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ZWEIUNDZWANZIG
Meine Nägel sind frisch manikürt, außerdem habe ich eine Massage genossen und zwei Gläser Champagner intus. In der Lounge gibt es viele Möglichkeiten, sich zu entspannen und die Zeit totzuschlagen. Mit jedem weiteren Schluck Moët wächst meine Bereitschaft, Christian zu verzeihen, dass er wieder einmal über meinen Kopf hinweg entschieden hat. Ich klappe meinen Laptop auf – mal sehen, ob das Werbeversprechen, dass er überall auf dem Planeten einsatzfähig ist, auch stimmt.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Übermäßig großzügige Gesten
Datum: 30. Mai 2011, 21:53 Uhr
An: Christian Grey
Sehr geehrter Mr. Grey,
am meisten entsetzt mich, dass Sie wussten, auf welchem Flug ich gebucht bin.
Ihre Stalking-Neigungen sprengen jede Grenze. Hoffen wir, dass Dr. Flynn bald wieder aus den Ferien zurück ist.
Ich habe mir eine Maniküre, eine Rückenmassage und zwei Gläser Champagner gegönnt – ein herrlicher Urlaubsbeginn.
Danke
Ana
Von: Christian Grey
Betreff: Gern geschehen
Datum: 30. Mai 2011, 21:59 Uhr
An: Anastasia Steele
Sehr geehrte Miss Steele,
Dr. Flynn ist zurück. Ich habe diese Woche noch einen Termin bei ihm.
Wie war die Rückenmassage?
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Aha! Zeit für die Rache. Unser Flug wurde inzwischen aufgerufen, deshalb werde ich erst zurückmailen, wenn ich in der Maschine sitze. Das ist sicherer. Ich muss mich beherrschen, vor Schadenfreude nicht im Kreis zu tanzen.
Unglaublich, wie viel Platz man als Fluggast in der ersten Klasse hat. Mit einem Champagnercocktail in der Hand lasse ich mich in den üppigen Ledersessel am Fenster sinken, während sich die Kabine allmählich füllt. Ich rufe Ray an, um ihm zu erzählen, wo ich bin – nur ganz kurz, weil es für seine Begriffe schon schrecklich spät ist.
»Ich hab dich lieb, Dad«, murmle ich.
»Ich dich auch, Annie. Grüß deine Mutter schön. Gute Nacht.«
»Gute Nacht.« Ich lege auf.
Ray geht es also gut. Der Mac steht auf meinem Schoß. Ich spüre, wie mich dieselbe kindische Schadenfreude erfasst wie zuvor, und klappe ihn auf.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Starke, kundige Hände
Datum: 30. Mai 2011, 22:22 Uhr
An: Christian Grey
Sehr geehrter Mr. Grey,
ein netter junger Mann hat mir den Rücken massiert. Er war sogar sehr nett. Im Abflugbereich für die normalsterblichen Passagiere wäre ich Jean-Paul niemals begegnet – deshalb nochmals vielen Dank für das Upgrade. Ich weiß nicht, ob ich den Computer nach dem Abflug weiter anlassen darf, außerdem brauche ich meinen Schönheitsschlaf, der in letzter Zeit reichlich knapp ausgefallen ist.
Angenehme Träume, Mr. Grey … ich denke an Sie
Ana
Oh, wenn er das liest, flippt er aus. Und ich bin längst in der Luft und unerreichbar. Geschieht ihm recht. Hätte ich im normalen Abflugbereich warten müssen, wäre ich tatsächlich nicht in den Genuss von Jean-Pauls Händen gekommen. Und er war tatsächlich ein sehr netter und attraktiver Mann, wenn man auf blonde Typen mit Dauerbräune steht – aber mal ehrlich, wer ist in Seattle schon ständig braun? Das passt doch überhaupt nicht. Außerdem bin ich ziemlich sicher, dass er schwul war, aber das behalte ich natürlich für mich. Ich sehe auf den Bildschirm. Kate hat völlig Recht. Es ist ein Kinderspiel, ihn auf die Palme zu bringen. Mein Unterbewusstsein sieht mich an und verzieht den Mund: Willst du ihn allen Ernstes ärgern? Ich meine, was er getan hat, war doch unheimlich süß! Er mag dich und will, dass du stilvoll reist. Schön und gut, aber er hätte mich fragen oder vorher Bescheid sagen können, dann hätte ich nicht wie eine komplette Vollidiotin am Check-in-Schalter gestanden. Ich drücke auf »Senden« und warte. Was bin ich nur für ein böses, böses Mädchen!
»Miss Steele, Sie müssen während des Starts bitte Ihren Computer ausschalten«, sagt die viel zu stark geschminkte Flugbegleiterin höflich zu mir. Augenblicklich bekomme ich ein schlechtes Gewissen.
»Oh, tut mir leid.«
Mist. Jetzt muss ich auch noch warten, bis ich nachsehen kann, ob er geantwortet hat. Sie reicht mir eine weiche Decke und ein Kissen und entblößt dabei ihre perfekten Zähne. Ich breite die Decke über meinen Knien aus. Manchmal ist es einfach nur schön, so verwöhnt zu werden.
Inzwischen hat sich die erste Klasse gefüllt, nur der Sitz neben mir ist immer noch leer. O nein … ein schrecklicher Verdacht keimt in mir auf. Vielleicht hat Christian den Platz für sich reserviert. Scheiße … aber nein, das würde er nicht tun. Oder? Ich habe ihm doch gesagt, dass ich lieber allein fliegen will. Nervös sehe ich auf meine Uhr, als die körperlose Stimme aus dem Lautsprecher dringt. »Cabin crew, doors to automatic and cross check.«
Was heißt das? Machen sie die Türen zu? Meine Kopfhaut prickelt, während ich angespannt warte. Der Platz neben mir ist der einzig leere. Die Maschine löst sich vom Flugsteig und rollt rückwärts. Ich stoße einen erleichterten Seufzer aus, trotzdem kann ich einen leisen Anflug von Enttäuschung nicht leugnen. Vier Tage ohne Christian. Verstohlen werfe ich einen Blick auf das Display meines BlackBerrys.
Von: Christian Grey
Betreff: Genießen Sie es, solange Sie es noch können
Datum: 30. Mai 2011, 22:25 Uhr
An: Anastasia Steele
Sehr geehrte Miss Steele,
ich weiß genau, was Sie da tun – und mit Erfolg, das kann ich Ihnen versichern. Beim nächsten Mal werde ich dafür sorgen, dass Sie gefesselt und geknebelt in einem Käfig im Frachtraum sitzen. Eines können Sie mir glauben: Sie in diesem Zustand zu sehen wird mir noch viel mehr Vergnügen bereiten, als Ihnen ein Upgrade zu spendieren.
Ich freue mich schon auf Ihre Rückkehr.
CHRISTIAN GREY
CEO mit einer juckenden Handfläche
Grey Enterprises Holdings, Inc.
Scheiße. Genau das ist das Problem mit Christians Humor – ich kann nie genau sagen, ob er Witze macht oder stinksauer ist. In diesem Fall tippe ich allerdings auf Letzteres. Im Schutz der Decke, damit es die Flugbegleiterin nicht mitbekommt, tippe ich eine Antwort.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Ist das ein Witz?
Datum: 30. Mai 2011, 22:30 Uhr
An: Christian Grey
Ich habe keine Ahnung, ob das ein Scherz ist. Wenn nein, bleibe ich lieber gleich in Georgia. Käfige sind eindeutig ein Hard Limit für mich. Tut mir leid, dass ich Sie wütend gemacht habe. Bitte sagen Sie mir, dass Sie mir verzeihen.
A.
Von: Christian Grey
Betreff: Ist es
Datum: 30. Mai 2011, 22:31 Uhr
An: Anastasia Steele
Wie können Sie jetzt noch mailen? Riskieren Sie etwa das Leben sämtlicher Passagiere an Bord, einschließlich Ihr eigenes, indem Sie mit Ihrem BlackBerry herumhantieren? Ich würde sagen, das verstößt gegen unsere Regeln.
CHRISTIAN GREY
CEO mit zwei juckenden Handflächen
Grey Enterprises Holdings, Inc.
Zwei juckende Handflächen? Eilig verstaue ich den BlackBerry, während die Maschine zur Startbahn rollt, und ziehe meine zerfledderte Ausgabe von Tess heraus, eine leichte Lektüre für den Flug. Kurz nach dem Start klappe ich meinen Sitz nach hinten und schlafe ein.
Die Flugbegleiterin weckt mich, als wir uns im Landeanflug auf Atlanta befinden. Es ist 05:45 Uhr Ortszeit, aber ich habe nur etwa vier Stunden geschlafen und bin ziemlich müde. Dankbar nehme ich das Glas Orangensaft entgegen, das sie mir anbietet, und schiele nervös auf meinen BlackBerry. Keine weiteren Nachrichten von Christian. Na ja, in Seattle ist es kurz vor drei Uhr morgens, und wahrscheinlich will er verhindern, dass ich die Bordelektronik lahmlege, weil ich den BlackBerry eingeschaltet habe.
Mein Zwischenaufenthalt in Atlanta dauert nur eine Stunde. Wieder schwelge ich im Luxusangebot der Firstclass-Lounge. Einen Moment lang bin ich versucht, es mir auf einem der üppig gepolsterten Sofas bequem zu machen und ein bisschen zu schlafen, aber die Zeit reicht nicht. Um mich wach zu halten, klappe ich meinen Laptop auf und verfasse eine lange Mail, in der ich Christian detailliert schildere, was in mir vorgeht.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Machst du mir gern Angst?
Datum: 31. Mai 2011, 06:52 Uhr EST
An: Christian Grey
Du weißt genau, wie sehr es mir gegen den Strich geht, dass du so viel Geld für mich ausgibst. Okay, du bist reich, trotzdem ist mir nicht wohl dabei. Ich komme mir dabei vor, als würdest du mich für Sex bezahlen. Allerdings muss ich zugeben, dass es Spaß macht, erster Klasse zu fliegen. Es ist so viel stilvoller als in der Holzklasse. Deshalb danke ich dir dafür. Das ist mein voller Ernst – Jean-Pauls Massage war sehr angenehm. Und er war sehr schwul. Dieses Detail habe ich dir in meiner vorherigen Mail verschwiegen, um dich zu ärgern, weil ich wütend auf dich war. Ich entschuldige mich dafür.
Aber wie üblich reagierst du total über. Du kannst nicht einfach solche Dinge schreiben – gefesselt und geknebelt in einem Käfig. (Hast du das ernst gemeint, oder war das tatsächlich bloß ein Scherz?) Das macht mir Angst … du machst mir Angst … ich bin völlig hingerissen von dir und ziehe ernsthaft einen Lebensstil in Betracht, von dem ich bis vergangene Woche noch nicht einmal gewusst habe, dass er überhaupt existiert, und dann kommst du und schreibst solche Dinge, bei denen ich am liebsten schreiend davonlaufen würde, wenn ich sie lese. Was ich natürlich nicht tun werde, weil du mir fehlst. Sehr sogar. Ich wünsche mir sehr, dass das zwischen uns funktioniert, aber die Tiefe meiner Gefühle macht mir Angst wie auch die Abgründe, in die du mich hineinziehst. Was du mir anbietest, ist wahnsinnig erotisch und sexy, und ich bin ein neugieriger Mensch, aber ich habe auch Angst, verletzt zu werden – körperlich und emotional. Du könntest ohne Weiteres nach drei Monaten mit mir Schluss machen, und was bliebe mir dann? Andererseits besteht dieses Risiko ja immer, egal mit wem man sich einlässt. Das hier ist nun einmal nicht die Art von Beziehung, die ich mir vorgestellt hatte, schon gar nicht als die erste in meinem Leben.
Du hattest völlig Recht, als du sagtest, ich hätte absolut nichts Devotes an mir … in diesem Punkt stimme ich dir inzwischen zu.Trotzdem will ich mit dir zusammen sein, und wenn ich dafür deine Sub sein muss, werde ich es versuchen. Allerdings fürchte ich, dass ich am Ende grün und blau sein werde, und diese Vorstellung gefällt mir ganz und gar nicht.
Ich bin überglücklich, dass du dich darum bemühst, mehr zwischen uns entstehen zu lassen als eine rein körperliche Beziehung. Allerdings muss ich darüber nachdenken, was dieses »mehr« für mich zu bedeuten hat.
Das ist einer der Gründe, weshalb ich ein bisschen Abstand wollte. Du bringst mich so um den Verstand, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen kann, wenn ich in deiner Nähe bin.
Mein Flug wird aufgerufen. Ich muss los.
Später mehr.
Deine
Ana
Ich drücke auf »Senden«, schleppe mich zum Gate und steige in meine Maschine. Diesmal hat die erste Klasse nur sechs Plätze. Kaum sind wir in der Luft, kuschle ich mich unter meine Decke und schlafe ein.
Viel zu früh weckt mich eine der Flugbegleiterinnen und bietet mir einen weiteren Orangensaft an, während wir zum Anflug auf den Savannah International Airport ansetzen. Todmüde nippe ich an meinem Glas und gestatte mir ein Fünkchen Vorfreude. Gleich sehe ich meine Mutter zum ersten Mal nach sechs Monaten wieder. Verstohlen checke ich noch einmal meinen BlackBerry. Ich erinnere mich nur vage, dass ich eine ellenlange Mail an Christian geschrieben habe – aber er hat nicht darauf geantwortet. In Seattle ist es fünf Uhr morgens. Hoffentlich schläft er tief und fest und spielt nicht irgendwelche todtraurigen Stücke auf dem Klavier.
Das Tolle an Rucksäcken mit Rollen ist, dass man einfach gehen kann, ohne sich vorher stundenlang am Gepäckband anstellen und auf die Koffer warten zu müssen. Und das Tolle an der Firstclass ist, dass man als Erste aussteigen darf.
Meine Mom und Bob erwarten mich bereits. Es ist so schön, sie endlich wiederzusehen. Keine Ahnung, ob es an dem langen Flug, meiner Erschöpfung oder an der schwierigen Situation mit Christian liegt, aber kaum nimmt Mom mich in den Arm, breche ich in Tränen aus.
»Oh, Ana, Schatz. Du musst völlig erledigt sein.« Sie wirft Bob einen besorgten Blick zu.
»Nein, Mom, es ist nur … es ist so schön, dich zu sehen.« Ich drücke sie fest an mich.
Sie fühlt sich wunderbar an. Widerstrebend löse ich mich von ihr und lasse mich von Bob in eine unbeholfene Umarmung ziehen. Er schwankt ein klein wenig, und mir fällt wieder ein, dass er sich ja eine Bänderdehnung zugezogen hat.
»Willkommen, Ana. Aber weshalb weinst du denn?«, fragt er.
»Oh, Bob, ich freue mich nur, dich zu sehen.« Ich blicke in sein markantes Gesicht mit den blauen Augen, die mich liebevoll betrachten. Ich mag deinen Mann, Mom. Der darf gern bleiben. Er nimmt meinen Rucksack.
»Meine Güte, was schleppst du denn da mit dir herum?«
Das muss an dem Mac liegen. Arm in Arm verlassen wir das Flughafengebäude.
Ich vergesse jedes Mal, wie unerträglich heiß es in Savannah ist. Die feuchte Hitze ist wie ein Schlag ins Gesicht, als wir aus der klimatisierten Kühle des Flughafens treten. Verdammt! Innerhalb von Sekunden bricht mir der Schweiß aus. Ich muss mich aus Moms und Bobs Umarmung lösen, um meine Kapuzenjacke auszuziehen. Ein Glück, dass ich Shorts eingesteckt habe. Manchmal fehlt mir die trockene Hitze von Las Vegas, wo ich mit Mom und Bob gelebt habe, als ich siebzehn war. Diese drückende Schwüle, die einen bereits um halb neun Uhr früh umhaut, ist dagegen ziemlich gewöhnungsbedürftig. Als ich auf dem Rücksitz von Bobs herrlich kühlem Tahoe-Geländewagen sitze, fühle ich mich wie ein nasser Waschlappen, und mein Haar kräuselt sich als Zeichen des Protests gegen die ungewohnte Wärme. Ich schreibe Ray, Kate und Christian eine SMS:
Bin gut in Savannah angekommen. A ☺
Einen Moment lang muss ich an José denken, als ich auf »Senden« drücke. Nächste Woche findet seine Vernissage statt. Soll ich mit Christian hingehen, obwohl ich weiß, dass er José nicht ausstehen kann? Wird es nach meiner Mail überhaupt noch ein nächstes Mal mit Christian geben? Ich erschaudere bei dem Gedanken und verdränge ihn. Damit werde ich mich später auseinandersetzen. Jetzt will ich erst einmal die Zeit mit meiner Mutter genießen.
»Schatz, du musst todmüde sein. Möchtest du dich ein bisschen hinlegen, wenn wir zuhause sind?«
»Nein, Mom. Ich will gleich an den Strand.«
Ich liege in meinem blauen Neckholder-Bikini und einer Dose Cola light in der Hand auf einem Liegestuhl. Vor mir erstreckt sich die endlose Weite des Atlantiks. Unglaublich, wenn man bedenkt, dass ich gestern noch auf den Sund geblickt habe, der in den Pazifik mündet. Meine Mutter liegt mit einem lächerlich riesigen Sonnenhut und einer Jackie-O.-Sonnenbrille neben mir und nippt ebenfalls an einer Coke. Wir sind am Tybee Island Beach, gerade einmal drei Blocks von zuhause entfernt. Sie hält meine Hand. Inzwischen ist meine Müdigkeit verflogen. Ich genieße die warmen Sonnenstrahlen und fühle mich wohl, sicher und behaglich. Zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit spüre ich, wie die Anspannung von mir abfällt.
»Also, Ana … erzähl mir von diesem Mann, der dich so von den Füßen reißt.«
Von den Füßen reißt? Woher weiß sie das? Was soll ich darauf antworten? Meine Verschwiegenheitsklausel verbietet mir, ihr allzu viele Details über Christian zu verraten, aber selbst wenn ich es könnte – würde ich ausgerechnet meiner Mutter die Besonderheit unserer Beziehung beichten? Allein bei der Vorstellung wird mir ganz anders.
»Und?« Sie drückt meine Hand.
»Er heißt Christian. Er sieht unglaublich gut aus. Er ist reich … viel zu reich. Und er ist sehr kompliziert und launenhaft.«
Ja. Ich bin hochzufrieden mit meiner knappen und präzisen Beschreibung. Ich wende mich ihr zu und blicke geradewegs in ihre leuchtend blauen Augen.
»Kompliziert und launenhaft sind die beiden Punkte, auf die ich gern eingehen will, Ana.«
Mist …
»Oh, Mom, seine Stimmungsschwankungen machen mich ganz verrückt. Er hatte eine ziemlich schlimme Kindheit, deshalb ist er sehr verschlossen und schwer einzuschätzen.«
»Magst du ihn?«
»Mehr als das.«
»Wirklich?«
»Ja, Mom.«
»Eigentlich sind Männer gar nicht so kompliziert, Ana. In Wahrheit sind sie sehr schlicht strukturierte Geschöpfe, die meistens genau das meinen, was sie sagen. Wir bringen Stunden damit zu, jedes Wort zu analysieren, das aus ihrem Mund kommt, obwohl es gar nichts zu deuten gibt. Ich an deiner Stelle würde einfach auf das hören, was er sagt. Das könnte vielleicht hilfreich sein.«
Ich sehe sie verblüfft an. Das klingt nach einem klugen Ratschlag. Auf das hören, was er sagt. Augenblicklich fallen mir einige Dinge ein:
Ich will dich nicht verlieren …
Du hast mich verhext …
Du hast mich völlig verzaubert …
Ich werde dich auch vermissen … mehr als dir bewusst ist …
Wieder sehe ich meine Mutter an. Sie ist zum vierten Mal verheiratet – vielleicht kennt sie sich ja inzwischen mit Männern aus.
»Die meisten Männer sind launisch. Der eine mehr, der andere weniger. Dein Vater zum Beispiel …« Ein weicher, trauriger Ausdruck tritt in ihre Augen, wann immer sie von meinem Vater spricht. Mein leiblicher Vater, den ich nicht kennen gelernt habe, ist bei einem tragischen Unfall während eines Kampftrainings der Marines getötet worden. In gewisser Weise glaube ich, dass Mom seither immer nach einem Mann wie ihm gesucht hat … und möglicherweise hat sie ihn in Bob gefunden. Ein Jammer, dass Ray ihr nicht geben konnte, was sie brauchte.
»Ich dachte auch immer, dass dein Vater launisch ist. Aber heute, rückblickend betrachtet, glaube ich eher, es lag daran, dass er so viel gearbeitet hat, um für uns zu sorgen.« Sie seufzt. »Er war noch so jung. Wir beide waren noch so jung. Vielleicht war genau das unser Problem.«
Na ja, Christian ist nicht gerade das, was man als alt bezeichnen würde. Ich lächle sie liebevoll an. Wenn sie an meinen Vater denkt, kann sie ziemlich sentimental sein, aber ich bin einigermaßen sicher, dass seine Launen nichts im Vergleich zu Christians Stimmungsschwankungen sind.
»Bob will uns heute Abend zum Essen einladen. In seinen Golfclub.«
»O nein! Bob hat mit dem Golfen angefangen?«, rufe ich ungläubig.
»Ich kann dir sagen …« Stöhnend verdreht sie die Augen.
Nach einem leichten Mittagessen packe ich meine Sachen aus und beschließe, mir eine kleine Siesta zu gönnen. Meine Mutter ist weg – wahrscheinlich zu irgendeinem Kurs zum Kerzenziehen oder was weiß ich –, und Bob ist bei der Arbeit, so dass ich Zeit habe, ein bisschen Schlaf nachzuholen. Ich fahre den Mac hoch. In Georgia ist es zwei Uhr nachmittags, in Seattle elf Uhr am Morgen. Mal sehen, ob Christian mir eine Antwort geschickt hat. Nervös rufe ich meine Mails ab.
Von: Christian Grey
Betreff: Endlich!
Datum: 31. Mai 2011, 07:30 Uhr
An: Anastasia Steele
Anastasia,
ich bin stinksauer, weil du wieder einmal so offen und ehrlich mit mir bist, sobald du nicht mehr in meiner Nähe bist. Wieso kannst du das nicht, wenn wir zusammen sind?
Ja, ich bin reich. Gewöhn dich dran. Weshalb sollte ich kein
Geld für dich ausgeben? Du hast mich deinem Vater als deinen Freund vorgestellt, Herrgott. So etwas tut ein fester Freund doch, oder etwa nicht? Und als dein Dom erwarte ich von dir, dass du ohne Widerrede akzeptierst, wenn ich etwas für dich bezahle. Und da wir schon dabei sind, kannst du es deiner Mutter auch gleich erzählen.
Ich habe keine Ahnung, wie ich auf deine Bemerkung reagieren soll, dass du dich wie eine Hure fühlst. Natürlich hast du es nicht explizit so ausgedrückt, aber genau das meinst du damit. Ich weiß nicht, was ich sagen oder tun kann, um dir dieses Gefühl zu nehmen. Wenn es nach mir geht, sollst du immer nur das Beste bekommen. Ich arbeite außergewöhnlich hart und kann mein Geld für die Dinge ausgeben, die ich für wichtig erachte. Ich könnte dir jederzeit jeden Herzenswunsch erfüllen, Anastasia, und genau das habe ich auch vor. Nenn es von mir aus Umverteilung von Vermögen, wenn du dich dann besser fühlst. In jedem Fall muss dir klar sein, dass ich dich niemals als das betrachten könnte, was du angedeutet hast. Und es macht mich sehr wütend, dass du dich so siehst. Du bist eine sehr kluge, witzige, bildschöne junge Frau und hast offenbar massive Probleme mit deinem Selbstwertgefühl, deshalb überlege ich ernsthaft, ob ich nicht einen Termin bei Dr. Flynn für dich vereinbaren sollte.
Ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich dir Angst gemacht habe. Die Vorstellung, dich in Angst und Schrecken zu versetzen, ist grauenhaft. Glaubst du allen Ernstes, ich würde dich in den Frachtraum sperren lassen? Ich habe dir meinen Privatjet angeboten, verdammt nochmal. Ja, das war ein Witz, und ein mieser noch dazu. Allerdings gebe ich zu, dass mich die Vorstellung, dich gefesselt und geknebelt zu sehen, antörnt – und das ist kein Witz, sondern die Wahrheit. Auf den Käfig kann ich hingegen problemlos verzichten. Ich weiß, dass du Probleme mit dem Knebeln hast – das haben wir ja bereits besprochen –, und wenn/falls ich dich knebeln will, werden wir noch einmal darüber reden. Ich glaube, dir ist noch nicht ganz klar, dass in einer Dom/Sub-Beziehung der Sub sagt, wo es langgeht. Du hast die Macht, über alles zu bestimmen, was zwischen uns passiert. Noch einmal zum Mitschreiben – du bist diejenige, die die Macht hat. Nicht ich. Im Bootshaus hast du Nein gesagt. Wenn du Nein sagst, darf ich dich nicht anrühren – dafür haben wir ja den Vertrag abgeschlossen –, und du darfst sagen, was du tun willst und was nicht. Wenn wir Dinge ausprobieren und sie dir nicht gefallen, können wir die Vereinbarung jederzeit ändern. Die Entscheidung liegt bei dir, nicht bei mir. Und wenn du nicht gefesselt und geknebelt in einem Käfig sitzen willst, wird es auch nicht dazu kommen.
Ich möchte meinen Lebensstil gern mit dir teilen. Ich habe mir noch nie etwas so sehr gewünscht. Ehrlich gesagt, kann ich dich nur bewundern. Dass jemand so Unschuldiges bereit ist, sich auf ein solches Arrangement einzulassen. Das bedeutet mir mehr, als du dir vorstellen kannst. Dir ist nicht bewusst, dass du mich völlig in deinen Bann gezogen hast, obwohl ich es dir schon x-mal gesagt habe. Ich will dich nicht verlieren.
Es macht mich nervös, dass du dreitausend Meilen weit geflogen bist, nur um eine Weile von mir getrennt zu sein, weil du in meiner Nähe keinen klaren Gedanken fassen kannst. Mir geht es genauso, Anastasia. Sobald wir zusammen sind, ist mein Verstand ausgeschaltet – das sind die Gefühle, die ich dir entgegenbringe.
Ich verstehe, dass du Angst hast. Ich habe mich bemüht, mich von dir fernzuhalten. Ich wusste, dass du unerfahren bist, obwohl ich nie im Leben versucht hätte, etwas mit dir anzufangen, wäre mir das Ausmaß deiner Unschuld bewusst gewesen. Und doch gelingt es dir, mich in einer Art und Weise zu entwaffnen, wie es noch nie jemand zuvor gelungen ist. Zum Beispiel deine E-Mail: Ich habe sie wieder und wieder gelesen, um deinen Standpunkt zu verstehen. Drei Monate sind ein willkürlich gewählter Zeitraum. Wir können auch sechs Monate oder ein Jahr daraus machen. Wie lange soll es deiner Meinung nach sein? Sag es mir.
Ich verstehe, dass ich dir einiges an Vertrauen abverlange; Vertrauen, das ich mir erst verdienen muss, aber umgekehrt musst du es mir auch sagen, wenn es mir nicht gelingt. Auf der einen Seite wirkst du so stark und unabhängig, aber dann lese ich, was du hier schreibst, und sehe eine völlig andere Seite von dir. Wir müssen uns gegenseitig anleiten, Anastasia, und ich bin darauf angewiesen, dass du mit mir sprichst. Du musst mir gegenüber aufrichtig sein, und wir müssen beide einen Weg finden, damit diese Beziehung funktionieren kann.
Du hast Angst, du könntest vielleicht nicht devot sein. Nun ja, das wäre möglich. Der einzige Ort, an dem du das korrekte Verhalten einer Sub an den Tag legst, ist das Spielzimmer. Es sieht so aus, als könntest du nur dort zulassen, dass ich die Kontrolle über dich übernehme, und tun, was ich von dir verlange – sogar geradezu mustergültig, würde ich sagen. Und ich würde dich niemals grün und blau schlagen. Ich ziehe Rosa vor. Außerhalb des Spielzimmers wünsche ich mir sehr wohl, dass du mir Paroli bietest. Das ist eine ganz neue und ungewohnte Erfahrung für mich, die ich nicht missen möchte. Deshalb wäre ich froh, wenn du mir sagen würdest, was genau du damit meinst, wenn du sagst, du willst »mehr« von mir. Ich will gern versuchen, für alles offen zu sein. Ich werde mich bemühen, dir den Freiraum zu geben, den du brauchst, und dir nicht auf die Pelle rücken, solange du in Georgia bist. Ich freue mich schon auf deine nächste Mail.
In der Zwischenzeit amüsier dich. Aber nicht allzu sehr.
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Heilige Scheiße! Der Mann hat ja einen richtigen Aufsatz geschrieben, so wie früher in der Schule. Und das meiste davon ist gut. Mit klopfendem Herzen liege ich auf dem Bett, den Mac fest an mich gedrückt, und lese seinen Brief wieder und wieder. Ein Jahr daraus machen? Ich habe die Macht? O Mann, darüber muss ich erst einmal in Ruhe nachdenken. Hör auf das, was er sagt, hat meine Mutter mir geraten. Er will mich nicht verlieren! Das hat er sogar zweimal gesagt. Auch er will, dass es mit uns beiden funktioniert. Oh, Christian, ich doch auch! Er wird versuchen, mir nicht auf die Pelle zu rücken. Bedeutet das, dass es ihm aber leider nicht gelingt? Plötzlich hoffe ich es. Ich will ihn unbedingt sehen. Nicht einmal vierundzwanzig Stunden sind vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, und vier weitere Tage liegen noch vor mir, und mir wird bewusst, wie sehr ich ihn vermisse. Wie sehr ich ihn liebe.
»Ana, Schatz.« Die Stimme ist weich und warm, voller Liebe und Erinnerungen an längst vergangene Zeiten.
Eine Hand streicht mir behutsam über die Wange. Meine Mom weckt mich. Ich liege auf dem Bett, die Arme fest um meinen Mac geschlungen.
»Ana, Liebes«, fährt sie mit ihrer samtigen Singsangstimme fort, während ich langsam zu mir komme und mich blinzelnd im fahlrosa Licht der frühen Abenddämmerung umsehe.
»Hi, Mom.« Ich strecke mich und lächle.
»Wir wollten in einer halben Stunde zum Abendessen aufbrechen. Hast du überhaupt noch Lust?«, fragt sie freundlich.
»Aber ja, Mom, natürlich.« Ich bemühe mich vergeblich, ein Gähnen zu unterdrücken.
»Na, das ist ja ein sehr eindrucksvolles technisches Wunderwerk.« Sie zeigt auf den Laptop.
Mist.
»Oh, das?« Ich mime erstaunte Lässigkeit.
Ob Mom mich durchschaut? Seit sie weiß, dass ich einen »Freund« habe, ist es, als höre sie das Gras wachsen.
»Christian hat ihn mir geliehen. Ich glaube, mit dem Ding könnte man auch das Spaceshuttle lenken, aber ich benutze es nur, um meine Mails zu checken und ins Internet zu gehen.«
Alles ganz entspannt, ganz ehrlich. Sie mustert mich argwöhnisch, setzt sich auf die Bettkante und streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr.
»Hat er dir gemailt?«
Verdammt, verdammt!
»Ja.« Meine Fassade der Lässigkeit beginnt zu bröckeln. Ich werde rot.
»Vielleicht vermisst er dich ja, hm?«
»Das hoffe ich, Mom.«
»Und was schreibt er?«
Verdammt, verdammt, verdammt! Fieberhaft durchforste ich mein Gehirn nach etwas Gesellschaftsfähigem, das ich meiner Mutter erzählen kann, denn bestimmt will sie nichts von Doms und Subs und Bondage und Knebeln hören, andererseits kann ich ihr ohnehin nichts davon erzählen, weil diese Dinge unter die Verschwiegenheitsvereinbarung fallen.
»Er schreibt, ich soll mich nicht zu sehr amüsieren.«
»Klingt doch vernünftig. Ich gehe jetzt, damit du dich fertig machen kannst, Schatz.« Sie beugt sich vor und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. »Ich freue mich so, dass du hier bist, Ana. Es ist so schön, dich zu sehen.« Mit diesen liebevollen Worten verlässt sie das Zimmer.
Hm, Christian und vernünftig … zwei Begriffe, von denen ich immer geglaubt habe, sie schlössen sich gegenseitig aus, aber nach seiner heutigen Mail ist vielleicht alles möglich. Ich schüttle den Kopf. Es wird wohl eine Weile dauern, bis ich seine Worte verdaut habe. Ich werde einfach bis nach dem Essen warten und ihm dann eine Antwort mailen. Ich stehe auf, ziehe mein T-Shirt und die Shorts aus und gehe unter die Dusche.
Ich habe Kates graues Neckholder-Kleid mitgebracht, das ich bei der Abschlussfeier getragen habe – mein eigener Kleiderschrank gibt leider nichts wirklich Schickes her. Einen Vorteil hat die feuchte Schwüle hier – die Knitterfalten haben sich inzwischen von ganz allein geglättet. Für ein Essen im Golfclub sollte es reichen. Ich öffne den Laptop noch einmal. Keine Mail von Christian. Ich verspüre einen Anflug von Enttäuschung. Hastig tippe ich eine Mail.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Wortreichtum?
Datum: 31. Mai 2011, 19:08 Uhr EST
An: Christian Grey
Sie gehören offenbar zu denen, die gern viele Worte machen,
Sir. Ich muss jetzt zum Abendessen in Bobs Golfclub; und nur damit Sie’s wissen: Ich verdrehe die Augen, wenn ich nur daran denke. Aber Sie und Ihre juckende Handfläche sind ja glücklicherweise weit weg, so dass mein Hinterteil zumindest für den Augenblick in Sicherheit ist. Ihre Mail hat mich sehr berührt. Ich werde darauf antworten, sobald ich dazu komme. Ich vermisse Sie jetzt schon. Schönen Nachmittag noch.
Ana
Von: Christian Grey
Betreff: Ihr Hinterteil
Datum: 31. Mai 2011, 16:10 Uhr
An: Anastasia Steele
Sehr geehrte Miss Steele,
ich kann mich nur schwer konzentrieren, weil ich ständig den Betreff dieser Mail vor Augen habe. Unnötig zu erwähnen, dass er in der Tat sicher ist – vorläufig.
Viel Spaß beim Abendessen. Ich vermisse Sie ebenfalls, vor allem Ihr Hinterteil und Ihr vorlautes Mundwerk.
Ich habe einen ziemlich langweiligen Nachmittag vor mir, der lediglich von den Gedanken an Sie und die Art, wie Sie die Augen verdrehen, erhellt wird. Ich glaube sogar, Sie waren diejenige, die mir schonend beigebracht hat, dass auch ich diese unschöne Angewohnheit besitze.
CHRISTIAN GREY
CEO & Augenroller,
Grey Enterprises Holdings, Inc.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Verdrehte Augen
Datum: 31. Mai 2011, 19:14 Uhr EST
An: Christian Grey
Sehr geehrter Mr. Grey,
hören Sie auf, mir zu mailen. Ich versuche, mich fürs Abendessen fertig zu machen. Und Sie lenken mich bloß ab, selbst wenn Sie sich am anderen Ende des Kontinents befinden. Und wer legt eigentlich Sie übers Knie, wenn Sie die Augen verdrehen?
Ana
Ich drücke auf »Senden«. Augenblicklich kommt mir Mrs. Robinson, diese alte Hexe, in den Sinn. Es will einfach nicht in meinen Kopf – die Vorstellung, wie Christian von einer Frau versohlt wird, die so alt ist wie meine Mutter, erscheint mir so absurd, so verkehrt. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, welchen Schaden sie angerichtet hat. Grimmig presse ich die Lippen aufeinander. Ich wünschte, ich hätte eine Stoffpuppe und ein paar Nadeln. Vielleicht würde das ja helfen, meine Wut auf diese Frau loszuwerden, die ich noch nicht einmal persönlich kenne.
Von: Christian Grey
Betreff: Ihr Hinterteil
Datum: 31. Mai 2011, 16:18 Uhr
An: Anastasia Steele
Sehr geehrte Miss Steele,
ich ziehe trotzdem in vielerlei Hinsicht meinen Titel dem Ihren vor. Zum Glück bin ich mein eigener Herr, und niemand züchtigt oder bestraft mich. Mit Ausnahme meiner Mutter und natürlich Dr. Flynn. Und Ihnen.
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Züchtigen … Ich?
Datum: 31. Mai 2011, 19:22 Uhr EST
An: Christian Grey
Sehr geehrter Mr. Grey,
wann habe ich jemals den Mut besessen, Sie zu züchtigen? Sie müssen mich mit jemandem verwechseln, was ich ziemlich besorgniserregend finde. Ich muss mich jetzt wirklich beeilen.
Ana
Von: Christian Grey
Betreff: Ihr Hinterteil
Datum: 31. Mai 2011, 16:25 Uhr
An: Anastasia Steele
Sehr geehrte Miss Steele,
das tun Sie schon die ganze Zeit. Darf ich den Reißverschluss an Ihrem Kleid hochziehen?
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Als ich die Worte auf dem Bildschirm lese, beginnt mein Herz zu klopfen … Oh, ihm steht der Sinn also nach Spielchen.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Nicht jugendfrei
Datum: 31. Mai 2011, 19:28 Uhr EST
An: Christian Grey
Es wäre mir lieber, Sie würden ihn herunterziehen.
Von: Christian Grey
Betreff: Pass bloß auf, was du dir wünschst
Datum: 31. Mai 2011, 16:31 Uhr
An: Anastasia Steele
MIR AUCH.
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Keuchend
Datum: 31. Mai 2011, 19:33 Uhr EST
An: Christian Grey
Ganz langsam …
Von: Christian Grey
Betreff: Stöhnend
Datum: 31. Mai 2011, 16:35 Uhr
An: Anastasia Steele
Ich wünschte, ich wäre bei dir.
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Seufzend
Datum: 31. Mai 2011, 19:37 Uhr EST
An: Christian Grey
ICH AUCH!
»Ana!« Die Stimme meiner Mutter lässt mich vor Schreck zusammenfahren. Scheiße! Wieso habe ich eigentlich ein schlechtes Gewissen?
»Komme schon, Mom!«
Von: Anastasia Steele
Betreff: Seufzend
Datum: 31. Mai 2011, 19:39 Uhr EST
An: Christian Grey
Muss los.
Ciao, ciao, Baby.
Ich haste aus meinem Zimmer in die Diele, wo Bob und meine Mutter bereits auf mich warten. Mom runzelt die Stirn.
»Alles in Ordnung, Schatz? Du wirkst ein bisschen erhitzt.«
»Alles bestens.«
»Du siehst sehr hübsch aus, Liebes.«
»Oh, das Kleid gehört eigentlich Kate. Gefällt es dir?«
Sie mustert mich noch eine Spur argwöhnischer. »Wieso trägst du ein Kleid von Kate?«
Verdammt.
»Ach, mir gefällt es so gut, ihr aber nicht«, improvisiere ich eilig.
Wieder sieht sie mich durchdringend an, während Bob ihr einen verzweifelten Hundeblick zuwirft. Offenbar kommt er beinahe um vor Hunger.
»Ich gehe morgen mit dir einkaufen«, verkündet sie.
»Mom, das ist nicht nötig. Ich habe genug Sachen.«
»Kann ich nicht mal meiner eigenen Tochter etwas zum Anziehen kaufen? Los, komm jetzt, Bob hat Hunger.«
»Allerdings«, stöhnt Bob, massiert sich den Bauch und setzt eine gequälte Miene auf.
Ich kichere, als er die Augen verdreht, und folge ihnen hinaus.
Später gönne ich mir eine lauwarme Dusche zum Abkühlen und lasse den Abend noch einmal Revue passieren. Mom ist vollkommen verändert und war voll und ganz in ihrem Element: aufgeweckt und keck. Außerdem scheinen sie im Golfclub jede Menge Freunde zu haben. Und auch Bob hat sich von seiner liebevollsten und aufmerksamsten Seite gezeigt. Wie es aussieht, verstehen sich die beiden prächtig. Ich freue mich von ganzem Herzen für sie. Das bedeutet, dass ich mir endlich keine Sorgen mehr um sie machen und mich nicht länger fragen muss, ob ihre Entscheidung richtig war. Und wir können die unerfreulichen Zeiten mit Ehemann Nummer drei endgültig vergessen. Bob ist definitiv ein guter Mann. Aber sie erteilt mir einen guten Ratschlag nach dem anderen. Seit wann das denn? Seit ich Christian kennen gelernt habe. Und wieso?
Ich trockne mich eilig ab, um möglichst schnell wieder an meinen Laptop zurückzukehren. Christian hat mir eine Mail geschickt, gleich nachdem ich vor zwei Stunden zum Abendessen aufgebrochen bin.
Von: Christian Grey
Betreff: Plagiat
Datum: 31. Mai 2011, 16:41 Uhr
An: Anastasia Steele
Du hast mir meinen Abschiedssatz gestohlen.
Und du hast mich mittendrin hängen lassen.
Viel Spaß beim Essen.
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Das sagt ja der Richtige
Datum: 31. Mai 2011, 22:18 Uhr EST
An: Christian Grey
Sir, soweit ich mich erinnere, ist das Elliots Spruch. Hängst du immer noch?
Ana
Von: Christian Grey
Betreff: Schwebezustände
Datum: 31. Mai 2011, 19:22 Uhr
An: Anastasia Steele
Sehr geehrte Miss Steele,
Sie sind also vom Essen zurück. Ihr Aufbruch war reichlich abrupt – gerade als es anfing, interessant zu werden.
Elliot besticht nicht gerade durch Originalität. Bestimmt hat er den Spruch auch jemandem geklaut.
Wie war das Abendessen?
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Schwebezustände?
Datum: 31. Mai 2011, 22:26 Uhr EST
An: Christian Grey
Hängen lassen? Inwiefern?
Ana
Von: Christian Grey
Betreff: Schwebezustände – ganz eindeutig
Datum: 31. Mai 2011, 19:30 Uhr
An: Anastasia Steele
Sind Sie absichtlich so begriffsstutzig? Wenn ich mich recht entsinne, hatten Sie mich gerade gebeten, den Reißverschluss Ihres Kleids zu öffnen.
Worauf ich mich sehr gefreut hatte. Und ich vernehme mit Befriedigung, dass Sie etwas gegessen haben.
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Tja … Bleibt immer noch das Wochenende
Datum: 31. Mai 2011, 22:36 Uhr EST
An: Christian Grey
Natürlich esse ich etwas … Die Unsicherheit, wenn ich in Ihrer Nähe bin, verschlägt mir einfach nur den Appetit.
Und ich würde mich nie mit Absicht begriffsstutzig stellen, Mr. Grey.
Aber das wissen Sie ja inzwischen bestimmt schon ☺
Von: Christian Grey
Betreff: Kann es kaum erwarten
Datum: 31. Mai 2011, 19:40 Uhr
An: Anastasia Steele
Ich werde es mir merken, Miss Steele, und dieses Wissen zweifellos bei Gelegenheit zu meinem Vorteil einsetzen.
Tut mir leid, dass ich Ihnen den Appetit verschlage. Ich hätte gedacht, ich hätte eine anregendere Wirkung auf Ihre Fleischeslust. Zumindest habe ich diese Erfahrung gemacht, die ich nur als sehr angenehm beschreiben kann.
Ich freue mich schon aufs nächste Mal.
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Sprachliche Turnübungen
Datum: 31. Mai 2011, 22:42 Uhr EST
An: Christian Grey
Fleischeslust? Wieder mal den Thesaurus bemüht?
Von: Christian Grey
Betreff: Durchschaut
Datum: 31. Mai 2011, 19:45 Uhr
An: Anastasia Steele
Sie kennen mich inzwischen zu gut, Miss Steele.
Ich bin zum Abendessen mit einer alten Freundin verabredet, deshalb werde ich mich jetzt auf den Weg machen.
Ciao, ciao, Baby ☺
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Welche alte Freundin? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Christian irgendwelche alten Freundinnen hat, mit Ausnahme von … ihr. Ich runzle die Stirn. Wieso muss er sich immer noch mit ihr treffen? Gallig-grüne Eifersucht steigt in mir auf. Am liebsten würde ich auf etwas einprügeln, vorzugsweise auf Mrs. Robinson. Ich knalle den Laptop zu und gehe ins Bett.
Eigentlich sollte ich ja auf seine Mail von heute Morgen antworten, aber dafür bin ich viel zu wütend. Wieso sieht er sie nicht als das, was sie ist – eine Frau, die kleine Jungs missbraucht? Ich schalte das Licht aus und liege schäumend vor Wut in der Dunkelheit. Wie kann sie es wagen? Wie kann sie sich an einem verletzlichen Jugendlichen vergreifen? Tut sie es heute noch? Wieso haben die beiden ihre Beziehung beendet? Die unterschiedlichsten Szenarien kommen mir in den Sinn: Wenn er tatsächlich genug von ihr hatte, wieso ist er dann immer noch mit ihr befreundet? Und sie – ist sie verheiratet? Geschieden? Gütiger Himmel, hat sie vielleicht sogar selbst Kinder? Von Christian? Mein Unterbewusstsein zeigt seine hässlichste Fratze. Allein bei der Vorstellung wird mir speiübel. Weiß Dr. Flynn von ihr?
Ich stehe auf und fahre den Computer noch einmal hoch. Ich muss es wissen. Ungeduldig warte ich darauf, dass der blaue Bildschirm erscheint, öffne Google und gebe »Christian Grey« ins Suchfeld ein, woraufhin zahllose Fotos von ihm erscheinen: im Smoking, im Anzug … du meine Güte, Josés Fotos aus dem Heathman, im weißen Hemd und der grauen Flanellhose. Wie um alles in der Welt kommen die denn ins Internet? O Mann, er sieht so unfassbar gut aus.
Ich sehe mir die restlichen Fotos an – mehrere von Christian mit Geschäftspartnern, dann folgt eine Aufnahme nach der anderen vom fotogensten Mann, den ich in- und auswendig kenne. In- und auswendig? Kenne ich Christian tatsächlich in- und auswendig? Ich hatte Sex mit ihm, gut und schön, aber vermutlich gibt es noch so einiges, von dem ich nichts ahne. Ich weiß, dass er launenhaft, witzig, eiskalt, aber auch sehr warmherzig sein kann. Gütiger Himmel, dieser Mann ist der Widerspruch auf zwei Beinen. Ich gehe auf die nächste Seite; auch hier gibt es ausschließlich Fotos, auf denen er allein zu sehen ist. Mir fällt wieder ein, dass Kate meinte, es gebe kein einziges Foto mit einer weiblichen Begleitung, was sie zu ihrer Vermutung geführt hatte, dass er schwul sein muss. Schließlich, auf der dritten Seite, erscheint ein Foto zusammen mit mir bei der Abschlussfeier. Die einzige Aufnahme mit einer Frau ist die, auf der er mit mir abgelichtet ist.
Scheiße! Ich bin bei Google. Ich starre das Foto an, betrachte mein Gesicht, das aussieht, als hätte mich die Kamera überrascht. Ich wirke nervös, verunsichert. Christian dagegen ist wie gewohnt unfassbar attraktiv, kühl und gelassen, und er trägt wieder diese Krawatte. Ich sehe ihn an. Dieses Gesicht. So wahnsinnig schön. Ein bildschönes Gesicht, das die beschissene Mrs. Robinson in diesem Augenblick vor sich haben könnte. Ich gebe die Fotos zu meiner Favoritenliste und klicke die restlichen achtzehn Seiten über ihn durch … nichts. Keine Mrs. Robinson bei Google. Aber ich muss wissen, ob er mit ihr zusammen ist. Ich tippe eine rasche Mail an ihn.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Essen mit Freunden
Datum: 31. Mai 2011, 23:58 Uhr EST
An: Christian Grey
Ich hoffe, du und deine Freundin, ihr hattet einen schönen Abend.
Ana
PS: War es Mrs. Robinson?
Ich drücke auf »Senden« und gehe wieder ins Bett, mit dem festen Entschluss, Christian bei nächster Gelegenheit über seine Beziehung zu dieser Frau auszuquetschen. Auf der einen Seite will ich unbedingt mehr über sie erfahren, auf der anderen würde ich am liebsten vergessen, dass er mir je von ihr erzählt hat. Meine Periode hat eingesetzt, das heißt, ich muss morgen Früh das erste Mal die Pille nehmen. Ich stelle den Wecker meines BlackBerrys, lege ihn auf den Nachttisch und falle schließlich in einen unruhigen Schlaf. Ich wünschte, wir wären in derselben Stadt und nicht knapp dreitausend Meilen voneinander entfernt.
Nach einem Einkaufsbummel am Vormittag und einem anschließenden Ausflug an den Strand hat meine Mutter darauf bestanden, dass wir den Tag in einer Bar ausklingen lassen. Also haben wir Bob vor dem Fernseher zurückgelassen und sitzen in der Nobelbar des teuersten Hotels von Savannah. Ich bin beim zweiten Cosmopolitan, meine Mutter beim dritten und gibt mir weitere Einblicke in das fragile Ego der Männer. Ich finde das Ganze reichlich befremdlich.
»Weißt du, Ana, die Männer glauben immer, alles, was aus dem Mund einer Frau kommt, ist automatisch ein Problem, das gelöst werden muss. Ihnen kommt nicht einmal ansatzweise in den Sinn, dass wir nur gern eine Weile herumdiskutieren und das Ganze dann wieder vergessen. Bei Männern muss immer irgendetwas passieren.«
»Mom, wieso erzählst du mir das?«, frage ich mit mühsam verhohlener Gereiztheit. Sie geht mir schon den ganzen Tag mit ihren Weisheiten auf die Nerven.
»Schatz, du klingst, als wärst du völlig durcheinander. Du hast nie einen Jungen mit nach Hause gebracht. Nicht mal in Vegas hattest du einen Freund. Eine Zeit lang dachte ich, mit diesem Typ aus dem College, diesem José, könnte sich etwas entwickeln.«
»Mom, José ist nur ein Freund von mir.«
»Das weiß ich ja, Schatz, aber ich habe das Gefühl, dass du mir etwas verschweigst.« Mütterliche Besorgnis zeichnet sich auf ihrer Miene ab.
»Ich brauchte nur etwas Abstand von Christian, um in Ruhe über alles nachzudenken, mehr nicht. Er neigt dazu, mich zu erdrücken.«
»Erdrücken?«
»Ja. Trotzdem vermisse ich ihn.« Ich runzle die Stirn.
Ich habe den ganzen Tag nichts von Christian gehört. Keine Mails, gar nichts. Es juckt mich in den Fingern, ihn anzurufen, um zu hören, ob alles in Ordnung ist. Meine größte Angst ist, dass er einen Autounfall gehabt haben könnte; meine zweitgrößte, dass Mrs. Robinson erneut ihre gierigen Krallen in sein Fleisch gegraben hat. Natürlich ist das idiotisch, aber wenn es um Mrs. Robinson geht, verlässt mich jede Vernunft.
»Schatz, ich muss mal auf die Toilette.«
Sie verschwindet, was mir Gelegenheit gibt, die Nachrichten auf meinem BlackBerry zu checken – was ich den ganzen Tag über in regelmäßigen Abständen getan habe. Und siehe da, endlich eine Nachricht von Christian!
Von: Christian Grey
Betreff: Essen mit Freunden
Datum: 1. Juni 2011, 21:40 Uhr EST
An: Anastasia Steele
Ja, ich habe tatsächlich mit Mrs. Robinson zu Abend gegessen. Und sie ist nur eine alte Freundin, Anastasia.
Ich freue mich, dich bald wiederzusehen.
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Er war also doch mit ihr essen. Meine Kopfhaut prickelt, als das Adrenalin durch meine Adern rauscht. Ich bin stocksauer. All meine schlimmsten Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Wie konnte er so etwas tun? Kaum bin ich zwei Tage weg, rennt er los und trifft sich mit diesem elenden Miststück.
Von: Anastasia Steele
Betreff: Essen mit ALTEN Freunden
Datum: 1. Juni 2011, 21:42 Uhr EST
An: Christian Grey
Sie ist nicht nur irgendeine alte Freundin.
Hat sie etwa einen neuen knackigen Jungen gefunden, den sie sich einverleiben kann?
Bist du ihr inzwischen zu alt?
Ist das der Grund, weshalb ihr nicht mehr zusammen seid?
Gerade als meine Mutter zurückkommt, drücke ich auf »Senden«.
»Du bist ja so blass, Ana. Was ist los?«
Ich schüttle den Kopf.
»Gar nichts. Lass uns noch etwas bestellen«, erwidere ich starrköpfig.
Sie runzelt die Stirn, sagt jedoch nichts, sondern gibt einem der Kellner ein Zeichen – »noch eine Runde«. Er nickt. Wieder checke ich den BlackBerry.
Von: Christian Grey
Betreff: Vorsicht …
Datum: 1. Juni 2011, 21:45 Uhr EST
An: Anastasia Steele
Das möchte ich nicht per Mail mit dir besprechen. Wie viele Cosmos willst du eigentlich noch trinken?
CHRISTIAN GREY
CEO, Grey Enterprises Holdings, Inc.
Verdammte Scheiße, er ist hier!