40460.fb2 Wen die G?tter lieben - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 10

Wen die G?tter lieben - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 10

SECHSTES KAPITEL

Nachdem die Rheingrenze gesichert war, kehrten wir für den Winter nach Paris zurück. Im darauffolgenden Frühling schickte der Kaiser einen neuen Heermeister als Ersatz für Severus. Er hieß Lupicinus.

Julian hatte auf seine stille Art den Tod des freimütigen Severus betrauert, der mit ihm geflucht und gestritten hatte, aber nie falsch gewesen war. Ob man mit ihm einverstanden war oder nicht, man wusste immer, woran man bei ihm war, und wenn er eine andere Ansicht vertrat, sagte er das klar und deutlich.

Nicht so Lupicinus. Er hatte sich im Heer des Ostens einen Namen gemacht und war mit seinem Haushalt von Illyricum in das elegante Konstantinopel gezogen, um dort die gebührende Beachtung zu finden. Er hatte harte, selbstsichere Züge, sprach aber auf verhüllende, gekünstelte Art, sodass man immer mit dem Eindruck dastand, nicht so recht zu erfassen, was er hatte sagen wollen – was wohl genau seine Absicht war, denn das ermöglichte ihm jederzeit, eine Mitverantwortung zu leugnen, wenn etwas fehlschlug.

Da Marcellus der Reiterei angehörte, verbrachte er gezwungenermaßen mehr Zeit mit Lupicinus als ich. Schon am ersten Tag, als er ihm mit anderen Offizieren seine Aufwartung machte, entwickelte Marcellus eine Abneigung gegen ihn. Ein alter Hausdiener war zugegen und packte in einer Ecke still Lupicinus’ Gepäck aus. Angespannt und fahrig wegen seines neuen Herrn, ließ der Diener eine Glasplatte fallen, die prompt zerbrach. Lupicinus unterbrach das Gespräch mit seinen Offizieren, begab sich ohne Anzeichen innerer Erregung zu seinem Tisch, nahm den Stock, der dort lag, und ging zu dem Diener, der kauernd die Scherben aufhob. Er schlug ihn blutig und nahm dann die Unterhaltung so beiläufig wieder auf, als hätte er eine lästige Fliege totgeschlagen.

Später erzählte Marcellus mir davon. »Großvater sagte oft zu mir, dass man das Wesen eines Mannes daran erkennt, wie er die behandelt, über die er Macht hat. Solche Brutalität wäre selbst auf dem Schlachtfeld schändlich.«

Julian gegenüber verhielt Lupicinus sich tadellos, zurückhaltend und unverbindlich. Nach der Offenheit eines Severus war das ein großer Verlust. Selbst Julian, der für Intrigen kein waches Gespür besaß, war Politiker genug, um zu erkennen, dass er sich einen Streit mit seinem neuen Heermeister so wenig leisten konnte wie mit dem Präfekten. Und gerade zu der Zeit lagen Julian und Florentius sich wieder einmal in den Haaren.

Jeder wusste, dass Florentius bestechlich war. Doch in jenem Jahr brachten die Bürger Galliens nach und nach ihre Beschwerden vor Julian, dem sie vertrauten. Sie erzählten ihm, wie der Präfekt seine Macht missbrauchte, um Reichtum und Land zu erwerben, wie er Freunde begünstigte und anderen für Gefälligkeiten Gelder abnötigte und wie er sich durch die allgemeine Notlage bereicherte.

Zuerst versuchte Julian, diskret einzugreifen. Er ließ durch andere verbreiten, dass es klug sei, den Machtmissbrauch einzustellen, wer immer dahinterstecke, und äußerte die Hoffnung, der Präfekt werde die Zeit finden, die Vorwürfe zu untersuchen. Doch die ganze Angelegenheit bedrückte ihn, und er drängte sie beiseite, als er gegen die Germanen zu Felde zog.

Dann, während des Winters, erhob eine Abordnung verschiedener Provinzstädte förmlich Anklage, gestützt auf handfeste Beweise. Florentius war zu weit gegangen. Er hatte zu viele Leute gegen sich aufgebracht, und obwohl er den Klägern drohte, hielten sie an der Klage fest.

Es brauchte einige Wochen, um die ganze hässliche Angelegenheit zu entwirren. Doch schließlich, als Florentius seine üblichen Listen ausgeschöpft hatte, ohne dass die Anklage zurückgezogen wurde, und auch die Akten nicht auf unerklärliche Weise verschwinden lassen konnte, kam er zu Julian. Mit der Entrüstung eines zu Unrecht beschuldigten Mannes verlangte er, Julian solle seine Machtstellung nutzen und die Klage abweisen, bevor sie vor Gericht käme.

»Aber Präfekt«, erwiderte Julian, »hast du mir nicht versichert, es sei überhaupt nicht wahr?«

»So ist es«, antwortete Florentius.

»Dann hast du nichts zu befürchten. Für einen Mann von Stand und Ehre, der ein öffentliches Amt bekleidet, ist es sicherlich besser, wenn sich seine Unschuld erweist und die heuchlerischen Anklagen für jeden als solche offensichtlich werden. Oder bist du anderer Meinung?«

»Damit wirst du ihn nur angestachelt haben«, sagte Oribasius später, als wir alle zusammen waren und Julian von dem Gespräch berichtete.

»Möglich. Aber ich habe lange genug geschwiegen. Jetzt will er, dass ich über seinen Machtmissbrauch hinwegsehe. Das ist zu viel verlangt.«

Oribasius sollte recht behalten. Kurz darauf ging Florentius zum Angriff über.

Das wurde Julian spätestens bewusst, als der Quästor Salutius, mit dem er eng befreundet war, plötzlich an den Hof zurückbeordert wurde. Es war ein grausamer Schlag, der eigens geführt wurde, um Julian zu treffen, dem seine Freunde immer sehr wichtig gewesen waren. Salutius war einer der wenigen Männer gewesen, die er nach Paris hatte mitnehmen dürfen, und der Verlust traf ihn schwer.

Zur selben Zeit traf ein Brief von Constantius ein, in welchem er in kaltem Ton befahl, die Autorität des Präfekten nicht zu untergraben. Florentius zeigte damit, dass er Julian jederzeit schaden konnte.

Kurze Zeit später war ich an der Reihe.

Ich war gerade bei Julian in seinem Arbeitszimmer und half ihm, eine Sendung Bücher auszupacken, die Kaiserin Eusebia geschickt hatte. Obwohl Constantius’ Gattin, war sie Julian am Hof eine Freundin gewesen. Sie besaß eine prachtvolle Bibliothek und war, wie er mir erzählte, eine kluge, gebildete Frau, die seine Liebe zum Lernen teilte.

Während wir mit dem Auspacken der Bücher beschäftigt waren, unbeschwert plauderten und ab und zu innehielten, wenn Julian einen besonderen Schatz unter den Büchern entdeckte, klopfte ein Hausdiener an die Tür und meldete, der Bischof von Paris wolle Julian seine Aufwartung machen.

Julian warf einen wehmütigen Blick auf die neu gebundenen Schriften und die honigfarbenen Pergamentrollen und sagte seufzend: »Na schön, bring ihn herein.« Und zu mir, nachdem der Diener gegangen war: »Was kann der jetzt wollen?«

Der Bischof von Paris war kein Mann, dessen Gesellschaft ich gesucht hätte, obgleich er kein so niederträchtiger, intriganter Charakter war wie der Bischof von London, wie ich gerechterweise sagen muss. Er war zurückhaltend und hager, hatte ein kränkliches Aussehen und verbrachte seine Zeit allem Anschein nach mit der Armenpflege.

Julian bewunderte dies, auch wenn er den Beweggründen misstraute. Mittlerweile war seine Verehrung der alten Götter zum offenen Geheimnis geworden, denn solche Dinge offenbaren sich dem Neugierigen wie dem Misstrauischen. Dennoch achtete er auf seine Worte und beging die christlichen Festtage; andernfalls wäre es dem Kaiser berichtet worden. Der Bischof jedoch erkundigte sich nicht allzu eingehend nach dem Glauben des Cäsars und ging auch nicht auf die Gerüchte ein. So kamen sie gut miteinander aus, waren stets höflich und gingen sich im Allgemeinen aus dem Weg.

Der Diener kehrte zurück und führte den Bischof herein. Kaum war er eingetreten, huschte sein Blick zu mir, und ein Ausdruck tiefen Unbehagens erschien auf seinen hageren Zügen. Ich wunderte mich darüber, denn er kannte mich nicht persönlich, und ich hatte ihm nie Grund gegeben, mir feindlich gegenüberzustehen.

Julian, der nichts davon bemerkte, begrüßte ihn, rief ihm in Erinnerung, wer ich war, und sagte etwas über die Bücher, die im Zimmer verteilt lagen. Der Bischof machte eine höfliche Bemerkung dazu, betrachtete die Bücher jedoch, als wären sie lauernde Dämonen. Dann entstand eine Pause.

»Du kommst in einer bestimmten Angelegenheit?«, fragte Julian schließlich.

Der Bischof wechselte unruhig das Standbein und kaute auf der Unterlippe. Ihm sei nicht mitgeteilt worden, dass der Cäsar Gesellschaft habe, sagte er. Sein Anliegen könne warten. Es gebe sicher einen passenderen Augenblick.

»Oh nein, sprich nur«, sagte Julian lächelnd, um dem Mann die Befangenheit zu nehmen. »Geht es wieder um eine Getreidespende?«

Der Bischof räusperte sich und zögerte, wobei er immer wieder Blicke auf mich richtete, bis Julian es bemerkte. Darauf verfinsterte sich sein Gesicht. »Worum geht es, Bischof?«, fragte er, diesmal strenger.

»Das kann warten. Ich komme wieder.«

Inzwischen war hinreichend klar, dass meine Anwesenheit ihn in Verlegenheit brachte, und so sagte ich: »Ich wollte gerade gehen«, und erwähnte eine Sache, um die ich mich zu kümmern hätte.

»Also gut, Drusus«, sagte Julian, ließ mich gehen und wandte sich mit düsterer Miene dem Bischof zu, denn er ahnte bereits die Intrige.

Später kam er zu mir.

»Komm mit mir in den Garten«, sagte er.

Die Pflaumenbäume standen in voller Blüte. Es hatte geregnet. Der grelle Sonnenschein blendete auf dem nassen Marmorpflaster. Wir setzten uns auf eine Bank an der Außenmauer, die durch eine Reihe von Bäumen vor den Palastfenstern verborgen war.

»Den hier hat er mir gebracht«, sagte Julian, zog einen Brief aus dem Mantel und reichte ihn mir.

Ich faltete das Pergament auseinander und warf einen Blick auf die Kopfzeile. Überrascht holte ich Luft. Mein Mund war schlagartig trocken. Ich hatte ein weiteres Schreiben des Hofes mit Anweisungen von Constantius erwartet; stattdessen war der Brief von meinem Feind, dem Bischof von London, und er war an den Bischof von Paris gerichtet.

»Lies ihn«, sagte Julian.

Und so las ich.

Der Bischof sandte Grüße an seinen lieben Bruder und Kollegen in Paris und hoffte, er befinde sich – mit Gottes Gnade – bei guter Gesundheit.

Hastig überflog ich die Höflichkeitsformeln und das bedeutungslose Geplauder, während ich die Worte stumm mit den Lippen formte, während ich die salbungsvolle Stimme des Bischofs im Kopf vernahm.

Bald kam er, wie erwartet, auf mich zu sprechen. Mit Angst und Sorge habe er gehört, dass ein gewisser Drusus, Sohn des hingerichteten Verräters Appius Gallienus, aus der Haft beim Notar Paulus entkommen sei und sich das Vertrauen des höchst ehrenwerten Cäsar Julian erschlichen habe. Nun sei es seine Pflicht, ihn zu warnen. Es folgte eine Auflistung von Verbrechen, die ich begangen haben sollte – Mord, Abfall vom Glauben, Verrat, Sittenlosigkeit –, alle mit Einzelheiten. Ich zwang mich, sie bis zum Ende zu lesen. Dann blickte ich auf.

Ich wusste, dass ich rot geworden war. »Glaubst du ihm?«, fragte ich. Meine Stimme klang angespannt und steif. Schon vor einiger Zeit hatte ich Julian wahrheitsgemäß erzählt, was in Britannien geschehen war; aber das war nichts gegen das Lügengespinst des Bischofs.

Zu meiner Überraschung lachte Julian.

»Natürlich nicht. Ich habe dir den Brief zu lesen gegeben, damit du siehst, zu welchen Mitteln sie greifen.«

Ich sah ihn mit großen Augen an, denn ich verstand nicht.

»Es wundert mich nicht, dass der Bischof in deiner Gegenwart so unruhig war. Er war gekommen, um über dich zu lästern. Und das konnte er schlecht, solange du danebenstandest – jedenfalls nicht dieser Bischof. Er ist im Grunde ein freundlicher Mann, auch wenn er das Werkzeug eines anderen ist.«

Ich holte tief Luft und fragte, was der Bischof gesagt hatte.

»Ach, die üblichen Floskeln. Dass er nur seine Pflicht tue, der Familie des Kaisers die Treue schulde und dergleichen. Wenn jemand so anfängt, weiß man immer gleich, dass etwas im Busch ist. Ich erwiderte, dass Pulcher falsch unterrichtet sei und er solle nicht weiter daran denken. Der arme Mann steckt zu tief drin, er weiß es nur nicht.« Er drehte sich um. »Ah, da kommt Eutherius. Ich habe ihn gebeten, sich zu uns zu gesellen.«

Ich drehte mich ebenfalls um. Eutherius kam unter der Kolonnade hervor und tappte mit seinen rehledernen Pantoffeln vorsichtig über die nassen, vom Regen herabgefallenen Pflaumenblüten. »Meine lieben Freunde«, sagte er lächelnd, schaute prüfend über die nasse Steinbank, auf der wir saßen, schürzte die Lippen und beschloss, stehen zu bleiben.

»Sieh dir das an«, sagte Julian und reichte ihm den Brief.

Eutherius las. Dann warf er das Schreiben beiseite, wobei sich Belustigung und Verachtung in seiner Miene spiegelten.

»Dilettantisch! Eine plumpe Widerwärtigkeit. Genau der niederträchtige Unfug, bei dem Constantius aufblüht, nur dass dieser Unsinn so offenkundig ist, dass er niemanden täuscht. Also wirklich, können sie es nicht besser? Außerdem dachte ich, der Bischof von Paris sei mehr mit der Armenspeisung beschäftigt.«

»So ist es. Der alte Mann wurde lediglich angestiftet.«

»Von Bischof Pulcher«, sagte ich.

»Oh nein«, widersprach Eutherius und lächelte mich ob meiner Naivität freundlich an. »Dein Londoner Bischof ist auch nur ein Werkzeug.«

Ich blickte auf den Brief wie auf ein bissiges Tier. Mir schien, dass Pulcher sich einige Mühe gemacht hatte. Er hatte ein paar Körnchen Wahrheit mit abscheulichen Lügen verflochten. Mir war, als würde ich in den Spiegel schauen und ein hässlich verzerrtes Bild meiner selbst erblicken.

»Sei versichert, dass schon vor längerer Zeit jemand dein Leben ausgeforscht hat. Es dürfte bei Gericht eine Akte über dich geben. Aber lass dich davon nicht beunruhigen, Drusus. Schließlich bist du ein Freund Julians.«

Der Wind fuhr in die Pflaumenbäume und schüttelte die Tropfen von den Zweigen. Mir lief ein kaltes Rinnsal den Rücken hinunter. Schaudernd dachte ich an vergifteten Wein und Dolche in der Nacht. Dann wurde mir bewusst, dass Julian schon sein Leben lang mit solchen Ängsten zurechtkommen musste.

Ich blickte auf. Julian schaute mich an. »Vor ein paar Tagen erzählte mir Oribasius, dass jemand in seinen Zimmern gewesen sei«, sagte er. »Es wurde nichts gestohlen, aber seine heilkundlichen Bücher waren durchwühlt. Die Täter hatten sich keine Mühe gegeben, ihr Eindringen zu verbergen – ein Buch lag offen da, ein Stuhl war verrückt, das Tintenfass war umgekippt und solche Dinge.«

»Aber warum? Was haben sie gesucht?«

»Nichts«, erklärte Eutherius. »Es war nur eine Drohung.«

»Zuerst Salutius, dann Oribasius«, sagte Julian. »Und jetzt du. Florentius will mich damit warnen, ihm nicht in die Quere zu kommen.« Er erhob sich und ging auf den nassen, blütenübersäten Steinplatten auf und ab. »Er will, dass ich die Anklage fallen lasse. Sag mir«, fragte er zu Eutherius gewandt, »ziemt es sich für einen Mann, der die Philosophie liebt, einem Unrecht tatenlos zuzusehen?«

»Auf diese Frage brauchst du meine Antwort nicht, mein lieber Julian. Aber bedenke, alles hat seinen Preis. Selbst Tugendhaftigkeit – sie vielleicht sogar am meisten.«

Julian blickte düster an der hohen Umfassungsmauer hinauf, alten rotbraunen Ziegeln und den Resten einer Kletterpflanze, die an der Wurzel gekappt worden war. Nach einer langen Pause sagte er: »Die Menschen werden beraubt und betrogen. Ich werde nicht die Augen davor verschließen. Was nützen mir all meine Bücher, wenn ich im entscheidenden Augenblick nur nach Zweckdienlichkeit entscheide? Soll Constantius mich doch zurückrufen. Es ist besser, Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu tun.«

Als ich später Marcellus davon berichtete, schlug er mit der Faust auf den Tisch und rief: »Pulcher! Kennt er denn keine Scham? Wir hätten ihm damals den Rest geben sollen!«

Ich zuckte die Achseln. »Das dachte ich auch, als ich den Brief las. Aber jetzt sehe ich klarer. Es war richtig, wie wir uns damals entschieden haben. Ein schneller Tod wäre zu leicht gewesen. Pulchers Anhänger hätten ihn zum Märtyrer und Heiligen gemacht.«

»Was Florentius angeht, weiß jeder, dass er schuldig ist«, fuhr Marcellus fort. »Julian sollte ihn entlassen.«

»Das kann er nicht. Constantius steht hinter Florentius, und der weiß das genau. Aber Julian wird die Anklage nicht fallen lassen.«

»Gut«, sagte Marcellus verärgert. »Soll er wenigstens vor Gericht gestellt werden. Das kommt davon, wenn man Männer herrschen lässt, die nicht einmal sich selbst beherrschen können. Das hätte Großvater gesagt.« Er wollte sich wie gewohnt durch die Haare fahren und zuckte zusammen. Seine Wunde zwickte ihn noch, wenn er sich streckte, obwohl sie sauber zugeheilt war. Jedes Mal, wenn ich ihn nackt sah, dachte ich daran, dass ich ihn beinahe verloren hätte.

Das Barbarenmädchen hatte unsere Hütte noch am selben Tag verlassen, nachdem es Marcellus besser ging – so unangekündigt, wie sie gekommen war. Das Heer machte sich gerade bereit, die Grenze zu verlassen und in die Winterquartiere zu ziehen. Im Lager wurden Zelte, Hütten, Tierpferche und die Palisaden abgeschlagen; es glich einer Stadt, die eilig verlassen wurde.

Da Marcellus außer Lebensgefahr war, machte ich mich auf die Suche nach Durano. Von der Nacht mit dem Mädchen hatte ich niemandem erzählt. Manchmal kam es mir sogar vor, als hätte es diese Nacht gar nicht gegeben.

Doch was man erlebt hat, lässt sich nicht rückgängig machen, und das wollte ich auch gar nicht. Auf der Suche nach Durano musste ich ständig an das Mädchen denken. Als ich mich schließlich seinem Zelt näherte, bekam ich Herzklopfen, denn sie saß in ihrer schlichten weiten Tunika auf der Schwelle und wachste die Lederriemen seines Harnischs, der vor ihr im Gras lag.

Ich hockte mich neben sie und war plötzlich verlegen. Sie blickte auf, und als sie mich erröten sah, wurden ihre Züge weicher, und sie lächelte. Halb mit Worten, halb mit Gesten dankte ich ihr, dass sie Marcellus gepflegt hatte. Mein Dank kam von Herzen, denn mir schien, dass sie als Einzige zu seiner Gesundung beigetragen hatte.

Ich weiß nicht, wie viel sie davon verstand. Aber als ich fertig war, berührte sie mich sanft am Arm und ließ ihre Hand einen Moment lang darauf ruhen. Dabei wehte mir von ihrem Körper der süße Duft von Zedernöl entgegen. Peinlicherweise geriet mein Blut in Wallung, und Verlangen durchströmte meine Lenden.

Als sie es spürte, sah sie mich belustigt an. Trotz meiner Verlegenheit lachte ich und machte einen Scherz. Dann hörte ich Duranos Stimme, der zwischen den Wagen und den aufgestapelten Zeltbahnen hervorkam.

Pallas und Gereon waren bei ihm. Wir begrüßten uns herzlich wie Männer, die dem Tod gemeinsam ins Auge geblickt haben. Als ich mich wieder herumdrehte, war das Mädchen verschwunden, nur der Harnisch lag noch da.

Durano sah meinen Blick und sagte: »Die Leute behaupten, sie hat Heilkräfte. Sie versteht es, jene Geister zu rufen, die Menschen gesund machen.«

Ich pflichtete ihm bei und dankte ihm, dass er sie geschickt hatte.

»Aber ich habe sie nicht geschickt. Sie ist auf eigenen Entschluss zu euch gegangen. Wie geht es Marcellus?«

»Er ist wieder kampftauglich, sagt er. Du hast ihm das Leben gerettet, Durano. Und das Mädchen vielleicht auch. Das werde ich nie vergessen.«

Durano lächelte und schlug mir auf die Schulter. Er wurde in eine der neu befestigten Städte am Rhein versetzt. Wir mussten uns also Lebewohl sagen.

So gingen wir mit den anderen die lange Hauptstraße des Lagers hinunter, um uns Wein zu beschaffen und auf unseren Abschied zu trinken.

Der nächste Bote aus dem Osten brachte die Nachricht, dass Julians Freundin bei Hofe, die Kaiserin Eusebia, gestorben war.

Das traf Julian tief. Da er seine Trauer nicht öffentlich zeigen wollte, blieb er an dem Tag in seinen Gemächern und befasste sich mit den Büchern, die sie ihm jüngst geschickt hatte. Wie Eutherius zu mir sagte, waren es nicht nur ihre Büchergeschenke, die er vermissen würde. Allein Eusebia war am Hof für ihn eingetreten; nun gab es niemanden mehr, der den heimtückischen Machenschaften des Oberkämmerers entgegenwirkte.

Eutherius erzählte mir von der Zeit, da Julian das erste Mal von Athen an den Hof beordert worden war. Wochenlang wurde er im Palast wie ein Gefangener gehalten, während die Höflinge erörterten, ob er zum Cäsar erhoben oder hingerichtet werden sollte, da er für den Kaiser eine Gefahr darstelle. Der Kaiser konnte sich nicht entscheiden. Der Oberkämmerer hatte für die Hinrichtung gestimmt. Es war die Kaiserin gewesen, die zu Julians Gunsten eingriff und ihm, wie Julian selbst glaubte, das Leben rettete.

Nun, da es ihren mildernden Einfluss nicht mehr gab, wurde Constantius nur noch von Speichelleckern beraten, angeführt vom Oberkämmerer, der darüber bestimmte, wer zum Kaiser vorgelassen wurde.

Eutherius nahm meinen Arm, als wir durch den Garten gingen, und bemerkte mit einem seiner trocknen, belustigten Blicke: »Am Hof heißt es, dass Constantius einen gewissen Einfluss auf seinen Oberkämmerer besitzt.«

Er verdrehte die Augen und wartete, dass ich den Witz begriff.

Inzwischen ging der Streit mit Florentius weiter. Angeblich hatten die Kläger ihre Anschuldigungen zurückgezogen. Julian schwieg dazu. Dann gab Florentius bekannt, er wolle von den Bürgern Galliens eine außerordentliche Steuer erheben, da die Einnahmen in diesem Jahr nicht ausreichten.

Er machte sich nicht die Mühe, Julian persönlich davon zu unterrichten, sondern schickte einen Untergebenen. Vermutlich hätte er nicht einmal das getan, wäre nicht die Unterschrift des Cäsars nötig gewesen, da es eine außerordentliche Steuer war.

Julian sprach mit dem Beamten im Audienzsaal der Zitadelle unter dem hallenden Tonnengewölbe mit seinen gedrungenen Säulen und den verblassten Wandteppichen. Gewöhnlich zog er sein Arbeitszimmer vor, doch an diesem Tag entschied er sich mit Absicht für den kalten, schlecht beleuchteten Saal, da er wusste, dass hinter Säulen und Wandteppichen Lauscher standen, die nur darauf warteten, ihren Zahlmeistern jedes Wort berichten zu können.

»Bitte den Präfekten, das zu überdenken«, sagte Julian behutsam – und laut. »Die Bürger der Provinz können sich kaum noch selbst ernähren. Ich habe die letzten drei Jahre damit verbracht, die Grenzen zu sichern und zu befestigen. Gib dem Präfekten zu bedenken, dass ein kluger Bauer nicht erntet, bevor das Korn reif ist. Sag ihm, er möge persönlich zu mir kommen, dann sprechen wir vertraulich darüber.«

Aber Florentius kam nicht. Eines Morgens, ein paar Tage später, legte er den Befehl zur Unterschrift vor, diesmal persönlich, aber in Begleitung einer Schar seiner eifrigen Beamten. Es war ein sehr förmliches Dokument, das von Schreibern vorbereitet und für die Archivakten bestimmt war.

»Was ist das?«, fragte Julian.

In seiner gewohnt hochfahrenden Art antwortete Florentius, es sei die Vollmacht zur Steuererhebung, wie dem Cäsar bereits mitgeteilt worden sei.

Bis zu diesem Augenblick hatte Julian den Präfekten stets mit kühler Höflichkeit behandelt. Doch nun war seine Geduld am Ende. Mit einem zornigen Aufschrei riss er dem Beamten das Dokument aus der Hand und warf es auf den Boden.

»Hältst du mich für einen Narren?«, schrie er. »Die Bürger klagen dich der Erpressung im Amt an, und du antwortest darauf mit neuen Abgaben. Sie können sie nicht zahlen, sag ich dir!«

Florentius’ Miene wurde steinern. Gefährliche rote Flecke bildeten sich auf seinen blassen Wangen. Bei all seinen Intrigen und Nadelstichen kam dieser Ausbruch überraschend für ihn. Auf solche Weise angesprochen zu werden, noch dazu vor den eigenen Beamten, war ein Skandal, der über seinen mittelmäßigen Verstand ging.

»Die Erhebung«, erwiderte er leise und mit frostiger Stimme, »ist eine Angelegenheit für sich. Und ich darf den Cäsar daran erinnern, dass die Klage, die man gegen mich erhoben hatte, eine Schikane war und aus Mangel an Beweisen fallen gelassen wurde.«

»Mangel an Beweisen?«, rief Julian. »Ja, allerdings! Erst als die Kläger, nachdem sie eine detaillierte Klage gegen dich vorbereitet hatten, verwundert feststellten, dass sie sich genau in dem Beweis irrten, den sie selbst ans Licht gebracht hatten. Und zwar nachdem sie alle – plötzlich und auf unerklärliche Weise – reich geworden waren. Sie haben sich zum Gespött gemacht, und du hältst mich offenbar für genauso dumm wie sie!«

Die Beamten, die hinter dem Präfekten standen, starrten entsetzt zu Boden. Florentius erwiderte mit erhobener, schwankender Stimme: »Du hast kein Recht, meine Autorität in Frage zu stellen. Der Kaiser hat mich ermächtigt, die finanziellen Angelegenheiten Galliens nach meinem Ermessen zu führen, aber du mischst dich ständig ein. Das werde ich nicht dulden.«

»Und hat der Kaiser dich auch ermächtigt, Freistellungen zu verkaufen?«, verlangte Julian zu wissen. Dies war ein langjähriger Machtmissbrauch: Jene Steuereintreiber, die Landbesitzer und reiche Dekurionen waren, sammelten die Steuern bei der Landbevölkerung ein; danach, im Besitz der Gelder also, begehrten sie Steuernachlässe mit der Begründung, die Steuern könnten nicht gezahlt werden, und behielten den Differenzbetrag für sich.

Florentius starrte ihn wütend an und wusste erst einmal nicht weiter. Ihm war wohl nicht bekannt gewesen, dass Julian von der Sache wusste.

»Nein, natürlich nicht«, fuhr dieser fort. »Ich werde diese Abgabe nicht akzeptieren. Ich werde nicht unterschreiben. Das habe ich oft genug gesagt. Haben deine Spione dir das nicht hinterbracht? Dabei hast du wahrhaftig genug davon!«

Mit einem eisigen Lächeln erwiderte Florentius: »Wenn das so ist, wirst du dem Kaiser vielleicht erklären wollen, wie du das Minus bei den Geldmitteln ausgleichen wirst.«

Darauf folgte erst einmal Schweigen. Julian senkte den Blick auf den rot-gelben Marmorboden und die verstreut liegenden Blätter des Steuerdokuments. Auf Florentius’ Gesicht erschien ein Ausdruck der Befriedigung, obwohl er hätte ahnen können, wie Julian auf eine solche Herausforderung antworten würde. Die Beamten sahen auf; ihre Neugier siegte über die Angst.

»Ich werde mehr tun als das, Präfekt«, sagte Julian. »Ich werde die Zahlungen selbst betreiben. Ich werde die Mittel ohne Rückgriff auf deine Erhebung erbringen. Wenn mir das nicht gelingt, werde ich die Ermächtigung unterschreiben.«

Florentius schaute seinen Sekretär an – den Mann, der Marcellus und mich seinerzeit vor die Tür gesetzt hatte. Dann wandte er sich höhnisch lächelnd wieder Julian zu.

»Du willst die Mittel erbringen? Also gut, warten wir’s ab. Aber wenn es fehlschlägt, wirst du dich – gib dich keinen Zweifeln hin – vor dem Kaiser verantworten.«

»Und wenn es mir gelingt, was wirst du Constantius dann sagen?«

Florentius schnaubte verächtlich. »Du wirst gewiss Verständnis haben, Cäsar, wenn ich mich an müßiger Plauderei nicht beteilige. Und du hast sicher viel zu tun.« Damit machte er auf dem Absatz kehrt und ging. Seine Beamten eilten ihm hinterher wie Entenküken der Mutter.

Als sie fort waren, drehte Julian sich zu mir um. Wahrscheinlich war ich genauso blass wie die anderen.

»Jetzt sollte ich am besten dafür sorgen, dass ich das Versprechen wahr machen kann.«

Am nächsten Tag schickte Florentius eine Schar von Beamten zu Julian, die ihm dicke Wälzer voller Zahlenreihen zur Durchsicht brachten. Julian warf einen Blick darauf, begriff, was der Präfekt damit bezweckte, und schickte die Beamten mitsamt den Büchern fort. Während der Nacht hatte er einige Überlegungen angestellt. Jetzt kündigte er an, keine zusätzlichen Steuern zu erheben; stattdessen werde er die bestehenden Steuerforderungen halbieren.

Als Florentius’ oberster Buchhalter davon erfuhr, kam er über den Hof gerauscht, aschfahl im Gesicht und empört schnalzend. Was der Cäsar sich dabei gedacht habe? Er werde eine Katastrophe auf ihn und alle anderen herabbeschwören. Noch aber sei es nicht zu spät, die Ankündigung zurückzunehmen. Man werde eine Möglichkeit finden, sie als Irrtum hinzustellen, als Versehen eines Schreibers, eines kleinen Buchhalters.

»Ich möchte sie nicht zurücknehmen«, beschied Julian. »Wenn die Steuer nicht so belastend ist, werden mehr Leute sie zahlen.«

Der Oberbuchhalter ging kopfschüttelnd und schnalzend davon.

Aber Julian war damit noch nicht fertig. Als Nächstes verkündete er ein Ende der Steuernachlässe. Die reichen Grundbesitzer waren außer sich. Sie schickten Abordnungen nach Paris und behaupteten, kein Geld zu haben. Julian betrachtete ihre schön gearbeiteten, glänzenden Wagen, ihre reinrassigen, übertrieben herausgeputzten Pferde und ihre teuren italienischen Kleider und schickte sie weg. Er sagte, er höre lieber auf die Kleinbauern, die ihre Ware auf dem Markt verkauften, und auf die städtischen Handwerker, die Bäcker, Korbmacher, Töpfer, Tuchwalker und Färber, die kein großes Vermögen besaßen und sich keinen Einfluss kaufen könnten, die ihre Steuer aber stets sofort bezahlten – Männer also, die Florentius niemals in seine Überlegungen einbeziehen, geschweige denn mit ihnen sprechen würde. Julian aber kannte sie. Es waren die Söhne jener Männer, die ihm im Heer dienten; es waren ihre Familien, die die Barbaren als Erstes überfallen würden, wenn man sie ins Land ließe.

Diese Leute mochten den klugen jungen Cäsar, der sie vor den Barbaren bewahrt hatte und der sie jetzt vor dem Machtmissbrauch der reichen Landbesitzer verschonte. Sie zahlten ihre Steuern, schon bevor sie fällig waren. Die Einnahmen strömten.

Florentius’ Beamte brachten bei all ihrer Kleinlichkeit doch so viel Anstand auf, dass sie Julian beglückwünschten und eingestanden, sie hätten sich geirrt. Seine Eroberungen hatten ihnen wenig bedeutet, doch dass dieser junge, stoppelbärtige Griechenzögling die Steuer halbierte und die Einnahmen damit erhöht hatte, war eine Großtat, die ihren Respekt verdiente.

Florentius jedoch schwieg dazu. Kurz darauf reiste er nach Vienne ab, angeblich, um die Getreideauslieferung zu überwachen.

An einem Spätnachmittag desselben Winters kam Marcellus in unsere Zimmer in der Zitadelle und sagte: »Rufus kam heute zu mir. Er möchte zu Nevittas Schwadron wechseln.«

Ich blickte ihn überrascht an. Er saß auf der Bettkante und schnürte sich die Stiefel auf.

»Was hast du dazu gesagt?«

»Ich wollte wissen, warum zu Nevitta, aber er wollte nicht darüber reden. Er sagte nur, er wolle einen Wechsel, und ob ich ihn nun gehen ließe oder nicht. Also ließ ich ihn gehen. Wenn er es unbedingt möchte, hat es keinen Sinn, ihn zu halten.« Er zuckte die Achseln, dann fügte er hinzu: »Vielleicht nützt es ihm etwas.«

Ich runzelte die Stirn. Seit seiner Gefangenschaft im germanischen Wald war Rufus mürrisch und grüblerisch geworden. Seine Augen strahlten nicht mehr. Es schien, als wäre ihm etwas Edles und Zartes, das behutsame Pflege benötigte, ausgerissen und zertrampelt worden.

Marcellus, der ihn häufiger sah als ich, meinte, das Entsetzen über das Schicksal seiner Kameraden habe ihn verändert, und ich pflichtete bei, es müsse wohl so sein. Ich hatte nicht einmal ihm erzählt, was ich außerdem wusste. Darüber Stillschweigen zu bewahren war wohl das Mindeste, worauf der Junge Anspruch hatte.

Ein oder zwei Mal hatte ich ihn unter vier Augen darauf angesprochen. Er war höflich, aber distanziert und wortkarg gewesen und hatte nicht darüber reden wollen.

Deshalb sagte ich jetzt nur: »Nevitta scheint mir eine sonderbare Wahl zu sein, wenn du mich fragst.«

»Das dachte ich auch.«

Keiner von uns konnte ihn leiden. Er war barbarischer Abstammung und hatte sich bei Straßburg hervorgetan. Julian mochte ihn wegen seiner Unverblümtheit und hatte ihn gefördert. Seitdem fand Nevitta immer einen Anlass, um in Julians Nähe zu sein, und hatte zu allem etwas zu sagen, ob er sich damit auskannte oder nicht. Er war tüchtig, doch trotz seines lauten, poltrigen Auftretens besaß er eine argwöhnische, verschleiernde Art, sodass ich ihm nicht traute. Er erinnerte mich an einen flüchtigen Sträfling.

Doch das größere Übel verdeckt das geringere, und wir mussten uns bald über ganz andere Dinge Gedanken machen. An einem klaren Januarmorgen, als Marcellus und ich uns im Stallhof des Kastells zu einem Ritt entlang der Seine bereit machten, kam ein Kurier durch das Tor geprescht. Sein Pferd dampfte in der kalten Winterluft.

»Was gibt es Neues?«, rief jemand gut gelaunt.

»Nichts Erfreuliches!«, rief der Kurier zurück. Er sprang aus dem Sattel und zog die Depesche aus der Satteltasche. »Es gibt Schwierigkeiten in Britannien. Verheerende Schwierigkeiten, heißt es. Julian wird damit alle Hände voll zu tun haben.«

Er reichte sein verschnürtes Päckchen einem Laufburschen, der es in die Zitadelle brachte.

»Wir sollten zu Julian gehen«, sagte Marcellus zu mir.

Bis wir in seinem Arbeitszimmer eintrafen, lag der Brief geöffnet auf dem Tisch, neben einer Karte von Britannien.

Lupicinus, der neue Heermeister der Reiterei, war ebenfalls dort, zusammen mit anderen Offizieren des Korps – Victor, Arintheus und Valentinian. Eutherius, gekleidet in ein schweres winterliches Gewand aus gallischer Wolle mit Fuchspelzkragen, saß auf einem Schemel beim Feuer und wärmte sich die Hände. Oribasius in seinem schlichten dunklen Mantel stand abseits am Fenster.

»Ah, Drusus, Marcellus«, sagte Julian, als er von der Karte aufblickte. »Kommt her. Ihr kennt Britannien besser als wir alle.«

Dann berichtete er.

Zwei barbarische Stämme, bekannt als Pikten und Skoten, die jenseits des nördlichen Grenzwalls ein wildes, unzivilisiertes Leben führten, hatten gegen das Abkommen verstoßen und waren über die Grenze vorgedrungen, während andere mit Segelschiffen an der Küste entlanggefahren waren, um den Grenzwall zu umgehen. Sie hatten Kastelle in Brand gesteckt, nachdem die Besatzung vor ihnen geflohen war. »Chester ist bedroht. Der Statthalter von London, ein gewisser Alypius – ich kenne ihn, er ist ein guter Mann –, vermutet, dass York bereits unter Belagerung steht, wenn sein Brief bei mir eintrifft. Er schreibt, es sei mehr als ein wahlloser Raubzug. Die Überfälle seien von einem guten Strategen geplant.«

»Von einem Strategen?«, fragte Lupicinus scharf. »Was soll das heißen? Von wem?«

Julian hielt inne und blickte ihn prüfend an, ehe er antwortete. Sie hatten noch keinen Feldzug zusammen geführt. Er konnte den Mann noch nicht zuverlässig einschätzen.

»Das weiß Alypius selbst nicht.«

»Er behauptet aber, dass eine bestimmte Absicht dahintersteckt?«

»Es sind Stämme, die sich gewöhnlich zanken wie die Hofhunde. Sie sind Viehdiebe, doch plötzlich gehen sie mit vereinten Kräften vor. Sie haben mitten im Winter angegriffen, wenn die Verteidigung am schwächsten ist. Trotzdem haben unsere Spione, die das Entstehen von Feindseligkeiten aufmerksam beobachten, von alldem nichts bemerkt. Es steckt also ein kluger Kopf dahinter, meint Alypius. Du bist nicht verpflichtet, zuzustimmen, Lupicinus.«

Julian schwieg kurz, für den Fall, dass Lupicinus etwas erwidern wollte. Doch das tat er nicht. Der Heermeister hielt einen glänzenden, kirschroten Stab mit Vergoldungen und elfenbeinernen Siegeskranzintarsien in der Hand und schlug sich damit ungeduldig in die Handfläche. Julian wandte sich der Karte zu.

»Mit den Garnisonen allein können wir sie nicht zurückschlagen«, fuhr er fort. »Wie bald können wir marschbereit sein?«

»Aber Cäsar«, rief Valentinian, »du wirst doch im Winter keine Überfahrt wagen!«

»Du bist zu ängstlich«, meinte Lupicinus trocken.

Valentinian schoss ihm einen zornigen Blick zu und holte tief Luft. Doch ehe er etwas sagen konnte, kam Julian ihm zuvor. »Das ist es ja gerade, worauf sich unsere Feinde verlassen. Die Pikten und Skoten erwarten uns nicht vor dem Frühling. Nun, wir werden sie überraschen.«

Eutherius hüstelte, worauf Julian sich ihm zuwandte.

»Ja, Eutherius?«

»Falls tatsächlich ein Plan hinter diesen Überfällen steckt«, sagte er von seinem behaglichen Platz am Bronzeofen aus, »sollten wir uns fragen, wem er nützt und welche Reaktion von uns erwartet wird.«

»Was für eine Frage!«, rief Lupicinus ungeduldig aus. »Er nützt natürlich ihnen selbst, zumindest glauben sie das. Man muss ihnen eine Lehre erteilen, und zwar schnell. Mehr ist an der Sache nicht dran. Sie müssen vernichtet werden. Julian muss unverzüglich aufbrechen.«

Mit geduldiger Miene wartete Eutherius, bis Lupicinus fertig war. Während ich zuhörte, kam mir der Gedanke, dass Eutherius ihn an einen bestimmten Punkt locken wollte.

»Ganz recht, Heermeister«, sagte er. »Doch nehmen wir einmal an, Alypius hätte recht.«

»Was dann?«

»Nun, wir können zum einen annehmen, dass es den germanischen Stämmen nützt, wenn Julian Gallien verlässt. Schließlich hat er ihnen genügend Scherereien gemacht, und seine Abwesenheit wäre zweifellos willkommen. Das gäbe ihnen wieder freie Hand.«

Er schwieg kurz, während sein Blick von Lupicinus zu Julian wanderte und auf dessen Gesicht ruhen blieb. Dann, nach einer kurzen Pause und kaum merklichem Nicken, sagte er: »Das gäbe all unseren Feinden freie Hand.«

Vielleicht war es nur das Gift der Intrigen, das durch die Zitadelle waberte wie Nebel, doch ich war mir sicher, eine private Andeutung herauszuhören. Mir fiel ein, wie Constantius während seines Krieges mit Magnentius die Barbaren aufgestachelt und zu Raubzügen auf römisches Gebiet geschickt hatte, ohne Rücksicht auf die Folgen, solange es nur seinen eigenen Zwecken nützte. Wollte Eutherius darauf anspielen? Wollte jemand Julian aus dem Weg räumen? Ich hatte keine sichere Antwort darauf. Wie auch immer, Eutherius wollte es nicht offen ansprechen.

Ich schob den Gedanken beiseite und sagte mir, ich sähe schon überall Verschwörer.

»Es ist gar keine Frage«, fuhr Eutherius fort und blickte Julian vielsagend an, »du musst in Gallien bleiben und einen anderen nach Britannien schicken.«

»Aber das ist doch eigentlich Aufgabe des Cäsars«, wandte Lupicinus ein. »Außerdem ist es sein eigener Wunsch, wie du gehört hast. Wozu also diese Diskussion?«

»Du hast im Osten gekämpft«, sagte Eutherius lächelnd, »ruhmreich, wie man hört. Nach den Persern werden ein paar keltische Raufbolde keine Gegner für dich sein.«

Wie immer Marcellus und ich über ihn dachten – Lupicinus war ein erfahrener, erfolgreicher Soldat. Erstaunlicherweise hatte er nun Einwände und verschanzte sich hinter logistischen Schwierigkeiten: Ob es nicht genüge, mehrere Einheiten zur Verstärkung zu schicken? Ob es nicht besser sei, wenn ein Mann seines Könnens in Gallien bliebe, falls die unberechenbaren Germanen wieder auf Raubzüge gingen? Ob es wirklich klug sei, die Überfahrt im Winter zu wagen, wo Stürme häufig und Truppentransporter leicht zu überwältigen seien?

Jeder – besonders Valentinian, dem es nicht gefallen hatte, ängstlich genannt zu werden – hörte verwundert zu, bis Julian ihn schließlich unterbrach: »Einer von uns muss gehen. Jede Verzögerung wird uns als Schwäche ausgelegt. Ist das nicht auch deine Ansicht?«

»Natürlich«, antwortete Lupicinus gereizt.

Julian nickte. Sein Blick schwenkte zu dem Bronzeofen mit seinen Girlandenreliefs und dann zu Eutherius, der sich die Hände daran wärmte und keine Miene verzog.

»Dann werde ich bleiben, wenn du es mir rätst, Eutherius. Wir dürfen nicht gefährden, was wir bisher erreicht haben. Wir werden genügend Männer hierbehalten, um unsere Flanken gegen die Germanen zu schützen.«

Einen Moment lang rieb er sich nachdenklich das Kinn. Dann drehte er sich zu Lupicinus um und sagte: »Nimm die Heruler und die Bataver. Sie sind gute, leidenschaftliche Kämpfer, und uns bleibt damit eine ausreichende Reserve, um notfalls die Rheingrenze zu verteidigen.«

So brach Lupicinus nach Britannien auf.

Bei Boulogne schiffte er sich ein, und bald darauf kam die Nachricht, er sei in London eingetroffen. Dann zog sich der Himmel zu, und wir warteten und munterten uns mit der Geschichte auf, die gerade die Runde machte, wonach Lupicinus in der Christenkirche gebetet und dann heimlich nach einem alten Priester geschickt und ihn gebeten habe, für eine sichere Überfahrt Weihrauch auf Neptuns Altar zu opfern.

Kurze Zeit später, Ende Januar, kam ein kaiserlicher Notar in die Zitadelle. Ein Hauptmann der Wache kündigte ihn an.

»Ein Notar?«, sagte Julian. »Kommt er von Florentius?« Wir hatten nichts mehr vom Präfekten gehört, seit er überstürzt nach Vienne abgereist war.

»Nein, Cäsar. Er sagt, er kommt vom Kaiser. Er heißt Decentius. Er fragte als Erstes nach dem Präfekten. Als ich ihm sagte, der Präfekt sei in Vienne, verlangte er Lupicinus zu sprechen.«

»… und der ist in Britannien.«

»Das sagte ich ihm ebenfalls. Darauf befahl er mir … äh, dich zu ihm zu rufen.«

»Zu rufen?«, wiederholte Julian und zog belustigt die Brauen hoch. »Er hat dir befohlen, mich zu ihm zu rufen?«

Der Hauptmann, ein junger Gallier, der gerade erst befördert worden war, blickte verlegen drein. »Ja, Cäsar. Das waren seine Worte.«

»Wenn das so ist«, sagte Julian, »sollten wir ihn lieber nicht warten lassen.«

Der Hauptmann war zu unruhig, um Julians Sarkasmus zu würdigen. Beim Hinausgehen drehte er sich noch einmal um.

»Was gibt’s?«, fragte Julian.

»Nur eines noch. Er wies mich an, gleich anschließend Sintula zu suchen und ihn ebenfalls zu ihm zu bringen.«

»Was kann er von Sintula wollen?«, überlegte Julian, nachdem der Hauptmann gegangen war.

Ich kannte Sintula. Er war ein ehrgeiziger Offizier der Palastwache, dessen Hauptsorge das eigene Vorankommen war. Es war allgemein bekannt, dass er zu Florentius’ Klientel gehörte. Offenbar hielt auch der Hauptmann es für sonderbar, dass Sintula an dem Gespräch teilnehmen sollte, denn politische Angelegenheiten gingen ihn nichts an.

Sintula jedoch vergeudete keine Zeit. Als wir im großen Audienzsaal eintrafen, wartete er bereits mit selbstzufriedener Miene wie ein Kind, das ein wichtiges Geheimnis hütet. Bei ihm war ein Mann mit schwarzem Haarschopf und einem kleinen, bösartigen Mund, der die schwarze Tracht der kaiserlichen Notare trug.

Als Julian den Saal betrat, erklärte der Notar in barschem Tonfall und mit lauter Stimme: »Ich hatte gehofft, den ehrenwerten Lupicinus anzutreffen. Doch wie es scheint, hast du ihn weggeschickt.«

»Lupicinus ist in Britannien«, begann Julian und wurde sogleich unterbrochen.

»Das ist mir bekannt.«

Julians Miene wurde hart. Er legte wenig Wert auf zeremonielles Auftreten, konnte aber sehr wohl zwischen Ungezwungenheit und Frechheit unterscheiden. Das Korps der Notare – Constantius’ persönliche Agenten – waren im gesamten Imperium verhasst, und das aus gutem Grund. Sie standen über dem Gesetz, jedenfalls glaubten sie das; sie waren hochfahrend und gefährlich; sie missbrauchten ihre Macht, die nicht klar umgrenzt war, und in den Augen des Kaisers konnten sie nichts verkehrt machen.

Ohne Julians Miene zu beachten, fuhr der Mann in demselben Tonfall fort: »Die Befehle, die ich bringe, waren für den Heermeister Lupicinus bestimmt. Im Falle seiner Abwesenheit war ich gehalten, mit dem Präfekten Florentius zu sprechen. Und nun stelle ich fest, dass er ebenfalls nicht da ist.«

»Er ist in Vienne.«

»Ja. Das ist misslich.«

»Du hast gebeten, mit mir zu sprechen«, sagte Julian kalt. »Nun, hier bin ich. Was willst du?«

Der Notar seufzte; dann schnippte er mit den Fingern und machte eine kleine fordernde Geste, worauf ein Diener mit einer Schriftrolle zu ihm trat. Darauf sah ich im flackernden Licht der Wandfackeln das große kaiserliche Siegel glänzen.

»Du kennst den Inhalt?«, fragte Julian.

»Allerdings«, antwortete der Notar. »Und ich bin hier, um Sorge zu tragen, dass die Anweisungen ausgeführt werden.«

Julian machte schmale Augen. »Und?«, sagte er langsam. »Was wünscht der Kaiser?«

»Du sollst Soldaten aus Gallien schicken, die der Kaiser für seinen Krieg mit den Persern benötigt, und zwar folgende Legionen: die Heruler, die Bataver und von den Hilfstruppen das Keltenregiment und die Petulantes, dazu dreihundert Mann aus jeder der übrigen Einheiten sowie eine Abteilung der Palastgarde.«

Als er schwieg, sagte Julian leise: »Ist dir klar, dass du mehr als die Hälfte meines Heeres verlangst?«

Der Notar lächelte schmal. »Ich bin kein Mann des Militärs, Cäsar. Ich bin hier, um die Befehle des Kaisers auszuführen. Außerdem wurde ich angewiesen, dir zu sagen, dass du dich nicht einmischen sollst. Die Befehle sind für die Bevollmächtigten des Kaisers in Gallien bestimmt, den Heermeister Lupicinus und den Präfekten Florentius. Ich teile dir diese Befehle nur aufgrund der Abwesenheit der beiden Männer mit, aus Höflichkeit. Dieser Tribun«, er deutete mit einem Nicken auf Sintula, »soll mit der Auswahl der Soldaten betraut werden, damit tatsächlich die besten genommen werden. Dann soll er die Männer der Palastgarde nach Osten führen.«

Decentius mochte sich unbedarft geben, doch Julian blickte nun Sintula an, der genau wusste, dass der Abzug eines so großen Teils des Heeres den Cäsar stark geschwächt zurückließe. Sintula trat unruhig aufs andere Bein und starrte auf den Fußboden.

Oribasius und Eutherius waren oben im Arbeitszimmer geblieben, aber ich war bei ihm und Marcellus ebenfalls. Julian warf uns einen Blick zu; seine Anspannung war ihm anzusehen. Ich wusste, was er dachte: dass sein Feind am Hof ihn nun doch noch geschlagen hatte. Einen Moment lang wirkte er hoffnungslos. Dann aber straffte er die Schultern. Er war nicht gewillt, diesen überheblichen Notar merken zu lassen, wie sehr es ihn traf.

»Wie der Kaiser wünscht«, sagte er schließlich.

»Selbstverständlich«, erwiderte der Notar mit hochgezogenen Brauen. Er gab dem Diener ein Zeichen, aber Julian war noch nicht fertig.

»Allerdings befinden sich die Heruler und Bataver zusammen mit dem Heermeister in Britannien«, sagte er. »Und Florentius, der die Versorgung der Truppen sicherzustellen hat, ist nach Vienne gereist. Daher wird die Sache warten müssen, fürchte ich. In der Zwischenzeit wird Sintula sein Bestes tun, um dir den Aufenthalt in Paris angenehm zu machen.«

Er wandte sich Marcellus und mir zu. »Kommt«, sagte er angespannt, »diese Männer haben nun viel zu tun, wenn sie die Provinz ihrer Verteidigungskräfte entledigen wollen, auf deren Aufbau wir so viel Mühe verwandt haben. Wir sollten sie ihrer Arbeit überlassen.«

Bevor noch jemand etwas sagen konnte, schritt er energisch davon und ließ den Notar stehen, der eine selbstgefällige Gleichgültigkeit zur Schau trug, während Sintula sich ein wichtiges Aussehen gab, aber dabei vergaß, den Mund zu schließen.

»Jeder Narr durchschaut, was er vorhat!«, rief Julian, als wir wieder in seinem Arbeitszimmer waren. »Er nimmt mir meine Streitkräfte, und dann wird er einen Haftbefehl schicken und mich festnehmen lassen. Und was ist mein Verbrechen? Dass ich tat, was von mir verlangt wurde, und Gallien befreit habe?«

Er sprach zu Eutherius, während er auf und ab schritt und aufgebracht gestikulierte. Nun aber wandte er sich Marcellus und mir zu.

»So dreht sich das Rad der Fortuna«, sagte er bitter. »Männer sind neidisch auf hohe Ämter und vergeuden ihr Leben, indem sie danach streben. Ihr seid loyale Freunde gewesen, aber ich kann euch nicht daran binden, da ich nun sehe, wohin es führen muss. Ihr müsst gehen, bevor ich verhaftet werde, sonst geratet ihr ebenfalls ins Netz.«

»Wir bleiben!«, erklärte Marcellus ohne Zögern.

Auf seine gewohnte beherrschte Art sagte Eutherius: »Lasst uns Ruhe bewahren … Mein lieber Julian, sei still und setz dich erst einmal.«

Julian ließ sich in den hochlehnigen Ebenholzstuhl fallen, der an der Wand stand, und rieb sich das Gesicht. Dann blickte er Eutherius an.

»Was nun?«, fragte er.

»Das ist eine alte Taktik. Der gehetzte Hase rennt immer ins Netz, doch der Mensch besitzt die Gabe der Vernunft. Deine Feinde bei Hof versuchen, dich in eine Falle zu treiben. Sieh es, wie es ist, und gib ihnen nicht den Vorwand, den sie brauchen. Fürs Erste verhalte dich einwandfrei.«

Eutherius erteilte seine Ratschläge, und Julian hörte zu. Anschließend sandte er mit dem kaiserlichen Kurierdienst eine Depesche nach Vienne, in welcher er Florentius mitteilte, dass er in Paris verlangt werde und wichtige Angelegenheiten mit ihm zu besprechen habe. Inzwischen ließ der Notar Decentius von Sintula die Auswahl unter den Soldaten treffen.

Als Sintula mit seiner Aufgabe begann, kam Marcellus aus der Kaserne und berichtete mit schiefem Lächeln: »Es wird schwieriger für ihn, als er geglaubt hat. Die Männer wollen nicht gehen. Sie wenden ein, dass sie keinen Befehl von Julian haben. Und sie mögen Sintula nicht. Er ist ihnen zu arrogant.«

Bald kam Sintula, um sich bei Julian zu beschweren; er brachte Decentius und seinen neuen Verbündeten Pentadius mit, einen von Florentius’ Klienten, den Julian nicht leiden konnte.

»Die Männer wollen nicht gehen«, sagte er empört. »Sie behaupten, du hättest ihnen versprochen, dass sie jenseits der Alpen nicht zu dienen brauchen.«

»So ist es. Du warst dabei, Sintula, oder hast du das vergessen? Ich versprach, dass sie niemand je zwingen wird, Gallien zu verlassen. Ich sagte, dass sie für Heim und Familie kämpfen. Wie wären sie mir sonst gefolgt, nachdem der Kaiser keine Mittel mehr aufbrachte, um sie zu bezahlen? Und hast du vergessen, dass du damals einverstanden warst?«

»Ich habe Befehle befolgt.«

»Und jetzt befolgst du wieder Befehle. Gewiss wirst du das den Männern erklären können.«

»Du sperrst dich also?«, fragte Decentius.

»Ich habe den Männern mein Wort gegeben.«

»Du hättest ein solches Versprechen niemals geben dürfen. Dazu warst du nicht befugt.«

»Der Kaiser gab mir den Auftrag, die Provinz zu sichern. Das war meine Befugnis. Wenn Constantius mich jetzt ersetzen will, soll er es tun. Ich bin bereit zu gehen.«

»Lass uns wenigstens erklären, dass du nichts einzuwenden hast!«, rief der kriecherische Pentadius aus.

Julian drehte sich zu ihm um und betrachtete ihn mit Abscheu. Pentadius gehörte zu denen, die von der Philosophie so wenig gelernt hatten, dass es besser gewesen wäre, sie hätten gar nichts gelernt. Er hatte irgendwo aufgeschnappt, dass der Mittelweg stets der beste sei, ohne zu begreifen, wie und warum. Jetzt sah er sich als Vermittler, blind gegenüber der Tatsache, dass er lediglich seine Laufbahn in der kaiserlichen Ämterhierarchie förderte, wie er es immer getan hatte.

»Du darfst ihnen sagen, ich hätte keine Einwände«, erklärte Julian. Er schritt zu den Bücherborden neben seinem Schreibpult, betrachtete die unordentlich gestapelten Schriftrollen mit ihren Schildchen und hölzernen Spindeln und drehte sich dann um. »Sei aber beim nächsten Mal nicht überrascht, wenn sich keine Freiwilligen melden, wenn du in Gallien Männer rekrutieren willst.«

Tage vergingen. Von Florentius kam keine Antwort. Julian schickte eine zweite Depesche: Aus der Provinz sollten Truppen abgezogen werden, sodass er in Paris gebraucht werde. Es sei die Pflicht des Präfekten, für Ausrüstung und Transport zu sorgen.

»Er wird nicht kommen«, sagte Julian später.

»Er weiß, dass wir ihn verdächtigen«, meinte Oribasius.

Julian schaute aus dem Fenster. Es regnete. »Mit gutem Grund. Seine Abwesenheit ist allzu passend.« Er schüttelte den Kopf. »Dennoch hat er seine Arbeit zu tun. Fürchtet er etwa um sein Leben? Er sollte mich besser kennen.«

Während der grauen Wintertage versuchten wir alle auf unterschiedliche Weise, beim Notar zu intervenieren; wir drängten ihn, die Sache aufzuschieben und um neue Befehle zu bitten.

Just nach solch einem unerfreulichen Gespräch – der Mann war für vernünftige Überlegungen unzugänglich und auf aggressive Weise stur – lief ich Eutherius in die Arme, als er die Gartenkolonnade entlangging.

Er nahm mich beim Arm und lud mich ein, einen Becher Wein mit ihm zu trinken. Als wir in seinen warmen, süß duftenden Gemächern saßen und Agatho uns den Wein gebracht hatte, sagte ich: »Es nützt nichts, er will nicht zuhören. Man könnte ebenso gut mit einem Stein reden.«

»Das kann uns schwerlich überraschen, Drusus. Aber jetzt nimm dir erst einmal einen von diesen wunderbaren Zimtkuchen, und mach nicht so ein verdrießliches Gesicht.«

Ich nahm einen Kuchen aus der kegelförmigen roten Glasschüssel. In Eutherius’ Zimmer stand immer eine Auswahl kleiner Köstlichkeiten bereit.

»Es ist klar, dass Decentius nicht die Absicht hat, unsere Ratschläge zu befolgen. Er ist nicht gekommen, um zuzuhören, sondern um Anweisungen zu erteilen. Aber«, sagte er nachdenklich kauend, »hast du bemerkt, dass er hinter seinem aufgeblasenen Gehabe gar nicht so selbstsicher ist, wie er vorgibt?«

»Er hatte wohl angenommen, Lupicinus die Befehle zu überbringen und mit dem Auftrag fertig zu sein«, sagte ich.

»Wahrscheinlich. Und nun ist er gezwungen, selbst Verantwortung zu übernehmen. Er würde es nie zugeben, aber damit ist er überfordert.«

»Ein Beamter, der als Soldat auftritt«, sagte ich bitter.

Eutherius nickte.

»Und er wird einen Fehler machen«, sagte er. »Wir brauchen nur zu warten.«