40460.fb2 Wen die G?tter lieben - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 14

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ZEHNTES KAPITEL

Doch Fortuna hatte für dieses Frühjahr andere Pläne. Während die Eichen an den hohen Hängen über Vienne noch ihre hellgrünen Knospen trugen, kehrte Nevittas Günstling Libino zurück. Allerdings nicht, um einen Sieg zu feiern, wie Nevitta erwartet hatte, sondern in einer Urne, begleitet von Marcellus.

Ich ritt hinaus zu den ummauerten Kasernen vor der Stadt, um Marcellus zu treffen. Er sah blass und müde aus und war schlammbespritzt. Während wir nebeneinander die Zypressenallee an den Grabmälern entlangritten, erzählte er mir, was passiert war.

Als sie im rätischen Grenzgebiet angekommen waren, war Vadomar mit seinen Männern bereits auf unser Territorium vorgedrungen. Sowie er hörte, dass unsere Leute auf ihn vorrückten, trennten sie sich und verteilten sich auf die vielen kleinen Täler, die für diese Region typisch sind. Wäre Libino nicht ganz so dumm gewesen, hätte er abgewartet, bis seine Kundschafter mit ihren Beobachtungen zurückgekommen wären. Doch er hatte sich auf einen schnellen, mühelosen Sieg versteift. Er griff an, bevor er über seine Feinde Bescheid wusste. Als er mit einem Vortrupp durch dichten Wald streifte, geriet er an einem Hang in einen Hinterhalt. Er fiel als einer der Ersten.

Marcellus hustete. Er blinzelte zur Nachmittagssonne hinauf, als würde ihn die Helligkeit schmerzen. »Es war gut, dass wir die Petulantes bei uns hatten«, fuhr er nach einigem Schweigen fort. »Sie sind tüchtig und verlässlich; sie behielten klaren Kopf und kämpften weiter.«

Nachdem sich herumgesprochen hatte, dass Libino gefallen war, gewannen die Barbaren neues Selbstvertrauen. Sie kamen aus ihren Verstecken, und die Späher auf den Hügelkuppen meldeten Kolonnen von germanischen Kämpfern, die sich durch die Täler näherten. Als unsere Soldaten sahen, dass der Feind sie bald einkreisen würde, setzten sie sich widerstrebend ab und zogen sich in hastig befestigte Stellungen zurück.

»Wir konnten die Front halten, aber es war knapp. Libino war auf nichts vorbereitet, nur auf den eigenen Sieg.«

Inzwischen waren wir beim kaiserlichen Palast angelangt. Als wir im großen ovalen Säulenhof absaßen, sog Marcellus heftig die Luft ein, zuckte zusammen und griff sich unwillkürlich an die Seite. Ich blickte ihn scharf an.

»Ich bin bloß gestürzt«, sagte er. »Habe es schon verarzten lassen. Es ist nichts.«

Ich hatte seine Blässe der Müdigkeit zugeschrieben. Jetzt aber sah ich in seinen Augen, dass er Schmerzen hatte.

»Mach mir nichts vor«, sagte ich ärgerlich. »Schau, du hast Blut an der Hand.«

»Ich kümmere mich später darum. Zuerst müssen wir zu Julian.«

Mir blieb keine Zeit zu widersprechen, denn Julian kam bereits nach draußen geeilt. Er war kein Mann, der erhaben auf seinem Thron sitzen bleibt wie ein Despot des Ostens und darauf wartet, dass man ihm Nachricht bringt. Also gingen wir hinein, während Julian Marcellus begierig ausfragte.

Als wir die Treppe hinaufstiegen, taumelte Marcellus und versuchte, seine Schwäche zu überspielen, doch ich sah, wie froh er war, sich auf jemanden stützen zu können.

Julian rief sofort eine Legion aus dem Winterquartier. Er marschierte los, um Vadomar zu unterwerfen, bevor sich die Nachricht von Libinos Tod weiterverbreitete und die Grenze von Rätien bis Untergermanien aufbrechen konnte. Ich hätte eigentlich dabei sein sollen, aber Julian ließ sich aus Freundlichkeit eine Aufgabe einfallen, die mich in der Stadt hielt.

»Ich werde mit Vadomar fertig«, sagte er. »Kümmere du dich um Marcellus. Ich brauche ihn gesund und kräftig.«

So blieb ich in Vienne, plagte den Arzt, wechselte Marcellus’ Verbände und hielt ihn mit Drohungen im Bett. Er hasste die krankheitsbedingte Untätigkeit; der Gebrechlichkeit anderer begegnete er mit Nachsicht, mit der eigenen jedoch war er ungeduldig. Freunde kamen ihn besuchen – die jungen Männer seiner Einheit, die voller Sorge waren. Eutherius erschien, umweht von asiatischen Düften und mit einer Schachtel Süßigkeiten, die sein Diener Agatho in ein Bett von Bändern gepackt hatte. Auch Nebridius kam und sandte höflich einen seiner Schreiber voraus, um anzufragen, ob sein Besuch erwünscht sei. Sogar der Stallbursche ließ sich blicken und wartete schüchtern an der Tür, bis Marcellus ihn hereinwinkte. Er verehrte Marcellus wie ein Liebhaber.

Keiner dieser Besuche überraschte mich. Doch ich hatte nicht erwartet, eines Nachmittags Rufus an Marcellus’ Bett anzutreffen. Er saß auf einem Schemel, das Kinn in die Hand gestützt, und sprach mit gedämpfter Stimme. Dabei kehrte er der Tür den Rücken zu und bemerkte mich nicht. Still lächelnd ließ ich die beiden allein und setzte meinen Weg ins Badehaus fort.

»Ich dachte, Rufus wäre mit Julian nach Rätien marschiert«, sagte Marcellus später.

»Das wollte er, aber Nevitta ließ ihn nicht. Außerdem lahmt seine Stute.«

»Er hat es nicht erwähnt.«

»Worüber habt ihr gesprochen?«

»Ach, hauptsächlich über Klatschgeschichten. Ich glaube, er wollte mal mit jemand anderem reden. Er fragte mich über den Krieg aus und ob Constantius’ gepanzerte Reiter wirklich so furchterregend sind wie behauptet.«

»Seine Freunde werden wohl versucht haben, ihm Angst zu machen.«

»Das habe ich auch gesagt. Und die Angst ist ein mächtigerer Feind als jeder gepanzerte Reiter. Aber weißt du, Drusus, Libinos Tod hat Nevittas Horde ziemlich aus der Fassung gebracht. Damit haben sie nicht gerechnet. Sie dachten, der Krieg sei nur ein Spiel – und noch dazu ein einfaches. Ich frage mich, ob Rufus allmählich begreift, dass dieser Haufen nicht hält, was er verspricht.«

»Das hoffe ich sehr«, entgegnete ich und befahl ihm, sich hinzulegen, damit ich mir seine Wunde anschauen konnte.

»Aber warum wollte Nevitta ihn nicht mitnehmen?«, sagte er schließlich und sah mich an. »Rufus ist unglücklich, das ist ihm deutlich anzusehen. Der Wechsel hätte ihm gutgetan.«

»Nevitta sagt, seine Leute müssten sich auf den Marsch nach Osten vorbereiten. Aber in Wirklichkeit ist er schlechter Laune wegen Libino und lässt es an den anderen aus, besonders an Rufus. Er denkt, dass Libinos Versagen auf ihn zurückfällt.«

»So ist es ja auch.«

»Ich weiß. Aber wie üblich akzeptiert Julian seine Ausflüchte.«

Ich wollte noch mehr sagen, aber ein Geräusch ließ mich herumfahren.

In der halb offenen Tür stand ein Sklave, der ein Tablett mit einer Schüssel Brühe und einem Laib Brot brachte. Ich hatte selbst danach geschickt, doch nun fluchte ich im Stillen, weil ich mich nicht nach Lauschern umgeschaut hatte, bevor ich mich zu der Sache geäußert hatte. Es war nicht klug, über Nevitta zu reden, wo andere es hören konnten, und sei es nur ein Küchenjunge.

Ich nahm das Tablett und schickte den Diener weg. Danach sprachen wir von anderen Dingen.

Tage vergingen. Die Farbe der Haut an Marcellus’ Seite wechselte von Violett zu Blau und Grau; ein neues grausames Andenken an den Krieg neben der weißen Narbe am Unterarm, dem alten Schnitt an der Wade dicht unterhalb der Kniekehle und dem Kratzer von einem Pfeil unterhalb des linken Ohrs. Es waren Mahnungen an mich, dass Marcellus sterblich war – als könnte ich das jemals vergessen!

Eines Abends stieg ich heimlich ein zweites Mal den Weg hinter dem Theater hinauf zu der alten Zitadelle auf dem Hügel, wo die alten verwahrlosten Tempel stehen, und dankte den Göttern, dass er noch lebte.

Ich hatte ihn vom Knaben zum Mann werden sehen. Seine Schultermuskeln waren stark und fest geworden, seine Arme mit dem blonden Flaum gekräftigt vom Schwertkampf und Speerwerfen. In der Schlacht hatte er zähes Durchhalten gelernt, wie wir alle; manchmal merkte ich ihm bei Kleinigkeiten an, dass die Strenge seines Großvaters in ihm steckte – etwa an der kühlen Distanz gegenüber Leuten, die er nicht leiden konnte, oder an seiner Unduldsamkeit gegenüber niederträchtigem und unehrenhaftem Verhalten. Ich konnte es verstehen, denn beides hatten wir zur Genüge erlebt.

Mir gegenüber hatte er sich nicht verändert; da zeigte er Sanftheit und das Verlangen nach Liebe. Und wie damals, als ich ihm zum ersten Mal begegnete, fuhr er sich stirnrunzelnd durchs Haar, wenn ihn etwas beunruhigte und seine Gedanken in Anspruch nahm. Und jetzt, zu Frühlingsanfang, begann die Sonne ihren alljährlichen Zauber, indem sie seine bronzenen Locken vergoldete. Er hatte nichts von seiner Anmut, von seiner kraftvollen Schönheit verloren; er war noch immer der Jüngling von damals – klug, großmütig und fehlerlos.

Ich war nicht der Einzige, der dies an Marcellus bemerkte. Er war unter den Soldaten wohl gelitten und hatte viele Freunde, auch Verehrer; es hatte Zeiten gegeben, in denen Männer und Frauen ihr Glück bei ihm versuchten. Was daraus wurde, habe ich ihn nie gefragt. In den wirklich wichtigen Dingen habe ich nie an ihm gezweifelt; seine Freundschaft war die Felssohle meines Lebens. Er hatte mir ungeahnten Reichtum beschert. Auf solche Weise berühren die Götter das Leben der Menschen und lassen ihre Gegenwart erkennen.

Nach zehn Tagen Bettruhe erklärte der Arzt, Marcellus könne gefahrlos aufstehen, und kurz darauf saß er wieder im Sattel. Wir ritten zusammen über die Bergwiesen oberhalb der Stadt, wo die Luft frisch und kühl war, und eine Zeit lang vergaßen wir die dunklen Wolken, die jenseits der Alpen aufzogen.

Der Hieb hatte ihn an der schwachen Stelle in der Seite getroffen, wo er schon einmal verwundet worden war. Hätte die Klinge ihn einen Fingerbreit höher erwischt, sagte mir der Arzt in nüchternem Ton, wäre er in den Hügeln Rätiens gestorben. Dieser Gefahr waren wir alle ausgesetzt, das war mir klar, und ich behielt meine Befürchtungen für mich, damit sie nicht Macht erlangten, indem ich sie aussprach.

Ich brauchte diese Zweisamkeit mit Marcellus. Ich nahm unser Zusammensein, als könnte es gar nicht anders sein. Und wie auch? Dennoch war mir, als hätte der Tod mich mit kalter Hand an der Schulter berührt und gesagt: Bedenke, dass ich in der Nähe bin, Drusus! Jeder Tag wird von mir verliehen, und ich bin unerbittlich.

Bei seiner Rückkehr aus Rätien erzählte Julian, er habe von Hermes geträumt, der ihm ankündigte, dass Constantius in Asien den Tod finden werde, sobald Jupiter ins Sternbild Aquarius eintrete und Saturn die Jungfrau berühre. Julian hatte den Traum genau niedergeschrieben, um ihn nicht zu vergessen, und sobald er wieder in Vienne war, schilderte er die Einzelheiten den Astrologen der Stadt, die ihm erklärten, es sei in der Tat ein Omen; es sage voraus, dass Constantius noch vor Ablauf des Jahres sterben werde. Julian war erfreut; aber Eutherius gab mir zu bedenken, dass die Astrologen gerade freundlich gestimmt seien, da sie von den Beschränkungen befreit worden waren, die Constantius ihrer Kunst auferlegt hatte.

Unabhängig davon hatte das Omen Julian zum Nachdenken gebracht. Bald darauf stattete er dem Tempel der Kybele, für den Vienne einst berühmt gewesen war, einen Besuch ab. Anschließend berichtete er: »Ich habe mit den Priestern gesprochen. Es ist an der Zeit, mich zu reinigen und einen neuen Anfang zu machen. Es gibt eine alte Zeremonie, sagen sie. Ich werde mich ihr unterziehen, ehe ich in den Krieg reite. Es ist notwendig; ich spüre es.«

Ich befragte Eutherius über Kybele. »Die Gallier nennen sie die Große Mutter«, sagte er. »Sie ist die Tochter von Himmel und Erde und so alt wie die Zeit selbst. Du triffst überall auf sie, jedoch unter verschiedenen Namen. Selbst die Christen können sie nicht übergehen und haben ihr einen eigenen Namen gegeben. Sie nennen sie Mutter Gottes. Ihre ursprüngliche Heimat ist Ephesus – dort steht ihr bedeutendster Tempel.«

»Den würde ich gern einmal sehen«, sagte ich.

»Vielleicht wirst du das. Und«, fügte er lächelnd hinzu, »vielleicht werde ich dein Fremdenführer sein, wenn unser junger Krieger Julian nicht vorher die Bischöfe gegen sich aufbringt oder auf seinem Weg nach Illyrien in eine Schlucht stürzt.«

An dem Tag, den die Sterngucker für günstig hielten, gingen wir mit Julian in den Kybele-Tempel. Die bekränzten Priester stimmten ihre Gebete an. Auf den Stufen draußen in der klaren Morgensonne sang ein Knabenchor eine alte Hymne, und Diener streuten Lilienblüten über den Marmorboden. Später kam Julian in einem strahlend weißen Gewand aus dem inneren Heiligtum, die Haare feucht vom Wasser des heiligen Brunnens. Selbst Eutherius, der für Tempelzeremonien nicht viel übrig hatte, sagte zu mir, als wir den blütenübersäten Hof durchquerten: »Es scheint, als ob die Göttin ihren neuen Anhänger begünstigt.« Und tatsächlich haftete Julians Schritten eine neue Leichtigkeit an.

»Die Priester sagten ihm, er sei wiedergeboren worden«, bemerkte ich.

Eutherius rümpfte die Nase. »Das haben sie gesagt? Nun, jedenfalls braucht er sich jetzt nicht mehr zu verstellen, was für keine Seele gut ist. Vielleicht kann man das eine Wiedergeburt nennen.«

»Aber du hältst nichts davon?«

»Ich halte nichts von Priestern. Es heißt, die Götter erwählen sich, wen sie wollen; ich kann nur annehmen, dass sie mich nicht erwählt haben.«

Er blickte mich auf seine typische Art von der Seite an, dann ließ er mich allein, denn er wollte der kleinen heiteren Sängerschar, die von allen vergessen am Brunnen wartete, sein Lob aussprechen.

Bald darauf meldeten unsere Kundschafter, dass die hohen Pässe eisfrei seien. Wir machten uns marschbereit, und Julian rief die Soldaten zusammen, um ihnen seine Pläne mitzuteilen. Der Appell hatte aber auch einen anderen Zweck, vor dem Nevitta uns vorher heimlich warnte. In der wichtigtuerischen, vertraulichen Art eines Mannes, der Geheimnisse verbreitet, ging er reihum und sagte jedem, Julian wolle alle um den Treueid bitten. Das wäre der endgültige Bruch mit Constantius gewesen, denn dieser Eid wird nur dem Kaiser geschworen.

Wieso Nebridius von der Warnung ausgenommen wurde, weiß ich nicht. Vielleicht eine unglückliche Fügung. Allerdings war es kein Geheimnis, dass Nevitta den altmodischen italischen Anstand des Präfekten nicht leiden konnte und eine Zeit lang auf Julian eingewirkt hatte, ihn zu entlassen.

An dem festgesetzten Tag ging ich mit Marcellus und Jovinus vor die Stadt, wo das Heer sich versammelte. Marcellus stellte sich zu den anderen Offizieren bei Nevitta; ich blieb bei Jovinus und plauderte mit ihm, bis alle sich aufgestellt hatten.

Bald erschien auch Nebridius. Er blieb kurz stehen, um mich auf seine höfliche, ein wenig steife Art zu grüßen; dann gesellte er sich zu den Beamten der Präfektur, die als kleine Gruppe unter der erhöhten Bühne standen. Ich unterhielt mich weiter mit Jovinus, ohne zu ahnen, was kommen würde. Es war ein schöner Frühlingsmorgen. Die Stadt strahlte rosa und weiß in den schrägen Sonnenstrahlen. Sie schienen auf das stille Wasser der Rhone und funkelten auf den Feldzeichen mit ihren bronzenen Kränzen und Adlern. Über den Reihen hing erwartungsvolles Gemurmel. Die Soldaten hatten über Julians Pläne noch nichts Genaues erfahren, doch ihnen war klar, dass der Augenblick der Entscheidung gekommen war.

Der Tribun gab das Zeichen, und die Trompeten schmetterten. Dann stieg Julian die Holzstufen hinauf. Er trug sein neues Diadem, seinen glänzenden Brustpanzer und den schweren Mantel von kaiserlichem Purpur. Ein paar Augenblicke hielt er inne, um die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zu ziehen; dann begann er zu sprechen. Er erinnerte die Männer daran, wie er zum ersten Mal nach Gallien gekommen war, jung und unerfahren, wie sie gemeinsam die Barbaren vertrieben hatten und dass sie, obwohl stets in der Unterzahl, nie besiegt worden waren, entgegen allen Vorhersagen ihrer Feinde bei Hof. Doch nun, so erklärte er, wolle Constantius Krieg gegen sie führen, und die Zeit sei gekommen, den Blick nach Osten zu richten. Sie müssten ihre Familien verlassen, so hart es auch sei, und als Erste angreifen, da sie sonst alles verlieren würden.

Während seiner flammenden Rede war es in den Pausen zwischen den Sätzen so still, dass man die Vögel zwitschern hörte und die Geräusche des fernen Hafens vernahm. Und Julian hielt sie in der Hand, diese locker verbundene Schar von Kämpfern, deren Selbstvertrauen er wieder aufgerichtet hatte. Seine Zeit in Athen bei den alten Gräbern Platons und der Rhetoriker, die ihm den Spott seiner Gegner eingetragen hatte, war nicht vergeudet gewesen. Er hatte den Zauber geschliffener Worte erlernt und brachte ihn nun bei den Soldaten zur Wirkung, nicht um zu täuschen oder zu betrügen, sondern um jedem Einzelnen sein verheißungsvolles Potenzial vor Augen zu führen. Und das Geheimnis fand sich nicht in Rauch und Tränken oder Beschwörungsformeln und Mohnsaat, sondern in der Klarheit hart erarbeiteter Kenntnisse.

»So will ich euch nun sagen, was wir tun werden.« Er sprach zu ihnen als Freund und Soldat und umriss seinen Plan.

Als er fertig war, breitete er die Arme aus und fragte: »Wollt ihr mir folgen?« Alle brachen in tosenden Jubel aus, brüllten seinen Namen und schlugen mit dem Schwert auf ihre Schilde.

Dann, als es wieder still war, bat er sie, den Treueid zu schwören.

Die Zenturionen gaben umgehend den Befehl. In disziplinierter Bewegung hob jeder sein Schwert, hielt sich die Klinge an die Kehle und schwor mit der alten Formel, Julian bis in den Tod zu folgen. Die dunklen, drohenden Worte, die wie ein Gebet oder ein Fluch klangen, richteten ihnen die Nackenhaare auf und ließen mein Herz schneller schlagen.

Schließlich kamen wir an die Reihe. Von seinem Platz auf der hölzernen Plattform schaute Julian uns an und nickte uns arglos lächelnd zu. Nevitta schwor als Erster, zog sein Schwert und setzte es an die Haut über seiner vergoldeten Brustplatte; dann folgten wir seinem Beispiel und verpflichteten uns einstimmig.

Noch ehe ich fertig war, bemerkte ich leises Raunen und Unruhe. Die Männer hinter Nevitta verdrehten die Augen nach rechts und links, um zu sehen, was los war. Seltsam – das war nicht der passende Moment, sich umzudrehen und zu gaffen. Dann tat sich in der Menge eine Lücke auf, und ich sah Nebridius mit zusammengepressten Lippen dastehen; sein stolzes Aristokratengesicht war starr vor Zorn und Demütigung.

Er hatte den Eid verweigert.

Ich steckte mein Schwert in die Scheide zurück. Julian oben auf dem Tribunal musste die Unruhe gehört haben, beachtete sie jedoch nicht. Er hätte sich gewiss nicht damit befasst, hätte Nevitta nicht geschrien: »Seht! Der Präfekt verweigert den Schwur!«

Jetzt konnte Julian es nicht mehr ignorieren. Er blickte drohend hinab, war vermutlich aber wütender auf Nevitta als auf Nebridius. Doch er kam damit zu spät. Nebridius, der sich plötzlich im Zentrum der Aufmerksamkeit sah, erklärte törichterweise mit klarer, zorniger Stimme, die in der Stille weit zu hören war: »Ich darf mich nicht durch einen Eid gegen Constantius binden, dem ich bereits verpflichtet bin.«

Von den vorderen Reihen kamen Wutschreie. Männer stürmten nach vorn an den bestürzten Zenturionen vorbei und umringten Nebridius. Er war nicht mehr jung und schon gar kein Soldat, doch er hielt sich aufrecht, bis er in der Menge wutschnaubender Männer verschwand. Ich sah ihn nicht fallen, aber ich sah ringsherum die tretenden Stiefel. Es verbreitete sich durch die Reihen, was passiert war, worauf mehr Männer sich ein Beispiel nahmen und die Untätigkeit ihres Zenturio als Zustimmung werteten.

Ich sah eine Klinge blinken. Jemand hatte sein Schwert gezogen. Ich wollte hinlaufen, aber Jovinus hielt mich am Arm zurück. »Nein, Drusus. Das darf nicht von uns kommen.«

Ich sah ihn ungläubig an. Von uns allen war er am engsten mit Nebridius befreundet. Sein Blick war fest auf die Bühne gerichtet. Und da begriff ich. In dem Moment sprang Julian zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinunter, drängte sich durch die Schar um Nebridius und stieß die Männer beiseite. Es waren gemeine Soldaten; in der blutrünstigen Stimmung, in der sie sich befanden, waren sie imstande, ihn anzugreifen, ohne hinzusehen, wen sie vor sich hatten.

Ich rannte sofort los. Jovinus ebenfalls. Doch Nevitta, der am nächsten stand, rührte keinen Finger. Nach wenigen Augenblicken war es vorbei. Die Männer machten große Augen; die Zenturionen kamen zu sich und brüllten sie an, wieder ins Glied zu treten.

Und in der Mitte stand Julian, die Füße rechts und links neben dem am Boden liegenden Nebridius. Er hatte seinen Mantel zum Zeichen seines Schutzes über ihn geworfen. Die purpurne Wolle war mit Staub und Blut beschmutzt.

Ich sah mich nach Marcellus um. Dabei streifte mein Blick Nevitta. Ich ertappte ihn in einem Augenblick, wo er sich unbeobachtet glaubte, und seine Miene gab mir zu denken. Im Gegensatz zu uns übrigen wirkte er nicht überrascht und bestürzt, sondern … enttäuscht, wütend, vielleicht sogar schadenfroh; ich konnte es nicht genau ausmachen.

Dann bemerkte er meinen Blick und setzte eine glatte Miene auf.

Doch mir blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Julian half dem erschütterten Präfekten auf die Beine. Die Männer ringsumher schauten wie Hunde, die man vor dem tödlichen Biss zurückgezerrt hatte. Sie hätten Nebridius in Stücke gerissen, wäre niemand eingeschritten.

Wir schickten Nebridius mit einer Eskorte in die Stadt zurück. Nevitta wollte ihn begleiten, doch Marcellus trat dazwischen. »Ich kümmere mich darum«, sagte er. Er musste geahnt haben, dass der Präfekt in Nevittas Begleitung nicht lebend in der Stadt angekommen wäre.

Anschließend setzte Julian die Zeremonie fort. Später, als ich mit ihm und den anderen Offizieren in den Palast zurückkehrte, wartete Nebridius im Hof auf den Stufen sitzend, den Kopf in die blutigen Hände gestützt.

»Verräter!«, schrie Nevitta.

Doch Julian gebot ihm zu schweigen und sagte: »Dir wird nichts geschehen, Nebridius. Steh auf und lass dir vom Arzt die Hände verbinden.«

In seiner Erschütterung war Nebridius von Julians Freundlichkeit tief bewegt und trat einen Schritt auf ihn zu, um ihm die Hand zu geben. Julian hätte sie gewiss genommen, wären die Umstehenden nicht gewesen.

»Nein«, sagte er ein wenig verlegen, »ich werde deine Hand nicht nehmen. Was könnte ich sonst meinen Freunden noch geben?«

Dann ging er nachdenklich an ihm vorbei.

Wäre Julian vorher gewarnt worden, dass Nebridius den Eid verweigern könnte, hätte er ihn unter einem Vorwand von der Zeremonie ferngehalten und ihn dann ohne Aufsehen ersetzt. Nun ging das nicht mehr. Und in Zeiten wie diesen war es nicht gut, sich öffentlich versöhnlich zu zeigen. Man würde es Julian als Schwäche auslegen.

Bald darauf marschierten wir in den Krieg.

Bei Augst am Rhein teilte Julian wie geplant das Heer und sandte eine Hälfte unter dem Befehl von Jovinus über die Alpen; zehntausend Mann unter Nevitta marschierten durch Rätien mit dem Befehl, nach Sirmium zu ziehen. Julian selbst begab sich mit dreitausend leicht Bewaffneten in jene unwegsame, wilde Gegend, die von den Germanen Schwarzwald genannt wird. Alle waren Freiwillige. Marcellus und ich waren ebenfalls dabei.

Wir stiegen dichte Waldhänge hinauf, zogen an steilen Schluchten und Felswänden entlang. Wir durchquerten Bäche, von denen einige nur knöcheltief waren; andere kamen mit reißender Strömung von den schneebedeckten Gipfeln herab. Zähneklappernd wateten wir durch die kalten Gewässer, während wir Marschgepäck und Schwert über dem Kopf hielten.

Einmal kamen wir an einem flachen Grenzstein vorbei, der mit heller Flechte überwachsen und in den etwas eingemeißelt war.

»Was ist das?«, fragte einer der Männer.

»Weißt du das nicht?«, antwortete ein grauhaariger Zenturio. »Dieser Stein markierte einst die Grenze des römischen Reiches, als wir noch nicht ängstlich vor den Barbaren davongerannt sind.«

Einige sahen sich düster um. Ob Grenzstein oder nicht, in Wirklichkeit gehörten diese steilen Hänge und alten Wälder niemandem, denn niemand konnte sie gegen einen Feind halten.

In den kleinen grünen Tälern, die kaum mehr als eine Klamm zwischen Bergen waren, entdeckten wir hin und wieder Zeichen von Leben: Hütten und Pferche und Rauch von Kochfeuern. Julian hielt sich von ihnen fern. Wir waren nicht hier, um uns auf Scharmützel mit Bergbauern einzulassen.

Wir stiegen höher hinauf. Die Luft wurde kälter. Da wir keinen Maultierzug bei uns hatten, schliefen wir in unserer Kleidung im Freien, stellten Wachen gegen Wölfe und Bären auf, legten uns auf ein Bett aus Tannennadeln und schoben uns den Tornister unter den Kopf.

Doch unsere Führer verstanden ihr Geschäft. Sie führten uns über waldige Höhenwege, und bald wurden die lichten Kiefern und Eschen wieder von dichterem Wald abgelöst. Die Bäche mündeten in einen breiten, gemächlichen Fluss, der in weiten Kehren durch grünes Weideland floss. Wir folgten seinem Ufer und kamen am zehnten Tag zu einer aus Holz und Stein erbauten Grenzstadt, die dort wegen des Schiffsverkehrs entstanden war.

Unsicher, wie man uns empfangen würde, näherten wir uns vorsichtig, denn nun betraten wir Constantius’ Territorium.

Als wir nahe herangekommen waren, ging das Tor auf; dann erschienen die Stadtväter, machten Gesten des Friedens und hießen uns lächelnd willkommen. Sie eröffneten uns die Neuigkeit, dass die Konsuln in Rom Hals über Kopf geflohen seien, sowie sie von Jovinus’ Marsch über die Alpen gehört hätten.

Julian nickte ernst und dankte ihnen, wobei er versicherte, dass ihre Stadt von ihm nichts zu befürchten habe.

Erst als sie gegangen waren, sagte er schmunzelnd: »Erinnert ihr euch an unseren alten Freund Florentius? Er hat in diesem Jahr das Amt des Konsuls inne. Offenbar liegt es in seinem Wesen, dass er immerzu flüchtet. Ob er auch diesmal wieder vergessen hat, Frau und Kinder mitzunehmen?«

Allgemeines Gelächter.

»Wo wird er jetzt sein?«, fragte ich.

»Bei Constantius, wo sonst? Er hat Italien seinem Schicksal überlassen.« Er zuckte die Achseln und schaute auf das Wasser der oberen Donau, die in der Morgensonne gleißte. »Italien hat nichts von uns zu befürchten, und Florentius weiß das. Es ist seine eigene Haut, um die er sich Sorgen macht.«

Obwohl die Überquerung der Berge anstrengend gewesen war, hielten wir uns nicht auf. In einer Flotte kleiner Boote fuhren wir den Fluss hinunter, der uns rasch voranbrachte. Wir passierten Grenztürme aus Stein und schwarzem Holz mit Dächern aus Stroh. Von den Höhenwegen schauten die Grenzposten neugierig zu uns hinab. Manche winkten sogar, und wir winkten zurück. Trotz dieser freundlichen Gesten vergaßen wir nicht, dass wir uns auf feindlichem Gebiet befanden. Nur nachts gingen wir an Land und schliefen neben den Booten.

Jeden Tag, den wir weiter nach Osten fuhren, wurde der Fluss breiter. Das bewaldete Hügelland wich den illyrischen Ebenen, wo Bohnen und Gerste auf den Feldern standen. Wir kamen schnell voran. Der Wind war uns gewogen. Unsere Ruderer, einschließlich Marcellus und meiner selbst, waren kräftig und unermüdlich. Endlich, nach Tagen auf dem Wasser, zeigte unser Bootsführer auf eine ferne Anhöhe. Es war der Alma, der zwischen der Donau und Sirmium liegt, unserem Ziel.

Bei Sonnenuntergang gingen wir an Land.

Wir setzten unsere Boote aufs morastige Ufer. Dort waren wir am verwundbarsten; doch abgesehen von einem jungen Ziegenhirten, der bei seiner Herde stand und gaffte, nahm uns niemand in Empfang. Inzwischen hatten die schnellen kaiserlichen Kuriere sicherlich die Nachricht zu Lucillian nach Sirmium gebracht, dass unsere Hauptstreitmacht nach Norditalien vorgerückt war. Lucillian war, wie Eutherius gesagt hatte, ein erfahrener Heerführer; er würde Soldaten ausgeschickt haben, um die großen Militärstraßen nach Süden und Westen zu bewachen.

»Doch wenn die Götter mit uns sind«, sagte Julian, »wird er uns nicht von Norden erwarten.«

Dennoch hatten wir keine Zeit zu verlieren, denn lange würden wir nicht unbemerkt bleiben. Julian rief sofort einen Trupp leicht bewaffneter Freiwilliger zusammen, fünfzehn Mann insgesamt, die Marcellus und ich anführen sollten. Unser Auftrag war, am selben Abend noch schnell weiterzumarschieren und im Schutz der Dunkelheit über den Alma nach Sirmium zu gehen.

»Sucht Lucillian und bringt ihn her«, sagte Julian, als er uns seine Befehle gab. »Erweckt den Anschein, dass unser ganzes Heer vor den Toren liegt. Er denkt nämlich, wir sind noch viele Meilen weit weg.«

Beim Schein einer dünnen Mondsichel brachen wir auf, stiegen nach Süden über den Alma, ließen den Gipfel links liegen und folgten den Trampelpfaden durch die Weingärten.

Bis wir in die Ebene hinabstiegen, stand die Venus am Himmel. Unser Führer blieb stehen, streckte den Arm aus und sagte: »Seht.« Voraus hinter den Gerstenfeldern zeichnete sich schwarz die Nordmauer Sirmiums ab.

Wir eilten weiter. Als wir die ersten verstreuten Häuser und Höfe erreichten, die außerhalb der Stadtmauer lagen, graute der Morgen. Auf den Koppeln und in den Gemüsegärten regten sich die Menschen, die ihren morgendlichen Aufgaben nachgingen. Sie blickten auf, beachteten uns aber nicht weiter. Soldaten waren ein gewohnter Anblick für sie. Ungehindert liefen sie weiter über die stillen Wege.

Das Nordtor war bewacht, wie erwartet.

Wir näherten uns in geordneter Formation wie eine heimkehrende Patrouille. Am Tor grüßte Marcellus und erklärte, wir kämen im Auftrag des Augustus persönlich und hätten eine dringende Nachricht für Lucillian. Wir warteten, bereit, beim ersten Anzeichen von Misstrauen das Schwert zu ziehen. Doch der Wächter rieb sich lediglich den Schlaf aus den Augen und winkte uns durch. Ihm fiel nicht ein zu fragen, von welchem Augustus die Rede sei.

Auf den Straßen der Stadt war es noch still. Wir kamen an einem öffentlichen Brunnen vorbei, wo ein paar Frauen ihre Krüge füllten. Ein Brotverkäufer mit einem Handkarren starrte uns an. Wir gingen weiter, als gehörten wir hierher, und hielten auf die Stadtmitte zu.

Wir gelangten an einen Torbogen mit Marmorgirlanden. Dahinter betraten wir einen ovalen Platz, der so groß war wie die Rennbahn in Vienne und von Säulenhöfen umgeben war. Der Mann neben mir schaute sich um und fragte: »Was jetzt? Wo sind wir?«

»Das gehört zum Kaiserpalast«, sagte ich. »Hier irgendwo wird Lucillian sein. Tut so, als wüssten wir genau, wohin wir müssen.«

Natürlich wussten wir das nicht. Gerade malten die ersten Sonnenstrahlen rosarote Streifen an den dunkelblauen Himmel. Wir gingen auf die Kolonnade am anderen Ende des Platzes zu, wo wir anhalten und überlegen konnten. Schon traten Männer, die wie Schreiber und Beamte aussahen, aus den Türen der umliegenden Häuser.

In diesem Moment kam ein Sklavenjunge an uns vorbei. Marcellus hielt ihn an der Schulter fest und fragte freundlich: »Wo geht es zu Lucillians Gemächern?«

Der Knabe – er konnte höchstens zehn Jahre alt sein – musterte uns kurz und ließ den Blick über Marcellus’ Uniform und den Schwertgürtel wandern. Dann zeigte er strahlend eine Zahnlücke und schickte uns mit seiner hellen Kinderstimme durch einen weiteren Torbogen.

»Braver Junge«, sagte Marcellus und strich ihm übers Haar. Der Knabe entfernte sich winkend, und wir gingen weiter und gelangten in einen kleineren, marmorgepflasterten Hof. In der Mitte stand ein Brunnen, in dem ein Bronzejüngling einen Krug voll Wasser in das runde Mosaikbecken goss. Dahinter erhob sich ein großes Haus mit drei Stockwerken, einem Säulenvordach und Stufen und Pfeilern mit vergoldetem Akanthusrelief.

Nirgends war jemand zu sehen. Wir schritten rasch die Stufen hinauf und traten durch eine Seitentür der Dienerschaft ein.

Drinnen hielten wir inne. Wir befanden uns in einem langen Gang, wo Statuen auf Onyxsockeln in Marmornischen standen. Zwischen den Säulen hingen hellblaue Seidenvorhänge, die der Wind von den oberen Fenstern sacht hin und her wogen ließ. Wachen waren keine da.

Als wir uns gerade fragten, zu welcher Seite wir uns wenden sollten, erklangen Schritte hinter den Vorhängen. Ich schloss die Hand um den Schwertgriff. Die Vorhänge teilten sich, und ein Palastdiener erschien, der fröhlich summend einen Stapel Wäsche auf den ausgestreckten Armen trug.

Als er uns sah, verharrte er und musterte uns. Rasch sagte ich: »Mir wurde gesagt, dass wir hier Lucillian finden. Ich komme in einer dringenden Angelegenheit.«

Misstrauisch spähte der Diener über den Wäschestapel hinweg und erwiderte: »Lucillian ist noch nicht aufgestanden. Wer seid ihr?«

»Es eilt«, behauptete Marcellus forsch, aber freundlich. »Wir kommen vom Kaiser persönlich.«

Daraufhin drehte der Mann sich um und legte die Wäsche auf einem Sims ab. »Oh, das konnte ich nicht wissen. Dann werde ich gehen und ihn rufen.«

Er machte sich auf den Weg und wollte uns zweifellos im Gang warten lassen. Doch wir, fünfzehn uniformierte Männer, folgten ihm durch eine hohe geschnitzte Flügeltür und eine breite Treppe hinauf.

Der Mann nahm es wortlos hin, beäugte uns nur hin und wieder unruhig. Er war gewaschen und gekämmt und mit einer gut geschnittenen gold-weißen Tunika bekleidet. Ich hielt ihn für einen hochgestellten Diener, der die Gepflogenheiten kannte und seine fünf Sinne beisammenhatte. Seine angewiderte Miene erinnerte mich daran, wie wir nach unserem langen Marsch durch Wälder und Gewässer aussehen – und riechen – mussten.

Schließlich blieb er vor einer Tür mit Skulpturenrahmen stehen, und nun gewann sein Unbehagen die Oberhand. Ich sah, wie er die Lippen zusammenkniff, und wusste, was kam.

»Wartet hier«, sagte er. »Eure Bitte ist unüblich. Deshalb werde ich jemanden vom Empfangsdienst rufen.« Doch ehe er sich abwenden konnte, packte Marcellus ihn beim Handgelenk.

»Das wird nicht nötig sein«, sagte er leise.

Der Diener riss die Augen auf und blickte Marcellus ins Gesicht; dann starrte er auf den Dolch, den ich ihm vor die Nase hielt. Danach brauchten wir ihm nichts mehr vorzuspielen.

Marcellus schob den Diener beiseite, drückte das Ohr an die Tür, um zu horchen, und öffnete sie behutsam.

Dahinter befand sich ein rechteckiger, hoher Raum mit Wandgemälden. An einer Seite stand ein mit Pergamenten übersätes Schreibpult, auf dem drei oder vier Lederhüllen lagen, in denen kaiserliche Depeschen befördert wurden. Es gab auch eine Liege mit vergoldeten Löwenfüßen und grün-weißen Polstern; daneben, auf einem niedrigen Zypressenholztischchen, stand ein Glaskrug nebst goldenen Bechern.

Doch Lucillian war nicht da.

Ich zeigte dem Diener meine Klinge und fragte: »Wo ist er?«

Der Diener schluckte und deutete mit dem Kopf in eine Ecke hinter dem Schreibpult, wo durch einen Spalt in den dicken roten Vorhängen eine kleine Tür zu sehen war. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und ging leise über den glänzenden Boden, Marcellus an meiner Seite. Dann gab ich den anderen ein Zeichen, worauf sie uns ebenso leise folgten. Ich lauschte. Aus dem Nebenzimmer war nichts zu hören. Nach einem warnenden Blick zum Diener öffnete ich langsam die Tür.

Die Fensterläden waren geschlossen. Durch die Ritzen drangen Sonnenstrahlen. Im Bett murmelte eine müde Stimme: »Noch nicht, Agilo, geh hinaus.«

Er lag auf der Seite, die Decke über die Ohren gezogen, das Gesicht in dem weißen Leinenkissen versunken.

Auf Zehenspitzen schlichen wir ans Bett und umstellten es. Dann beugte sich einer der Männer über ihn und flüsterte: »Zeit zum Aufstehen.«

Einen Moment lang rührte er sich nicht. Dann fuhr er aus seinen Decken hoch und erstarrte, als er die fünfzehn Klingenspitzen sah, die auf ihn gerichtet waren.

»Verzeih, edler Lucillian, dass wir dich erschreckt haben«, sagte ich. »Es ist ein schöner Morgen, und Kaiser Julian würde gern ein Wort mit dir wechseln. Darum sei so gut und kleide dich an, damit wir sogleich zu ihm können.«

So kam es, dass Sirmium, die mächtige Kaiserstadt, wo Constantius erst ein paar Monate zuvor Hof gehalten hatte, durch fünfzehn Soldaten fiel. Lucillian leistete keinen Widerstand. Auch sonst stellte sich uns niemand entgegen. Während des kurzen Marsches zur Donau fragte er immer wieder, wie wir mit unserem Heer hatten vorrücken können, ohne dass er davon erfahren hatte. Wir antworteten nicht, und nach einiger Zeit verfiel er in Schweigen, denn er vermutete wohl, er würde noch am selben Tag hingerichtet und wir brächten es nicht übers Herz, mit einem Todgeweihten zu sprechen.

Doch als wir unser kleines Lager am Fluss erreichten, begrüßte Julian ihn höflich und sagte, er brauche um sein Leben nicht zu fürchten und solle sich aus dem Staub erheben.

Lucillian rappelte sich auf, klopfte sich den Staub von den Kleidern und ließ den Blick in die Runde schweifen, schaute auf die Zelte und die am Ufer liegenden Boote.

»Ist es nicht leichtsinnig, Cäsar, so weit von Gallien entfernt mit so wenigen Männern anzugreifen?«

Julian, der sich bereits abgewandt hatte, drehte sich wieder um und blickte ihn überrascht an.

»Was soll das, Lucillian?«, sagte er lachend. »Willst du mich Strategie lehren? Spar dir deine klugen Sätze für Constantius auf. Ich bin nicht den weiten Weg gekommen, um deinen Rat einzuholen.«

Am selben Tag marschierte unser Heer von dreitausend Mann in Sirmium ein. Die Bürger standen mit Fackeln an den Straßen, warfen Blumen und riefen Segenswünsche.

Julian strahlte, winkte und streckte dankend die Hände aus. Ich erinnerte mich an meine Knabenzeit, wo ich Constantius’ Bruder Constans in London hatte einreiten sehen. Er blickte damals stur geradeaus, als säße sein Kopf in einem Schraubstock, während er sein Pferd naserümpfend durch die Menschenscharen lenkte.

Julian war von ganz anderer Art. Er meinte es ernst, was er in Gallien geäußert hatte: Ein Kaiser sollte sich seinem Volk zeigen, sollte ein Mensch unter Menschen sein und nicht führen, indem er Angst verbreitet, sondern mit seiner Tugendhaftigkeit ein Beispiel geben. Hier sah man das Wesen des Königtums, das sich nicht durch Gewalt über die Gemeinen erhebt, sondern durch Weisheit, Selbstbeherrschung und Mäßigung. Darin – und nur darin – liegt die wahre Berechtigung zu herrschen.

Diese Grundsätze hatte Julian in Büchern entdeckt, in denen weise Männer sie niedergeschrieben hatten. Und dafür hatten ihn seine Gegner verlacht.

Doch jetzt, so dachte ich, würden sie nicht mehr lachen.