40460.fb2 Wen die G?tter lieben - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

Wen die G?tter lieben - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

NEUNTES KAPITEL

Wir kehrten nach Paris zurück und trafen Eutherius an, der seine diplomatische Mission beim Kaiser erfüllt hatte. Auf seiner Reise nach Osten war er in jeder Stadt auf lustlose, mürrische Beamte gestoßen, die ihn behinderten. Selbst die kleinsten Gasthäuser waren voll belegt, die kräftigsten Pferde auf unerklärliche Weise lahm; Wagen, die gestern noch verfügbar gewesen waren, hatten plötzlich gebrochene Achsen oder waren zu dringenden Fahrten bestellt worden.

Als er endlich nach Konstantinopel gelangte, stellte er fest, dass Florentius ihm zuvorgekommen war, und reiste weiter nach Cäsarea in Kappadokien, wo zurzeit der Hof residierte.

Ich war nicht dabei, als Eutherius die Einzelheiten seiner Mission vor Julian ausbreitete. Doch kurze Zeit später in den Bädern des Palastes – ich ging gerade vom Dampfbad zum Wasserbecken – entdeckte ich Eutherius, der mit dem Gesicht nach unten auf einer Bank lag und seinen breiten Rücken vom Masseur bearbeiten ließ.

Um ihn nicht zu stören, ging ich weiter, denn inzwischen hatte sich herumgesprochen, dass seine Mission fehlgeschlagen war. Doch im Vorbeigehen hörte ich seine melodische Stimme hinter mir sagen: »Obwohl ich liege, schlafe ich nicht, Drusus.«

Lachend drehte ich mich um. »Ich dachte, du wärst mit Sophron beschäftigt.«

»Sophron ist mit mir beschäftigt«, erwiderte er und hob den Kopf so weit, dass er seinem Masseur einen grimmigen Blick zuwerfen konnte. »Ich selbst habe nichts zu tun. Komm und setz dich hierher, wo ich dich sehen kann.«

Ich ging zu ihm in die Nische und setzte mich auf die gegenüberliegende Bank. Nach der schwülen Hitze im Dampfbad war der feuchtkalte Stein angenehm auf der Haut. Von den vergitterten Fenstern unter dem Kuppeldach fielen Sonnenstrahlen schräg durch die feuchte Luft. In einer Ecke tröpfelte Wasser aus einem Löwenkopf in ein Marmorbecken. »Ich habe mit Oribasius geplaudert«, sagte ich. »Er erwähnte, dass deine Reise beschwerlich gewesen ist.«

Er stöhnte. »Beschwerlich? Sie war scheußlich.«

Ich lächelte und beobachtete ein paar Augenblicke die geschäftigen Hände des Sklaven. Ich hatte Eutherius noch nicht unbekleidet gesehen. Er war stattlich und unbehaart, aber nicht fett. Selbst im Bad trug er ein Tuch um die Lenden – was unter Eunuchen üblich war. Vermutlich waren sie die vulgäre Neugier anderer Männer leid.

»Oribasius sagt, Constantius habe einen Wutanfall bekommen.«

»In der Tat, und der war selbst für ihn ungewöhnlich. Ich hatte Glück, mit dem Leben davonzukommen.«

Wie erhofft erzählte er mir, was sich zugetragen hatte.

Er und Pentadius waren in den Audienzsaal gelassen worden. Auf dem erhöhten, vergoldeten und juwelenbesetzten Thron, umgeben von seinem Gefolge, saß Constantius mit versteinerter Miene und blickte zornig zu ihnen herab.

»Sowie ich Florentius neben dem Thron lächeln sah wie eine Katze vor der Butter, wusste ich, was kommen würde. Doch wer den Mut verliert, verliert alles. Ich handelte wie geplant und las Julians Brief vor.«

In diesem Brief drängte Julian den Kaiser, nicht auf den Klatsch der Unheilstifter zu hören, und führte aus, es gebe Männer am Hof, die sich zum Ziel gesetzt hätten, zwischen ihnen beiden Zwietracht zu säen. Deshalb sollten sie klug handeln und sich nicht von Feinden in eine Katastrophe treiben lassen. Julian erinnerte den Kaiser, dass er seine Verpflichtungen treu erfüllt habe, und erklärte, er habe den Notar Decentius vor den Gefahren gewarnt, als dieser Truppen von ihm verlangt habe. Wenn Decentius auf ihn gehört hätte, gäbe es jetzt keine Krise. Er habe es auf eine Akklamation nicht angelegt, doch nun, da sie erfolgt sei, werde es zur Meuterei kommen, wenn er sich vom Titel des Augustus distanzieren wollte, nachdem die Soldaten ihm diesen aufgezwungen hätten. Sollte er es trotzdem versuchen, werde wahrscheinlich ein anderer ausgerufen, der dem Kaiser weniger genehm sei, denn die Männer seien in der entsprechenden Stimmung.

Darum bat er Constantius, anzuerkennen, was geschehen war, und ihm zu glauben, dass er keinen Krieg zwischen ihnen wünsche. Seine Sorge sei einzig die Sicherheit Galliens, die noch immer gefährdet sei. Wenn er jetzt die besten Männer seiner Truppen abkommandierte, wäre dies das Zeichen für die germanischen Stämme, dass Rom eine ernsthafte Verteidigung Galliens nicht im Sinn hätte, und würde eine neuerliche Invasion provozieren. Doch um seinen guten Willen zu beweisen, werde er Reiterei aus Spanien und Söldnereinheiten zur Verstärkung schicken, die er gefahrlos entbehren könne. Schließlich forderte er den Kaiser auf, einen neuen Präfekten zu ernennen, um Florentius zu ersetzen. Doch was die übrigen Beamten angehe, werde er Männer auswählen, mit denen er am besten zusammenarbeiten könne.

»Während ich das alles vorgetragen habe«, sagte Eutherius, »saß Constantius wie versteinert da. Florentius flüsterte ihm ununterbrochen ins Ohr, und die Höflinge feixten und verdrehten die Augen.«

»Und Pentatius? Was hat der gesagt?«

»Er bestätigte alles – was ihm zur Ehre gereicht, denn da waren die Gefahrenzeichen schon für jeden offensichtlich: die Wangen unter der Puderschicht errötet, die Finger eisern um die Armlehnen geklammert, der paillettenbesetzte Pantoffel ungeduldig tippend.«

»Und dann?«, fragte ich.

Eutherius seufzte. »Dann schien er den Verstand zu verlieren. Er brüllte. Er drohte. Er zeigte mit dem Finger und spuckte. Er war kaum zu verstehen – Verräter, Dreckskerl, undankbarer Flegel –, doch am Ende gelang es dieser hinterhältigen Schlange von einem Oberkämmerer, den Kaiser ein wenig zu beruhigen, und als eine Verständigung wieder möglich war, wurden wir seiner Gegenwart verwiesen.«

Er stöhnte laut auf, da der Masseur seine Schultern zu kneten begann. Ich saß still da und tippte gedankenverloren auf meine alte Messerstichnarbe am Oberschenkel. Schließlich erzählte ich ihm, was Alypius vermutete, nämlich dass Constantius Julians Versprechungen nicht trauen würde.

»Ganz sicher nicht«, bekräftigte Eutherius. »Wie immer seine Entscheidung ausfallen wird, auf Vertrauen wird sie nicht gegründet sein. Dieses Wort hat für ihn keine Bedeutung. Nein, unsere einzige Hoffnung besteht darin, dass die Perser sich bereits an der Ostgrenze sammeln, denn so wird Constantius vielleicht klug genug sein, Julian in Frieden zu lassen, und ihm erlauben, das zu behalten, was er hat … Das genügt fürs Erste, Sophron.«

Er streckte die Hand aus und ließ sich von dem Sklaven hochziehen.

»Ah, ich fühle mich schon viel besser«, sagte er und reckte sich. »Und nun erzähl mir, was deine Soldatenfreunde sagen, Drusus.«

Ich zuckte die Achseln. »Sie rechnen mit Krieg. Manche wollen ihn sogar.« Kurz zuvor war eine Schar von Nevittas Freunden an mir vorbeigelaufen. Sie sprachen von nichts anderem.

»Nun, in den Hades gelangt man leicht«, meinte Eutherius seufzend. »Es sind die alten Männer wie ich, die den Frieden wählen.«

»Müssen wir denn nicht kämpfen?«

»Germanische Barbaren sind eine Sache, eine ganz andere ist es, gegen Constantius’ gepanzerte Reiter und die disziplinierten Heere des Ostens zu bestehen.« Sein Blick wanderte über meinen nackten Körper und blieb an der Narbe am Oberschenkel hängen. »Macht sie dir noch Ärger?«, fragte er.

Achselzuckend nahm ich die Hand weg und war plötzlich befangen. »Manchmal zwickt sie … Aber die Wunde war nicht tief. Es gibt viele Männer, die es schlimmer erwischt hat.«

»Und hältst du dich in der Schlacht ihretwegen zurück?«

Ich blickte scharf auf, um zu erwidern, dass ein solches Verhalten wohl schändlich sei. Doch ich sah ihm an, dass er mich nur zum Nachdenken anregen wollte.

Ich nickte. »Die Zenturionen sagen, dass die Zaghaften als Erste fallen.«

»Ebenso die Leichtsinnigen.« Er lächelte. »Zu welchen gehören wir, was meinst du? Oder gibt es eine dritte Gruppe? Das ist es, was wir entscheiden müssen. Denn der Weise betrügt sich nicht selbst.«

Als er meinen verwirrten Gesichtsausdruck sah, lachte er freundlich und ließ sich von der Steinbank gleiten. »Komm, mein lieber Drusus, begleite mich zum Wasserbecken. Dann werden wir gemeinsam über die Zaghaften, die Leichtsinnigen und die Tapferen nachdenken, und du kannst mir alles über deine diplomatische Reise zum edlen Lupicinus berichten.«

Anfang Mai, als sich die ersten Knospen an den Weinstöcken zeigten, sandte Constantius seine offizielle Antwort. Der Bote war ein Quästor vom Hof. Er hieß Leonas.

Julian befahl, ihn mit Respekt zu behandeln, ganz gleich, welche Botschaft er überbringe. Er wolle zeigen, dass er Gesandten mit der gebührenden Achtung zu begegnen wisse, auch wenn der Kaiser das vergessen haben sollte.

Als wir nun in dem langen Audienzsaal standen, hörten wir dem Mann zu, der dröhnend und hölzern seine Botschaft vortrug, als stünde er vor einer großen Menschenmenge. »Der göttliche Kaiser willigt in keinen deiner Vorschläge ein. Ich wurde angewiesen, dir mitzuteilen, dass du von diesem törichten Verhalten ablassen solltest, wenn dir dein Wohl und das Wohl deiner Freunde am Herzen liegt.«

Leonas blickte auf. Julian fragte: »Gibt es noch etwas?«

»Ja, Cäsar«, antwortete der Bote, wobei er das zweite Wort in die Länge zog und danach in die Gesichter schaute, um sich zu vergewissern, dass wir die Herabsetzung verstanden hatten. »Ja, es gibt noch etwas.«

Offenbar hatte er Julians Milde und Höflichkeit als Zeichen der Furcht aufgefasst und wurde nun hochmütig. Ich schaute zu Eutherius. Er fing meinen Blick auf, hatte jedoch seine Diplomatenmiene aufgesetzt und gab nichts preis.

Der Bote wandte sich wieder der Pergamentrolle zu, die er gewichtig schwang. »Hiermit beruft der Kaiser folgende Männer in deinen Stab. Nebridius wird zum Präfekten ernannt, der Notar Felix wird an Pentadius’ Stelle treten, Gomoarius wird den Heermeister Lupicinus ersetzen … und Lupicinus«, sagte er und blickte auf, »den du hast einsperren lassen, soll freies Geleit gewährt werden.«

Während der Bekanntgabe hatte ich auf die fadenscheinigen zimtbraunen Teppiche zwischen den Säulen gestarrt, auf denen gallische Landschaften mit grünen Bäumen, springende Rehe und Jäger mit ihren Hunden zu sehen waren. Dahinter in dem langen Gang, vor den Blicken der Anwesenden verborgen, standen wie immer die Lauscher, sodass bald alles, was der Bote sagte, im Palast und außerhalb die Runde machen würde.

Julian wusste das. Nachdem Leonas geendet hatte, sagte er: »Wir werden Nebridius herrufen lassen und ihn von seinem Glück in Kenntnis setzen. Doch was die Übrigen betrifft, so werde ich wie angekündigt die Auswahl selbst treffen.«

Leonas riss die Augen auf. Er gehörte zu denen, die glauben, verstanden zu haben, wenn sie nur die Oberfläche sehen. Er hatte offenbar erwartet, Julian würde unterwürfig hinnehmen, was ihm zugemutet wurde. Nun reckte er verärgert das Kinn vor und rief: »So willst du es dem Mann danken, der dein Leben geschützt und dich, eine mittellose Waise, in den höchsten Rang erhoben hat?«

Alle starrten wie gebannt. Inzwischen wusste auch der kleinste Schreiber von Julians Vergangenheit und was Constantius seiner Familie angetan hatte.

Mit einem Aufschrei, als wäre er geschlagen worden, sprang Julian auf. »Wie bitte?«, rief er. »Macht der Mörder meines Vaters mir jetzt zum Vorwurf, dass ich eine Waise bin?«

Leonas biss sich auf die Lippe und gab keine Antwort. Nach kurzem Schweigen fuhr Julian mit ruhigerer Stimme fort: »Du willst, dass ich verzichte? Meinetwegen. Ich werde es tun.«

Hinter einem der Teppiche hörte man Laute des Erstaunens. Julian beachtete sie nicht. »Unter einer Bedingung«, fuhr er fort. »Vorher sprichst du zu den Soldaten und überzeugst sie.«

Und so versammelten sich am nächsten Morgen die Legionen auf freiem Feld außerhalb der Stadt. Dünne Wolken zogen über den Himmel und ließen Lücken von klarem Blau. Die feuchten Wiesen blühten. Veilchen, Narzissen und gelbe Krokusse wurden von den Soldaten zertrampelt. Ich stand bei Marcellus und den anderen Offizieren unterhalb der erhöhten Bühne.

Oribasius hatte mit Julian gestritten und verkündet, es sei verrückt, so viel in die Waagschale zu werfen. Doch Julian hatte erwidert, er kenne seine Soldaten. »Außerdem wäre ich ohne ihre Zustimmung ohnehin am Ende. Da ist es doch besser, es gleich herauszufinden, oder nicht?«

Nun wartete vor uns das Heer, Kohorte um Kohorte. Die Sonne blinkte auf den polierten Stangen der Feldzeichen, die rot-goldenen Flaggen wehten im Wind. Weiter hinten, wo die Bogenschützen standen, konnte ich Nevittas Leute sehen, darunter den jungen Rufus auf seiner grauen Stute, der gerade über einen Scherz lachte. Neuerdings, wenn wir uns in den Säulengängen über den Weg liefen, schaute er absichtlich weg und tat, als hätte er mich nicht gesehen. Ich fasste das nicht als Beleidigung auf, sondern verstand, dass er nicht daran erinnert werden wollte, was ich über ihn wusste. Es ließe sich nicht mit dem nassforschen jungen Mann in Einklang bringen, der er geworden war oder zu sein versuchte.

Trotz dieser Maske konnte man die Verletztheit in seinen Augen erkennen. Nevittas Freunde jedoch waren Männer, die so etwas nicht wahrnahmen, und vielleicht war ihm das klar gewesen.

Rings um die Bühne drehten Männer die Köpfe, und kurz darauf stieg Julian mit forschem Schritt die Stufen hinauf und bedeutete Leonas, ihm zu folgen. Der Bote hatte sein stolzes Getue abgelegt. Julian dagegen war wie immer: gesammelt, ernst und nachdenklich. Das Gemurmel der Soldaten verstummte nach und nach. Julian sprach in die erwartungsvolle Stille und bat die Männer, sich anzuhören, was der Bote des Kaisers ihnen zu sagen wünschte.

Dann trat er zurück. Leonas schaute sich angespannt um und blickte über die grimmigen Gesichter, die zu ihm heraufsahen. Einen Moment lang umklammerte er das Geländer der Plattform, bis er sich dessen bewusst wurde, woraufhin er die Hand so hastig zurückzog, als hätte er sich verbrannt.

Er begann mit seiner Ansprache.

Die Männer hörten ihm schweigend zu. Erst als die Rede darauf kam, dass Constantius von Julian Verzicht verlangte, war es mit der Stille vorbei. Zorniges Gebrüll erhob sich, das die Vögel aus dem nahen Eichenwäldchen aufscheuchte; es übertönte die Worte des Redners und zwang ihn, innezuhalten. Am Hang hinter den Reihen der Soldaten hatten sich die Bürger der Stadt eingefunden, um zuzuschauen. Als sie hörten, was gesagt worden war, fielen sie in die entrüsteten Rufe ein und fuchtelten mit den Armen.

Leonas wartete. Angesichts von so viel Zorn, der sich gegen ihn allein richtete, war er blass geworden. Er drehte sich um und rief Julian etwas zu. Der ließ sich einen Moment Zeit; dann trat er vor und hob die Hand, worauf wieder Stille einkehrte.

»Ihr habt gesprochen«, stellte er fest. »Ihr habt eure Antwort gegeben, und der Bote hat sie vernommen. So erlaubt ihm nun, in Frieden abzureisen und Constantius eure Antwort zu überbringen.«

Er wandte sich ab und stieg die Stufen hinab, während ringsumher die Männer jubelten und nach vorn drängten. Nach einem entsetzten Blick auf die heranwogende Menge eilte Leonas ihm nach und hielt sich dicht bei uns Offizieren, für den Fall, dass die Soldaten ihn doch ergreifen wollten.

Am nächsten Tag reiste er in aller Frühe ab. Julian akzeptierte zwischenzeitlich die Ernennung des Quästors Nebridius zum neuen Präfekten. Seine übrigen Beamten bestimmte er selbst. Er holte Dagalaif, den germanischstämmigen Befehlshaber der Petulantes, in seinen Stab, ließ Lupicinus frei und schickte ihn an den Hof zurück, ernannte Nevitta zum neuen Heermeister und beförderte Marcellus in dessen Offiziersstab, desgleichen den gutmütigen, zurückhaltenden Jovinus, der während der Kämpfe am Rhein gut gedient hatte.

Als sich das rechte Wetter für Feldzüge einstellte, setzten wir uns nach Untergermanien in Marsch, überquerten den Fluss bei der befestigten Siedlung Xanten und führten Krieg gegen die fränkischen Stämme der Region, die aufgrund unserer Zwistigkeiten beschlossen hatten, Raubzüge hinter der Grenze zu unternehmen.

Im Herbst zogen wir durch das Rhonetal nach Süden zu der schönen Stadt Vienne. Dort ließ Julian Spiele veranstalten, um die fünf Jahre in Gallien zu feiern. Ich machte mir zu der Zeit Gedanken über Nevitta.

Macht offenbart den Mann, wie Marcellus’ Großvater einmal gesagt hatte. Seit Marcellus der Stellvertreter Nevittas war und wir beide uns mehr in seiner Gesellschaft aufhielten, als uns lieb sein konnte, fielen mir diese Worte wieder ein. Nach seiner Beförderung war Nevitta noch unausstehlicher als zuvor. Er betrachtete seine Ernennung zum Heermeister offenbar nicht als Anerkennung seiner Tugenden, sondern als amtliche Genehmigung seiner Laster.

Während des Sommers war sein aggressives Selbstvertrauen gewachsen, ebenso das seiner Günstlinge. Darüber hinaus waren er und Marcellus natürliche Gegner. Marcellus dachte wie sein Großvater und war der Meinung, dass ein Mann bestrebt sein sollte, Herr seiner Leidenschaften zu werden. Nevitta dagegen betrachtete Selbstbeschränkung als gekünsteltes Gehabe und eine gegen ihn gerichtete Kränkung.

Alles das beobachtete ich, doch es betraf mich nicht unmittelbar.

In Vienne beschloss Julian, die Spiele mit einem Fackelzug zu eröffnen, der für die Soldaten und Bürger ein prächtiges Schauspiel abgeben würde. Dabei bat er Marcellus, den Zug anzuführen. Das hatte zwar keine besondere Bedeutung, doch Nevitta nahm daran Anstoß … und sorgte wie immer dafür, dass seine wirklichen Gefühle Julian verborgen blieben.

Marcellus besaß die Eigenschaft, niederträchtiges Verhalten nicht zu beachten, und er verabscheute Kleinlichkeit. Er hätte wohl Nevittas hinterlistige Krittelei mir gegenüber nicht erwähnt, hätte ich sie nicht selbst zu hören bekommen.

Auf das fröhliche Drängen meiner Männer hin hatte ich mich zum Wettlauf in voller Rüstung angemeldet. Eigentlich war ich kein guter Läufer. Als Jüngling hatte ich Ringen und Zweikampf gelernt – bei Durano und seinen Freunden – und mir den Ruf eines geschickten Kämpfers erworben, während ich in London im Heer diente. Doch in Vienne warf ich nur einen Blick auf die riesigen, tumben Faustkämpfer mit ihren Blumenkohlohren und geschwollenen Gesichtern und entschied, dass ich lieber beim Wettlauf verlieren als gegen solche Rohlinge siegen wollte.

Nevitta aber bewunderte den Faustkampf und suchte die Gesellschaft solcher Männer, sofern er von Julian nicht dabei gesehen wurde. Und wenn es um die Neigung zur Gewalt geht, braucht ein Mann nicht lange zu suchen, um Gleichgesinnte zu finden. An einem warmen Nachmittag, als ich auf der Aschenbahn geübt hatte und zu den Baderäumen ging, sah ich Nevitta im Kreis seiner Freunde ein Stück voraus. Er trug eine seiner überladenen Tuniken voller Edelsteine und Goldfäden. Die ganze Schar sah aus, als käme sie von einem Fest.

»Seht mal, wer da ist!«, rief Nevitta, und seine aufgesetzte gute Laune hatte einen unangenehmen Unterton.

Ich hatte meine Übungsläufe in Rüstung absolviert und mich hart angetrieben, sodass ich außer Atem war und schwitzte.

»Sei gegrüßt, Nevitta«, sagte ich gleichmütig.

Gewöhnlich hatte er mir wenig mitzuteilen, und mir fiel kein guter Grund ein, weshalb er mich jetzt ansprach. Außerdem gefiel mir sein Tonfall nicht. Ich ging weiter und wich auf den Rasen aus, um der Bande seiner Freunde zu entgehen. Doch er trat mir in den Weg.

Mit erhobener Stimme, damit auch sein Gefolge ihn hörte, sagte er spöttisch: »Aber ich dachte, du seist ein Zweikämpfer. Das hat Rufus mir jedenfalls erzählt, nicht wahr, Rufus? Nun aber hast du dich zum Wettlauf gemeldet.«

Ich wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und musterte ihn. Was ich tat, ging ihn nichts an, zumal er selbst nicht an den Wettkämpfen teilnahm.

»Es stimmt, was du gehört hast«, sagte ich. »Ich habe das Ringen gelernt, als ich jung war. Aber es macht mir keine Freude.«

Er zog ein teils amüsiertes, teils zweifelndes Gesicht.

»Männer ringen«, bemerkte er höhnisch grinsend, »richtige Männer jedenfalls. Manche werden vielleicht sagen, dass du Angst hattest.«

Das ging zu weit, selbst für Nevittas Art von Humor. Seit meiner Knabenzeit gab es gewisse Dinge, die meinen Zorn entfachten, und dies gehörte dazu. Ehe ich meine Zunge zügeln konnte, erwiderte ich schroff: »Das würde vielleicht ein Dummkopf sagen, Nevitta. Meine Freunde aber kennen mich besser.«

Sein Wieselgesicht zuckte. Eine seiner Kletten, ein dreister Jüngling, dem das Mienenspiel seines Vorsetzten entgangen war, prustete belustigt. Nevitta fuhr zu ihm herum, und das Lachen verstummte so schnell, als hätte er dem Jungen die Kehle durchgeschnitten. Ich hätte ihm vorher sagen können, dass Nevitta zwar gern andere verspottet, es aber nicht ertragen konnte, wenn über ihn gelacht wurde.

Mich fröstelte plötzlich, als hätte ein Schatten meine Seele gestreift. Nevitta war kein Mann, mit dem man sich leichtfertig anlegte. Der Gedanke dämpfte meinen Zorn. Ehe er etwas erwidern konnte, sagte ich: »Aber ich will dich und deine Freunde nicht aufhalten. Außerdem könnte ich ein Bad gebrauchen. Also entschuldige mich.« Und damit ging ich entschlossen an ihm vorbei, und vor mir teilte sich hastig seine kleine Anhängerschar, damit ihre teuren Kleider nicht mit meinem Schweiß in Berührung kamen.

Marcellus zog die Brauen zusammen, als ich ihm davon erzählte.

»Er hatte es verdient«, empörte ich mich. »Wenn es ihm nicht gefällt, sollte er seine Zunge hüten und weniger trinken. Außerdem verstehe ich nicht, welchen Grund ich ihm gegeben haben könnte. Diese Spiele werden nur zum Spaß für die Männer und das Volk veranstaltet. Was kann es ihm bedeuten, an welchem Wettkampf ich teilnehme?«

»Ich glaube nicht, dass es um dich geht«, sagte Marcellus.

Und dann erzählte er mir, was er bis dahin verschwiegen hatte: dass Nevitta verärgert war, weil man ihn nicht gebeten hatte, den Fackelzug anzuführen.

Zuerst lachte ich ungläubig. »Das ist der Grund?«

»Das und seine Trinkerei, nehme ich an.«

»Aber er ist gerade erst zum Heermeister befördert worden. Er ist einer der mächtigsten Heerführer des Westens, und kein anderer ist so schnell aufgestiegen wie er. Worüber hat er sich zu beschweren?«

Marcellus hob die Schultern. »Er beschwert sich gern. Er sieht überall Herabsetzung.«

Wir schlenderten einen der großen gebogenen Gänge des leeren Theaters hinter dem Forum entlang. Dort hatten wir uns verabredet. Marcellus setzte sich auf eine Steinbank und machte ein ernstes Gesicht. Ich setzte mich neben ihn.

»Das hättest du mir erzählen sollen«, sagte ich. »Ich habe mich schon gewundert, dass du in den letzten Tagen so schweigsam gewesen bist.«

»War ich das? Nun, es ist nichts, reine Torheit. Wirklich, es ist nicht wert, sich damit aufzuhalten.«

Er schaute über die blutroten Ziegeldächer von Vienne zur Rhone hinüber, wo ein Ruderboot über das ruhige Wasser glitt und auf den Kai zuhielt. Der lange Sommer hatte den Härchen an seinen Beinen und Unterarmen einen dunklen Goldton verliehen. Er saß entspannt da, vertrauensvoll und nah, und war sich wie immer seiner Schönheit nicht bewusst.

»Hast du gesagt, Rufus sei dabei gewesen?«, fragte er.

»Ja. Neuerdings ist er immer in Nevittas Nähe. Ich glaube, er war betrunken, wie alle anderen.«

Er zuckte die Achseln.

»Warum fragst du?«

»Aus keinem besonderen Grund. Er sollte nur mit uns zusammen für den Fackelzug üben. Wahrscheinlich hatte er Besseres zu tun.«

Beim Wettlauf wurde ich Zweiter, eine Speerlänge hinter dem Sieger. Die Faustkämpfe sah ich mir gar nicht erst an. Ich hörte später, dass der Sieger ein stämmiger Bataver war.

Die restlichen sonnigen Tage der Spiele verbrachten Marcellus und ich zusammen. Wir vergnügten und entspannten uns. Es gab Akrobaten und Jongleure zu sehen, ein Konzert im Theater, Glaskugelspiele und Hahnenkämpfe, eine Schar tanzender Hunde mit Glöckchen am Halsband, Sänger und Flötenspieler, und bei allem wurden Speisen und Wein und gallisches Bier verkauft sowie der Tand, der bei allen Festen feilgeboten wird.

Am Abschlusstag beim Hippodrom im Tal zwischen den bewaldeten Hügeln und dem Fluss fand das Wagenrennen statt, bei dem Julian vor den Leuten in Erscheinung treten sollte.

Er stand wartend im Vorraum, während der Sklave um ihn herumtrippelte, ihn zurechtzupfte und bürstete. Es war ein makelloser Tag, windstill und wolkenlos. Die Sonne schien von der Tribüne in den Treppenaufgang und warf gleißende Strahlen auf den rosa Marmor. Von draußen hörte man das Stimmengewirr der Menschen, die gespannt auf den Beginn des ersten Rennens warteten. Der Lärm schwoll an, als die verschiedenen Rennställe die Farben ihrer Gespanne ausriefen.

Nevitta war ebenfalls im Vorraum und redete in einem fort mit seiner dumpfen Stimme über militärische Angelegenheiten, von denen keine so dringend war, dass sie nicht hätte warten können. Doch er spielte sich gern in den Vordergrund und erzählte Julian ständig, was er gerade tat. An Julians höflich zerstreutem Gesichtsausdruck sah ich, dass er gar nicht zuhörte. Er war mit seinen Gedanken auf den Zuschauerrängen, wo die Leute auf ihn warteten.

Der Sklave sog den Atem durch die Zähne und schnalzte, um erneut Julians Kragen zurechtzuziehen.

»Bist du noch nicht fertig?«

»Aber Augustus, es muss makellos sein. Denk an all die Blicke, die auf dich gerichtet sein werden.«

Julians Gesicht verfinsterte sich. Die gaffende Menge war das Letzte, woran er erinnert werden wollte.

Eine Seitentür ging auf, und Oribasius kam herein. »Nun?«, fragte Julian, wobei er sich umdrehte. Er war nun angetan mit sämtlichen Symbolen des Imperiums: weiße Tunika mit besticktem Kragen, purpurner Mantel mit Goldspange und auf dem Kopf ein Diadem aus Silber und Rubinen, das kürzlich bei einem Edelsteinschleifer in Vienne gekauft worden war.

»Ein prächtiger Anblick«, sagte Oribasius mit hochgezogenen Brauen. »Du siehst fast wie ein Kaiser aus.«

Julian grinste. »Dank meinem Malchos.« Der Sklave, ein dunkeläugiger Syrer, machte eine wegwerfende Handbewegung, wie um zu sagen, das gehöre nun einmal zu seinen täglichen Aufgaben. Ich lächelte. Julian vergaß solche Leute nie.

»Den Leuten wird es gefallen«, sagte Oribasius, während er um Julian herumging und den schweren, leuchtenden Mantel betrachtete.

»Ach, die Leute! Stell mich lieber an die germanische Grenze, wo ich meine Feinde kenne.« Dabei vergaß er, stillzuhalten, machte einen Schritt nach vorn und griff sich sogleich an den Kopf, wo das Diadem saß. »Sitzt es noch richtig? Beim Himmel, ich wage mich kaum zu rühren. Ich komme mir vor wie ein zum Braten verschnürter Pfau.«

Die Anwesenden lachten, aber Julian blickte grimmig zu der sonnenbeschienenen Treppe. Den Städtern gegenüber fühlte er sich stets unwohl; er verglich sie mit einem ungezähmten Tier, launisch und gefährlich, wie ein Zitat seines geschätzten Platon besagte. Doch ich glaube, in Wirklichkeit war Julian scheu und zog die Gesellschaft von einigen guten Freunden vor, die seine Ansichten teilten.

»Wenn du still stehst«, sagte Oribasius, »wird das Diadem nicht hinunterfallen. Die Leute sind gekommen, um ein Spektakel zu erleben, und du bist ein Teil davon. Sie wollen einen Gott unter Menschen sehen.«

Julian zog die Brauen zusammen. »Dann wollen sie belogen werden. Ein Kaiser sollte nicht mehr sein als ein Bürger, ein Erster unter Gleichen.«

»Ja, ja«, sagte Oribasius seufzend. Das war ein alter Streit zwischen ihnen. »Das mag einmal so gewesen sein, aber jetzt ist nicht die rechte Zeit für solche Experimente. Die Leute hängen an ihren Mythen. Außerdem …« Der Rest des Satzes ging im Schmettern der Trompeten unter.

»Es ist so weit«, verkündete der Zeremonienmeister.

»Und möge es bald vorbei sein«, murmelte Julian.

Er ging einen Schritt und drehte sich zu mir herum, wahrscheinlich, weil er hoffte, ich könnte den letzten Moment für ihn hinauszögern. »Sag mir, Drusus, was kann sinnloser sein, als einen Tag lang zuzuschauen, wie eine Handvoll Wagen im Kreis fahren?«

»Geh!«, sagte ich lachend, und er schmunzelte. Dann holte er tief Luft wie ein Taucher vor dem Sprung von der Klippe und stieg langsam die sonnigen Stufen hinauf.

Wir anderen sahen seinem Schatten hinterher. Meine kurz geschnittenen Haare kribbelten am Hinterkopf. Von diesem Augenblick, das wusste Julian besser als jeder andere, hing die ganze Zukunft ab. Konnte er Vienne nicht für sich gewinnen, konnte er Gallien nicht halten, und ohne Gallien würden ihm die anderen Provinzen nicht folgen.

Der Schatten verschwand, und eine schreckliche Stille breitete sich aus. Dann setzte anschwellendes Gebrüll ein, wie beim Angriff in der Schlacht, oder wie die anrollende Flut, die gegen Felsen tost. Das Geräusch füllte den Vorraum und hallte von den Wänden wider, bis wir unser eigenes Wort nicht mehr verstehen und unser ungläubiges Gelächter nicht mehr hören konnten. Aber wir wussten, was wir tun sollten, und auf das Zeichen des Tribuns stiegen wir die Stufen hinauf und traten ins gleißende Tageslicht und das weite Rund der Rennbahn. Von allen Seiten jubelten die Leute und hoben die Arme zum Gruß; in den Händen flatterten leuchtende Bänder in Rot, Weiß, Grün oder Blau. Und am Geländer stand Julian und nahm mit erhobenen Händen den freudigen Beifall entgegen.

Der Feiertag im Januar fiel mit einem heiligen Tag der Christen zusammen, den sie Epiphanias nennen. Der Bischof von Vienne, ein großer Mann mit derben Zügen, der sich erlesen kleidete und ein gelehrtes Benehmen an den Tag legte, machte deutlich, dass er Julians Teilnahme an dem Ritus erwartete.

»Ich werde nicht hingehen«, gab Julian seinen Freunden bekannt. »Ich kann mich nicht länger verstellen. Meine Soldaten werden mich als Heuchler verurteilen.«

»Du hast nur dreiundzwanzigtausend Mann«, gab Eutherius zu bedenken. »Es sind auch Christen darunter.«

»Na und? Die meisten sind keine.«

»Die keine sind, haben dich auch bisher akzeptiert. Jetzt ist nicht der Augenblick, schlafende Hunde zu wecken.«

Julian wandte sich an Marcellus. »Du bist kein Christ«, sagte er. »Und du auch nicht, Drusus. Und die Männer beschweren sich nicht.«

»Aber Marcellus ist kein Augustus«, wandte Eutherius geduldig ein.

»Inzwischen wissen sie es ohnehin«, sagte Julian.

Oribasius, der ebenfalls anwesend war, sagte: »Du hast öffentlich noch nichts erklärt. Die Leute glauben, was sie glauben möchten.«

»Außerdem werden in jeder Stadt auf unserem Weg nach Osten Christen sein«, sagte Eutherius. »Und mächtige Bischöfe, die sie anstacheln. Wenn du den hiesigen Bischof verärgerst, werden die anderen es bald wissen, dessen kannst du sicher sein. Nein, zu vieles ist noch in der Schwebe. Du kannst es dir nicht leisten, irgendwo vor verschlossenen Toren zu stehen.«

»Also beherrschen die Bischöfe sogar einen Kaiser«, stellte Julian bitter fest.

Doch er nahm an dem Ritus teil, ging in der Prozession neben dem lächelnden, nickenden Bischof und seinen Ministranten an den erhabenen leeren Tempeln mit ihren fleckigen Fassaden vorbei wie ein Mann, der unterwegs ist, um sich einen Zahn ziehen zu lassen.

Ich weiß nicht, ob es dieser Tag war, der ihn bewog, gegen Eutherius’ Rat zu handeln. Jedenfalls erließ Julian kurz darauf sein erstes Religionsedikt. Constantius hatte bei Todesstrafe verboten, die alten Götter zu verehren. Von nun an sollten die Menschen, so verfügte Julian, in ihrem Gewissen frei sein; ihr Verstand gehöre ihnen, und sie dürften anbeten, wen sie wollten. Die Wahrheit hat viele Seiten. Es stand weder Julian noch einem Bischof oder sonst jemandem zu, anderen vorzuschreiben, aus welchem Blickwinkel er die Wahrheit zu betrachten hat.

Der Bischof von Vienne war anderer Ansicht. Ich war bei Julian und Eutherius in der großen Bibliothek des Kaiserpalastes, einem lichtdurchfluteten Gewölberaum mit Büchernischen und rosa geäderten Marmorsäulen, den Julian zu seinem Arbeitszimmer erklärt hatte, als der Bischof angekündigt wurde.

Er erschien in der fernen Tür, blieb einen Moment dort stehen und gaffte. Sein sonst so milder, selbstgefälliger Ausdruck war verschwunden. Sein Gesicht wirkte verkniffen und gequält.

»Mir ist ein höchst verstörendes Gerücht zu Ohren gekommen!«, rief er, während er im Eilschritt den Raum durchquerte. »Ohne Zweifel ist es nichts weiter als törichter Klatsch, doch ich wurde darauf angesprochen und dachte, es sei das Beste, dich persönlich aufzusuchen und die Angelegenheit aus der Welt zu schaffen.«

Geringschätzig ließ er den Blick über die Bücherreihen schweifen und sodann auf Julian ruhen, der wie gewöhnlich mit einer schlichten Soldatentunika bekleidet war. Neben dem Bischof in seiner schweren, mit Gold und Purpur bestickten Robe konnte man ihn für einen Diener oder einen breitschultrigen Bibliothekar halten.

»Was ist dir denn zu Ohren gekommen?«, fragte Julian freundlich.

»Dass du deine eigene Kirche unterdrücken willst. Das ist natürlich absurd – der edle Julian ist ein Neffe des heiligen Constantin!«

»Das ist in der Tat absurd«, sagte Julian. »Ich will niemanden unterdrücken – keinen Einzigen.«

Eine Pause entstand.

»Du bist aber gewillt, Häretiker und die Anhänger heidnischer Götzen zu tolerieren.«

»Ich lasse jedem die Freiheit, zu verehren, wen er will. Niemand soll eine Verfolgung fürchten müssen.«

Der Bischof holte zischend Atem und blickte ihn wütend an. »Dann ist es also wahr!«, stieß er zornig hervor. »Muss ich dich ermahnen, dass Götzendiener Gott ein Gräuel sind?«

»Wenn das so ist, dann überzeuge sie durch deine Worte und dein Beispiel, wie Christus es getan hat. Gebrauche die Macht deiner Argumente, Bischof, so du welche hast. Ich werde nicht erlauben, dass Menschen enteignet werden, weil sie deine Ansichten nicht teilen, oder dass sie gegen ihren Willen vor deine Altäre geschleppt werden.«

Die Augen des Bischofs wurden schmal. »Das sind die Wortklaubereien eines Sophisten!«, rief er. »Die Menschen müssen bezwungen werden.«

»Mit Gewalt?«

»Der Kranke schluckt seine Medizin nicht immer gern.«

Julian zögerte, und ein, zwei Augenblicke lang sahen sich die zwei ohne Verständnis füreinander an; der Abgrund war unüberbrückbar. Mir wurde kalt ums Herz. Solche Worte hatte ich schon einmal gehört: vom Londoner Bischof an dem Tag, als ich als junger Tribun in seiner reich ausgestatteten Residenz stand und machtlos zuhörte, wie er mir den Sieg der Unvernunft verkündete.

»Weder Schwert noch Feuer ändern die Ansicht eines Menschen«, sagte Julian schließlich. »Ich hätte erwartet, dass gerade ihr, die ihr auf eine lange Reihe von Märtyrern zurückblickt, diese Lektion gelernt habt. Oder hat die Macht dich deine Barmherzigkeit vergessen lassen? Macht ist ein starker Wein, Bischof. Sieh zu, dass du davon nicht betrunken wirst.«

Doch dem zornroten, strengen Gesicht des Bischofs war anzusehen, dass er nicht mehr zuhörte. Er fegte Julians Worte beiseite wie ein lästiges Insekt und erwiderte stur: »Gott gab uns die Macht zu einem bestimmten Zweck.«

»Aber Gott gab uns auch den Verstand, damit wir diese Macht klug nutzen. Für die Menschen ist nur gut, was durch freie Entscheidung bekräftigt wird. Ich will ein Reich von Bürgern regieren, nicht von Sklaven. Ein Reich von Menschen, die freimütig und ohne Angst und Verfolgung sprechen, wie du jetzt hier bei mir.«

Der Bischof beäugte ihn. »Der Teufel führt dich in die Irre. Ich werde für dich beten.« Wütend wandte er sich ab und stolzierte in seinem prächtigen Gewand hinaus.

Julian sah ihm nach.

»Du solltest ihn nicht reizen«, sagte Eutherius.

»Nein? Vielleicht hast du recht. Aber die Christen werden erst zufrieden sein, wenn sie jeden Funken gegenteiliger Überzeugung ausgelöscht haben. Intoleranz ist der Urgrund ihrer Frömmigkeit.«

Den Winter über warteten wir auf neue Äußerungen von Constantius.

Der von ihm ernannte Präfekt, der stille, düster blickende Nebridius, war mit uns von Paris nach Süden gereist. Er tat mir leid, denn er war ein anständiger, ehrbarer Mann, den man in eine unmögliche Lage gebracht hatte. Julian behandelte ihn zwar mit ausgesuchter Höflichkeit und ließ ihn seine Amtsgeschäfte führen, traute ihm aber nicht – und Nebridius wusste das.

Da er das Leben bei Hof kannte, musste ihm auch klar sein, dass Constantius ihm nunmehr genauso wenig traute. Gewissermaßen zwischen Scylla und Charybdis steckend, ging er zu Julian und bot ihm seinen Rücktritt an. Julian dankte ihm und bat ihn, im Amt zu bleiben – einerseits, weil er ihm gewogen war, denn sie waren immer gut miteinander ausgekommen, andererseits aus taktischen Gründen, da er wusste, dass Constantius andernfalls annähme, er hätte Nebridius aus dem Amt getrieben.

So blieb Nebridius und handelte wie jeder Ehrenmann in solch einer Lage: Er blieb seinen Grundsätzen treu und verließ sich auf seine alte etruskische Erziehung, erfüllte seine Pflichten sorgfältig und ließ sich weder in Intrigen gegen Julian noch gegen Constantius hineinziehen. Und wie viele Männer seiner Art zog er dadurch den Hass anderer auf sich.

Marcellus und ich verbrachten den trüben Winter, indem wir durchs Tal und zwischen Eichen und Eschen hinauf in die Hügel ritten. Bei der Rückkehr von unseren heiteren Ausflügen in die Stadt aus rosa Stein an der Rhone fragte ich mich jedes Mal, ob endlich ein Brief von Constantius gekommen war. Doch es kam keiner, und als die Wochen ins Land zogen, verwandelte sich Julians gut gemeinte Hoffnung auf Einigung in Verachtung.

Er sprach nun häufiger davon, was er bislang in sich verborgen hatte: Wie Constantius seine Familie ermorden und ihn als Waise in Gefangenschaft aufwachsen ließ; er erinnerte sich an die Einsamkeit und Angst seiner Kindheit und wie er von seinem glücklichen Leben unter Gelehrten in Athen, wo er für niemanden eine Gefahr gewesen sei, weggerufen und nach Gallien geschickt wurde, nur um für seine Erfolge angeklagt zu werden – die sein Verderben seien, das sehe er nun.

Endlich, als sich an den Obstbäumen auf den Wiesen die ersten Blüten zeigten und die grünen Hänge mit gelben Blumen gesprenkelt waren, kam ein Bote aus dem Osten.

Marcellus kam mich eigens suchen. Ich war mit einem jungen Tribun dabei, eine Lieferung neuer Waffen aus den Werkstätten Galliens und Spaniens zu überprüfen. Marcellus schaute durch die Tür, bedachte mich mit einem heimlichen Lächeln und wartete draußen, bis der Tribun mit seinen Listen unter dem Arm gegangen war.

»Was gibt es Neues?«, fragte ich, als Marcellus hereinkam. »Will Constantius den Streit beilegen? Er hat uns lange genug warten lassen.«

»Mit Absicht«, sagte Marcellus. Er hatte sich unlängst die langen Haare bis auf einen bronzenen Flaum abschneiden lassen, sodass die Ohren und der weiße Nacken frei waren. Nun fuhr er sich wie gewohnt durchs Haar und wirkte ein wenig überrascht, dass seine Wintermähne verschwunden war.

»Constantius hat einen seiner folgsamen Bischöfe geschickt – einen langweiligen alten Narren, der nichts Neues bringt. Er sagt, Julian muss auf den Titel des Augustus verzichten, die Männer entlassen, die er ernannt hat, sich unterwerfen und auf Begnadigung hoffen.«

»Auf Begnadigung?«, rief ich. »Constantius hat gezeigt, was seine Begnadigungen wert sind!«

»Ja, das sagen alle. Er hat uns unter Vorwänden hingehalten und unterdessen seine Truppen zusammengezogen. Er will uns vernichten.«

Wir fanden Julian über den großen Kartentisch in der Bibliothek gebeugt. Nevitta war bei ihm und biss empört die Zähne zusammen. Als wir eintraten, kamen Jovinus und Dagalaif durch die andere Tür herein. Eutherius war ebenfalls dort. Ich hatte ihn zunächst nicht bemerkt. Er saß abseits in einer dunklen Ecke neben einem grellen Sonnenfleck, die großen Hände im Schoß seines türkisfarbenen Gewandes gefaltet.

Obwohl niemand etwas sagte, hatte ich den Eindruck, dass wir in eine Auseinandersetzung hineingeplatzt waren. »Hat Marcellus es dir erzählt?«, fragte Julian an mich gewandt. »Gut. Das ist noch nicht alles, hör zu.«

Er nahm einen dicken, amtlich aussehenden Brief zur Hand, der geöffnet auf dem Tisch lag. Ich erkannte das kaiserliche Siegel. »Unsere Agenten haben ihn abgefangen«, sagte er und reichte ihn mir. »Constantius drängt die Barbaren, ihr Friedensabkommen mit mir zu brechen und in Gallien einzufallen.«

Ich schaute auf den Briefkopf. Er war an einen germanischen Häuptling namens Vadomar gerichtet, der über Gebiete in Rätien herrschte.

»Das tut er nicht zum ersten Mal«, sagte ich und erinnerte an die Zerstörung, die Constantius auf dieselbe Weise in seinem Krieg gegen Magnentius über Gallien gebracht hatte.

Julian nickte aufgebracht. Das brauchte man ihm nicht zu sagen; er hatte fünf Jahre lang versucht, die Schäden von damals wettzumachen.

»Das ist eine vorsätzliche Beleidigung!«, brauste Nevitta mit solcher Vehemenz auf, dass alle ihn erstaunt musterten.

Von seinem Sessel in der Ecke sagte Eutherius gelassen: »Eine Beleidigung vielleicht, aber sie enthüllt ihren Zweck, wenn wir sie mit klarem Kopf betrachten. Mit Vadomar im Rücken kannst du Gallien nicht verlassen, und Constantius weiß das. Er will dich hier festhalten, bis er gegen dich zu Felde ziehen kann.«

Julian wandte sich der Karte zu, die auf dem Tisch ausgebreitet lag. Einen Moment lang überlegte er. »Wie bald können unsere Soldaten an der rätischen Grenze sein?«

»In zehn Tagen«, antwortete Nevitta. Er trat an den Tisch und tippte mit dem Finger auf die Karte, wo die Straße an der Rhone entlang zu den Bergen Rätiens führte. »Die Petulantes kennen sich dort aus. Lass sie von Libino anführen. Er ist bereit … und wir haben schon viel zu lange abgewartet!« Er hob den Kopf und warf Eutherius einen feindseligen Blick zu. »Oder willst du vorschlagen, es selbst jetzt noch hinauszuzögern?«

Den ganzen Winter hatten sie darüber gestritten – Nevitta, der meinte, das Heer solle im Osten angreifen, sobald die Pässe schneefrei seien, und Eutherius, der riet, sich zurückzuhalten, solange man noch auf eine Einigung mit Constantius hoffen könne. Mitten in dieser Auseinandersetzung, in einem jener seltenen Augenblicke, in denen er sich seinen Ärger anmerken ließ, hatte Eutherius zu mir gesagt: »Wirklich, Drusus, unser Freund Nevitta ist kein geborener Zuhörer. Er hat den Westen noch nie verlassen; er kann sich nicht vorstellen, was für eine Streitmacht Constantius befehligt.«

Ich pflichtete ihm bei. Ich sagte nicht, dass Nevitta ihn nicht leiden konnte. Der Heermeister war in der rauen Welt der Grenzkastelle aufgewachsen. Er hatte einen germanischen Vater, doch sein spitzes Mausgesicht und die dunklen Haare hatte er von seiner Mutter, die Gerüchten zufolge eine syrische Kurtisane gewesen sein soll. Seine Erziehung hatte sich aufs Kämpfen und Töten beschränkt. Er betrachtete Eutherius als einen grotesken Angriff auf die Natur; die geschmeidige Ausdrucksweise, das geschlechtslose Auftreten und die leuchtenden Kleider Eutherius’ verstießen auf geradezu empörende Weise gegen Nevittas Vorstellung von Männlichkeit.

Natürlich achtete er darauf, dass Julian nichts davon bemerkte; seine Verstellung in dessen Gegenwart war die einzige Art von Selbstbeherrschung, die ich je an Nevitta beobachten konnte. Unter seinen lauten, Bier trinkenden Freunden war er nicht so vorsichtig, wie Marcellus wusste, da er schon selbst dabei gewesen war.

Eutherius dürfte es ebenfalls gewusst haben, denn er versuchte stets zu erkennen, was sich hinter den Untertönen schlechter Gesinnung verbarg. Doch er war zu höflich, zu sehr Diplomat und zu sehr an dumme Männer gewöhnt, als dass er sich etwas hätte anmerken lassen.

Diesmal begegnete er Nevittas wütendem Blick mit weltmännischem Lächeln. »Du hast ganz recht, mein lieber Nevitta. Mit Vadomar müssen wir ohne Frage fertig werden. Was Constantius betrifft, so will er uns zweifellos in Aufregung versetzen und dadurch, wenn er Glück hat, Streit unter uns entfachen.«

Er hielt kurz inne für den Fall, dass Nevitta das entscheidende Argument entgangen sein sollte; dann fuhr er fort: »Also führe Krieg gegen Vadomar. Aber lass uns auch bedenken, wo Constantius’ große Schwäche liegt.«

»Und wo wäre das?«, fragte Nevitta verärgert.

»In seinem ausweichenden Charakter. Er kann sich nicht entscheiden. Entschlossenheit ist ihm fremd. Vadomar ist eine Ablenkung – und wir dürfen uns durch unsere Empörung nicht von unserer Strategie abbringen lassen.«

Nevitta rümpfte die Nase über Eutherius’ Tonfall. Seine Kritik hob er sich für später auf, wenn er in der Offiziersmesse saß.

Schließlich sagte Julian: »Also gut, du wirst Libino nach Rätien schicken. Marcellus, du gehst mit ihm. Zeigt Vadomar – und Constantius –, dass wir uns nicht zum Narren machen lassen.«

Zwei Tage später, an einem klaren, kalten Morgen, stieg ich auf den Hügel der Zitadelle, von wo man über ganz Vienne blicken kann, und ging allein den gestuften Weg hinter dem Theater hinauf. Vom Tempel auf dem Gipfel aus beobachtete ich, wie die Soldaten mit Libino an der Spitze und Marcellus an seiner Seite abmarschierten.

Am Abend hatte Nevitta noch eines seiner Bankette abgehalten. Marcellus, der sie verabscheute, hatte daran teilgenommen, weil sein Fehlen aufgefallen wäre. Nevitta erwartete von seinen Offizieren, dass sie bei seinen Trinkgelagen mitmachten. Marcellus war so früh wie möglich von dort verschwunden. Als er ins Bett kam, sagte er: »Libino wird morgen einen schweren Kopf haben. Als ich ging, fing er gerade erst richtig an.«

»Das sieht ihm ähnlich.«

Libino war einer von Nevittas großspurigen jungen Kriegern, frisch befördert – von Nevitta selbst – und erpicht, sich zu beweisen. Ich stützte mich aufs Kissen und schaute Marcellus beim Auskleiden zu. Ich konnte den Kaminrauch und den Wein an ihm riechen.

»Nur ein Narr feiert den Sieg vor der Schlacht«, sagte er und tappte barfuß zur Lampe, um die Flamme zu löschen. »Ich saß neben Jovinus. Er sagt, dass die Petulantes nicht froh sind.«

»Nun, jeder weiß, dass er sie anführen wollte. Er meint, er hätte eher befördert werden müssen als Libino.«

»Und damit hat er recht. Er weiß, was er tut. Er redet immer vernünftig, und er kennt die Männer.«

Wir sprachen noch ein wenig über Jovinus. Er war ein guter Soldat – nicht laut oder energisch, also gar nicht der Mann, den Nevitta begünstigen würde.

Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Gegenüber lag Marcellus im blassen Mondlicht, das durch die Ritzen der Fensterläden fiel, und starrte an die Decke, die Hände hinter dem Kopf gefaltet.

»Was hast du?«, fragte ich leise. »Dich beschäftigt etwas.«

Er antwortete nicht gleich. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus. »Ach, nichts … Nevitta vermutlich. Diese Gelage, das Geschrei, das Wettsaufen, die aufdringlichen Kurtisanen, die zum Einschlafen langweilig sind, das alles ist mir zuwider. Und wenn man nicht mitmacht, denkt er, man beleidigt seinen Geschmack.«

Ich lachte. »Seinen Geschmack? Neben Nevittas Besäufnissen erscheint jede Barbarenhochzeit wie eine Nachtwache im Garten der Vestalinnen.«

Ich sah, wie sich sein Mund zu einem Lächeln verzog. »Wie auch immer«, sagte er und drehte sich auf die Seite, um mich anzusehen. »Die Petulantes sind tüchtige Soldaten, und ein Feldzug wird mir guttun. Ich bin das Winterquartier leid. Besonders das prahlerische Gerede, was wir Constantius alles antun werden.«

»Ja«, sagte ich und verfiel in nachdenkliches Schweigen.

Unbehagen war über mich gekommen wie ein eisiger Windstoß. Ich hatte mir über Libino noch nie Gedanken gemacht; er war nur einer von Nevittas Angebern und so nervtötend wie die übrigen. Doch jetzt, als ich in die Dunkelheit starrte, sah ich ihn als den gefährlichen jungen Dummkopf, der er war, unbeliebt und zu Unrecht befördert. Ich ahnte Unheil und schob den Gedanken beiseite.

Schließlich sagte ich: »Du musst an deine eigene Einheit denken. Das reicht. Lass Libino selbst auf sich aufpassen … Marcellus?«

Er antwortete nicht, und als ich lauschte, hörte ich ihn ruhig und gleichmäßig atmen.

Ich lächelte. Ich hatte überlegt, mich zu ihm ins Bett zu legen und eine Weile zu plaudern. Ich wollte ihn an mir spüren. Aber es war besser, ihn schlafen zu lassen. Er würde am Morgen früh aufbrechen und hatte einen langen Marsch vor sich.

Doch ich selbst lag noch lange wach und starrte auf die Umrisse von Mondschein und Schatten.

Während Marcellus fort war, kam es zu einer Begegnung mit Rufus.

Ich war zu den Ställen hinaufgegangen und stand mit dem Quartiermeister in dem überdachten Eingang zum Getreidespeicher, wo wir die Vorräte inspiziert hatten, als ich Rufus am anderen Ende des Hofes bemerkte. Er führte seine graue Stute am Zügel.

Marcellus konnte das Befinden eines Pferdes schon von weitem erkennen. Ich hatte einiges von ihm gelernt und sah deshalb, dass Rufus’ Stute niedergeschlagen war. Sie lief schleppend, hatte die Ohren zurückgelegt und zog und sträubte sich bei jedem Schritt. Rufus hatte Pferde immer mit warmer Zuneigung behandelt. Ich fragte mich, als ich das Gespräch mit dem Quartiermeister beendete, was daraus geworden war.

Rufus war stehen geblieben und schien einem der Stalljungen Vorhaltungen zu machen. Er entließ ihn mit einem Schubs, riss die Stute am Zügel weiter und drehte zornig den Kopf nach ihr, als sie empört wieherte. Dabei bemerkte er ein wenig erschrocken, dass ich ihn beobachtete.

»Ist sie krank?«, fragte ich.

»Sie ist faul, ein ungeschicktes Miststück. Sie hat ein paar Schläge nötig und muss lernen, wer der Herr ist.«

Ich musterte das traurige, widerspenstige Pferd und dann Rufus. Sein Gesicht war fleckig, seine Augen matt und abgespannt. Und er hatte diesen höhnischen Zug um den Mund bekommen, den jeder in Nevittas Gefolge hatte.

Bei Nevittas übrigen Freunden schien sich das naturgemäß zu entwickeln, als ob sie bei ihrem vulgären Zeitvertreib zu ihrem wahren Charakter fänden. Doch Rufus stand es schlecht zu Gesicht. Er erinnerte mich an ein Kind, das die schlechten Angewohnheiten eines unanständigen Erwachsenen nachahmt. Es betrübte mich, seinen Niedergang zu sehen, und ich dachte voller Zorn an Nevitta, der Rufus angezogen hatte wie die Flamme den Falter, um ihn nach und nach zu derben Vergnügungen zu verleiten, gerade als die inneren Qualen den jungen Mann schwach und orientierungslos machten.

Ich richtete meinen Blick wieder auf die Stute. Dieses einst so prächtige Tier hatte ihn offenbar hassen und fürchten gelernt. Auch der Stalljunge schien das erkannt zu haben. Vielleicht war es bei der Auseinandersetzung zwischen ihm und Rufus genau darum gegangen.

Er war bei mir stehen geblieben, obwohl ich nichts tat, um ihn aufzuhalten. Unruhig trat er von einem Bein aufs andere und warf mir unbehagliche Blicke zu, um sogleich hastig wegzuschauen – auf die Pflastersteine, auf sein Pferd oder die sand-und ockerfarbenen Mauern. Vielleicht hatte er mir angesehen, was ich dachte, und es hatte ihn an damals erinnert.

Ich wandte mich zum Gehen. Es war nicht meine Absicht, mich ihm aufzudrängen. Doch in dem Moment sprudelte es aus ihm hervor: »Ich habe Marcellus gesehen, er war bei Nevittas Bankett. Nevitta hatte ein paar Mädchen aus der Stadt eingeladen, genug für jeden.« Er machte eine derbe Geste, damit ich verstand. »Aber er war an seinem Mädchen nicht interessiert. Als sie sich zu ihm setzte, redete er bloß mit ihr. Nevitta mag Leute, die mitmachen.«

Ich nehme an, dass Rufus nur versuchte, nett zu sein, und dass er mit mir über Dinge plaudern wollte, die ihm gerade in den Sinn kamen. Doch er war schon zu lange bestrebt, Nevittas Korona nachzueifern, sodass seine harmlosen Worte wie ein höhnischer Seitenhieb wirkten. Das schien auch er zu bemerken, denn er senkte beschämt den Blick, und ich sah seine fleckigen Wangen erröten.

»Ja, ich habe davon gehört«, sagte ich. Ich war nicht wütend auf ihn, war aber auch nicht geneigt, mit ihm über Marcellus oder Nevittas Gelage zu reden. Denn jedes meiner Worte würde Nevitta zugetragen.

Deshalb sagte ich nur: »Pflege deine Stute gut, Rufus, eines Tages könnte dein Leben von ihr abhängen.«

Dann ließ ich ihn allein. Ich empfand eine tiefe, allumfassende Traurigkeit und wünschte, ich hätte die Welt für ihn ändern können. Doch man darf einem anderen seine Hilfe nicht aufdrängen, wenn er sie nicht will. Dennoch beschloss ich, ein Auge auf Rufus haben, falls die Zeit käme, wo er Nevitta leid war.

Voller Trauer schaute er mir hinterher, und das bemitleidenswerte Tier neben ihm drehte den Kopf und sah mich kläglich an.

Während dieser Zeit legte ein Handelsschiff im Hafen an, das Öl aus Karthago an Bord hatte. Der Kapitän kam ohne Umwege in den Palast, um Neuigkeiten loszuwerden. Gaudentius, der Notar, der beinahe eine Meuterei ausgelöst hätte, als wir gegen die Franken kämpften, war von Constantius nach Afrika geschickt worden, damit er die Getreidelieferung nach Gallien kappte.

»Ich habe Verwandte in Marseilles«, erklärte der Kapitän, »habe jedoch angegeben, die Fracht nach Ostia zu bringen, sonst hätten sie mich nicht ablegen lassen.«

»Wir sind dir dankbar«, sagte Eutherius, der ihn vorgelassen hatte, und schrieb eine Anweisung. »Bring dies zum Kämmerer; er wird dich für deine Mühe entschädigen.«

Sobald der Kapitän gegangen war, sagte Julian: »Was hältst du davon? Will er Sizilien besetzen?«

Eutherius schüttelte den Kopf. »Gaudentius ist nicht der Mann dafür. Er ist bloß ein Bürokrat und Unheilstifter. Außerdem würde er ein Jahr benötigen, um ein Invasionsheer zu sammeln, und selbst dann hätte er nicht die Schiffe, um es zu transportieren. Doch er kann in Afrika seine Macht gegen dich entfalten und die Getreidelieferungen einschränken.«

Als das Wetter wärmer wurde und die Schäfer ihre Herden auf die oberen Weiden trieben, kamen Händler über die schneefrei gewordenen Alpenpässe und berichteten von schlecht verborgenen Nachschublagern in den bewaldeten Vorbergen und von Truppenbewegungen in den Ebenen Norditaliens.

»Jetzt ist es offenkundig«, sagte Julian. »Die Frage ist nur, ob wir weiter warten und auf Frieden hoffen sollen, um Gallien zu verteidigen, wenn wir angegriffen werden, oder ob wir als Erste angreifen, und zwar in Illyrien.«

»Wir müssen angreifen, sobald Libino zurück ist!«, erklärte Nevitta mit leuchtenden Augen. »Weiteres Zögern wäre unheilvoll.«

Diesmal waren die übrigen Offiziere – Dagalaif, Arintheus, Valentinian – seiner Meinung. Es gab bereits Gerüchte, wonach der Perserkönig sich von der Grenze im fernen Osten zurückzog. Noch hörte man nichts Genaues, doch wenn die Gerüchte stimmten, hieß das, dass Constantius mit den Persern ein Abkommen getroffen hatte. Wenn seine östliche Flanke befriedet war, konnte er sich mit der gesamten Streitmacht dem Westen zuwenden – uns.

»Warum sollte Constantius sonst vom Euphrat nach Antiochia zurückkehren?«, sagte Nevitta. »Er bereitet einen Feldzug vor – es kann nichts anderes bedeuten. Illyrien ist reich an Männern, dort rekrutiert Constantius seine Soldaten. Ich sage, entreiße es ihm sofort.«

»Und du, Drusus?«, fragte Julian. »Was denkst du?«

Ausnahmsweise stimmte ich Nevitta zu. »Constantius will uns hier festhalten, bis er selbst so weit ist«, antwortete ich. »Darum hat er Vadomar auf uns gehetzt; darum hat er Gaudentius nach Afrika geschickt.«

Julian rieb sich das Kinn und schaute durch den Raum. »Eutherius, du hast dich noch nicht dazu geäußert.«

Nevitta drehte den Kopf. Ich sah, wie er die Zähne zusammenbiss. Nach kurzem Zögern sagte Eutherius: »Illyrien hat Gold-und Silberminen, und unsere Mittel sind knapp geworden.«

»Das entscheidet die Sache!«, rief Nevitta und schlug mit der flachen Hand auf den Kartentisch wie ein Spieler, der beim Würfeln gewonnen hat.

Bei dem dumpfen Schlag zog Eutherius die Brauen hoch und begegnete Nevittas Blick, unbeeindruckt von der prahlerischen Lautstärke.

»Nevitta, der Heerführer Illyriens ist ein Mann namens Lucillian. Hast du von ihm gehört? Er ist sehr erfahren – keiner eurer unfähigen Barbarenhäuptlinge. Dennoch«, fuhr er fort und hob die Hand, als Nevitta ihm ins Wort fallen wollte, »ist nun eindeutig, dass Constantius seine Streitkräfte nach Westen wenden wird, auch wenn er es heimlich tut. Aber Vorbereitungen von diesem Umfang lassen sich nicht verbergen. Es wird einige Zeit brauchen, um solch ein mächtiges Heer neu zu ordnen, aber es wird umso schlimmer für uns, sobald es geschehen ist. Wenn wir angreifen wollen, dann am besten, ehe Constantius selbst so weit ist.«

»Aber wir haben zwanzigtausend Mann!«

»Eine unbedeutende Anzahl, und je weniger Lärm wir darum machen, desto besser. Constantius kann zehnmal so viele Männer aufbieten.«

Nevitta rümpfte die Nase und schwieg. Julian wandte sich der Karte zu. »Umso mehr Zeit wird er brauchen, die Männer zu sammeln. Lucillian ist in Sirmium. Er könnte die Stadt bei einer Belagerung ein Jahr oder länger halten. Dazu darf es nicht kommen … wir müssen ihn überrumpeln.«

Er zeigte auf die Alpenpässe, die nach Italien führten, und weiter nördlich auf die Straße, die durch Rätien in die westlichen Provinzen Illyriens ging. »Er wird hier mit uns rechnen, oder hier. Aber dort«, sagte er und tippte auf eine unwegsame Bergregion zwischen den beiden Routen, »wird er uns bestimmt nicht erwarten!«

Wir alle starrten auf die farbigen Punkte, Linien und Symbole, die die Flüsse und Städte, Wälder, Berge, Pässe und Grenzen markierten. Selbst Eutherius erhob sich aus seinem Sessel, um sich die Sache anzusehen. Aber es war Nevitta, der sich als Erster äußerte, und dies in verändertem Tonfall. »Aber Julian, kein Heer der Welt kann dort marschieren!«

»Da hast du recht, ein Heer nicht. Aber eine Zenturie leicht bewaffneter Männer unter meiner Führung kann es …« Er hielt mit leuchtenden Augen inne, wohl wissend, was kommen würde – und dann gab es auch schon von allen Seiten lautstarken Protest. Diese Route war unerprobt! Wahrscheinlich unpassierbar! Die Wälder und Berge waren noch nicht befriedet worden und wimmelten gewiss von Barbaren!

»Es ist möglich«, beharrte Julian. »Auf dieser Route wird niemand mit uns rechnen. An dieser Stelle können wir der Donau folgen«, er tippte auf die Karte, »da ist sie für Boote breit genug, und wir werden in Sirmium sein, ehe Lucillian überhaupt bemerkt, dass wir Gallien verlassen haben. Jovinus, du wirst das halbe Heer über die Pässe nach Norditalien bringen und möglichst viel Lärm veranstalten, damit Lucillian es hört. Gleichzeitig wirst du, Nevitta, über die nördliche Route durch Rätien ziehen. Verstehst du?«

Wenn wir unsere Streitkräfte aufteilten, würden sie zahlreicher erscheinen, führte Julian an, und Lucillian würde nicht mit Sicherheit beurteilen können, welcher Teil den Hauptangriff führen wird. Er, Julian, werde unterdessen mit seiner Zenturie über die Berge ziehen – völlig unerwartet und unbemerkt.

Nun war es Nevitta, der vor den Risiken warnte. Was Julian sich dabei denke, fragte er. Wenn er fiele, stünden sie ohne Führer da und wären geschlagen, noch ehe der Kampf begonnen hätte. Nicht Julian, ein anderer solle die Zenturie führen. Er selbst würde dies übernehmen. Oder Libino nach seiner Rückkehr. Oder Drusus. Oder sogar Jovinus.

»Und du?«, wandte er sich Unterstützung heischend an Eutherius. »Was meinst du dazu?«

Eutherius kniff die Lippen zusammen und schaute erheitert in die Runde. Nach angemessenem Zögern antwortete er: »Ich habe gehört, du seist ein Spieler, Nevitta. Die Einsätze sind hoch, und jetzt ist der Augenblick gekommen, um zu spielen oder den Spieltisch zu verlassen. Wir sind wenige, gefährlich wenige. Wenn wir zur Tat schreiten wollen, sind Umsicht und Schnelligkeit unerlässlich.«

Sein Blick glitt an Nevittas argwöhnischem, verächtlichem Gesicht vorbei. »Aber wozu rede ich überhaupt noch? Julian hat es längst beschlossen.«

Julian lachte. »Das Glück ist mit den Tapferen«, sagte er und wandte sich entschlossen der Karte zu.