gewissensbisse über Bord und hören Sie auf Ihren Körper.

Die Welt der großen Geschäfte ist nicht einmal annähernd so stimulierend wie Sie, Miss Steele.

CHRISTIAN GREY

CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.

In jeder Hinsicht mein … Junge, Junge. Mir bleibt die Spucke weg.

Von: Anastasia Steele

Betreff: Einvernehmliche Erwachsene!

Datum: 27. Mai 2011, 08:26 Uhr

An: Christian Grey

Sollten Sie nicht in einem Meeting sein?

Es freut mich sehr zu hören, dass Ihre Hand gebrannt hat.

Würde ich auf meinen Körper hören, wäre ich inzwischen schon in Alaska.

Ana

PS: Über Ihren Vorschlag, diese Regungen zu akzeptieren, werde ich in Ruhe nachdenken.

Von: Christian Grey

Betreff: Sie haben schließlich nicht die Polizei gerufen

Datum: 27. Mai 2011, 08:35 Uhr

An: Anastasia Steele

Miss Steele,

ich sitze tatsächlich mitten in einem Meeting über künftige Märkte, falls es Sie interessieren sollte.

Nur fürs Protokoll, darf ich Sie daran erinnern, dass Sie neben mir gestanden haben und genau wussten, was auf Sie zukommt.

Sie haben mich zu keinem Zeitpunkt gebeten, damit aufzuhören  – Sie haben keines der Safewords benutzt.

Sie sind eine erwachsene Frau und haben jederzeit die Möglichkeit, Nein zu sagen.

Offen gestanden, freue ich mich schon auf das nächste Mal, wenn meine Handfläche vor Schmerz glüht.

Und offensichtlich hören Sie nicht auf den richtigen Teil Ihres Körpers. In Alaska ist es sehr kalt, deshalb ist es kein idealer Ort für eine Flucht. Ich würde Sie finden. Schließlich kann ich Ihr Handy orten, schon vergessen?

Und jetzt gehen Sie zur Arbeit.

CHRISTIAN GREY

CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.

Mit gerunzelter Stirn starre ich auf den Bildschirm. Natürlich hat er vollkommen Recht. Ich habe die Wahl. Hm. Meint er es ernst, dass er mich suchen würde? Sollte ich vielleicht für eine Weile abtauchen? Für einen kurzen Moment kommt mir das Angebot meiner Mutter wieder in den Sinn.

Von: Anastasia Steele

Betreff: Stalker

Datum: 27. Mai 2011, 08:36 Uhr

An: Christian Grey

Sind Sie wegen Ihrer Stalker-Neigungen in Therapie?

Ana

Von: Christian Grey

Betreff: Stalker? Ich?

Datum: 27. Mai 2011, 08:38 Uhr

An: Anastasia Steele

Ich bezahle dem ehrenwerten Dr. Flynn ein kleines Vermögen für die Behandlung meiner Stalker- und sonstigen Neigungen. Und jetzt machen Sie, dass Sie zur Arbeit kommen.

CHRISTIAN GREY

CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.

Von: Anastasia Steele

Betreff: Teure Scharlatane

Datum: 27. Mai 2011, 08:40 Uhr

An: Christian Grey

Dürfte ich in aller Bescheidenheit vorschlagen, sich eine zweite Meinung einzuholen?

Ich bin nicht sicher, ob Dr. Flynn durchschlagende Erfolge verbuchen kann.

Miss Steele

Von: Christian Grey

Betreff: Zweite Meinung

Datum: 27. Mai 2011, 08:43 Uhr

An: Anastasia Steele

Es geht Sie zwar nichts an, Bescheidenheit hin oder her, aber Dr. Flynn ist die zweite Meinung.

Wenn Sie so weitermachen, werden Sie trotz Ihres neuen Wagens rasen müssen und setzen sich damit einem unnötigen Risiko aus – ich glaube, das verstößt gegen unsere Regeln.

LOS, ZUR ARBEIT.

CHRISTIAN GREY

CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.

Von: Anastasia Steele

Betreff: BEFEHLE IN GROSSBUCHSTABEN

Datum: 27. Mai 2011, 08:47 Uhr

An: Christian Grey

Als Objekt Ihrer Stalker-Neigungen geht mich das sehr wohl etwas an, finde ich.

Noch habe ich nicht unterschrieben. Deshalb: Regel, Segel, Schornsteinflegel. Außerdem fange ich erst um halb zehn an.

Miss Steele

Von: Christian Grey

Betreff: Deskriptive Linguistik

Datum: 27. Mai 2011, 08:49 Uhr

An: Anastasia Steele

Schornsteinflegel? Ich glaube nicht, dass dieses Wort tatsächlich existiert.

CHRISTIAN GREY

CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.

Von: Anastasia Steele

Betreff: Deskriptive Linguistik

Datum: 27. Mai 2011, 08:52 Uhr

An: Christian Grey

Irgendwas zwischen Kontrollfreak und Stalker, würde ich sagen. Und deskriptive Linguistik ist eindeutig ein Hard Limit für mich. Hören Sie jetzt endlich auf, mir auf die Nerven zu gehen?

Ich würde sehr gern mit meinem neuen Wagen zur Arbeit fahren.

Ana

Von: Christian Grey

Betreff: Anstrengende, aber amüsante junge Frauen

Datum: 27. Mai 2011, 08:56 Uhr

An: Anastasia Steele

Meine Hand juckt bereits.

Fahren Sie vorsichtig, Miss Steele.

CHRISTIAN GREY

CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.

Es macht einen Heidenspaß, den Audi zu fahren. Er hat Servolenkung. Wanda kann mit so etwas natürlich nicht aufwarten, deshalb bedeutet ihr Verlust automatisch das Ende meines Sportprogramms. Oh, dafür steht mir laut Vertrag ab sofort ein Personal Trainer zur Verfügung. Ich runzle die Stirn. Ich hasse Sport.

Auf dem Weg zur Arbeit versuche ich, unsere Mail-Unterhaltung zu analysieren. Christian kann ein echter Hurensohn sein, der alles besser weiß. Doch dann muss ich an Grace denken und bekomme ein schlechtes Gewissen. Aber sie ist schließlich nicht seine leibliche Mutter. Hm. Durchaus möglich, dass sich unter seiner souveränen Fassade ein wahres Meer an Schmerz verbirgt. Tja, in diesem Fall ist besserwisserischer Hurensohn also doch zutreffend. Ja, genau. Ich bin erwachsen. Danke, dass Sie mich nochmal daran erinnern, Mr. Grey, und, ja, es ist meine freie Entscheidung. Das einzige Problem ist allerdings, dass ich nur Christian will und nicht seinen ganzen … Ballast, den er im Gepäck hat. Aber jetzt stellt sich heraus, dass er so viel davon mit sich herumschleppt, dass man eine 747-Frachtmaschine dafür brauchen würde. Kann ich mich nicht einfach zurücklehnen und es akzeptieren? Wie es sich für eine anständige Sub gehört? Ich habe versprochen, es zu versuchen. Aber es ist sehr viel verlangt.

Ich biege auf den Parkplatz und gehe in den Baumarkt. Ich kann kaum glauben, dass heute mein letzter Tag ist. Zum Glück ist viel los, deshalb vergeht die Zeit wie im Flug. Um die Mittagszeit ruft Mr. Clayton mich aus dem Lager. Neben ihm steht ein Motorradkurier.

»Miss Steele?«, erkundigt er sich.

Fragend sehe ich Mr. Clayton an, der genauso verwirrt zu sein scheint wie ich und ratlos mit den Schultern zuckt. Mir rutscht das Herz in die Hose. Was kriege ich nun schon wieder? Ich unterschreibe, nehme das Päckchen entgegen und mache es auf. Einen BlackBerry. Mein Herz rutscht noch eine Etage tiefer. Ich schalte ihn ein.

Von: Christian Grey

Betreff: BlackBerry GELIEHEN

Datum: 27. Mai 2011, 11:15 Uhr

An: Anastasia Steele

Ich muss jederzeit Kontakt mit Ihnen aufnehmen können, und da wir offenbar in schriftlicher Form am aufrichtigsten miteinander kommunizieren können, dachte ich, ein BlackBerry wäre vielleicht genau das Richtige.

CHRISTIAN GREY

CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.

Von: Anastasia Steele

Betreff: Konsumverhalten außer Rand und Band

Datum: 27. Mai 2011, 13:22 Uhr

An: Christian Grey

Wenn Sie mich fragen, sollten Sie sofort Dr. Flynn anrufen.

Ihre Stalker-Neigungen gehen endgültig mit Ihnen durch. Sobald ich von der Arbeit wieder zuhause bin, melde ich mich per Mail.

Danke für das zweite technische Spielzeug.

Ich habe nicht gelogen, als ich gesagt habe, Sie wären der ideale Verbraucher. Wieso tun Sie das?

Ana

Von: Christian Grey

Betreff: Noch so jung und schon so scharfsinnig

Datum: 27. Mai 2011, 13:24 Uhr

An: Anastasia Steele

Ein stichhaltiges Argument, Miss Steele.

Dr. Flynn ist im Urlaub.

Und ich tue es, weil ich es kann.

CHRISTIAN GREY

CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.

Ich lasse das Ding in meiner Gesäßtasche verschwinden und hasse es jetzt schon. Ich bin süchtig danach, Christian Mails zu schreiben, dabei sollte ich doch arbeiten. Ich spüre es an meiner Gesäßbacke vibrieren … Wie passend, denke ich ironisch, lasse es jedoch unter Aufbietung all meiner Willenskraft stecken.

Um vier trommeln Mr. und Mrs. Clayton die gesamte Belegschaft zusammen und überreichen mir nach einer oberpeinlichen Ansprache einen Scheck über dreihundert Dollar. In diesem Moment bricht alles über mich herein, was in den letzten drei Wochen passiert ist: die Abschlussprüfungen, die Feier, ein komplett abgefuckter Milliardär, den ich nicht mehr aus dem Kopf kriege, meine Entjungferung, Soft Limits, Hard Limits, Spielzimmer ohne dazugehörige Konsolen, Hubschrauberflüge und die Tatsache, dass ich morgen umziehen werde. Es grenzt an ein Wunder, dass ich nicht komplett zusammenbreche. Mein Unterbewusstsein ist fassungslos vor Staunen. Ich umarme die Claytons ein letztes Mal. Sie waren sehr nett und großzügig. Ich werde sie vermissen.

Gerade als ich vor der Haustür vorfahre, steigt Kate aus ihrem Wagen.

»Was ist das denn?«, fragt sie vorwurfsvoll und zeigt auf den Audi.

Ich kann nicht widerstehen. »Ein Auto«, antworte ich. Ihre Augen verengen sich zu Schlitzen. Für den Bruchteil einer Sekunde habe ich Angst, dass auch sie mich gleich übers Knie legen wird.

»Mein Geschenk zum Abschluss«, füge ich so lässig hinzu, wie ich nur kann, nach dem Motto: Ich weiß gar nicht, was du hast, ich kriege doch jeden Tag ein teures Auto geschenkt.

Ihr fällt die Kinnlade herunter. »Also ein großzügiger Drecksack, der es gern mal ein bisschen übertreibt, ja?«

Ich nicke. »Ich habe ja versucht abzulehnen, aber ehrlich gesagt, ist es den Streit nicht wert.«

Kate schürzt die Lippen. »Kein Wunder, dass du völlig durch den Wind bist. Ich habe mitbekommen, dass er über Nacht geblieben ist.«

»Ja.« Ich lächle sehnsüchtig.

»Wollen wir vollends packen?«

Ich nicke und folge ihr ins Haus. Als Erstes checke ich meine Mails.

Von: Christian Grey

Betreff: Sonntag

Datum: 27. Mai 2011, 13:40 Uhr

An: Anastasia Steele

Sonntag um 13:00 Uhr?

Der Arzt kommt um 13:30 Uhr ins Escala.

Ich mache mich jetzt auf den Weg nach Seattle.

Ich hoffe, der Umzug geht reibungslos über die Bühne, und freue mich schon auf Sonntag.

CHRISTIAN GREY

CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.

Liebe Güte, er klingt ja so, als würde er übers Wetter schreiben. Ich werde ihm später antworten, wenn wir mit dem Packen fertig sind. In der einen Sekunde ist er noch ganz locker, und in der nächsten hat man das Gefühl, als hätte er einen Stock verschluckt. Das macht den Umgang mit ihm nicht gerade leicht. Ganz ehrlich, die Mail klingt, als wäre sie an einen seiner Angestellten gerichtet. Aus Trotz verdrehe ich die Augen und gehe ins Wohnzimmer, um Kate zu helfen.

Kate und ich sind in der Küche, als es an der Tür klopft. Taylor steht, hochoffiziell in seinem makellosen Anzug, auf der Veranda. Ich erkenne die letzten Spuren des Exsoldaten in seinem Haarschnitt, seinem durchtrainierten Körper und seiner Coolness.

»Miss Steele«, sagt er, »ich bin wegen Ihres Wagens hier.«

»Ja, natürlich. Bitte kommen Sie doch herein, ich hole nur die Schlüssel.«

Sich um mein Auto zu kümmern ist ganz bestimmt nicht Teil seines normalen Aufgabengebiets. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, wie seine Jobbeschreibung wohl aussieht. Ich gebe ihm die Schlüssel, dann gehen wir in – zumindest für mich – angespanntem Schweigen die Einfahrt hinunter zu meinem hellblauen Käfer. Ich öffne die Tür und nehme die Taschenlampe aus dem Handschuhfach. Das war’s. Außer ihr habe ich nichts Persönliches hier drin liegen. Auf Wiedersehen, Wanda. Und vielen Dank für alles. Ich streiche ein letztes Mal übers Wagendach, als ich die Beifahrertür zuschlage.

»Wie lange arbeiten Sie schon für Mr. Grey?«, frage ich ihn.

»Seit vier Jahren, Miss Steele.«

Plötzlich überkommt mich das überwältigende Bedürfnis, ihn mit tausend Fragen zu bombardieren. Dieser Mann muss doch alles über Christian wissen, all seine Geheimnisse kennen. Andererseits hat er garantiert eine Verschwiegenheitsklausel im Vertrag. Nervös sehe ich ihn an. Er ist genauso einsilbig wie Ray, was ihn mir noch sympathischer macht.

»Er ist ein guter Mann, Miss Steele«, erwidert er und lächelt. Mit einem angedeuteten Nicken steigt er ein und fährt davon.

Apartment, Käfer, Clayton’s … alles endgültig Vergangenheit. Ich schüttle den Kopf und gehe wieder hinein. Und die allergrößte Veränderung in meinem Leben ist Christian. Taylor hält ihn für einen guten Mann. Kann ich ihm wirklich glauben?

Um acht taucht José auf und bringt etwas vom Chinesen mit. Wir sind fertig. Alles ist gepackt und bereit für den Abtransport. Er hat auch ein paar Flaschen Bier dabei. Kate und ich fläzen auf der Couch, während er sich im Schneidersitz auf dem Boden zwischen uns niederlässt. Wir sehen uns irgendeinen Blödsinn im Fernsehen an, trinken Bier und schwelgen lautstark in Erinnerungen an alte Zeiten, während das Bier allmählich Wirkung zeigt. Es waren schöne vier Jahre.

Inzwischen ist die Stimmung zwischen José und mir wieder normal und der Versuch, mich zu küssen, längst vergessen. Also gut, meine innere Göttin hat ihn unter den Teppich gekehrt, auf den sie sich drapiert hat, Weintrauben nascht und mit den Fingern trommelt, weil sie es kaum erwarten kann, bis endlich Sonntag ist. Wieder klopft es. Mir rutscht das Herz in die Hose. Ist das etwa …?

Kate öffnet die Tür. Elliot stürmt herein, zieht sie in eine hollywoodreife Umarmung, die Augenblicke später in eine leidenschaftliche Programmkino-Streichelarie übergeht. Also ehrlich, Leute, sucht euch gefälligst ein Zimmer. José und ich tauschen einen viel sagenden Blick. Ihr Mangel an Anstand macht mich verlegen.

»Gehen wir auf einen Sprung in die Bar die Straße runter?«, schlage ich vor.

José nickt eifrig. Der Begattungsakt, der sich vor unseren Augen anzubahnen scheint, ist oberpeinlich. Kate löst sich für einen kurzen Moment von Elliot. Ihre Augen leuchten, und auf ihren Wangen liegt eine zarte Röte.

»José und ich gehen kurz etwas trinken«, sage ich und verdrehe die Augen. Ha! In meiner Freizeit kann ich die Augen so oft verdrehen, wie ich will!

»Okay.« Sie grinst.

»Hi, Elliot. Bye, Elliot.«

Er zwinkert mir zu, während José und ich kichernd wie zwei Teenager aus dem Apartment flüchten.

Auf dem Weg zur Bar hake ich mich bei ihm unter. José ist so wunderbar unkompliziert – aber das wird mir erst jetzt so richtig bewusst.

»Ihr beide kommt doch aber trotzdem zu meiner Vernissage, oder?«

»Natürlich, José. Wann ist sie denn?«

»Am 9. Juni.«

»Was für ein Tag ist das?« Plötzlich kriege ich Panik.

»Ein Donnerstag.«

»Ja, das sollte klappen. Und kommst du uns in Seattle besuchen?«

»Versuch mal, mich davon abzuhalten.« Er grinst.

Es ist schon spät, als wir aus der Bar zurückkehren. Von Kate und Elliot ist nichts zu sehen, wohl aber zu hören. Mist. Ich kann nur hoffen, dass ich nicht so laut bin. Christian macht jedenfalls nicht so viel Lärm, das weiß ich sicher. Bei dem Gedanken werde ich rot. Nach einer flüchtigen, zum Glück keineswegs peinlichen Umarmung macht José sich auf den Heimweg, und ich flüchte in mein Zimmer. Ich habe keine Ahnung, wann ich ihn wiedersehen werde, wahrscheinlich erst bei seiner Vernissage. Nicht zum ersten Mal bin ich völlig von den Socken, dass er endlich eine eigene Ausstellung bekommen hat. Ich werde ihn und seinen jungenhaften Charme vermissen. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihm von Wanda und ihrem Schicksal zu erzählen, weil ich genau weiß, dass er ausflippen würde. Aber zwei Männer, die im Dreieck springen, halte ich nicht aus. Ich fahre den Laptop hoch, wo mich – natürlich – eine Mail von Christian erwartet.

Von: Christian Grey

Betreff: Wo steckst du?

Datum: 27. Mai 2011, 22:14 Uhr

An: Anastasia Steele

Sobald ich von der Arbeit zuhause bin, melde ich mich per Mail. Arbeitest du immer noch oder hast du aus Versehen dein Telefon, den BlackBerry und den Laptop eingepackt?

Ruf mich an, sonst sehe ich mich gezwungen, Elliot einzuschalten.

CHRISTIAN GREY

CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.

Mist … José … Scheiße.

Ich schnappe das Telefon. Fünf Anrufe in Abwesenheit und eine Nachricht auf der Voicemail. Zögernd rufe ich sie ab. Sie stammt von Christian.

»Du musst wohl erst noch lernen, meinen Erwartungen gerecht zu werden. Geduld gehört nicht zu meinen Stärken. Wenn du sagst, du meldest dich nach der Arbeit, solltest du den Anstand besitzen, es auch zu tun. Sonst mache ich mir nur Sorgen, und das ist eine Regung, die mir fremd ist und mit der ich auch nicht gut umgehen kann. Ruf mich an.«

Scheiße. Hört der Typ denn nie auf? Er erdrückt mich förmlich. Die Furcht liegt wie ein Stein in meinem Magen, als ich seine Nummer wähle. Beklommen warte ich darauf, dass er abhebt. Wahrscheinlich wird er mich zur Strafe windelweich prügeln. Ein deprimierender Gedanke.

»Hi«, meldet er sich leise.

Ich falle fast vom Stuhl. Ich hatte damit gerechnet, dass er stinkwütend sein würde, doch seinem Tonfall nach zu urteilen, ist er höchstens erleichtert.

»Hi«, murmle ich.

»Ich habe mir Sorgen gemacht.«

»Ich weiß. Es tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe, aber es ist alles in Ordnung.«

Einen Moment lang herrscht Stille.

»Hattest du einen schönen Abend?«, erkundigt er sich mit knapper, vollendeter Höflichkeit.

»Ja. Wir haben alles fertig gepackt. José war hier und hat Kate und mir etwas vom Chinesen mitgebracht.« Als ich Josés Namen ausspreche, kneife ich die Augen fest zusammen, aber Christian schweigt.

»Und bei dir?«, frage ich, um die plötzlich ohrenbetäubende Stille zu durchbrechen. Ich werde mir von ihm kein schlechtes Gewissen wegen José machen lassen.

Schließlich seufzt er. »Ich war bei einem Wohltätigkeitsessen. Es war total langweilig, deshalb bin ich so schnell wie möglich verschwunden.«

Er klingt so traurig und resigniert, dass mir das Herz blutet. Ich sehe ihn vor mir, wie er an jenem Abend am Klavier mitten in seinem Tanzsaal von Wohnzimmer saß, und höre die unsagbar bittersüße Melancholie der Musik, die er gespielt hat.

»Ich wünschte, du wärst hier«, flüstere ich, weil mich plötzlich das Bedürfnis überkommt, ihn in den Armen zu halten, alles zu tun, damit es ihm wieder besser geht. Obwohl er es niemals zulassen würde. Ich sehne mich nach seiner Nähe.

»Tatsächlich?«, murmelt er höflich.

Oje. Das klingt ganz und gar nicht nach ihm. Beim Gedanken daran, was mich erwartet, beginnt meine Kopfhaut zu prickeln. »Ja«, hauche ich.

Nach einer scheinbaren Ewigkeit stößt er einen Seufzer aus. »Wir sehen uns am Sonntag.«

»Ja. Am Sonntag«, erwidere ich und spüre, wie mich die Vorfreude durchströmt.

»Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Sir.«

Mit dieser Anrede hat er offenbar nicht gerechnet, denn ich höre ihn am anderen Ende der Leitung scharf den Atem einsaugen.

»Viel Glück morgen beim Umzug, Anastasia.« Seine Stimme ist butterweich. Und beide weigern wir uns aufzulegen, wie zwei alberne Teenager.

»Leg auf«, flüstere ich. Endlich spüre ich sein Lächeln durch die Leitung.

»Nein, du.« Ich weiß, dass er grinst.

»Ich will aber nicht.«

»Ich auch nicht.«

»Warst du sehr wütend auf mich?«

»Ja.«

»Und bist du’s jetzt auch noch?«

»Nein.«

»Also wirst du mich nicht bestrafen?«

»Nein. Ich bin eher der spontane Typ.«

»Das ist mir auch schon aufgefallen.«

»Sie können jetzt auflegen, Miss Steele.«

»Soll ich das wirklich, Sir?«

»Marsch ins Bett, Anastasia.«

»Ja, Sir.«

Keiner von uns legt auf.

»Schaffst du es irgendwann, zu tun, was man dir sagt, was meinst du?« Er ist belustigt und verärgert zugleich.

»Vielleicht. Warten wir erst mal den Sonntag ab.« Und damit drücke ich die rote Taste.

Elliot richtet sich auf und begutachtet staunend sein Werk. Er hat soeben den Fernseher in unserer neuen Wohnung am Pike Place Market ans Kabelsystem angeschlossen. Kate und ich lassen uns kichernd aufs Sofa fallen. Wir sind beide schwer beeindruckt von seinen Fähigkeiten im Umgang mit der Bohrmaschine. Der Flachbildschirm macht sich zwar nicht besonders gut vor der Ziegelwand des umgebauten Lagerhauses, aber ich werde mich schon daran gewöhnen.

»Siehst du, Baby, das reinste Kinderspiel.« Er schenkt Kate ein Strahlelächeln, das von einem Ohr zum anderen reicht, woraufhin sie förmlich zerfließt.

Ich verdrehe nur die Augen.

»Ich würde ja wahnsinnig gern hierbleiben, Baby, aber meine Schwester ist gerade aus Paris zurückgekommen, und für heute ist ein Familienabendessen angesagt. Mit Anwesenheitspflicht für alle.«

»Kannst du nicht danach noch einmal vorbeikommen?«, säuselt Kate mit einer Zaghaftigkeit, die ich noch nie an ihr beobachtet habe.

Ich stehe auf und gehe in die Küche, wo ich so tue, als würde ich Kartons auspacken – ich ahne, dass es gleich kitschig werden wird.

»Vielleicht kann ich mich ja loseisen«, antwortet Elliot.

»Ich bringe dich noch runter«, sagt Kate und lächelt.

»Bis dann, Ana.« Elliot grinst.

»Bis dann, Elliot. Und richte Christian schöne Grüße aus.«

»Nur schöne Grüße?«, fragt er und hebt viel sagend die Brauen.

»Ja.« Ich erröte.

Er zwinkert mir zu, so dass ich vollends rot anlaufe, und folgt Kate nach draußen.

Elliot ist ein echter Schatz und ganz anders als Christian – warmherzig, offen und sehr (für meine Begriffe zu) anhänglich, wenn Kate in der Nähe ist. Die beiden können kaum die Finger voneinander lassen, was zwar peinlich ist, mich gleichzeitig aber grün vor Neid werden lässt.

Zwanzig Minuten später kommt Kate mit einer Pizza zurück, die wir, umgeben von Kisten und Kartons, in unserer neuen offenen Küche direkt aus der Schachtel verputzen. Das Apartment ist nicht sonderlich groß, bietet aber mit drei Schlafzimmern und einem großen Wohnbereich mit Blick auf den Pike Place Market ausreichend Platz. Es ist mit Massivholzböden und Ziegelwänden ausgestattet, die Arbeitsplatte besteht aus poliertem Beton – alles sehr zweckmäßig und topmodern. Und das Beste daran ist, dass es mitten im Herzen der Stadt liegt.

Um acht Uhr läutet es an der Gegensprechanlage. Kate springt auf, und mir rutscht das Herz in die Hose.

»Eine Lieferung für Miss Steele und Miss Kavanagh.«

Eine Woge der Enttäuschung durchströmt mich. Es ist nicht Christian.

»Zweiter Stock, Apartment zwei.«

Kate macht dem Boten die Tür auf. Als er sie sieht, in ihren knallengen Jeans, dem T-Shirt und ihrem locker aufgetürmten Haar, aus dem sich einzelne Strähnen gelöst haben, fällt ihm prompt die Kinnlade herunter. Das ist immer so bei ihr. Er hat eine Flasche Champagner mit einem Luftballon in Hubschrauberform in der Hand. Sie verabschiedet ihn mit einem strahlenden Lächeln und wendet sich mir zu, um vorzulesen, was auf der Karte steht.

Ladys,

viel Glück im neuen Zuhause.

Christian Grey

Kate schüttelt den Kopf. »Hätte er nicht einfach ›von Christian‹ schreiben können? Und was soll dieser Luftballon da?«

»Charlie Tango.«

»Was?«

»Christian hat mich in seinem Hubschrauber nach Seattle gebracht.«

Kate bleibt der Mund offen stehen. Ich muss zugeben, dass ich diese seltenen Momente – Katherine Kavanagh sprachlos – in vollen Zügen genieße. Eine köstliche Minute lang weide ich mich an ihrer Verblüffung.

»Ja, er hat einen eigenen Hubschrauber, den er sogar selbst fliegen kann«, füge ich stolz hinzu.

»Natürlich muss dieser unverschämt reiche Dreckskerl seinen eigenen Hubschrauber haben. Wieso hast du mir das nicht schon früher erzählt?«, fragt Kate vorwurfsvoll, aber lächelnd.

»Ich hatte in letzter Zeit so viele andere Dinge um die Ohren.«

Sie runzelt die Stirn. »Kommst du klar, solange ich weg bin?«

»Aber klar«, beruhige ich sie. Neue Stadt, neuer Job … durchgeknallter neuer Freund.

»Hast du ihm die Adresse gegeben?«

»Nein, aber Stalking ist eine seiner Spezialitäten«, antworte ich sachlich.

Kate sieht noch verdrossener drein. »Keine Ahnung, wieso, aber irgendwie überrascht mich das nicht. Der Typ ist unheimlich, Ana. Aber wenigstens ist der Champagner anständig und gekühlt noch dazu.«

Natürlich ist er das. Nur Christian würde eine gekühlte Flasche Champagner schicken oder seine Sekretärin darum bitten – oder Taylor. Wir machen sie sofort auf und kramen die Teetassen heraus, die ganz oben liegen, weil sie als Letztes verstaut wurden.

»Bollinger Grande Année Rosé 1999, ein hervorragender Tropfen.« Ich grinse Kate an, und wir prosten einander zu.

Nach einem erstaunlich erholsamen Schlaf werde ich am Sonntagmorgen sehr früh wach. Es herrscht trübes Wetter. Ich liege im Bett und lasse den Blick über die Umzugskartons schweifen. Eigentlich müsstest du dringend mit dem Auspacken anfangen, mahnt mein Unterbewusstsein und presst streng die Lippen aufeinander. Nein … heute ist der große Tag. Meine innere Göttin ist völlig aus dem Häuschen und hüpft vor Aufregung von einem Fuß auf den anderen. Die Vorahnung hängt wie eine gewaltige tropische Gewitterwolke über mir, schwer und unheilvoll. Eine ganze Horde Schmetterlinge flattert in meinem Magen umher, gleichzeitig spüre ich ein dunkles, lustvolles Ziehen im Unterleib, als ich mir ausmale, was er mit mir anstellen wird … Und natürlich werde ich heute diesen verdammten Vertrag unterschreiben müssen, oder? Das leise Ping verrät mir, dass eine weitere Mail eingegangen ist. Ich beuge mich über die Bettkante und hebe den Laptop hoch.

Von: Christian Grey

Betreff: Mein Leben in Zahlen

Datum: 29. Mai 2011, 08:04 Uhr

An: Anastasia Steele

Du wirst später den Zugangscode für die Tiefgarage des Escala brauchen: 146963.

Stell den Wagen in Parkbucht fünf – das ist eine von meinen.

Der Code für den Aufzug lautet 1880.

CHRISTIAN GREY

CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.

Von: Anastasia Steele

Betreff: Ein erstklassiger Jahrgang

Datum: 29. Mai 2011, 08:08 Uhr

An: Christian Grey

Verstanden, Sir.

Danke für den Champagner und den Charlie-Tango-Luftballon, der inzwischen an meinem Bettpfosten angebunden ist.

Ana

Von: Christian Grey

Betreff: Neid

Datum: 29. Mai 2011, 08:11 Uhr

An: Anastasia Steele

Gern geschehen.

Sei pünktlich.

Charlie Tango ist ein echter Glückspilz.

CHRISTIAN GREY

CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.

Ich verdrehe die Augen. Schon wieder dieser Befehlston. Doch als ich die letzten Worte lese, muss ich lächeln. Ich gehe ins Bad. Ob Elliot gestern Abend noch einmal zurückgekommen ist? Es fällt mir schwer, meine Nerven unter Kontrolle zu behalten.

Ich habe es geschafft, in High Heels den Audi zu fahren! Um exakt 12:55 Uhr biege ich in die Garage des Escala und stelle den Wagen in Parkbucht fünf ab. Wie viele Buchten gehören ihm eigentlich? Der Audi SUV und der R8 stehen da, außerdem zwei weitere, etwas kleinere Audi-Geländewagen … hm. Ich klappe den beleuchteten Kosmetikspiegel herunter, um nachzusehen, ob meine Wimperntusche auch nicht verlaufen ist. Diesen Luxus hatte mein Käfer natürlich nicht.

Go, girl! Meine innere Göttin hat offenbar die Cheerleaderin in sich entdeckt und schwenkt aufmunternd die Pompons. Ich trete in den Aufzug und betrachte prüfend mein pflaumenblaues Kleid – besser gesagt, Kates pflaumenblaues Kleid, das er mir am liebsten vom Leib gerissen hätte, als ich es das letzte Mal anhatte. Bei der Erinnerung spüre ich, wie sich mein Inneres zusammenzieht. Es ist ein herrliches Gefühl. Für einen Moment halte ich den Atem an. Ich trage die Dessous, die Taylor für mich gekauft hat – bei der Vorstellung, wie sich der ehemalige Soldat mit dem Bürstenhaarschnitt bei Agent Provocateur oder sonst wo durch die Ständer arbeitet, werde ich rot. Die Türen gleiten auf und geben den Blick auf den Flur vor Apartment Nummer eins frei.

Taylor empfängt mich, als ich aus dem Aufzug steige.

»Guten Tag, Miss Steele«, begrüßt er mich.

»Bitte nennen Sie mich doch Ana.«

»Ana.« Er lächelt. »Mr. Grey erwartet Sie bereits.«

Jede Wette.

Christian sitzt mit der Sonntagszeitung auf der Couch im Wohnzimmer und sieht kurz auf, als Taylor mich hereinführt. Der Raum sieht so aus, wie ich ihn in Erinnerung habe – es ist zwar erst eine Woche her, seit ich das letzte Mal hier war, trotzdem kommt es mir viel länger vor. Christian wirkt kühl und ruhig. Ehrlich gesagt, sieht er absolut göttlich aus. Er trägt Jeans, ein weites, weißes Leinenhemd und weder Socken noch Schuhe. Sein Haar ist zerzaust, und in seinen Augen liegt ein verschlagenes Funkeln. Er steht auf und schlendert auf mich zu. Um seine sinnlichen Lippen spielt ein amüsiertes, abschätzendes Lächeln.

Ich stehe reglos da, wie gelähmt von seiner Schönheit und der köstlichen Vorfreude auf das, was gleich passieren wird. Da ist es wieder – dieses magische Knistern zwischen uns, diese Anziehungskraft, die sich zuckend in meinem Unterleib bemerkbar macht.

»Hm … dieses Kleid«, begrüßt er mich anerkennend und sieht mich an. »Willkommen zurück, Miss Steele«, flüstert er, umfasst mein Kinn und küsst mich zärtlich auf den Mund.

Die Berührung seiner Lippen jagt einen Schauder durch meinen Körper. Mir stockt der Atem.

»Hi«, flüstere ich.

»Du bist pünktlich. Ich mag pünktliche Menschen. Komm.« Er nimmt meine Hand und führt mich zur Couch. »Ich muss dir etwas zeigen«, sagt er, während wir uns setzen. Er reicht mir die Seattle Times. Auf Seite 8 ist ein Foto von uns beiden bei der Graduierungszeremonie abgedruckt. Holla! Ich bin in der Zeitung. Ich lese die Bildunterschrift:

Christian Grey und Freundin bei der offiziellen Abschlussfeier

der WSU Vancouver.

Ich lache. »Dann bin ich jetzt also deine ›Freundin‹.«

»Sieht ganz so aus. Und wenn es in der Zeitung steht, muss es ja wohl stimmen.« Er grinst.

Er hat sich neben mich gesetzt und ein Bein untergeschlagen. Er streckt die Hand aus und schiebt mir mit seinem langen Zeigefinger eine Haarsträhne hinters Ohr. Augenblicklich erwacht mein Körper zum Leben. Ein tiefes Verlangen durchströmt mich.

»Nun, Anastasia, inzwischen hast du ja ein genaueres Bild von mir als bei deinem letzten Besuch.«

»Ja.« Worauf will er hinaus?

»Und trotzdem bist du wiedergekommen.«

Ich nicke verlegen. Seine Augen leuchten. Er schüttelt den Kopf, als sei er sich seiner Sache nicht sicher.

»Hast du schon etwas gegessen?«, fragt er aus heiterem Himmel.

Verdammt.

»Nein.«

»Bist du hungrig?« Er gibt sich alle Mühe, sich seine Verärgerung nicht anmerken zu lassen.

»Nicht auf etwas Essbares«, flüstere ich.

Seine Nasenflügel beben. Er beugt sich vor und flüstert mir ins Ohr: »Miss Steele ist wieder mal mit Feuereifer bei der Sache, wie gewohnt. Aber um Ihnen ein kleines Geheimnis zu verraten  – ich auch nicht. Allerdings wird Dr. Greene gleich hier sein.« Er setzt sich wieder auf. »Ich wünschte, du würdest regelmäßig etwas essen«, sagt er mit mildem Tadel.

Mein erhitztes Blut kühlt ein wenig ab. Oje, der Arzt, den hatte ich ja völlig vergessen.

»Was kannst du mir über Dr. Greene erzählen?«, frage ich, um uns beiden Gelegenheit zur Abkühlung zu geben.

»Sie ist die beste Gynäkologin in Seattle. Das sollte wohl genügen.«

»Ich dachte, dein Hausarzt untersucht mich. Und erzähl mir nicht, du bist in Wahrheit eine Frau, denn das werde ich dir ganz bestimmt nicht abkaufen.«

Er wirft mir einen vernichtenden Blick zu. »Ich halte es für angemessener, wenn du von einer Spezialistin untersucht wirst. Du nicht auch?«

Ich nicke. Junge, Junge, wenn die Frau tatsächlich die beste Gynäkologin der Stadt ist und er sie hierherbestellt hat, an einem Sonntag und noch dazu um die Mittagszeit, will ich mir lieber nicht vorstellen, was das gekostet haben mag.

Christian runzelt die Stirn, als wäre ihm etwas höchst Unangenehmes eingefallen.

»Anastasia, meine Mutter möchte gern, dass du heute Abend zum Essen kommst. Ich glaube, Elliot fragt Kate, ob sie auch mitkommt. Ich bin nicht sicher, was ich davon halten soll. Es wird ziemlich seltsam werden, dich meiner Familie vorzustellen.«

Seltsam? Wieso?

»Schämst du dich für mich?« Vergeblich versuche ich, nicht gekränkt zu klingen.

»Natürlich nicht.« Er verdreht die Augen.

»Wieso ist es dann seltsam?«

»Weil ich so etwas noch nie gemacht habe.«

»Und wieso darfst du die Augen verdrehen und ich nicht?«

Er blinzelt. »Ich habe gar nicht mitbekommen, dass ich das getan habe.«

»Das geht mir meistens ebenfalls so«, fahre ich ihn an.

Christian starrt mich sprachlos an.

Taylor erscheint im Türrahmen. »Dr. Greene ist hier, Sir.«

»Bringen Sie sie bitte in Miss Steeles Zimmer.«

Miss Steeles Zimmer!

»Und? Bereit für die Verhütung?«, fragt er, steht auf und reicht mir die Hand.

»Du kommst doch nicht etwa mit?«, frage ich entsetzt.

Er lacht. »Ich würde einiges springen lassen, wenn ich zusehen dürfte, das kann ich dir versichern, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die gute Frau Doktor sich darauf einlassen würde.«

Ich nehme seine Hand. Er zieht mich in seine Arme und küsst mich leidenschaftlich. Überrascht umklammere ich seine Oberarme. Er hat eine Hand um meinen Hinterkopf gelegt und beugt sich vor, so dass seine Stirn meine berührt.

»Ich bin so froh, dass du hier bist«, flüstert er. »Ich kann es kaum erwarten, dich endlich auszuziehen.«