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Völlig ungerührt von ihrer Gleichgültigkeit, kletterte er in den Kahn, in dem das Mädchen saß.
"Nehmt ihn auseinander", erklärte er den Weibern, "ich bleibe solange hier. Lasst aber die Katzen nicht an das Fleisch. Zum Teufel, jetzt hab ich doch das Messer vergessen".
Er stieg wieder in seinen Kahn. Mit einem unauffälligen Blick streifte Natalka seine hagere, geschmeidige, von Kraft erfüllte Gestalt und seine verwegenen grauen Augen.
Jurka hockte bei dem Burschen aus der Stadt, der schon das zweite Jahr mit seinem Notizblock kreuz und quer durch Palessie zog.
Fast liebenswürdig sagte der Bursche zu ihm: "Alle wissen, was du für einer bist. Ein typischer Belarusse. Schlimmer geht's gar nicht mehr".
Jurkas Lippen kräuselten sich zu einem ironischen Lächeln.
"Na und, ist das gut oder schlecht?"
"Meiner Meinung nach nicht schlecht... Ein begabtes Volk".
"U-uh", entgegnete Jurka langgezogen, ein außerordentlich begabtes Volk".
Er ließ den Burschen stehen, kletterte in Natalkas Kahn und warf einen feuchten silbrigen Fisch vor ihr auf die Bank.
"Hier, Natalka".
"Was soll ich damit?"
"Ein Leuchtfisch. Laß ihn vorläufig noch im Wasser liegen. Gegen Abend ist er trocken, und dann werden wir beide uns ein Wunder ansehen".
"Was denn, denkst du, ich sitze hier bis zum Abend so mit dir?"
"Schließlich bin ich nicht Großvater Biaskischkin. Mit mir ist es lustiger".
Dann machte er die ersten Anschnitte an dem Luchs. Beide schwiegen. Goldene Fünkchen entstanden im Wasser, hüpften auf den Wellen und verloschen, bald aber flackerten sie wieder auf.
"Wohin fahrt ihr denn?" fragte er leise.
"Nach Karpilavitschy", entgegnete sie unwillig. "Wir kommen aber zu spät".
"Na ja", sagte Jurka, "heute ist ja schon Ostern, und dort seid ihr frühestens morgen abends".
Nach einigem Schweigen fuhr er fort: "Und was willst du dort?"
"Gar nichts. Die alten Weiber wollten das so. Sie sind hier die Hälfte, Schade, sie sollten sich auf ihre alten Tage ein schönes Leben machen".
"Ja", sagte Jurka und schloss auf einmal nachdenklich die Augen.
Kurz darauf rief er Großvater Biaskischkin und Natalkas Vater zu sich heran.
"Nach Karpilavitschy schafft ihr's nicht mehr, Männer. Da kommt ihr zu spät".
"Was denn", antwortete Biaskischkin verärgert, "willst du mir etwa auch noch die Sauferei vorhalten?"
"Tja, zu spät", sagte Jurka. "Aber das meine ich nicht. Warum könnt ihr nicht anstelle von Karpilavitschy nach Pahost fahren?"
"Das Dorf ist doch weg", entgegnete der Alte. "Da steht doch nur noch die Kirche auf der Insel".
"Gerade das Richtige für die alten Weiber", meinte Jurka. "Morgen früh seid ihr da".
"Darum geht's ja nicht", sagte Natalkas Vater, "da kommen wir nicht durch. Dort ist eine Sandbank".
Sie sprachen über den Inselstreifen, der sich zwischen dem Flussarm, auf dem sie fuhren, und Pahost hinzog.
"Du mit deiner Sandbank, Väterchen", erwiderte Jurka. "Da fließt Wasser drüber. Einen halben Klafter tief. Hab's heute selber gemessen".
"Aber Barken kommen da nicht durch!"
"Die lassen wir auf der Sandbank. Nach Pahost kommen wir auch mit den Kähnen. Sind doch alles Männer ... Da werden sich die alten Leute aber freuen!"
Die Erwähnung der alten Leute entschied alles. Natalkas Vater gab Kommando und stürzte selber ans Steuer, wendete die vordere Barke und drehte mit der schwerfälligen Flottille nach links ab.
Die Ruder schlugen aufs Wasser, und bald trug die Strömung den schwimmenden Jahrmarkt noch schneller fort als bisher.
Jurka ließ sich zu Füßen des Mädchens nieder. Seine Hände hantierten geschickt mit dem Messer.
"Na, da wirst du heute in Pahost die Langmähnigen sehen. Da sagst du gar nichts mehr. Schön ist das".
Ab und zu berührten seine Schultern ihre Beine. Sie sah seinen braungebrannten Hals und die Bräune auf seinem Gesicht.
Diese Berührungen, mal stark, mal leicht, regten sie eigentlich nicht auf. Er tat's ja beim Arbeiten, ohne Absicht.
"Vielleicht geben wir uns noch einen Osterkuss", sagte Jurka und hob die Augen.
"Kannst ja deinem Luchs einen geben", entgegnete sie ruhig. "Der hat mir heute schon genug... Osterküsse gegeben".
Jurka krempelte den Ärmel hoch.
Auf seinem Oberarm erblickte sie drei längliche Wunden. Besorgt fragte sie: "Warum hast du das niemandem gesagt, du Dummer?"
"Nicht so schlimm, hab Pulver draufgestreut".
"Ach du!" Hastig holte sie unter der Bank ihr Beutelchen hervor und zog einen weißen Lappen heraus.
"Gib her".
Jurka legte ihr seinen dünnen, doch starken Arm auf die Knie. Sie tat, als wäre das nichts Besonderes, spürte aber die Wärme, die von seinem Arm durch den Stoff drang.
Die nicht sehr tiefen, aber langen Kratzwunden weckten in ihr ein fast mütterliches Mitgefühl mit diesem verwegenen Burschen.
"So", sagte sie, ohne das Gewicht seines Armes zu beachten, "in Ordnung".