40460.fb2 Wen die G?tter lieben - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

Wen die G?tter lieben - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 8

VIERTES KAPITEL

Zu Beginn des nächsten Frühjahrs erschien ein neuer Beamter in der Zitadelle. Er hieß Gaudentius, und es wurde das Gerücht in Umlauf gebracht – von wem, wurde nie klar –, dass er zum Personal des Präfekten gehöre. Allerdings sah ihn niemand je für ihn arbeiten; stattdessen hatte er die Angewohnheit, sich an Orten herumzutreiben, wo gewöhnliche Belange niemanden hinführten.

Es dauerte nicht lange, bis alle annahmen, Gaudentius spioniere in Florentius’ Auftrag. Trotzdem fiel es schwer, ihn ernst zu nehmen. Er stammte aus Dakien oder Thrakien und hatte auch das typische rötliche Haar, das über der Stirn bürstenartig abstand. Dies – zusammen mit seinen vorstehenden hellen Augen, den dicken Lippen und der Angewohnheit, mit offenem Mund zu atmen – ließ ihn wie eine Figur aus einer Komödie erscheinen. Von Witzen abgesehen hätte ich ihm nicht viel Beachtung geschenkt, hätte er nicht angefangen, Marcellus auf Schritt und Tritt zu folgen, ihn in Gängen und Höfen abzupassen und Vorwände zu finden, um ihn anzusprechen, als wären sie alte Freunde.

Marcellus, der Hinterlist nie auf Anhieb erkannte, glaubte einen Bewunderer gefunden zu haben. Ich lächelte über seine Arglosigkeit und ermahnte ihn, in Gaudentius’ Hörweite nichts zu äußern, was der Präfekt nicht erfahren sollte.

Zuerst hielt er mich wohl für übervorsichtig. Eines Tages aber, als wir zusammen zum Stall gingen, fragte er: »Hat Gaudentius kürzlich etwas zu dir gesagt?«

»Nein, nichts.« Lachend fügte ich hinzu: »Er hat nur Augen für dich.« Das war inzwischen ein ständiger Scherz zwischen uns.

Er gab mir einen Schubs. »Drusus, ich meine es ernst.«

»Also, nein. Er hat immerhin so viel Verstand, dass er merkt, dass ich ihn nicht leiden kann, und hält sich von mir fern. Aber warum? Was ist geschehen?«

»Er hat mir wieder Fragen über Julian gestellt. Nicht zum ersten Mal.«

Was er hatte wissen wollen, erkundigte ich mich.

Marcellus zog die Brauen zusammen. »Er fragt nicht gezielt, redet nur in Andeutungen und halben Sätzen … nichts, womit man ihn festnageln kann. Heute Morgen zum Beispiel kam er, um sich meine neue Stute anzusehen, behauptete er jedenfalls. Eine Zeit lang tat er interessiert, obwohl man rasch merkt, dass er von Pferden nichts versteht. Und plötzlich, noch während seines Geplappers, schaute er sich nach allen Seiten um, ob uns niemand belauscht. Dann senkte er die Stimme und fragte, ob ich von den Tribunen schon mal Klagen über Julian gehört hätte. Er wollte sogar wissen, ob du dich hin und wieder beschwerst.«

»Was hast du ihm geantwortet?«

»Dass er die Tribunen selbst fragen soll.«

Er blickte düster zum Himmel, wo von Westen her Wolken aufzogen. Zornig fuhr er sich durchs Haar. Er verabscheute List.

»Es wird heute noch regnen«, bemerkte er geistesabwesend, um dann fortzufahren: »Ich war wohl ziemlich schroff. Jedenfalls wurde er aufbrausend und sagte, er habe mir nur einen Gefallen tun wollen und dass Julian seinem Untergang entgegensteuere; deshalb solle ich lieber auf Abstand bleiben, wenn ich wisse, was für mich gut sei.«

»Ich habe ja gleich gesagt, dass er Florentius’ Günstling ist. Und was der über Julian denkt, ist offensichtlich, auch ohne einen Spion auf ihn anzusetzen.«

»Ja, du hattest recht, was Gaudentius betrifft. Jedenfalls wird er mich von nun an wohl in Ruhe lassen.«

Wir sprachen nicht weiter darüber, denn in dem Augenblick tauchte der junge Rufus, der Trompeter der Schwadron, mit einer geschmeidigen braunen Stute unter dem Bogen des Stallhofes auf. Er winkte und kam zu uns, und von da an drehte sich das Gespräch nur noch um Pferde.

Seit wir von der Maas zurückgekehrt waren, hatte Marcellus sich große Mühe gegeben, die Reiter in Form zu bringen. Er war mit ihnen vor die Stadt geritten, wo sie üben konnten, über Gräben, Mauern und Wälle zu springen, sodass Pferd und Reiter einander kennenlernten – auch die Reiter untereinander, damit sie eine Einheit bildeten. Marcellus war beliebt, und Rufus wich ihm wie ein zutraulicher Hund nicht von der Seite. Er war ein gutmütiger, hübscher junger Mann von achtzehn Jahren mit schwarzen Haaren, frischem Gesicht und auffallend wachen Augen. Sein Vater war Pferdehändler in Marseille, und Rufus war mit Pferden aufgewachsen. Für sein Alter sah er jung aus und wurde deswegen geneckt, aber er war der geborene Reiter.

»Na, was hältst du von ihr, Drusus?«, fragte er.

Ich machte ihm Komplimente wegen seiner Stute und ließ mir von ihm erzählen, wie er den ganzen Morgen dem Pfleger zur Hand gegangen war. Es war unmöglich, ihn nicht zu mögen. Sein zärtlicher Umgang mit Pferden war rührend und strahlte eine Unschuld aus, die ein Mann gewöhnlich zu verbergen sucht. Ich konnte verstehen, warum Marcellus ihn unter seine Fittiche genommen hatte.

Gaudentius und sein ungeschicktes Spionieren ging mir nicht aus dem Kopf, und bei meiner nächsten Begegnung mit Eutherius erwähnte ich, was vorgefallen war.

Ich erzählte es leichthin und rechnete damit, dass er es lachend abtat, da er an jede Art von Intrige gewöhnt war und Florentius für einen Stümper hielt. Stattdessen aber blickte er mich scharf an und bat mich, ihm Gaudentius zu beschreiben, da er ihm noch nicht vorgestellt worden war.

Danach nickte er und sagte: »Ja, ich kenne ihn. Er ist einer von Constantius’ Agenten.«

»Dann handelt er gar nicht in Florentius’ Auftrag?«

»Constantius’ Agenten nehmen von anderen keine Aufträge an, schon gar nicht von jemandem, der so weit unter dem Kaiser steht.« Er nahm eine Feige aus einer Schale mit Trockenfrüchten und beäugte sie. »Er wird jemandem bei Hofe berichten, dem Oberkämmerer vermutlich.«

»Dabei wirkt er eigentlich harmlos, sogar ein bisschen dümmlich.«

»Ein unfähiger Bauernlümmel ist er«, sagte Eutherius, »und es war sicherlich beabsichtigt, dass er bemerkt wird. Doch seinetwegen sind schon Männer hingerichtet worden. Du solltest seine Fähigkeit, Unheil anzurichten, nicht unterschätzen.«

Den ganzen Winter arbeitete Julian schon an seiner Strategie, beriet sich mit den Befehlshabern und Kundschaftern, brütete über Karten der Grenzgebiete und prüfte sämtliche Wege, Ebenen und Flussübergänge. Bei seinem ersten Feldzug, als Barbaren noch über ganz Gallien verbreitet waren, hatte er sie lediglich zurückgetrieben, wenn er auf sie stieß, wie ein Mann, der die Lecks in einer Zisterne stopfen will. Jetzt aber hatte er einen festen Plan: Er wollte einen dauerhaften Frieden herbeiführen.

Es habe eine Zeit gegeben, sagte er, wo die Grenze von der Rheinmündung bis Straßburg und zum Gebirge Rätiens ein wehrhafter Schutz gewesen sei. Doch inzwischen zeigten wir so viel Schwäche, dass die Alemannen und Franken und andere umherziehende Stämme sich auf römischem Gebiet niedergelassen hätten, und jetzt hätten sie es schon so lange besetzt, dass sie es als ihr Eigentum betrachteten.

Anfangs noch dankbar wie Bettler, denen gegeben wird, hätten diese Siedler versprochen, die römischen Gesetze zu achten und friedlich zu leben. Doch die Germanen seien von Natur aus unbeugsam und hätten nicht gelernt, ihren Stolz durch vernünftige Überlegung zu zügeln. Als ihnen klar geworden sei, dass sie ihre wehrlosen Nachbarn ungestraft überfallen konnten, gaben sie die Feldarbeit auf und widmeten sich der Räuberei. Sie stahlen Getreide, brannten Dörfer nieder, verschleppten Bürger und machten sie zu ihren Sklaven. Nachdem solches Verhalten so lange hingenommen worden war, sahen die Barbaren es als ihr Recht an.

»Aber warum lassen wir das zu?«, fragte Julian. »Fürchten wir sie? Oder haben wir kein Vertrauen mehr in uns selbst?« Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der großen Karte auf dem Tisch zu. »Wir müssen die Grenze wiederherstellen. Wir müssen die Germanen über den Rhein zurücktreiben, sonst werden sie eines Tages, wenn wir mit anderen Dingen beschäftigt sind, in Scharen über die Bergpässe in die Ebenen Galliens kommen und Spanien, Italien und Rom einnehmen.«

Die Quästoren und Tribunen am Tisch wechselten verstohlene Blicke. Der Cäsar pflegte bei solchen Dingen zu übertreiben. Aber zu behaupten, Rom selbst könnte fallen – das war doch allzu weit hergeholt.

Julian blieb auf die Karte konzentriert; er sah das vielsagende Lächeln der Männer nicht. »Das dürfen wir ihnen nicht erlauben«, schloss er und tippte auf die gekrümmte Linie des Rheins. »Hier müssen wir sie aufhalten!«

Ungeduldig wartete er auf das Ende des langen nördlichen Winters. Als sich an den Pflaumenbäumen im Hof die ersten Blüten zeigten und am Flussufer die gelben Krokusse zum Vorschein kamen, befahl er, sich marschbereit zu machen. Da erst kam Florentius zu ihm und teilte mit, dass der Nachschub aus Aquitanien nicht eingetroffen war.

»Wo ist er denn abgeblieben?«, verlangte Julian zu wissen. »Du kanntest meine Pläne. Du hattest den ganzen Winter Zeit für die Vorbereitungen.«

Florentius lächelte säuerlich und erwiderte, als spräche er mit einem Dummkopf, dass der Verlauf solcher Transporte schwer vorherzubestimmen sei, besonders während des Winters. Darüber hinaus habe es Krankheitsfälle unter den zuständigen Beamten gegeben, was unvermeidliche Verzögerungen zur Folge gehabt habe. Man habe Bestellungen genehmigen und überprüfen sowie zur Abwägung an vorgesetzte Stellen weiterleiten müssen. Ein Mann in so hoher Position wie der Cäsar verstünde das doch sicherlich? So redete er klagend und monoton und ließ sich lang und breit über die Schwierigkeiten aus.

Julian starrte ihn an, und sein Mund wurde immer schmaler.

Schließlich fiel er ihm ins Wort: »Wann bekomme ich den Nachschub?«

»Vielleicht in einem Monat, vielleicht später. Wie gesagt, ich kann es nicht versprechen.«

»Die Lieferung wird aber irgendwo sein, nicht wahr?«

»Selbstverständlich.«

»Dann schicke einen deiner Leute aus, um sie zu finden. Ist das möglich, Präfekt? Oder muss ich es selbst tun?«

»Das wird nicht nötig sein«, begann Florentius aalglatt, doch Julian unterbrach ihn. »Gut. Dann erwarte ich deine Meldung. Und jetzt haben wir beide zu tun, nicht wahr?«

Damit ließ er Florentius stehen und verließ den Raum, vielleicht, weil er sonst doch noch die Beherrschung verloren hätte.

Aber ich war noch da, und so wandte der Präfekt sich mit flammendem Blick mir zu. Der Cäsar müsse begreifen, sagte er kalt, dass man sich an die vorgeschriebenen Abläufe zu halten habe; er hätte sich diese Dinge eben ein Jahr vorher oder noch eher überlegen müssen. Wenn er jetzt in Schwierigkeiten sei, habe er das nur seinem draufgängerischen Temperament zuzuschreiben.

Wenn Florentius glaubte, ich sei auf seiner Seite, hatte er sich getäuscht. Ich hörte ihn zu Ende an und erwiderte: »Unsere Feinde haben es noch nicht gelernt, sich nach dem Gutdünken der Verwaltungsbeamten zu richten.« Dann entschuldigte ich mich und ging.

Die Zeit verstrich. Aus Tagen wurden Wochen, und noch immer war der Nachschub nicht eingetroffen.

Julian beklagte, dadurch den Vorteil der Überraschung zu verlieren. Jeder weitere Tag werde das Leben römischer Bürger kosten. Er wartete einen Monat lang; dann sagte er eines Morgens: »Begleite mich ins Lager, Drusus. Ich möchte die Vorräte inspizieren.«

Wir ritten zum Kastell, und gemeinsam mit dem Quartiermeister blickten wir in die dunklen Kammern und auf die Reste der Gerstenration.

Julian nahm eine Handvoll auf und ließ die Körner durch die Finger rinnen. »Das reicht noch für zwanzig Tage«, stellte er fest. Er befahl dem Quartiermeister, die Gerste verbacken zu lassen. Dann wandte er sich an mich und bemerkte mit leisem Lächeln: »Ich bin gespannt, wie lange der Präfekt warten wird, bevor er zu mir kommt.«

Nicht lange, wie sich herausstellte. Am Abend stürmte Florentius in Julians Arbeitszimmer, begleitet von einer Gruppe verkniffener Beamter. Er ignorierte Oribasius und mich und schrie: »Der Cäsar beliebt zu scherzen! Man kann doch nicht mit nur zwanzig Tagesrationen losmarschieren!«

Julian zog die Brauen hoch. »Ich scherze keineswegs, Präfekt.«

»Ich kann nicht garantieren, dass der benötigte Nachschub eintrifft.«

»Das sagtest du schon. Aber wir haben eine Aufgabe zu vollbringen. Ich will nicht noch länger warten, ob dein Amt endlich seinen Verpflichtungen nachkommt. Zwanzig Tage sollten dir genügen, um zu liefern, was gebraucht wird. Wenn nicht, wird das Heer hungern, und wir müssen es dem Kaiser erklären.«

Florentius war nicht dumm. Ein törichter Mann kann nicht so hoch aufsteigen. Aber vielleicht hatten Bequemlichkeiten und Wohlstand sowie die Gewöhnung an den Gehorsam anderer ihm eine gewisse Hartleibigkeit verliehen. Wie auch immer, vier Tage später, als Julian das Lager durchquerte, um die letzten Marschvorbereitungen zu treffen, gelangten wir in den Haupthof und sahen in der Mitte zwei halb beladene Wagen stehen, um die sich einige Diener des Präfekten scharten.

»Was ist das?«, fragte Julian den Nächststehenden.

»Das Gepäck des Präfekten, Cäsar.«

In diesem Augenblick kam Florentius’ oberster Diener hinter dem Wagen hervor. Er war ein grober, aufgeblasener Kerl, der sich die Aufdringlichkeit von seinem Herrn abgeschaut hatte.

»Kann ich helfen?«, fragte er laut und abweisend.

»Will der Präfekt verreisen?«, fragte Julian.

»Er will selbstverständlich das Heer begleiten.«

»Tatsächlich?« Julian nickte bedächtig; dann sah er sich nach einer Abordnung Soldaten um, die gerade vorbeizog, und winkte den Hauptmann heran. »Alles abladen!«, befahl er.

»Aber Cäsar …!«, protestierte der Diener.

»Du kannst dem Präfekten bestellen«, sagte Julian und hob die Stimme, um ihn zum Schweigen zu bringen, »dass er hierbleiben wird. Wenn wir Glück haben, findet er vielleicht heraus, wo unser Nachschub sich gerade befindet. Danach kann er zu uns stoßen, sofern er es wünscht, und den Nachschub gleich mitbringen. Aber bis dahin brauchen wir ihn nicht.«

Er wandte sich ab und schritt davon, während der verblüffte Diener ihm hinterherstarrte. Die Soldaten hoben grinsend die bronzebeschlagenen Truhen und verschnörkelten Kästen vom Wagen und warfen sie auf einen Haufen.

Am nächsten Tag setzten wir uns bei strahlendem kaltem Frühlingswetter in Marsch. Wo wir auf Barbaren stießen, griffen wir sie an. Meistens aber schlüpften sie beim Klang von Schritten davon wie Ringelnattern.

In der Nähe von Tongern kamen Gesandte der Franken zu uns und verlangten den Cäsar zu sprechen.

»Also gut«, sagte Julian. »Hören wir sie an.«

Wir vereinbarten ein Treffen im Stall eines zerstörten Bauernhofes. Nachdem wir lange gewartet hatten, kam der fränkische Gesandte hereinstolziert. Er war groß wie alle Germanen und in dicke Pelze gekleidet, an denen zahlreiche Broschen mit kostbaren Steinen steckten. Seine langen blonden Haare waren zu kunstvollen Knoten verschlungen, die an keltisches Geschmeide erinnerten.

Er blieb vor uns Offizieren stehen und musterte uns – Marcellus und mich, dann Severus, Arintheus, Victor, Valentinian und andere. Wir trugen unsere besten Uniformen, gefiederte Helme, glänzende Brustpanzer und rote Mäntel. Geringschätzig ließ er den Blick über uns schweifen, als wären wir ein Haufen Schindmähren, und gab einen Laut der Verachtung von sich, um sich sodann mit ungezwungenem Schritt, wie ein dicker Mann, der einen Sommerspaziergang durch seinen Lustgarten macht, zu dem Baldachin zu begeben, wo Julian wartend stand. Unsere Zurschaustellung von Stärke, bemerkte der alte Severus später, hatte den Barbaren früher einmal Respekt abgenötigt, doch jetzt war das nicht mehr der Fall. Sie hatten gespürt, dass in dem Panzerhandschuh nur noch eine zitternde Hand steckte.

Vor dem behelfsmäßigen Baldachin hielt er an und blickte sich mit gespielter Verwunderung um, als könne der junge schlanke Soldat vor ihm unmöglich der Cäsar sein. Aber natürlich wusste er genau, wen er vor sich hatte. Endlich ließ er sich in unbeholfenem Latein vernehmen. Was es zu bedeuten habe, dass wir unser Heer so nah an fränkisches Gebiet heranführten, wollte er wissen. Unsere Nähe sei eine Drohung und Herausforderung, erklärte er und verlangte unseren Rückzug.

Das dauerte seine Zeit, denn es war mehr Wortschwall als geordnete Rede, und ab und zu unterbrach er sich, um bei seinen fellbekleideten Begleitern Bemerkungen in fränkischer Sprache anzubringen. Als er endlich geendet hatte und seine breiten Hände in die Seiten stemmte, erwiderte Julian freundlich, er habe Berichte erhalten, dass Räuber aus dieser Gegend römisches Land verwüsteten. Er sei sicher, dass die Leute des Gesandten mit diesen Verbrechern nichts zu tun hätten und sich daher nicht zu fürchten brauchten.

Der Gesandte lachte. Seine Begleiter folgten seinem Beispiel. Dann, so plötzlich wie ein Schwertstreich ein Seil kappt, brach das Lachen ab, und indem er sein breites blondbärtiges Kinn reckte, rief er: »Wir wissen nichts von diesen Räubern! Seit vielen Jahren hat uns kein Römer mehr belästigt. Trachtest du nach Krieg?«

»Wir trachten nach Frieden«, sagte Julian, hielt inne, trat einen Schritt auf den Gesandten zu und sah ihm in die Augen. »Wir wollen Frieden und werden dafür sorgen, dass wir ihn bekommen. Du kannst gehen und das deinem Häuptling ausrichten.«

Er schickte die Gesandten fort, und wir zogen weiter nach Norden und machten hin und wieder Halt, um verlassene Kastelle instand zu setzen. Noch immer kam keine Meldung aus Paris. Eingedenk unserer Rationen schickte Julian Soldaten auf die Jagd, damit sie Schwarz-und Rotwild erlegten. Die Kastelle mussten bemannt und die Besatzungen ernährt werden.

Julian ließ außerdem die Brotrationen kürzen. Die Männer murrten, aber es ging nicht anders. Und hier beging Julian einen Fehler, denn er versprach, den Mangel auszugleichen und unterwegs Getreide zu beschlagnahmen und dass der Nachschub aus Aquitanien schon bald kommen werde – ein waghalsiges Versprechen, das zu erfüllen er nicht in der Hand hatte. Die Männer glaubten ihm, weil er sie noch nie enttäuscht hatte. Aber als sie nach seiner Ansprache wieder auseinandergingen, sah ich lange Gesichter in der Menge. Ich wischte die Beobachtung jedoch achselzuckend beiseite, da ich zu sehr von dem Traum in Anspruch genommen war, den Julian gesponnen hatte.

In der Zwischenzeit rückten wir weiter vor.

Manchmal kam es zu kleinen Scharmützeln, aber meistens weigerten sich die Feinde zu kämpfen. Obgleich ihre Horden furchterregend sind, verfallen die Barbaren rasch in Zankerei untereinander, da ihnen Disziplin und Ordnung fehlen, um sich zu einem bedeutenden Heer zu formieren. So schloss jeder kleine Stamm, der allein auf sich acht gab, einen separaten Frieden mit uns und schwor heilige Eide der Unterwerfung und Treue.

Doch als Julian Getreide verlangte, zeigten sie auf die noch grünen Halme auf den Feldern und behaupteten, sie hätten nichts zu geben.

Die Rationen schwanden, und die Männer wurden unruhig.

Eines Abends saß ich mit Marcellus und seinen Freunden von der Reiterei am Feuer und trank verdünnten Wein. Es war kalt, und der Himmel war voller Sterne. Wir hatten uns über Julians frühere Feldzüge unterhalten, aus der Zeit, bevor Marcellus und ich nach Paris gekommen waren. Jetzt entstand eine Pause. Einer, der Plancus hieß, schüttelte den Kopf und sagte: »Wie schnell die Männer vergessen, was er für sie getan hat.«

»Keineswegs, Plancus«, widersprach Rufus, der neben ihm saß. »Einem anderen wären sie nicht so weit gefolgt – und das ohne Sold.«

»Ohne Sold?«, fragte ich und hob den Blick.

»Hast du das nicht gewusst, Drusus? Seit Straßburg haben sie nichts mehr bekommen. Der Kaiser will die Mittel nicht genehmigen.«

»Aber das können sie doch nicht Julian anlasten«, meinte einer.

»Tun sie auch nicht«, sagte Plancus. »Aber wenn man einen Mann mit leerem Geldbeutel stehen lässt, sollte man wenigstens für einen vollen Bauch sorgen.«

Ein anderer, der gern Witze riss, bemerkte: »Du siehst jedenfalls gut genährt aus, Plancus«, und streichelte ihm den Bauch. »Was ist dein Geheimnis? Hast du ein Barbarenmädchen aufgerissen, das dir jede Nacht Leckerbissen zusteckt? Und was kriegt sie dafür von dir?« Er machte ein neugieriges Gesicht, hob Plancus’ Tunika an, um zu verdeutlichen, was er meinte, und erntete Gelächter.

Plancus stieß ihn weg. »Sehr komisch, Maudio. Aber hör zu. Als ich heute unten bei den Pferden war, hab ich ein übles Gerede vernommen.«

Das Gelächter erstarb. »Was für Gerede?«

»Das Gerede von Meuterern, wenn du mich fragst. Wenn mein Pferd nicht lahmen würde, wäre ich gar nicht dort gewesen. Ich hörte sie durch die Wand, wo die Latrinen sind. Sie beklagten sich über Julian und nannten ihn einen dummen Griechen. Er habe sie an der Nase herumgeführt und hätte besser bei seinen Büchern bleiben und das Kriegführen denen überlassen sollen, die etwas davon verstehen … Wie gesagt, sie haben ein kurzes Gedächtnis.«

»Alle Soldaten klagen gern. Geschieht dir recht, wenn du das Ohr an die Scheißhaustür drückst.«

»Ha, ha! Mach dich nur darüber lustig. Aber denk an meine Worte: Da braut sich was zusammen.«

In den folgenden zwei Tagen murrten die Männer bereits offener, und das machte Julian zu schaffen. Er ging nie auf die Launen einer Menge ein, aber er wollte gemocht werden. Seit seinen ersten Siegen hatten die Soldaten ihn verehrt. Sie stammten allesamt aus Gallien. Er hatte an ihrer Seite gekämpft, um ihre Häuser und Familien zu schützen, und nun wollten sie zurück in die Heimat.

Ich fragte Marcellus, ob Severus genauso dachte, denn er hatte Erfahrungen mit Soldaten und kannte ihre Stimmungen besser als jeder andere.

»Er sagt, wir sollten weitermarschieren, denn wir hätten keine andere Wahl. Wenn wir jetzt kehrtmachten, würden sich die fränkischen Stämme hinter uns erheben. Sie wittern Schwäche wie ein Schwein die Trüffel. Wir würden nicht lebend davonkommen.«

Irgendwo im Lager hörte man einen Hammer klirren. Marcellus blickte auf.

»Das ist nur einer der Hufschmiede«, meinte ich und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

Er horchte; dann nickte er. »Ich bin heute angespannt wie eine Bogensehne.«

Das waren wir alle. Über das Lager hatte sich eine sonderbare Stille gesenkt. Es war nicht die Ruhe zufriedener Menschen; es war die knisternde Ruhe vor dem Sturm, wo das Laub reglos am Baum hängt und selbst die Vögel stumm bleiben. Dann wünscht man sich, der Sturm würde losbrechen, damit es umso eher vorbei ist.

An diesem Abend, kurz vor Sonnenuntergang, war ich bei Julian und den anderen, um den Marsch des nächsten Tages zu besprechen. Er wollte gerade etwas sagen, als auf der anderen Seite des Lagers zornige Stimmen laut wurden. Julian hob stirnrunzelnd den Blick. Niemand musste ihm erklären, was das bedeutete.

»Ich werde zu ihnen gehen«, verkündete er. Und ehe es jemandem einfiel, ihn aufzuhalten, hatte er sich unter der Zeltklappe durchgebückt.

Wir blickten einander sprachlos an; dann eilten wir hinter ihm her zwischen den Hütten, Zelten und Kochfeuern hindurch. Bei den Feuern war niemand. Überall herrschte eine unheimliche Stille, außer in der Mitte des Lagers, wo sich der Versammlungsplatz befand. »Bei den Göttern!«, rief Severus. »Er darf nicht allein dort auftreten.« Wir nahmen die Beine in die Hand.

Endlich sahen wir ihn ungefähr vierzig Schritte vor uns. Schon begann die Menge ihn zu umringen. Ich konnte seine Stimme hören; er sprach das sorgfältige Latein des griechischen Redners und versuchte sich über das allgemeine Gemurmel hinweg Gehör zu verschaffen. Aufgestaute Gewalt hing in der Luft. Aber es war auch Verwirrung zu spüren. Die Männer hatten nicht erwartet, dass er allein käme.

Er redete weiter, vernünftig und gemessen, um ihnen Verständnis abzuringen. Die am nächsten bei ihm standen, konnten seinen Worten vielleicht folgen – sofern sie wollten. Die Aufmerksamkeit der anderen jedoch verlor er. Ich sah sie miteinander reden und den Kopf schütteln.

Gerade als wir uns näherten, kamen einige Männer zwischen zwei Zeltreihen hervorgestürmt und mischten sich unter die Zuhörer. Sie waren erhitzt und ruhelos und fieberten wie Männer, die betrunken bei Wettkämpfen erscheinen und Streit suchen. Bald fingen sie an zu pfeifen und riefen dazwischen, dass Julian ein Schwindler sei, ein griechischer Stümper, der das Kriegführen denen überlassen sollte, die sich damit auskannten.

Julian versuchte, vernünftig mit ihnen zu reden. Severus schüttelte sein graues Haupt: Mit einem Mob diskutiert man nicht. Für die gemeinen Soldaten sollte der Heerführer unfehlbar sein. Es braucht keine Erklärungen und Entschuldigungen.

In diesem Moment erregte irgendetwas ganz in meiner Nähe meine Aufmerksamkeit. Da stimmte etwas nicht. Plötzlich hatte der Hohn der Männer etwas Einstudiertes. Doch mir blieb keine Zeit, darüber nachzudenken. Rasch waren wir eingekreist, als die Neuankömmlinge sich herandrängten. Bald würden wir ohne Gewaltanwendung nicht mehr aus dem Kreis ausbrechen können.

Ich schaute in die Runde, um mir einen Überblick zu verschaffen. Marcellus war nah bei mir; neben ihm stand Rufus mit wachem, angespanntem Gesicht. Ich glaube nicht, dass er die Gefahr vollends begriffen hatte. Aber Marcellus kannte sie und hielt den Jungen in seiner Nähe. Er nickte mir zu und gab mir heimlich ein Zeichen. Zwei Schritte entfernt stand Severus bereits auf dem Sprung, die eine Hand am Schwertgurt, die andere gereckt als Zeichen für uns, seinen Befehl abzuwarten. Wie ein Jagdhund die Fährte, so nahm er die Stimmungsschwankungen der Soldaten auf. Noch war es keine Meuterei – noch nicht ganz. Doch eine zu frühe Gegenwehr würde sie auslösen.

Plötzlich erhob sich Julians Stimme klar und fest über das Gemurre. Sein Tonfall hatte sich verändert. Er stand im Begriff, die Männer zu verlieren, und hatte seinen Fehler erkannt.

»Was soll das bedeuten?«, rief er. »Seht euch an! Ihr erinnert mich an einen Haufen Weiber, die gackernd vor der Bäckerei stehen, weil der Bäcker verschlafen hat. Habt ihr Angst vor euren eigenen Schatten? Wo sind die Männer, die mir bei Straßburg gedient haben? Dort war wirkliche Gefahr, und wir haben gesiegt. Habt ihr vergessen, wozu ihr fähig seid?«

Ringsumher verebbten die Stimmen.

»Ihr seid in Feindesland. Wenn wir jetzt umkehren, was werden die Barbaren denken? Sie werden ihre Abkommen mit uns in den Wind schlagen und über uns herfallen. Ich bin nicht so weit marschiert und habe solche Härten erduldet, um jetzt kehrtzumachen, nicht wenn der Sieg zum Greifen nah ist. Ich werde zu Ende führen, was ich angefangen habe. Aber geht nur, wenn ihr es wünscht. Unwillige Männer will ich nicht zwingen. Geht zu euren Frauen und Kindern! Ich werde euch nicht aufhalten. Ich werde euer Land ohne euch verteidigen.«

Wieder herrschte zögerliches Schweigen. Und dann hörte man aus der Mitte andere, leisere Stimmen, die Julian beipflichteten und an vergangenen Ruhm erinnerten. Jemand wagte sogar einen Jubelruf, der zuerst erstarb, Augenblicke später aber von anderen aufgegriffen wurde.

Julian hatte die Männer beschämt.

Ich sah, wie sich bei Severus die Nackenmuskeln und Schultern entspannten. Er nahm die Hand vom Schwertgurt und trat vor, da sein Soldatenverstand ihm sagte, dass es Zeit sei, die Leute zur Pflicht zu rufen.

»Wegtreten!«, brüllte er mit erprobter Exerzierstimme.

Die Männer strafften die Schultern und gingen langsam auseinander. Ich fühlte eine Hand an meinem Arm. Es war Marcellus.

»Siehst du, wer auch dabei war?«, fragte er und deutete mit dem Kinn auf die sich zerstreuende Menge.

Ich schaute genauer hin. Ein Mann lief verstohlen zwischen den Zelten davon. Er war nur von hinten zu sehen, aber der rote Haarschopf, der über den Rand der hochgezogenen Kapuze ragte, war unverkennbar.

»Gaudentius!«, stellte ich angewidert fest und beobachtete, wie er sich aus dem Staub machte. »Aber warum? Was hat er davon, eine Meuterei anzuzetteln?«

Aber da fielen mir schon Eutherius’ Worte ein, und ich dachte an die höhnischen Zurufe, die ich eben gehört hatte. Ein übler Gedanke stieg in mir auf. Ich schluckte und sah Marcellus an.

»Sie haben es nicht aus eigenem Antrieb getan«, schloss ich bitter. »Die Männer sind beeinflusst worden. Jemand will Julians Autorität untergraben, ohne Rücksicht auf die Folgen.«

Beim ersten Morgengrauen verlangte Julian, dass sein Pferd für einen Ritt bereitgemacht werde. Er wollte keine Widerrede dulden, war restlos entschlossen. Ohne Umweg ritt er zur nächsten fränkischen Siedlung – einer Ortschaft, deren Bewohner kürzlich versprochen hatten, Frieden zu halten –, hielt vor dem Eingang und verlangte den Häuptling zu sprechen.

Er hatte nur wenige von uns mitgenommen: Severus, Marcellus, mich und zwei andere. Die Übrigen waren auf sein Beharren hin im Lager geblieben.

Es folgte ein unbehagliches Warten. Vor den Hütten unterbrachen die großen, düster blickenden Weiber und ihre blonden Kinder ihr Tun und starrten uns böse an. Nach einer Weile kam jemand aus dem niedrigen Langhaus des Häuptlings, ein weißhaariger Greis, der sich auf einen dicken Eichenstab mit Schnörkeln und Drachenköpfen stützte. Er hatte sechs junge, mit Schwertern bewaffnete Männer in schwerer Lederrüstung bei sich.

»Ich bin hier, um gemäß unserem Abkommen Getreide zu holen«, erklärte Julian.

Der Häuptling schüttelte den Kopf. Ob zur Ablehnung oder weil er nichts verstand, war nicht zu erkennen.

Doch Julian war nicht in der Stimmung, sich abweisen zu lassen. Er schritt zu einer Frau, die auf einem niedrigen Schemel an einem Mahlstein saß. »Das!«, rief er, griff in den Korb und ließ die Körner durch seine Finger rinnen.

Aus den umstehenden Hütten kamen immer mehr bewaffnete Männer, stumm, aber drohend, mit Schwertern in den Händen – alte römische Schwerter, wie ich bemerkte. Der weißhaarige Häuptling machte eine unscheinbare Geste, und die Männer verharrten wie gut abgerichtete Hunde. Er musterte Julian mit scharfen, kobaltblauen Augen; dann räusperte er sich laut, bewegte den Mund und spuckte in den Schlamm.

»Was sollen wir essen, Römer, wenn du unser Getreide mitnimmst?«

»Ich verlange nur einen Teil von dem, was ihr habt. Ich werde es euch doppelt zurückzahlen. In Getreide oder in Gold. Mein Wort darauf.«

Unter den Männern erhob sich Gemurmel. Sie verstanden also Latein, wenn sie wollten.

Der Häuptling musterte uns. Er musste erraten haben, dass wir allein und folglich in der Unterzahl waren. Vielleicht wog er ab, ob er uns als Geiseln nehmen oder wegen der Rache, die gewiss folgen würde, besser darauf verzichten sollte. Vielleicht stellte er aber auch den persönlichen Mut, den wir bewiesen, über alles; so wurde es den Germanen nachgesagt.

Auf jeden Fall gab seine Miene nichts preis.

»Gold können wir nicht essen«, wandte er ein.

»Dann sollt ihr Getreide bekommen.«

»Und werdet ihr daran noch denken, wenn ihr wieder fort seid? Ich glaube es nicht.«

»Ich werde daran denken.«

Der Häuptling blickte Julian lange forschend an, wie ein Mann, der die Miene eines Fisches zu durchschauen versucht. Julian hielt dem Blick ruhig stand. Angespannte Stille herrschte. Schließlich hob der Greis mit unvermuteter Kraft seinen Eichenstab, zeigte zum Himmel und redete in seiner Sprache zu den Umstehenden. Von den jungen Männern kam unzufriedenes Gemurmel, das er mit einer Armbewegung abschnitt.

Dann wandte er sich Julian zu. Er lächelte nicht, doch unter den buschigen weißen Brauen sah man eine Spur Belustigung.

»Ihr sollt euer Getreide haben«, beschied er.

Bis wir ins Lager zurückkehrten, regnete es. Derweil hatte sich die Neuigkeit herumgesprochen, und eine beschämte Abordnung von Soldaten wartete vor Julians Zelt.

Es waren zu viele, als dass sie alle ins Zelt hineingepasst hätten; deshalb empfing er sie draußen und stand mit ihnen im Regen. Er hätte sie mit zu dem Dorf nehmen sollen, sagten sie tadelnd; er habe sein Leben für sie aufs Spiel gesetzt. Wie könne er sich in solche Gefahr begeben und sie zurücklassen?

Es gab Tränen und Umarmungen, und hernach reichte Julian jedem Mann eine Münze aus seinem spärlichen Besitz. Es war nicht mehr als ein Pfand, doch als die Männer sich zum Gehen wandten, drängte plötzlich jemand nach vorn. Es war Gaudentius. Mit lauter, diensteifriger Stimme verkündete er: »Es verstößt gegen das Gesetz, wenn ein Cäsar den Soldaten Sonderzahlungen gewährt.«

Julian drehte sich um und musterte Gaudentius mit verwundertem Blick. Auch die abziehenden Männer auf dem regennassen, morastigen Platz hielten inne und starrten. Ein anderer hätte Gaudentius verhaften und davonzerren lassen, doch Julian hatte so wenig vom üblichen Hochmut der Mächtigen, dass ihm wohl nicht einmal der Gedanke kam.

»Sonderzahlungen?«, wiederholte er. »Was redest du da? Die Münze reicht kaum für eine Rasur.« Er wählte einen milden Ton, wollte den Vorfall verharmlosen. Doch Gaudentius, dumm, wie er war, blieb energisch. Die Höhe der Summe sei unerheblich, erklärte er, und er sei verpflichtet, das Geld zurückzunehmen.

»Man verlangt ein Geschenk nicht zurück!«, rief Julian, dessen Stimme nun lauter wurde. »Hast du den Verstand verloren?«

Von einem ungesunden Selbstvertrauen beseelt, begann Gaudentius, ein Gesetz zu zitieren, aber Julian schnitt ihm das Wort ab. »Beim Hades, was fällt dir ein, dich einzumischen? Glaubst du, ich brauche einen Paragraphenkrämer, der mir erklärt, wie ich meine Pflichten zu erfüllen habe?« Er musterte Gaudentius aus schmalen Augen. »Warte mal, ich kenne dich doch … Ich habe dich in Paris gesehen. Du bist einer von Florentius’ Leuten, nicht wahr? Was hast du hier zu suchen?« Als Gaudentius zur Antwort ansetzte, fuhr Julian ihn an: »Schweig! Florentius kann nicht einmal seine eigenen Pflichten erfüllen. Da lasse ich mich von ihm – oder von dir – über meine Pflichten nicht belehren!«

Er wandte sich ab. Die Aussöhnung mit den Soldaten auf diesem morastigen Flecken in Nordgallien war verdorben; trotzdem ließ Julian die Sache auf sich beruhen. Doch als er davonging, rief Gaudentius ihm hinterher: »Du hast keine Befugnis! Das Geld muss zurückgegeben werden!«

Julian blieb stehen. Alle starrten ihn an, selbst der alte Severus, den kaum noch etwas überraschen konnte.

Langsam drehte Julian sich um. Sein Blick schwenkte zu den Soldaten, denen er die Münzen geschenkt hatte und die jetzt gespannt und offenen Mundes abwarteten.

»Schafft mir diesen Mann aus den Augen!«, befahl Julian. »Gebt ihm ein Pferd und schickt ihn zurück zu seinem Herrn. Sorgt dafür, dass er noch heute verschwindet – wenn es sein muss, mit dem Schwert.«

Dann ging er mit steinerner Miene zu seinem Zelt und schlug beim Eintreten heftig die Lederklappe zur Seite.

Wir rückten an die große Barriere des Rheins vor, und dort traf endlich die Nachschubkolonne ein, persönlich begleitet von Florentius.

Er wurde von mir in Empfang genommen, da Julian am Morgen ausgeritten war, um die Bootsbrücke zu begutachten, die er zur Überquerung des Flusses bauen ließ. Ich schickte einen Boten und wartete mit dem Präfekten in dem verlassenen Bauernhaus, das Julian als Quartier benutzte.

Florentius stand mit langem Gesicht schweigend da und tippte ungeduldig mit den Sohlen seiner Kalblederstiefel auf den Steinboden. Zwischendurch fiel mir auf, dass er Zeit gefunden hatte, sich Locken brennen und frisieren zu lassen. Aus Höflichkeit versuchte ich ein Gespräch anzufangen und erkundigte mich nach seiner Reise und ähnlichen Dingen. Doch er antwortete nur knapp, als wäre ich einer seiner Sklaven, und bald gab ich es auf und verfiel in unbehagliches Schweigen. Inzwischen war mir klar, dass Gaudentius ihm Bericht erstattete, und wenn ich mich nicht in ihm täuschte, hatte er die Geschichte kräftig ausgeschmückt.

Nach einiger Zeit waren draußen Stimmen zu hören. Julian kam hereingepoltert, gefolgt vom Hauptmann der Pioniere sowie Oribasius und Severus. Stiefel und Mantel waren schlammbespritzt, und er hatte einen Fleck an der Stirn, wo er sich mit dem Handrücken den Schweiß abgewischt hatte. Er sah aus, als wäre er über die gesamte Uferböschung geklettert – was er vermutlich auch getan hatte, da er nicht zu den Männern gehörte, die schmutzige Arbeit nur anderen auferlegen. Er war ein wenig außer Atem, und sein Enthusiasmus war noch immer zu spüren. Er lächelte sogar.

»Du bist persönlich gekommen«, sagte er freundlich.

Florentius erwiderte das Lächeln mit eisigem Blick. »Wie könnte ich anders? Die Sache sei dringend, wurde mir gesagt.«

»Ja, das ist wahr. Trotzdem danke ich dir, dass du dich hierherbemühst.«

Es folgte eine unangenehme Pause. Schließlich räusperte Julian sich und erkundigte sich nach Dingen, die er bestellt hatte – Pökelfleisch und Zwieback, Amphoren mit Öl und Wein, neue Brustpanzer und verschiedene Bauwerkzeuge.

»Dazu kann ich nichts sagen«, fiel Florentius ihm streng ins Wort, »das wirst du den Quartiermeister fragen müssen. Ich befasse mich nicht mit unbedeutenden Einzelheiten. Was mich vielmehr interessiert ist die Meldung, dass du vorhast, über den Rhein auf germanisches Gebiet vorzudringen. Ich hoffe, das ist ein Missverständnis. Aber ich fürchte, es ist keines, nicht wahr?«

»Ganz recht. Die germanischen Stämme haben unsere Schiffe geplündert. Sie haben den Rhein unpassierbar gemacht.«

Florentius stieß einen Seufzer aus wie ein Mann, der sich gezwungen sieht, einem Dummkopf alles zweimal zu erklären. »Du bist neu in Gallien, Cäsar, darum ist dir vielleicht nicht bekannt, aber unsere Politik sieht so aus, dass wir den Barbaren Hilfsgelder zahlen. Als Gegenleistung lassen sie unsere Schiffe ungehindert passieren.«

Julian blickte ihn verblüfft an. »Wir zahlen ihnen Hilfsgelder?«

»Aber ja. Ich würde zweitausend Pfund Silber als ausreichend betrachten, wenngleich die Barbaren natürlich jedes Jahr mehr erwarten. Aber wie gesagt, zweitausend Pfund sind angemessen.«

»Zweitausend Pfund, sagst du?«

»Das halte ich für annehmbar. Wenn sie mehr wollen, werden sie es schon sagen.«

Julian atmete tief durch und ließ den Blick in die Runde schweifen, als wollte er sagen: Befreit mich von diesem Mann. »Aber wenn ich Mittel verlange, um meine Soldaten bezahlen zu können, behauptest du, es gebe keine.«

»Das ist etwas völlig anderes, ein besonderer Etat, den ich …«

»Einen Augenblick, nur damit ich es richtig verstehe: Meine Männer hungern, weil es weder Sold noch Nachschub gibt, und du sprichst davon, den Barbaren Lösegeld zu zahlen? Denselben Barbaren, gegen die ich kämpfen will, damit wir unser eigenes Territorium ungehindert durchqueren können?«

»Das ist der Brauch.«

»Brauch«, wiederholte Julian trocken. »Wir geben unseren Feinden Geld, weil es Brauch ist.«

Ihre Blicke trafen sich. Florentius erwiderte: »Ich lebe hier schon einige Zeit, Cäsar. Ich weiß, wie man die Dinge regeln muss. Es ist unbesonnen, wenn nicht gar leichtsinnig, die Stämme gegen uns aufzubringen. Dazu sollte der Kaiser gefragt werden.«

»Das würde Monate dauern, und das weißt du. Die Barbaren sind gerade in Auflösung begriffen. Wenn wir jetzt angreifen, können wir die Grenze für eine ganze Generation sichern.«

»Das vermutest du. Aber das Wagnis ist zu groß. Ich kann dem nicht zustimmen.«

Daraufhin betrachteten sich beide in schweigendem Unverständnis. Draußen erklangen die Stimme des Quartiermeisters, der Anweisungen erteilte, und das Rumpeln von Kisten, die von den Wagen geladen wurden.

»Also gut«, sagte Julian schließlich. »Du hast deine Meinung klar geäußert. Man wird dir keinen Vorwurf machen können. Das kannst du auch schriftlich bekommen, wenn du möchtest. Gibt es sonst noch etwas, Präfekt? Wenn nicht, ich habe jetzt zu arbeiten.«

Florentius zögerte. Seine Miene verhärtete sich. Er war es gewöhnt, dass katzbuckelnde Beamte seine Anweisungen gehorsam befolgten; er hatte nicht damit gerechnet, dass Julian sich über ihn hinwegsetzen würde. Es war, als hätte er von einem Diener eine Ohrfeige bekommen. Jetzt nahm er zum ersten Mal die anderen Anwesenden und das schlichte, ja bäuerliche Quartier wahr – den schlammbeschmutzten Steinboden, die nackten Wände und die morschen Fenster. Er fragte sich, ob er sich gedemütigt fühlen sollte, und versuchte, dies von unseren Gesichtern abzulesen. Doch alle wahrten die gleiche ausdruckslose Miene und gaben nichts preis.

»Es gibt da allerdings noch eine Sache«, sagte er schließlich kalt. »Aber wir sollten unter vier Augen darüber sprechen.«

Hätte es zwischen den beiden Männern Wohlwollen gegeben, hätte Julian ihn vermutlich beim Arm genommen und nach draußen geführt, oder er hätte uns gebeten, den Raum zu verlassen. So aber erwiderte er, dass der Präfekt, was immer er zu sagen habe, es offen vor seinen Freunden aussprechen könne. Vielleicht rechnete er mit einer Drohung vonseiten des Kaisers oder einer Beschwerde, weil er Gaudentius aus dem Lager geworfen hatte.

»Wie du willst«, sagte Florentius kalt. »Ich bringe Neuigkeiten von deiner Gattin. Sie hat einen Sohn zur Welt gebracht. Es war eine Totgeburt.«

Entsetztes Schweigen senkte sich herab. Der junge Offiziersbursche im Nebenzimmer ließ seinen Griffel fallen. Man hörte ihn über den Boden rollen. Julian holte tief Luft und blickte einen Moment lang aus dem Fenster. Seine Gesichtsfarbe änderte sich kaum.

»Danke, Präfekt. Sonst noch etwas?«

Florentius schüttelte den Kopf. Der selbstgefällige Zug um den Mund war verschwunden. Selbst er schien begriffen zu haben, dass er zu weit gegangen war.

»Dann ist die Besprechung zu Ende. Du wirst mich entschuldigen.« Er wandte sich dem Hauptmann der Pioniere zu, der sichtlich empört an der Wand stand, und fuhr nach kaum merklicher Pause fort: »Wir wollten gerade die Vertäuung der Brücke inspizieren, nicht wahr? Dann sollten wir das tun, solange es noch hell ist.«

Damit trat er nach draußen, und der Hauptmann eilte ihm hinterher.

Obwohl ich viel Zeit mit Julian verbrachte, erfuhr ich erst spät, dass er verheiratet war, und auch nur von dritter Seite; er selbst hatte nie über seine Gemahlin gesprochen.

Sie war etliche Jahre älter als er, und er war zu der Ehe verpflichtet worden, als er zum Cäsar ernannt worden war. Sie hieß Helena und war Constantius’ Schwester. Einmal hatte ich sie in Paris kurz gesehen, als sie eine Kolonnade entlang zu ihren Gemächern eilte, eine untersetzte, ungelenke Frau mit glatten braunen Haaren und kurzen Beinen. Ich glaube nicht, dass die Eheleute sich auch nur den Anschein gaben, einander zu lieben. Und das wunderte mich nicht, denn wenn sie jemandem ähnelte, dann ihrem Bruder, dem Kaiser, was gewiss dazu angetan war, für Kühle im Ehebett zu sorgen.

Man hörte jedoch nie, dass Julian in seinen Gemächern Frauen oder junge Knaben empfing. Von den Philosophielehrern in Athen hatte er gelernt, dass ein weiser Mann Herr seiner Leidenschaften ist. Er verachtete Grobheit in allen Dingen und hielt sich zugute, seine Gelüste im Zaum halten zu können. Doch ich vermutete, dass seine Zurückhaltung ebenso viel mit Schüchternheit zu tun hatte, und er hielt sich wohl auch nicht für anziehend. Außerdem verabscheute er den Gedanken, sich jemandem aufzudrängen. Er hatte zu viel Machtmissbrauch erlebt und wollte sich diesem Vorwurf nicht selbst aussetzen müssen.

Am Abend nach dem Essen ging ich mit Marcellus zum Fluss hinunter. Vom Wasser stieg Nebel auf. Es roch nach nassem Laub und Uferschlamm. Fackeln beschienen die Bootsbrücke und die Wachhütte am Ufer. Wir schlenderten die Böschung hinunter. Die Boote waren miteinander vertäut; der Steg, der darüberführte, war fast fertig. Wir grüßten die Wächter und gingen leise plaudernd weiter.

Irgendwann hielt Marcellus inne. »Schau mal«, sagte er und deutete mit einer Kopfbewegung in den Nebel.

Ich folgte seinem Blick. Dort stand eine einsame Gestalt und spähte über das Wasser. Ich erkannte die breiten Schultern unter dem abgenutzten Soldatenmantel. »Wir sollten uns nicht bemerkbar machen«, sagte ich und zog Marcellus am Ärmel. »Nach dem heutigen Tag möchte er sicher allein sein.«

Doch als wir abschwenkten, hob er den Arm und rief, wir sollten uns zu ihm gesellen.

Eine Zeit lang schaute er weiter schweigend über den Rhein auf den nebelverhangenen Waldsaum. Dann sagte er melancholisch: »Immer kommt die Nacht ins Spiel. Sie sind irgendwo dort drüben, beobachten uns wie Wölfe und warten nur darauf, dass wir straucheln.«

Um seinen Schmerz ein wenig zu zerstreuen, sagte ich: »Deine Siege haben sich herumgesprochen. Sie werden es sich zweimal überlegen. Schon jetzt hast du mehr erreicht, als alle anderen für möglich gehalten haben.«

Er nickte düster und zog den Mantel straffer.

»Aber es gibt noch viel zu tun. Wenn man hier am Rand der Zivilisation steht, vor sich die endlose Wildnis, dann fühlt man seine Verantwortung. Der Tod ereilt uns alle, denn das liegt in unserer Natur, doch Sklaven des Schicksals sind wir nur aus eigenem Entschluss.«

Er wurde wieder still. Irgendwann fuhr er fort: »Ich habe mein Leben in Athen geliebt, wo keine Frage verboten war, kein Thema aus Furcht vor Häresie vermieden wurde. Ich habe geweint, als ich von dort weggerufen wurde, geweint über das Ende meines Glücks. Und jetzt bin ich hier als Soldat und führe Krieg. Aber ich kämpfe, damit diese Männer in Athen in Freiheit leben können, damit sie sagen können, was sie denken, und ein wenig Licht ins Dunkel bringen.« Er deutete auf den Wald. »Wo sind ihre Philosophen? Wo sind ihre großen Bibliotheken und Städte? Sie wollen nicht besitzen, was wir haben, sie wollen es nur zerstören. Sie würden einen Philosophen abstechen wie jeden anderen, wenn wir sie ins Land ließen.«

Der Wind regte sich seufzend und rauschte durch die Bäume. Hinter uns flackerten die Fackeln auf den Palisaden des Lagers, und mit dem Wind kam Gelächter zu uns herüber.

Julian drehte sich um, und der ferne Schein der Flammen spiegelte sich in seinen dunklen Augen.

»Aber ich habe hier etwas gelernt. Ich habe gelernt, dass ein Mann es mit der Welt aufnehmen muss. Nur dann lernt er sein wahres Ich kennen und bringt es unter die Herrschaft der Vernunft. Die Priester meiner Kindheit fürchteten die Erhabenheit im Menschen und leugneten sie deshalb. Das Zeitalter der Helden war vorüber. Die schlechtesten Männer galten gleich viel wie die Besten, und alle waren Leibeigene ihres eifersüchtigen Gottes. So sieht ihre Wahrheit aus, und sie würden uns nach ihrer Vorstellung umerziehen. Wie hätten sie gelacht, wenn ich ihnen erzählt hätte, ich würde die Barbaren aus Gallien vertreiben. Doch hier stehe ich, und dort oben feiern die Männer, weil sie wissen, dass ihre Familien heute Nacht sicher sind. Ich bin der lebende Beweis, dass man über sich hinauswachsen kann. Doch zuerst braucht man Vorstellungskraft. Ohne sie bringt man nichts zustande.«