40460.fb2 Wen die G?tter lieben - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 7

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DRITTES KAPITEL

Wir zogen wieder in der Zitadelle ein, nicht in das kleine Zimmer unter der ausladenden Zeder wie zuvor, sondern in eine vornehme Zimmerflucht, die auf den Innenhof hinausging. Sie hatte einen Marmorboden; an der Wand prangte ein Fresko, eine Flusslandschaft mit Booten und Weinterrassen, an denen Männer bei der Lese waren.

Marcellus stand am Fenster und schaute über den Hang am anderen Ufer der Seine, wo die Reitersoldaten ihre Übungen absolvierten. Wir hatten uns gerade über Julian unterhalten.

»Hast du bemerkt, dass er schüchtern ist und es durch Reden zu verbergen sucht?«, sagte er. »Und ich habe das unbestimmte Gefühl, dass da noch etwas anderes ist.«

»Was denn?«

»Das kann ich nicht näher bestimmen. Etwas Persönliches, als würden er und Oribasius ein Geheimnis teilen.«

»Nun, sie sind gemeinsam aus dem Osten gekommen. Sie kennen sich seit Jahren.«

»Ja, vielleicht ist es das.« Er verfiel in Schweigen und beobachtete eine Zeit lang die Pferde. Dann sagte er: »Aber das ist nicht alles, das spüre ich. Es kommt mir so vor, als wollte er etwas mitteilen, traute sich aber nicht.«

Ich lag auf meinem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und betrachtete beim Zuhören müßig die ansprechenden Szenen des Wandgemäldes. Ich nickte. Auch ich hatte ein persönliches Geheimnis gespürt, das nur widerwillig verborgen wurde. »Nun, er ist der Vetter des Kaisers. Er wollte nicht ins Gerede kommen, weil er den alten Tempel besucht hat.« Und eingedenk des Briefes mit dem gebrochenen Siegel fügte ich hinzu: »Selbst er wird bespitzelt, wie es scheint.«

Marcellus zuckte die Achseln. »Ja. Mit dem Vertrauen ist es nicht weit her.«

»Hast du Florentius bemerkt?«

Er lachte. »Er war nicht erfreut, mich zu sehen.«

»Bei meinem Anblick auch nicht. Er hat mich ertappt, wie ich das alberne Vogelnest auf seinem Kopf bestaunte.«

»Was kann er anderes erwarten? Sein Friseur muss eine Stunde lang beschäftigt gewesen sein. Und wozu, wenn er nicht möchte, dass die Leute hinschauen?«

Ich schmunzelte, wurde aber rasch wieder ernst. »Aber so albern er sein mag, er hat Macht.«

»Ich weiß – und er wird als Erster dafür sorgen, dass niemand das vergisst. Aber wir sind jetzt Gäste des Cäsars. Florentius kann seinen Lakaien nicht mehr befehlen, uns hinauszuwerfen. Er hatte nicht einmal den Mut, es selbst zu tun.«

»Das ist genau seine Art. Ist dir aufgefallen, wie sehr er auf Julian herabsieht? Als wäre er einer seiner Schreiber, könnte man meinen.« Nach kurzem Nachdenken fügte ich hinzu: »Ich frage mich, ob Julian weiß, wie der Präfekt über ihn denkt.«

Am Morgen waren wir zu dem alten Bauern gegangen, um ihm mitzuteilen, dass wir bei ihm ausziehen würden. Er war betrübt, weil er nicht wusste, wie er ohne uns zurechtkommen sollte; aber sonderlich überrascht war er nicht. Ihm war klar gewesen, dass wir nicht lange bleiben würden, und er nahm es mit Anstand. Er dankte Marcellus für die vielen Verbesserungen, die er angeregt hatte. Marcellus seinerseits erinnerte den Bauern noch einmal an die Dinge, um die er sich kümmern musste – die Weinstöcke am fernen Hang, den Graben am südlichen Gerstenfeld und den alten Getreideschober hinter dem Haus, der feucht geworden war und belüftet werden musste, sobald schöneres Wetter Einzug hielt.

Ich musterte das traurige, verhärmte Gesicht des Bauern, während er zuhörte und nickend die Brauen zusammenzog. Der Mann tat mir leid; er war ehrlich und anständig, und das Schicksal hatte ihm eine schwere Last aufgebürdet. Allerdings bedauerte ich nicht, den Hof zu verlassen, allein schon wegen Clodia. Als wir voneinander Abschied nahmen, saß sie auf der Türstufe, streichelte beiläufig eine der Katzen und machte ein Gesicht wie eine Gewitterwolke.

Zuletzt ging Marcellus zu ihr, um ihr Lebewohl zu sagen. Ich wartete auf der Straße vor dem Tor und plauderte noch mit dem Bauern. Was immer sie sich zu sagen hatten, dauerte nicht lange. Ich hörte eine Tür knallen, und als Marcellus kam, blickte er reichlich hilflos drein. Ich sagte kein Wort dazu, auch später nicht. Schließlich hatte Clodia in ihm nur gesehen, was auch ich in ihm sah.

Außerdem ist es einfach, großzügig zu sein, wenn man der Sieger ist.

Oribasius stammte aus Pergamon. Er hatte den Beruf des Arztes erlernt und war zurzeit mit der gewaltigen Aufgabe befasst, eine Enzyklopädie der Medizin zu schreiben, wie er uns erzählte. Er kannte Julian schon aus der Zeit, als dieser an der Universität in Athen studierte. Wo Julian ein geborener Redner war, war Oribasius ein geborener Zuhörer. Er war das Publikum für den Protagonisten Julian, und zwischen den beiden Männern bestand eine echte, vertrauensvolle Freundschaft, wie mir schien.

Florentius jedoch, der andere nach seinem eigenen Maß beurteilte, vermutete bei Oribasius von Anfang an eigennützige Motive. Wenn Oribasius sich an Julian heftete, dann nur, weil er etwas zu gewinnen hoffte. Bei Begegnungen in den Kolonnaden und Gängen der Zitadelle brüskierte Florentius ihn, und in Gegenwart anderer – egal, um wen es sich handelte – machte er bissige, sarkastische Bemerkungen. Höhnisch unterstellte er, dass es doch förderlich sein müsse, einen Freund von solch hohem Rang zu haben, und die kaiserlichen Residenzen im Reich seien gewiss eine willkommene Annehmlichkeit. Mit spöttisch hochgezogenen Brauen überlegte er laut, wie viel Geld ein Arzt wohl benötigte, der sich dem Studium und den Fragen des Geistes widmete.

Oribasius ließ diese Bemerkungen mit einem erheiterten Blick seiner dunklen, klugen Augen an sich abgleiten. Julian aber nahm sie zur Kenntnis und wusste, dass sie eigentlich gegen ihn gerichtet waren.

Doch Oribasius war nicht der einzige Grund dafür, dass es Reibungen mit dem Präfekten gab, wie ich bald feststellte. Wo Julian zu gutmütiger Ungezwungenheit neigte, war Florentius steif und sehr auf Rang und Ansehen bedacht, und solche gegensätzlichen Haltungen vertragen sich selten. Unter anderen Umständen hätten sie sich wohl voneinander ferngehalten, doch Florentius, betraut mit der zivilen Verwaltung der Provinz und der Versorgung des Heeres, konnte nicht ignoriert werden. Julian war auf den Präfekten angewiesen, und das wusste Florentius.

Überdies war Julian impulsiv. Wenn er etwas tun wollte, tat er es und ignorierte das komplizierte Fadenspiel der Anträge und Bewilligungen, die aus den Pflichten eines Tages die Arbeit eines Monats machten. Er hatte die Barbaren durch rasches Handeln zurückgeschlagen. Sollten die behäbigen Bürokraten doch sehen, wie sie mit dem Schriftkram hinterherkamen. Dies alles wertete Florentius als Angriff auf seine Person. Er glaubte, Julian wollte seine Autorität untergraben und ihn zum Narren machen. Julian hingegen fand es absurd, dass Florentius wie besessen an Verwaltungsverfahren festhielt, während die Umstände rasches, entschlossenes Handeln erforderten. Keiner hatte Verständnis für den anderen.

In diesem Winter bot Julian uns an, seinem Offizierskorps beizutreten. Ich entschied mich für die Infanterie, die ich durch meine Zeit in London kannte, während Marcellus die Reiterei wählte.

Severus, der Heermeister der Reiterei, war soeben vom Rhein zurückgekehrt, wo er die Verteidigungsanlagen besichtigt und das zerstörte Köln besucht hatte. Unterwegs war er auf fränkische Plänkler gestoßen, die das Ackerland südlich der Maas verwüsteten. Beim Anblick der römischen Soldaten waren sie nach Norden geflohen, aber sowie Julian davon erfuhr, rief er uns zu einem Kriegsrat zusammen. Man dürfe nicht dulden, dass die Barbaren Raubzüge unternehmen oder ihre Stellungen ausbauen. Julian wollte wissen, wie schnell das Heer marschbereit sein könne.

In dem nun einsetzenden Schweigen gab Florentius, der abseits stand, ein vernehmliches Räuspern von sich.

»Ja, Präfekt?« Julian drehte sich zu ihm um.

Jeder wisse doch, dass die Barbaren gewohnheitsgemäß angriffen, wenn das Heer im Winterquartier liege, antwortete Florentius im Tonfall eines Lehrers, der einen begriffsstutzigen Schüler verbessert. »Bis Mai werden sie sich über den Fluss auf ihr eigenes Gebiet zurückgezogen haben.«

»Und nächstes Jahr kehren sie zurück«, entgegnete Julian. »Ganz gewohnheitsgemäß.«

»Es ist tiefer Winter, Cäsar. Da kann man nicht kämpfen. Jeder weiß das.«

»Nur ist es offenbar niemandem eingefallen, das auch den Barbaren beizubringen«, erwiderte Julian. »Wenn sie im Winter kämpfen können, dann können wir es auch.« Er wandte sich der Karte zu, die auf dem Tisch ausgebreitet lag. »Victor, Arintheus, diese Route ist die beste, sofern sie passierbar ist. Schickt Späher aus, damit sie das auskundschaften. Valentinian, du kümmerst dich um die Zusammenziehung der Truppen. Du ebenfalls, Drusus.«

Alle scharten sich um ihn – außer Florentius. Er war rot geworden und hüllte sich in dumpfes Schweigen. Während alle redeten und planten, stand er mit vorgerecktem Kinn da und schaute aus dem Fenster, als gäbe es in dem stillen Hof etwas zu sehen.

Wenige Tage später, kurz vor dem Abmarsch, kam Marcellus zu später Stunde in unsere Zimmer zurück. Er war draußen gewesen und hatte die neuen Rekruten der Reiterei gedrillt, nachdem Severus seine Geschicklichkeit mit Pferden erkannt und ihn zu dieser Aufgabe abgestellt hatte. Die Rekruten waren junge Römer, die zumeist aus Gallien stammten, voller Eifer und vom Geschmack am Erfolg angespornt, aber noch völlig unbeleckt. Auf den väterlichen Höfen hatten sie einigermaßen reiten gelernt, wussten aber nichts über den Kampf im Sattel oder das Reiten in Formation.

Marcellus zog seinen schweren Wintermantel aus und warf ihn auf den Stuhl, setzte sich sodann aufs Bett und schnürte sich die Stiefel auf. Seine Wangen waren rot von der Kälte und einem Tag harter Arbeit.

»Du riechst nach Pferd«, sagte ich.

»Würdest du auch, wenn du dabei gewesen wärst. Aber hast du schon gehört? Florentius hat angekündigt, dass er mit uns marschiert.«

»Wozu denn das? Was kann er uns nützen?«

»Überhaupt nichts. Du hättest Severus fluchen hören sollen, als er davon erfuhr. Da wäre selbst ein Zenturio rot geworden.«

Ich schmunzelte bei der Vorstellung. Severus war ein stämmiger Afrikaner aus Karthago mit wettergegerbtem Gesicht und grauen Stoppelhaaren. Er hatte die derbe Angewohnheit, zu sagen, was er dachte – was ihm Julians Wertschätzung einbrachte und Florentius hochfahren ließ. Severus nahm keine Rücksicht auf das affektierte Gehabe des Präfekten, und es war kein Geheimnis, dass einer den anderen unausstehlich fand.

»Nun«, sagte ich, »Florentius muss nicht mitkommen. Und er wird kaum von Freunden umgeben sein.« Während Marcellus sich auszog, rissen wir Witze darüber, wie Florentius sich im Feld die Haare kräuseln und die Nägel feilen ließe.

»Vermutlich denkt er, dass er etwas verpasst«, sagte Marcellus, der nackt am Waschtisch stand.

»Er wird viel mehr Julian im Auge behalten wollen … oder jemand anders tut es.«

»Ja, durchaus möglich.« Inzwischen ernst geworden, drehte Marcellus sich herum und betrachtete mich durch die Falten des Handtuchs, während er sich das Gesicht abtrocknete. »Daran hatte ich gar nicht gedacht. Eutherius sagte ja, dass jeder bespitzelt wird. Was richtet das bei einem Menschen an? Das ist widerwärtig.«

Er rieb sich die Haare trocken und warf das Handtuch beiseite. Allmählich lernten wir die höfischen Sitten näher kennen.

Zwei Tage später, an einem feuchten grauen Morgen, traten wir an, um nach Norden zu marschieren.

Ich saß auf meinem Pferd inmitten der anderen Offiziere und sah mir an, wie die Abteilungen vor dem Kastell antraten. In der Ferne, jenseits der Seine, konnte ich den alten Bauernhof, den Heuschober und die Zisterne ausmachen, von wo ich neulich das eintreffende Heer beobachtet hatte. Lächelnd dachte ich darüber nach, welche Wende mein Schicksal seither genommen hatte.

Severus kam auf seinem großen Braunen herangeritten. Er wechselte ein paar Worte mit einem Tribun über irgendeine militärische Angelegenheit und schaute dabei zur Zitadelle hinüber. Dann verstummte er, den Blick noch immer auf die Zitadelle gerichtet, während der Tribun neben ihm zu lachen anfing.

Ich folgte Severus’ Blick. In der Ferne kam ein Apfelschimmel den Hügel herauf; der Reiter war Florentius in glänzender Paradeuniform mit Reitgerte und pelzverbrämtem Reitmantel, der ihm von den Schultern wallte und über die Flanken des Pferdes hing.

Belustigtes Gemurmel durchlief die Reihe, und viele Männer grinsten breit, bis Severus schroff »Ruhe!« befahl. Julian, der auf einem gewöhnlichen Pferd der Reiterei saß, drehte sich kurz um und schaute woandershin, als ginge ihn das alles nichts an.

Wir rückten nach Norden vor, folgten den Straßen, so weit sie führten, und zogen dann an Flussauen und gefrorenen Mooren entlang. Unausgesetzt wehte uns ein bitterkalter Nordwind entgegen. Als wir uns der Maas näherten, kamen wir an verlassenen Siedlungen vorbei; an den Häusern fehlten Fensterläden und Dächer, und die Felder verwilderten. Julian wies Florentius darauf hin und meinte, es sei eine Schande, dass so viel Land brachliege, während halb Gallien hungerte. Der Präfekt, der frierend und übellaunig unter seinem Pelz kauerte, erwiderte, die Bewohner seien in die Städte gezogen. »Sie wollen Sicherheit, was der Cäsar gewiss verstehen wird.«

Julian blickte stirnrunzelnd auf die verwüsteten Felder. Dort hatten die ersten Schösslinge Wurzeln geschlagen – Brombeeren, Weißdorn und schnell wachsende Ebereschen. Binnen einer Generation würde dort ein Wald stehen, und niemand würde mehr wissen, dass dies einmal Ackerland gewesen war. Dies hielt Julian dem Präfekten entgegen. »Aber die Menschen müssen essen, und das ist fruchtbares Land«, sagte er. »Wir müssen sie ermutigen, zurückzukehren, ehe alles überwuchert ist. Wir müssen für ihre Sicherheit sorgen.«

»Wie du meinst, Cäsar«, sagte Florentius kalt und lächelte verkniffen.

Ich sah, wie Julian zu einer Erwiderung ansetzte. Florentius sah es wohl auch, doch anstatt abzuwarten, zog er an den Zügeln seines Schimmels und schwenkte ab.

Julian schaute ihm nach, und einen Moment lang trafen sich unsere Blicke. Ich hatte erwartet, ihn zornig zu sehen. Stattdessen wirkte er gekränkt und traurig, beinahe wie ein Kind, das grausam behandelt wurde, wo es nicht damit gerechnet hatte, sich aber nichts anmerken lassen will.

Wir gelangten ins Grenzgebiet. Nirgends war etwas von fränkischen Plünderern zu sehen, nur die Zerstörungen, die sie hinterlassen hatten. Den Grund dafür fanden wir bald heraus. Da die Mordbrenner uns entdeckt hatten, hatten sie sich in einen der Grenzposten an der Maas zurückgezogen, der aufgegeben worden war, als Magnentius und dann Constantius die Truppen der Provinz abgezogen hatten, um ihren Krieg gegeneinander auszufechten. Während die Männer nun das Lager aufschlugen, im harten Boden Gräben aushoben, die Zelte aufspannten und Palisaden errichteten, erkundeten wir die Umgebung, um zu sehen, wie das Kastell am besten einzunehmen war.

Es hatte einen hohen, nach Südwesten gelegenen Torweg. Das Tor selbst war verschwunden. Die Franken hatte den Eingang mit Steinen und alten Dachbalken aus den zerstörten Kasernen versperrt. Nun beäugten sie uns von der Brustwehr, und als sie uns nah genug glaubten, warfen sie Geschosse nach uns und brüllten Beleidigungen in ihrer rüden Sprache. Sie waren aufgebracht, weil wir es wagten, hierherzukommen und sie herauszufordern.

Wir blieben außer Reichweite. Als sie das begriffen, sparten sie ihre Geschosse und begnügten sich mit Schimpfwörtern.

»Es wird dauern, bis wir sie los sind«, bemerkte Valentinian, der die Barbaren voller Abscheu beobachtete. »Die haben sich gut verschanzt.«

»Ja«, pflichtete Julian finster bei, »und zwar in unserem eigenen Kastell. Aber wir sind draußen und sie drinnen, und ich bezweifle, dass sie für Vorräte gesorgt haben. Sie sind an unsere Schwäche gewöhnt. Bestimmt rechnen sie damit, dass wir wieder abziehen und sie weiter plündern lassen. Aber ich werde sie verjagen, und wenn es den ganzen Winter dauert.«

Florentius war nicht bei uns. Er war im Lager geblieben, um den Aufbau seines Zeltes zu beaufsichtigen – ein hoher, gestreifter Pavillon mit einem Vordach, das auf rot gebeizten Eschenpfosten ruhte. Ich ging mit Marcellus und unserem Kameraden Arintheus gerade daran vorbei, als die Möbel auf einem Stück Segeltuch abgeladen wurden und darauf warteten, von den Sklaven hineingetragen zu werden: Stühle mit Kissen, ein Tisch mit Einlegearbeiten, Lampenständer, eine gepolsterte Liege und mittendrin eine bronzene, mit Girlanden verzierte Badewanne. Als wir stehen blieben, um dies alles in uns aufzunehmen, kam ein livrierter Diener zu uns und sagte, der Präfekt wünsche uns zu sprechen.

»Ah, meine Freunde!«, rief Florentius zwischen halb ausgepackten Kisten hervor. »Jetzt lagern wir hier in dieser Einöde. Vielleicht könnt ihr unseren großen Heerführer zur Vernunft bringen.«

»Wie bitte?«, sagte ich.

»Nun, auf die Stimme der Erfahrung will er nicht hören, aber vielleicht hört er ja auf euch. Die Franken kommen und gehen schon seit Jahren durch diesen Landstrich; da überrascht es nicht, wenn sie ihn als ihr Eigentum betrachten. Begreift Julian denn nicht, dass er Unruhe stiftet? Die Barbaren werden sich bei ihren Brüdern jenseits von Rhein und Maas beschweren. Denkt an meine Worte: Wenn wir sie verärgern, bekommen wir Scherereien entlang der gesamten Grenze, und dann wird Julian sich vor dem Kaiser verantworten müssen.«

»Sollen wir das dem Cäsar ausrichten?«, fragte Arintheus.

Der Präfekt zuckte die Achseln. »Erzählt ihm, was ihr wollt. Ich bezweifle, dass er zuhören wird. Aber er wird es noch lernen. Er kann nicht mitten im Winter durch die Gegend marschieren. Was glaubt er denn, wer er ist? Ihr da!«, rief er plötzlich ein paar Sklaven zu, die an einer Zeltspannleine zogen, »hört auf, daran zu zerren, ihr Dummköpfe, sonst bringt ihr das ganze Ding zum Einsturz, und es landet in diesem verfluchten Matsch!« Er wandte sich wieder uns zu: »Ihr seid doch Soldaten. Also bringt ihm Vernunft bei, bevor er mit seinen Plänen an der ganzen Grenze Überfälle auslöst.«

Später, als wir mit Julian sprachen, erwähnte Arintheus, was Florentius gesagt hatte – jedoch ohne den hochfahrenden Ton.

»Er hat insofern recht, als es den Franken nicht gefällt und dass sie Verstärkung holen werden«, sagte Julian. »Ansonsten bin ich anderer Meinung als Florentius. Er meint, wir sollten gar nichts tun, damit die Barbaren nicht wütend werden? Was für eine Politik soll das denn sein? Nein, wir werden ihnen zeigen, dass wir bereit sind zu verteidigen, was uns gehört. Und wenn sie Verstärkung holen, sollten wir das Kastell lieber einnehmen, bevor ihre Freunde kommen.«

Während seiner Rede hatte Julian über den Fluss zum dichten Wald hinübergeschaut. Nun drehte er den Kopf, als ein neuerlicher Schimpfwörterhagel von der Mauer auf uns niederging.

Der kurze Wintertag ging bereits dem Ende entgegen und verblasste im Zwielicht. Das Kastell hüllte sich in Dämmer. Die Köpfe der Franken zeigten sich als bewegliche Schatten über der Brustwehr; ihre fernen Stimmen klangen wie wütendes Hundegebell.

Julian wandte sich wieder uns zu und schüttelte den Kopf. »Welcher Dummkopf gibt ein Kastell auf, ohne es zu zerstören? Kein Wunder, dass die Barbaren uns verspotten, wenn wir sie in einer unserer eigenen Festungen belagern müssen!«

Tage vergingen. Es blieb kalt und grau. Wir sahen die Franken über den Fluss spähen und den nördlichen Horizont absuchen, ob ihre Stammesgenossen im Anmarsch waren. Jeden Tag forderte Julian sie auf, sich zu ergeben, und jeden Tag brüllten sie dem Boten zur Antwort Beleidigungen zu und bewarfen ihn mit Steinen.

Wir waren derweil nicht müßig, sondern schickten Pioniere durch Laufgräben an die Mauer beim Tor, unter Korbgeflecht und Ochsenfellen verborgen, um die Mauer zu untergraben, wo sie am schwächsten aussah. Doch das Fundament reichte tief – unsere Baumeister verstanden ihr Handwerk –, und die Arbeit ging nur langsam voran. Florentius kam immer wieder, um sich die Fortschritte anzuschauen, schwieg mit selbstzufriedener Miene und sorgte im Übrigen dafür, dass seine Anwesenheit bemerkt wurde.

Wir machten uns an den Bau eines Belagerungsturmes, und es trat Ruhe ein, während die Soldaten die Bäume fällten und die Zimmerleute mit Axt und Hobel zu Werke gingen. Einmal kam Oribasius zu unserem Zelt und fragte, ob wir am nächsten Morgen mit ihm und Julian ausreiten wollten.

»Aber ja«, antwortete ich. »Natürlich. Wer kommt sonst noch mit?«

»Nur du und Marcellus. Wir treffen uns bei Morgengrauen bei den Pferden.« Damit verabschiedete er sich, zog den schweren Mantel zum Schutz gegen die feuchte Witterung zusammen und ging.

»Was glaubst du, was er will?«, fragte Marcellus.

Ich zuckte die Achseln, vermutete jedoch, dass ein Zweck dahintersteckte, da es nicht Julians Art war, nur zum Vergnügen auszureiten.

Über Nacht drehte der Wind, und bis zum Morgengrauen hatten sich die niedrigen Wolken und der Nieselregen verzogen, sodass die Sonne an einem klaren blauen Himmel aufging. Wir ritten nach Osten und folgten den Wegen durch bereifte Feuchtwiesen an einem alten Kanal entlang.

Nach einiger Zeit verließen wir die Auen und gelangten auf festeren Boden. Ein Stück voraus lag ein breites, niedriges Plateau mit einem Kreis schlanker Kiefern. Sie zogen den Blick auf sich wie ein Menhir.

»Das ist die Stelle«, sagte Julian, der bis dahin kaum gesprochen hatte, und trieb sein Pferd an.

Wir ritten den Pfad hinauf und saßen ab. Ich ließ den Blick in die Runde schweifen. Im Osten schien weiß und kalt die tief stehende Sonne. Die bereiften Auen glitzerten, und in der Ferne kreiste ein Habicht. Wir banden die Pferde an; dann öffnete Oribasius seine Satteltasche und holte einen kleinen, klappbaren Dreifuß sowie eine Handvoll strohumwickelten Zunder heraus. Er stellte den Dreifuß in die Mitte des Baumkreises und machte Feuer. Julian sagte: »Dieser Tag ist Apollo gewidmet, dem Überbringer des Lichts. Wusstest du das?«

Ich zögerte und ermahnte mich, dass Julian bei all seiner Freundlichkeit der Vetter des Kaisers war, der die Tempel geschlossen und das Opfern bei Todesstrafe verboten hatte. Heutzutage war schon der Besitz eines Dreibeins verdächtig. Unter dem Notar Paulus waren in Britannien Menschen für Geringeres hingerichtet worden. Ich fragte mich erneut, warum wir hierhergeritten waren. War das eine Prüfung?

»So habe ich gehört«, antwortete ich vorsichtig.

Julian sah mich forschend an, und ich wich dem Blick nicht aus.

Dann meldete Oribasius sich zu Wort. »Julian, du tust nicht recht daran, sie warten zu lassen. Du hast sie hierhergebracht; jetzt musst du es ihnen sagen oder schweigen.«

Julian runzelte die Stirn und nickte. »Ich wusste vom ersten Tag an, als ich dich im Tempel beten sah, dass du einer von uns bist. Ich habe mich geschämt, dich heimlich zu beobachten; aber vielleicht war es die Absicht des Gottes, denn so wurde mir gezeigt, wer du wirklich bist. So etwas kommt seltener vor, als man meinen sollte.«

Er pflückte einen Zweig Heidekraut und drehte ihn zwischen den Fingern. »Zunächst riet Oribasius zur Vorsicht. Eutherius hatte gut über euch gesprochen. Doch wir mussten selbst in Erfahrung bringen, ob wir euch trauen können.«

»Ihr könnt uns trauen«, bekräftigte ich.

»Ich weiß, ich weiß. Darum habe ich euch hierhergeführt. Wahrscheinlich habt ihr euch schon gewundert. Du hast mir, wenn auch ungewollt, deine wahre Haltung gezeigt. Es ist Zeit, dass ich das Gleiche tue.«

Er zeigte mit ausgestrecktem Arm auf die Bäume, die uns wie ein Wächterkreis umgaben.

»Der Platz fiel mir auf, als wir mit dem Heer daran vorbeizogen, und ich schwor mir, hierherzukommen. Die Bäume wurden vor langer Zeit von Menschen gepflanzt. Seht ihr, wie sie angeordnet sind? Wer sie gepflanzt hat, wusste, dass hier heiliger Boden ist. Es gibt Menschen, die so etwas spüren, so wie es Menschen gibt, die unterirdisches Wasser finden. Aber zunächst einmal muss man ein offenes Auge dafür haben.«

Er ging zu seinem Pferd, um einen kleinen Lederbeutel zu holen, und stellte sich dann vor das Dreibein. Er öffnete den Beutel, nahm Myrrhekörner heraus und streute sie auf den brennenden Zunder. Sie zischten und fauchten, und kringelnd stieg violetter Rauch auf, der vor dem kobaltblauen Himmel verwehte.

»Für Apollo, den Sonnengott«, sagte er. »Als kleines Entgelt für ein großes Geschenk.« Er begegnete meinem Blick und nickte. »Jetzt weißt du es. Der Kaiser würde mich töten, wenn er es erführe. Er ist ein allzu eifriger Christ.«

Er schwieg eine Zeit lang und blickte nach Osten über die Ebene zur blassen Sonne. Dann warf er die letzten Myrrhekörner ins Feuer.

»Die Sonne ist ein passendes Bild, meinst du nicht? Denn was ist Gott, wenn nicht das Licht, das alles andere angemessen hervortreten lässt? Als ich ein Knabe war, behaupteten die Priester und Bischöfe, die alten Götter seien erlogen, bloß törichte Märchengestalten. Sie machten sich über sie lustig und fragten: Riechen die Götter die Blumen, die wir ihnen im Frühling opfern? Ist der donnernde Zeus mit seiner Hekatombe zufrieden, und riecht Helios den süßen Weihrauch? Ich kenne die Antworten auf diese Fragen nicht, aber eines weiß ich: Indem wir etwas verehren, das größer ist als wir selbst, folgen wir dem hehren Pfad, der uns zum Guten führt.« Kurz schwieg er; dann drehte er sich zu mir um und sagte: »Constantius hat meinen Vater ermordet. Wusstest du das?«

Ich nickte, denn ich hatte davon gehört. Außerdem war mir zu Ohren gekommen, dass der Kaiser Julian während seiner Kindheit auf ein fernes Gut in Asien verbannt hatte, wo er von der Welt abgeschnitten gewesen war. Jetzt erzählte er uns davon – und noch mehr.

»Auf Befehl des Kaisers wurde ich zum Christen erzogen. Ich glaubte alles, was meine priesterlichen Lehrer sagten, nahm es in mich auf wie ein Kind die Muttermilch. Wie sollte ich auch nicht? Ich kannte nichts anderes. Doch als ich älter wurde und ein wenig las, begann ich, Fragen zu stellen. Ich wollte wissen, wieso die Priester einen eifersüchtigen Mann für tadelnswert hielten, die gleiche Eigenschaft bei ihrem Gott aber als heilig betrachteten. Warum hatte ihr Gott zehntausend Jahre lang zugeschaut, wie die Menschen Götzen anbeteten, außer bei diesem kleinen Stamm in Palästina? Und warum beten sie seinen Sohn an, wenn es doch der Wille ihres Gottes ist, dass kein anderer neben ihm geduldet wird?« Er lachte, als er sich daran erinnerte. »Das sind Kinderfragen, ich weiß. Aber weil die Priester nicht darauf antworten konnten – vielleicht auch, weil ich überhaupt zu fragen wagte –, schlugen sie mich und drohten meinen Ungehorsam dem Kaiser zu melden. Also stellte ich das Fragen ein. Aber nicht das Denken. Ich behielt meine Ansichten für mich, sagte ja, wenn sie ein Ja hören wollten, und nein, wenn sie ein Nein hören wollten, wie der Sklave eines grausamen Herrn.«

Er schaute zu den Kiefern hinauf. Der Schmerz der Erinnerung war ihm anzusehen. Ich fragte mich, wem er diese Geschichte schon erzählt haben mochte; dann fiel mir ein, was Marcellus gesagt hatte: dass Julian ihm wie ein Mann vorkomme, der schon zu lange ein Geheimnis für sich behalten hatte und es nun loswerden wollte.

Julian holte tief Luft und fuhr fort.

»Eines Tages, es war lange Zeit später, wurde mir erlaubt, in die Stadt zu gehen – streng bewacht von einem meiner Erzieher. Als er sich erleichtern ging, lief ich ihm davon und schlenderte durch die Kolonnaden und Säulenhallen. Dabei stieß ich auf ein paar Männer, die unter einem Ölbaum saßen und plauderten. Es waren Philosophen. Damals wusste ich noch nicht, was ein Philosoph ist. Aber ihnen zuzuhören war wie ein Regenguss nach langer Dürre. Ich wusste sofort, dass ich gefunden hatte, wonach sich meine Seele sehnte. In den darauffolgenden Jahren erkannte ich immer deutlicher, was die Priester mir hatten vorenthalten wollen. Für sie ist die Philosophie der Feind, weil sie die Menschen frei macht. Es gibt aber keine Freiheit ohne Wissen, nur Sklaverei und den endlosen Kreislauf des Nichtwissens. Und darum bin ich kein Christ mehr.«

Stille breitete sich aus, bis Marcellus schließlich bemerkte: »Aber du besuchst mit dem Bischof von Paris die Kirche der Christen.«

»Glaubt ihr, ich bin mein eigener Herr? All dieses Katzbuckeln, dieses ständige ›Ja, mein Cäsar, nein, mein Cäsar‹ bedeutet gar nichts. Ich gehe, weil ich muss. Jede Kleinigkeit wird dem Kaiser zugetragen. Sogar meine Freunde werden ausgeforscht und verhört.«

Er warf den Heidekrautzweig in das verlöschende Feuer und beobachtete, wie er verkohlte und verbrannte. »Nachdem ich den germanischen Gaukönig bei Straßburg besiegt hatte, sandte Constantius lorbeergeschmückte Briefe in die Provinzen, in denen sein Sieg bekannt gegeben und gepriesen wurde. Er ließ verbreiten, er selbst habe in vorderster Linie gekämpft, habe die Schlachtordnung aufgestellt und die Reihen der Barbaren aufgerieben. Habt ihr das gewusst? Dabei war er vierzig Tagesmärsche weit weg. Und ich, der dabei war, wurde gar nicht erwähnt. Jeder Sieg ist seiner, aber die Niederlagen habe ich zu verantworten. Folglich kann ich nur versagen. Das ist ihr Plan. Darauf warten meine Feinde bei Hof nur … und dann wollen sie mich vernichten.«

In den Tagen darauf drehte der Wind nach Norden und brachte zuerst Regen, dann bittere Kälte. Eines Morgens wachte ich auf, weil jemand Eis hackte. Es war Marcellus, der sich draußen am Wasserzuber waschen wollte.

»Es hat keinen Zweck«, sagte er und streckte den Kopf ins Zelt. »Es ist bis auf den Grund gefroren. Ich gehe zum Fluss.«

Ich stöhnte und zog mir die Decke über den Kopf. Plötzlich war Marcellus zurück und rief: »Steh auf, Drusus! Schnell! Am Kastell geht etwas vor.«

Ich zog mich an und eilte hinaus. Über dem Lager lag eine dicke Reifschicht. Es war noch früh. Der erste Schein der Dämmerung zeigte sich als blutroter Streifen am Horizont. Als wir den Fluss erreichten, lag das Kastell still da. Das Tor war mit allem versperrt, was die Franken hatten finden können. Die Erdarbeiten der Sappeure ruhten. An der Brustwehr war nirgends ein Gesicht zu sehen.

»Horch!« Marcellus nahm meinen Arm und zog mich den Hang hinunter ans Ufer. Die hohen, überfrorenen Grashalme knisterten und knackten unter jedem Tritt. Ich wollte ihm gerade vorwerfen, mir einen Streich zu spielen, als ich ferne Kratzgeräusche und den gedämpften Klang von Ziegeln hörte, die aufeinandergeschichtet wurden.

»Was tun sie da? Die Mauern erhöhen?«

»Im Gegenteil. Sie brechen die Mauer ab. Komm hierher, dann siehst du, was ich meine.«

Wir gingen bis an die Stelle, wo die Kastellmauer aus dem Fluss ragte, und behielten die Brustwehr sorgfältig im Auge. Auf diese Entfernung konnte ein gut geschleuderter Stein einem Mann den Schädel zertrümmern. Die Geräusche waren nun deutlicher zu hören. Marcellus legte mir die Hand auf die Schulter und lenkte meinen Blick an der Wasserlinie entlang. Und da sah ich es: Die Franken brachen das zugemauerte Seitentor an der Flussseite auf, indem sie den alten Mörtel herauskratzten und die Ziegel einen nach dem anderen entfernten. Doch vor ihnen lag der Fluss und sonst nichts.

Ich blickte Marcellus fragend an. »Aber wohin wollen sie? Sie haben keine Boote.«

»Du schläfst wohl noch, Drusus! Schau! Sie brauchen keine Boote.«

Ich sah genauer hin und riss die Augen auf. Das Wasser war unbewegt und sah aus wie trübes graues Glas: Der Fluss war zugefroren.

»Verstehst du jetzt? Sie wollen hinüberlaufen«, sagte Marcellus, ging in die Hocke und klopfte gegen das Eis.

»So ist das also«, sagte Julian, der kurz darauf zu uns kam. Severus war bei ihm, und schließlich kamen auch Arintheus und Victor vom Lager herbei.

»Wollen wir sie entkommen lassen?«, fragte Victor zornig. »Sie würden zurückkehren, sobald wir abgezogen sind. Ich gehe die Männer wecken. Wir können ihnen den Weg abschneiden, bevor sie den Wald erreichen.«

Julian hatte nachdenklich zugehört. »Nein, warte.« Er bückte sich und hob einen schweren Dachziegel auf, der vor seinen Füßen lag. Er drehte ihn in der Hand, schätzte das Gewicht; dann holte er aus und schleuderte den Ziegel wie einen Diskus über den Fluss.

Er landete mit dumpfem Aufschlag, rutschte über das Eis und blieb in der Strommitte liegen.

Wir blickten stumm zu der Stelle hinüber. Unser Atem dampfte in der Kälte. Severus setzte zum Sprechen an, doch Julian gebot ihm mit einer Geste, still zu sein.

Zuerst geschah nichts. Dann knackte es, als würde ein Ast brechen. Das Flusseis knirschte, und der Dachziegel neigte sich und rutschte ins Wasser, wo er verschwand.

Julian wischte sich den Reif von den Händen und drehte sich zu uns um. »Wie es scheint, haben sie ihren Plan zu früh offenbart. Victor, hol Männer zu den Booten.«

Den ganzen Vormittag hackten wir mit Äxten und Piken das Eis von unseren paar flachen Flussbooten. Die Franken kauerten entlang der Brustwehr und sahen grimmig zu, und ausnahmsweise waren sie einmal still. Noch vor Sonnenuntergang baten sie um Verhandlungen. Sie seien Krieger, sagten sie, und wollten keine Sklaven werden. Wenn der Cäsar bereit sei, sie ehrenvoll zu behandeln, würden sie sich ergeben. Wenn nicht, würden sie kämpfen bis zum letzten Mann.

Julian, der nichts weniger getan hätte, erklärte sich einverstanden. Er versprach, sie so zu behandeln, wie es Kriegern gebührt, und sie nach dem Osten zu senden, damit sie im Heer des Kaisers dienten, in das schon andere fränkische Stämme aufgenommen worden seien. Die Barbaren waren es zufrieden, denn kurz darauf kamen sie in ihren ranzigen Fellen aus dem Kastell, große Männer mit langen blonden Haaren, die ihnen wie Schnüre über den Rücken hingen.

Danach setzten wir das Kastell instand und bemannten es mit Römern. Vom gegenüberliegenden Ufer der Maas, im Schatten des dichten Waldes, sahen wir hellhaarige Männer, die uns beobachteten. Was immer sie geplant hatten, sie gaben es nun auf. Einen halben Tag lang blieben sie noch und sahen zu, wie ihre Stammesgenossen weggeführt wurden; dann verzogen sie sich in die endlosen Wälder.

Aber während sie noch dort waren, kam Florentius, um von der Mauer aus hinüberzuschauen.

»Diesmal hat der Cäsar Glück gehabt«, sagte er laut zu seinem Diener.

Julian war nicht zugegen. Vielleicht hätte ich den Mund halten sollen, doch die Bemerkung erschien mir so gemein und nörgelig, dass ich mich nicht zurückhalten konnte und rief: »Vermutlich auch wieder Anfängerglück, wie?« Leises Gelächter kam von den Männern ringsum, die mit der Instandsetzung beschäftigt waren.

Florentius sah mit scharfem Blick in die Runde, trat dann nahe an mich heran und raunte: »Spar dir deine Scherze, Drusus. Neue Besen kehren gut. Er hatte einen kleinen Erfolg gegen einen Haufen Plünderer. Aber er ist waghalsig und wird noch straucheln.«

Eutherius kehrte von seiner diplomatischen Mission beim Kaiser nach Paris zurück. Ich war bei Julian in seinem Arbeitszimmer, als Eutherius vorgelassen wurde.

Julian hatte mir seine Bücher gezeigt. Es war keine so große Bibliothek, wie Marcellus’ Großvater sie in London besessen hatte, doch er hatte ein paar Favoriten, von denen er sich nicht trennte und die er immer wieder las – das Leben Alexanders, um sich dessen Größe vor Augen zu halten, Cäsars Eroberung Galliens wegen der Taktik und Platons Schriften über das Gesetz und die Liebe zur Weisheit. Er besaß aber auch eine viel gelesene Abschrift Homers, die er während seines Studiums in Athen erworben hatte und in einer braunen Lederhülle aufbewahrte, damit er sie immer bei sich tragen konnte, selbst auf Feldzügen.

Jetzt legte er die Bücher beiseite, bestellte warmen Wein und Honigkuchen und schickte nach Oribasius. Er war gespannt und zappelig wie ein Knabe und schritt unablässig umher. Ich sagte, ich werde ihn seinen Geschäften überlassen, doch er wehrte ab: »Nein, bleib. Es gibt nichts, das du nicht hören darfst.«

Eutherius kam direkt aus dem Bad, sah frisch aus wie eine Blume nach dem Regen und duftete nach Lilien.

Er begrüßte Julian; dann wandte er sich mir zu, breitete theatralisch die Arme aus und rief: »Drusus! Welch eine Freude, dich hier zu sehen!« Er nahm meinen Arm und fragte nach Marcellus – er wusste, was einem Mann am wichtigsten ist, und trotz meiner Zurückhaltung war ich vermutlich wie ein offenes Buch für ihn. Wein und Kuchen wurden gebracht, und Julian fragte: »Was gibt es Neues?«

Eutherius ließ sich auf der Liege nieder und zog sein Gewand aus jadegrüner Seide zurecht. Er nahm sich einen Honigkuchen, tunkte ihn in seinen Wein, kostete mit offensichtlichem Genuss und begann zu berichten.

Als er nach einer abenteuerlichen Reise an den Hof in Sirmium kam, verweigerte Oberkämmerer Eusebius ihm eine Woche lang die Audienz beim Kaiser. »Du weißt ja, wie das ist … diese kleinliche Boshaftigkeit, die unter fadenscheiniger Höflichkeit verborgen wird. Zweifellos wollte er mich an meinen Stand erinnern. Doch am achten Tag, nachdem einige meiner alten Freunde sich für mich verwendet hatten, wurde ich endlich vorgelassen und durfte den Purpur küssen.«

Die Audienz, berichtete Eutherius weiter, verlief allerdings wenig erfreulich, denn der Oberkämmerer überfiel ihn mit einem Schwall Fragen über Barbatio – den Heermeister, den Julian wegen Untüchtigkeit entlassen hatte –, während Constantius reglos und stumm wie eine Statue auf seinem juwelenbesetzten Thron saß. Barbatio hatte Julian inzwischen angeklagt, seine Befugnisse in Gallien überschritten zu haben. Nun wollte der Oberkämmerer wissen, was Eutherius einer solch schweren Anschuldigung entgegenzusetzen habe.

»Was hast du darauf geantwortet?«, fragte Julian.

»Dass es Unsinn ist. Und da deine Befugnisse gar nicht beschränkt worden seien, könne weder Barbatio noch ein anderer beurteilen, ob du sie überschreitest. Und dem Kaiser habe ich gesagt, dass du nur das tust, was nötig ist, um die kaiserliche Politik eines Wiederaufbaus Galliens in die Tat umzusetzen.«

»Und war er zufrieden?«

Eutherius verdrehte die Augen und blickte hinauf zu den geschnitzten Deckenbalken mit der verblassten Vergoldung. »Hast du je erlebt, dass der Kaiser ausspricht, was er denkt? Und was ihm durch den Kopf geht, vermag man nicht zu erkennen. Mit einem Gesicht wie Alabaster hörte er zu. Als es schließlich nichts mehr zu sagen gab, schnippte er nur mit dem Finger, um Schweigen zu gebieten, und verkündete dann in diesem seltsamen Tonfall, den er bei solchen Gelegenheiten benutzt: ›Barbatios Entlassung ist rechtens.‹ Das war es. Und wahrscheinlich meinte er es ernst; andernfalls wäre anschließend jemand zu mir gekommen. So ist es immer, wenn der Kaiser absichtlich das Gegenteil von dem sagt, was er meint.«

Julian schüttelte den Kopf und durchquerte das Zimmer, um in den Hof auf den Pflaumenbaum zu blicken.

»Dann ist es ja gut«, sagte er nach einer Pause. »Wegen Barbatio sind tüchtige Soldaten ums Leben gekommen. Ich würde ihn nicht wiedereinsetzen. Das bin ich den Männern schuldig.«

Oribasius sagte: »Du hast erreicht, was du wolltest, Julian. Du bist ihn losgeworden.«

Julian nickte. »Ja … danke, Eutherius. Constantius hätte auf keinen anderen gehört.« Er hielt kurz inne, dann sagte er: »Aber es gibt noch etwas anderes zu berichten, nicht wahr? Das sehe ich dir an. Was hat der Kaiser sonst noch gesagt?«

Eutherius seufzte resigniert. »Nur dass es nachteilige Berichte gegeben habe …«

»Nachteilige Berichte!«, rief Julian aus und schnaubte verächtlich ob der Wortwahl. »Nachteilige Berichte von Barbatio wahrscheinlich. Was erwarten sie anderes? Begreifen sie denn nicht, dass er sich nur schützen will?«

»Der Kaiser wird in allen Angelegenheiten von seinem Oberkämmerer beraten. Natürlich hat er gesagt, von wem die Berichte stammten, und man stellt dem Kaiser nun mal keine Fragen. Doch er erkundigte sich nach dem Präfekten und sagte, er wünsche, dass du seinen Rat gehörig beachtest.«

»Florentius ist also auch zu ihm gerannt. Na, das hätte ich mir denken können. Es wundert mich, dass ich überhaupt gegen die germanischen Stämme siegen kann, wenn ich so viele Feinde im Rücken habe.« Er seufzte; dann fragte er: »Sind die Gefangenen, die ich von Straßburg schickte, bei Constantius eingetroffen? Blieb ihm bei all den Beschwerden noch Zeit, meine Siege zur Kenntnis zu nehmen?« Er klang gekränkt.

»Das kam zur Sprache … Aber setz dich doch, mein lieber Julian. Es ermüdet mich, wenn du ständig hin und her läufst.«

Widerstrebend nahm Julian am Ende der Liege Platz und saß auf der Kante wie eine sprungbereite Katze.

»Und? Was hat er gesagt?«

Eutherius zögerte, antwortete dann aber mit einer müden Geste: »Der Kaiser sagte, er sei des Themas überdrüssig.«

Julian starrte ihn zornig an. Es kam selten vor, dass er seine Wut zeigte; stets bemühte er sich um Beherrschung, da er bei einem Mann, der Tugendhaftigkeit anstrebte, alles andere für unpassend hielt. Aber jetzt rief er aus: »Was? Ich habe Gallien von den Barbaren befreit, habe den Gaukönig in Ketten zu Constantius gesandt, habe ihm ganze Horden neuer Soldaten für seine Heere geschickt, und er ist meiner Siege überdrüssig?« Er sprang auf. »Bei den Göttern, Eutherius, du weißt, ich habe ihn nicht gebeten, mich zum Cäsar zu ernennen! Und welche Wahl hat er mir gelassen? Er hat mich mit einer ungenügenden Anzahl Soldaten und mit untüchtigen Heerführern hergeschickt! Nachdem ich trotz allem Erfolg habe, ist er meiner Siege überdrüssig?«

Eutherius betrachtete ihn mit seinen dunklen, geduldigen Augen, und als Julian endlich schwieg, erwiderte er sanft: »Komm schon, wieso überrascht dich das? Du kennst den Mann so gut wie irgendwer. Ich hatte erwogen, es dir gar nicht zu erzählen. Doch es ist sicherlich besser, wenn du es weißt und zu deinem Vorteil nutzt, als dass du dich Illusionen hingibst. Ich jedenfalls würde das vorziehen.«

Als Julian an ihm vorbeiwollte, ergriff Eutherius seinen Arm und zog ihn zurück auf die Liege. »Und was geht den Oberkämmerer und sein Beamtenheer die Sicherheit der Grenzen an? Jeder ist von Ehrgeiz getrieben – ein Umzug in besseres Quartier, eine Bestellung neuer Wandteppiche und Möbel, die Bereitstellung eines zusätzlichen Hausdieners oder einer Geliebten oder einer rehäugigen Dienerin. Das sind die Interessen bei Hof. Was sind dagegen schon die Grenzen?«

Julian schluckte kopfschüttelnd und musste gegen seinen Willen lächeln. Ich hatte mich schon gefragt, ob er es bereute, mich zum Bleiben aufgefordert zu haben. Jetzt wandte er sich mir zu.

»Siehst du nun, wie das ist, Drusus? Selbst meine Siege beargwöhnt der Kaiser. Und ich dachte, wenigstens die würden ihn freuen.«

»Nun, der Hof ist der Hof«, sagte Eutherius, »und der Kaiser ist der Kaiser. Aber hör zu: In jeder Stadt, durch die ich gereist bin, warst du in aller Munde. Die Leute sind deiner Siege nicht überdrüssig, und Constantius weiß das. Verstehst du nun, warum er verärgert ist?«

»Er stellt meine Erfolge als seine hin. Ist das nicht genug?«

»Ein Mann mag andere belügen; sich selbst kann er nicht täuschen. Constantius braucht einen eigenen Sieg. Ihm ist nicht daran gelegen, wenn der Mond die Sonne überstrahlt.«

Er lehnte sich zurück und trank von seinem gewürzten Wein. »Ich habe die Gelegenheit genutzt und mit ein paar alten Freunden gesprochen. Offenbar gibt es eine neue Interessengruppe, angeführt vom Oberkämmerer. Wie immer Constantius’ Ansicht aussieht – und wer kann das sagen? –, wir können jedenfalls sicher sein, dass der Oberkämmerer die Wahrheit über deinen Erfolg kennt, und das ist viel gefährlicher für uns.«

»Habe ich nicht getan, was von mir erwartet wurde?«

»Du warst noch nie ein Politiker, mein Lieber. Der Oberkämmerer hat dich nicht hierhergeschickt, damit du Erfolg hast, sondern damit du versagst. Und nun sieht er seine Pläne durchkreuzt. Er sieht, dass du populär wirst, ein Held in den Augen des Volkes, wogegen Constantius erlahmt und nichts erreicht.«

Aus seinem Stuhl neben dem Bücherregal fragte Oribasius: »Was können wir anderes tun? Sollen wir uns dem Oberkämmerer zu Gefallen besiegen lassen?«

Eutherius machte eine wegwerfende Geste. »Da liegt ja der Widerspruch«, sagte er. »Der Oberkämmerer glaubte einen unerfahrenen Studenten in den Tod zu schicken, stattdessen findet er einen siegreichen Feldherrn wieder. Er muss schäumen vor Wut. Und was Constantius betrifft … nun, jeder weiß, dass er Helden verabscheut.«