40460.fb2 Wen die G?tter lieben - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 9

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FÜNFTES KAPITEL

Es wurde kalt und klar, gutes Marschwetter. Kurz bevor das Heer den Rhein überquerte, ging ich durch das Lager und wurde von jemandem angerufen.

Der Tag brach gerade an, sodass mich die Sonnenstrahlen blendeten, die über die Palisaden schienen, als ich mich umdrehte. Ich beschirmte meine Augen und sah nur ein paar Schritte entfernt einen Mann stehen. Er hatte seine Kapuze übergestreift; aber dann zog er sie vom Kopf, und ich erkannte ihn.

Er war älter geworden, und eine frische Narbe verlief von der rechten Schläfe über die Wange und verschandelte das anziehende Gesicht, das mir so vertraut gewesen war. Doch die leuchtend blauen Augen und der ernste Mund waren noch dieselben.

»Durano!«, rief ich.

Er hatte unsicher geklungen, doch als er mich jetzt lächeln sah, schritt er auf mich zu, und wir fielen uns lachend in die Arme.

»Komm mit«, sagte er, den Arm um meine Schulter gelegt, wie er es immer getan hatte. »Ich will frühstücken gehen.« Unterwegs erzählte er mir, wie er kürzlich von Süden mit der Nachschubkolonne eingetroffen war.

Vor seinem Zelt hockte ein schmales, braunhäutiges Mädchen und machte Feuer. Er sprach ein paar muntere Worte in seiner Heimatsprache, die ich nicht verstand; daraufhin verschwand das Mädchen, um sogleich mit Brot, Käse und Wein zurückzukommen. Wir setzten uns auf die niedrige Bank und aßen. Während ich ein Stück von dem groben Brot abriss und in meinen Wein tunkte, fragte ich Durano nach seinen Kameraden, die ich in London kennengelernt hatte – Tascus, Romulus und Equitius.

Kauend runzelte er die Stirn und erzählte. Tascus hatte einen Streit zu viel angefangen, als er wieder einmal betrunken war, und wurde bei einer Rauferei in einer Schenke in den Hals gestochen. Romulus war in der Schlacht bei Straßburg gefallen.

»Und Equitius?«, wollte ich wissen.

»Er war mit Magnentius bei Mursa. Was dann aus ihm wurde, weiß ich nicht. Vielleicht hat er überlebt, doch viele sind gefallen.«

Eine Zeit lang unterhielten wir uns über die große Schlacht von Mursa und den Krieg zwischen Magnentius und Constantius. Das lag nun ein paar Jahre zurück; zu der Zeit lebte ich noch in London. Der Krieg hatte die Kräfte des Westens aufgezehrt, hatte die kaiserliche Familie entzweit und in der nachfolgenden Erschöpfung zu den Schrecken der Plünderungen durch die Barbaren geführt. Doch viel schlimmer noch waren die grausamen Ermittlungen wegen Verrats gewesen, die Paulus, der Notar, geführt hatte.

Andererseits hätte ich ohne den Krieg Durano nicht kennengelernt, denn der Krieg hatte ihn nach London geführt. Vielleicht hätte mein Leben einen ganz anderen Verlauf genommen. Ich zuckte die Achseln. Ich bin, was ich bin, dachte ich, und muss das Beste daraus machen. Es hat keinen Zweck, in der Vergangenheit zu stochern.

Auch Durano war still geworden. Als ich den Kopf drehte, hatte er den Mantel abgeschüttelt, sodass die Abzeichen an seiner Tunika zu sehen waren.

»Dann bist du jetzt also Zenturio«, stellte ich fest.

»Ja, ein Zenturio des obersten Ranges. Vor zwei Jahren wurde ich befördert.«

Er erzählte mir davon; dann plauderten wir über unser Leben, wichen aber den schmerzhaften Erinnerungen aus. Dabei dachte ich an den unsicheren Jungen, der ich gewesen war, eine einsame Waise. Durano hatte sich mit mir angefreundet, hatte mir gezeigt, wie man kämpft, und mein Herz für die Liebe geöffnet, als ich schon geglaubt hatte, niemals kämpfen oder lieben zu können.

Hinter seinem ungezwungenen Geplauder spürte ich, dass er sich ebenfalls daran erinnerte. Wunden heilen, aber die Narben blieben. Er war jetzt ein zäher, erfahrener Soldat. Aber ich hatte einen jüngeren, weicheren Durano gekannt, der viel gegeben und wenig dafür genommen hatte, und in meiner jugendlichen Dummheit hatte ich ihn gekränkt.

Vor uns ging seine Dienerin ihren Aufgaben nach. Sie hatte einen Armvoll Reisig geholt und kniete sich hin, um die Zweige zu zerbrechen und ins Feuer zu schieben. Ihre schwarzen Haare waren kurz geschnitten, sodass sie fast wie ein junger Soldat aussah, und um den Hals trug sie ein Amulett, einen geflochtenen Torques aus Bronze mit zwei Drachenköpfen an den Enden. Sie bemerkte meinen Blick und schaute weg, als ich sie anlächelte. Unter ihrer weiten, schlichten Kleidung steckte ein geschmeidiger Körper wie von einem jungen Läufer. Doch ihre Augen hatten nichts Kindliches; sie waren geheimnisvoll und nachdenklich und sprachen von vergangenem Leid.

»Die Germanen haben sie verschleppt«, erklärte Durano, der meinen Blick bemerkte. »Sie haben sie als Sklavin behalten, aber sie konnte fliehen. Ich habe sie im Wald gefunden.«

Ich fragte ihn, ob sie sein Eigentum sei.

»Nein, sie gehört mir nicht. Davon hat sie genug gehabt. Sie bleibt aus freien Stücken bei mir.« Er spuckte ins Gras und rieb den Speichel mit dem Fuß in den Boden. »Sie will nicht erzählen, was die Barbaren mit ihr angestellt haben. Aber nachts fährt sie noch immer erschrocken aus dem Schlaf hoch. Sie hasst die Germanen und würde eigenhändig gegen sie kämpfen, wenn sie könnte.«

Wir tranken von unserem Wein, und eine Zeit lang redeten wir über militärische Angelegenheiten: die bevorstehende Rheinüberquerung, Duranos Zenturie, den täglichen Lagerklatsch. Dann sagte er, als wäre ihm der Gedanke eben erst gekommen: »Du hast einen Freund bei der Reiterei. Er geht mit uns nach Germanien, und du bleibst hier.«

Ich blickte ihn an. »Stimmt. Du hast also gewusst, dass ich hier bin.«

Er lachte ein wenig verlegen, sodass seine Falten noch tiefer wurden. »Ja«, sagte er. »Aber die Zeit vergeht.«

Ich verstand. Er hatte schließlich seinen Stolz. Es wäre für ihn nicht infrage gekommen, mich ausfindig zu machen, nur um festzustellen, dass ich mich nicht mehr an ihn erinnerte oder erinnern wollte.

Ich spielte mit einem der Zweige im Feuer und sagte eine Zeit lang nichts.

Schließlich seufzte ich. »Ich war jung, Durano. Ich kannte mich selbst noch nicht. Aber so hätte ich dich nicht behandeln dürfen. Hättest du mir nicht so vieles beigebracht, wäre ich längst nicht mehr am Leben.«

Er deutete mit einer Geste an, dass ich zu viel Aufhebens davon machte. Doch ihm war anzusehen, dass er sich freute. Wenigstens war ich nicht mehr der gehemmte Junge, der nicht auszusprechen wagte, was er empfand. Ich streckte den Arm aus und berührte die Narbe an seiner Schläfe. Sie war nicht mehr ganz frisch, hatte aber noch eine dunkle Furche in der Mitte.

Er zog meine Hand herunter und hielt sie fest.

»Das war ein Germanenschwert«, sagte er. »Bei Straßburg. Es war dasselbe Schwert, durch das Romulus starb.«

»Das tut mir leid«, sagte ich.

Er ließ meine Hand los und zuckte die Achseln. »Es ist Krieg. Soldaten sterben.« Einen Augenblick später fragte er: »Warum kämpfst du nicht an der Seite deines Freundes?«

Ich holte tief Luft und blickte finster in den blassen Morgen. Marcellus und ich hatten oft darüber gesprochen, und es beschäftigte mich.

»Er ist bei der Reiterei, ich nicht.«

Aber Durano blickte mich weiterhin an, denn er wusste so gut wie ich, dass dies nicht die eigentliche Antwort war. Und so fügte ich hinzu: »Er ist ein besserer Reiter. Er würde ständig auf mich acht geben, anstatt auf sich selbst. Das hat er gesagt.«

Durano nickte bedächtig. »Dann tust du gut daran, hier zu bleiben. Jeder nach seinen Kräften. Die Männer erzählen Gutes über ihn. Er soll ein kühner Kämpfer sein, immer in der vordersten Reihe.«

»Das habe ich auch gehört.« Ein oder zwei Freunde, die glaubten, mir damit eine Freundlichkeit zu erweisen, hatten Marcellus’ Kühnheit in der Schlacht gelobt und mir genauestens berichtet, wie er sein Leben aufs Spiel setzte. Ich hatte mich daraufhin erkundigt, was sie von mir erwarteten, hätte es in Wirklichkeit aber lieber nicht erfahren.

Duranos nächste Frage kam wie ein Pfeil aus dem Nichts. »Liebst du ihn, Drusus?«

Ich drehte den Kopf, um zu sehen, ob er sich über mich lustig machte, aber sein schroffes Gesicht war ernst, und seine blauen Augen erwiderten meinen Blick ohne den geringsten Spott.

Deshalb antwortete ich: »Ja, ich liebe ihn. Aber ich kann ihm weder seine Kämpfe abnehmen noch ihn am Kämpfen hindern. Es gibt Dinge, da darf man nicht eingreifen, sonst zerbricht man etwas. Das weiß ich inzwischen.«

Er nickte und musterte mich schweigend. Er hatte nie viele Worte gemacht, wenn es um die wesentlichen Dinge ging. Das schätzte ich an ihm.

Nach einer Weile meinte er: »Es liegt bei den Göttern, und das ist gut so.«

Dann richtete er sich auf und streckte sich, als hätte er geschlafen, breitete die sonnengebräunten Arme mit ihren harten Muskeln und den alten Schwertwunden aus.

Ringsumher kam Bewegung in das Lager. Wir aßen unser Brot auf, wischten die Käsekrümel vom Teller und tranken die Becher leer. Kurz darauf verabschiedete ich mich und versprach, noch bis zum anderen Ufer mitzugehen, wo das restliche Heer sich mit der Vorhut vereinen sollte.

Nach einer kurzen Umarmung hielt er mich noch einmal auf und sagte, er wolle mich um einen Gefallen bitten.

»Nur zu«, ermunterte ich ihn.

Er deutete mit dem Kopf auf das Mädchen, das in der Nähe saß und nähte. »Sie hat gut für mich gesorgt, für wenig Lohn. Sie hat von Männern genug Leid erfahren. Finde einen guten Platz für sie, falls ich nicht zurückkehre.«

Ich versprach es ihm und machte ein Zeichen gegen böse Omen, was ihm ein Lachen entlockte. Dann trennten wir uns.

Bevor ich um die Ecke bog, blickte ich über die Schulter. Durano war bereits gegangen, aber das Mädchen saß noch auf dem Schemel vor dem Zelt, die Näharbeit – Duranos roter Mantel – im Schoß. Doch ihre Augen waren nicht auf die Arbeit gerichtet. Sie blickte mir nach, kühl und kühn und abschätzend.

Zwei Tage später überquerte die Vorhut den Rhein.

Ich stand neben Oribasius am Westufer und sah zu, als vor uns die Soldaten, ein Mann hinter dem anderen, über die Bootsbrücke zogen, ohne Gleichschritt, um den Steg nicht zu sehr ins Schwanken zu bringen. Am anderen Ufer, auf der Wiese am Waldrand, stellten sich die ersten Soldaten zur Verteidigungslinie auf. Vorausgeschickte Kundschafter hatten bereits gemeldet, das Gebiet hinter dem Brückenkopf sei frei. Doch eine Flussüberquerung ist eine gefährliche Zeitspanne, und die Männer waren unruhig wegen der endlosen Wälder Germaniens, in denen allerhand Schrecken lauerten.

Bis Mittag waren alle drüben. Dann trat eine Pause ein, als die Truppenteile sich nach Marschordnung zusammenfanden.

Ich hatte nach Marcellus Ausschau gehalten und entdeckte ihn jetzt. Gut aussehend und kerzengerade ritt er auf seiner braunen Stute an der Marschkolonne entlang zu seiner Schwadron. Der junge Rufus war bei ihm und redete voll froher Erwartung auf ihn ein, wobei er auf dieses und jenes aufmerksam machte. Ich schmunzelte. Dabei hätte ich eifersüchtig werden können, denn der Junge war verliebt; es war ihm nur selbst nicht bewusst. Während der letzten Tage, wann immer ich ihm begegnet war, hatte er nur noch von dem Feldzug gesprochen, und von Marcellus, der bei ihm sein würde. Eines Abends im Bett hatte ich Marcellus damit aufgezogen. Doch Rufus hatte bei seiner arglosen Unbedarftheit nichts an sich, das misstrauisch machen konnte.

Vorn gab es Bewegung. Severus, der an der Spitze des Zuges im Sattel saß, hob den Arm und gab das Zeichen; dann bliesen die Trompeter zum Abmarsch.

Ich schaute zu Julian. Er stand ein wenig abseits und spähte stirnrunzelnd zum anderen Ufer, wo das Heer nach und nach unter dem Blätterdach des Waldes verschwand. Es ging ihm gegen den Strich, dass er nicht dabei war. Er hätte die Männer selbst angeführt, hätte Severus ihn nicht davon abgebracht, indem er ihm freiheraus vorgehalten hatte, welche Errungenschaften er opferte, wenn er fiele.

Das Gebiet auf der anderen Seite wurde von Suomar beherrscht, einem alemannischen Gaukönig. Als sich der Bau der Bootsbrücke dem Abschluss näherte, hatte er eingesehen, dass wir es ernst meinten, hatte sich bei Julian eingefunden und um einen Friedensvertrag gebeten, dem Julian unter der Bedingung zustimmte, dass seinem Heer freies Geleit gewährt und die römischen Gefangenen, die als Sklaven gehalten wurden, zurückgegeben würden. Suomar erklärte sich dazu bereit, und der Vertrag wurde geschlossen. Danach hatte er uns wohlwollend zwei seiner jungen Krieger als Kundschafter angeboten, da sie den pfadlosen Wald kannten und uns führen konnten.

Ich konnte die beiden jetzt bei Severus an der Spitze des Zuges sehen – zwei blonde junge Burschen in fremdartigen Beinkleidern. Severus hatte sie nicht haben wollen. Man dürfe ihnen nicht trauen, meinte er; sie könnten die Soldaten sonst wohin führen. Aber die Zeit für Feldzüge rückte näher, und am Ende stimmte er widerwillig zu.

Nachdem das Heer abmarschiert war, saß Julian nicht müßig herum. Das ganze Jahr über hatte er geplant, die Städte und Kastelle entlang des Rheins wiederaufzubauen, und hatte Handwerker aus ganz Gallien zu sich gerufen: Landvermesser und Baumeister, Zimmerleute, Schmiede und Maurer. Doch weniger als erwartet waren seinem Ruf gefolgt, und wir waren eingeschränkt, denn derlei Fähigkeiten waren so lange nicht gebraucht worden, dass die alten Meister ihr Können nicht mehr an Lehrlinge weitergegeben hatten und ihr Wissen verschwunden war. Manchmal mussten wir lange suchen, um einen Mann zu finden, der beispielsweise einen Bogen oder eine Kolonnade bauen oder nach althergebrachter Art ein solides Dach decken konnte.

Bürgern, die bereit waren, in ihre alte Stadt zurückzukehren oder an der Grenze ein neues Leben anzufangen, versprach Julian Landbesitz in der fruchtbaren Flussebene und ließ schöne, geräumige Häuser für sie bauen. Er war voller Hoffnung. Binnen einer Generation, sagte er, werde das Grenzland florieren wie ehedem, und wenn die Kette aus Städten und Kastellen wiederaufgebaut sei, wäre Gallien wieder sicher.

Als Nächstes ging er daran, die Piraten vom Rhein zu vertreiben und den Fluss wieder zu der Handelsroute zu machen, die bis nach Britannien reichte. Dort waren den Bürgern die Schrecken germanischer Invasionen erspart geblieben, und das Land produzierte mehr, als seine Bewohner verbrauchten. Die wiederaufgebauten Städte Galliens benötigten Nahrungsmittel, und Britannien würde sie liefern.

Julians Enthusiasmus griff um sich wie Feuer in Zunder. Männer, die sich bereits an die ständigen Rückschläge gewöhnt hatten, gingen mit neuem Schwung an die Arbeit und zogen Kraft aus der Vision, die Julian ihnen vorgeführt hatte. Ich missgönnte ihm nicht, dass er sich dafür selbst ein wenig lobte. Ein Mann erkennt seine Kräfte durch das, was er erreicht, und Julian hatte bereits vieles zuwege gebracht, was andere für unmöglich gehalten hatten.

Natürlich kam von Paris keine Ermutigung; stattdessen schickte Florentius einen endlosen Strom aus Beamten, die alles bekrittelten.

Eines Abends, nachdem Julian wieder einmal einen Nachmittag mit einer solchen Abordnung vergeudet hatte, sagte er verbittert: »Weißt du, Drusus, ich würde freudig zusehen, wie Gallien überrannt wird, wenn nur diese Verordnungen und Verwaltungsverfahren dadurch ein Ende fänden.« Wir aßen in seinen Gemächern zu Abend, ein karges Mahl aus Forelle und Linsen. »Solch blinder Hochmut ist mir noch nicht untergekommen, und es gab bei Hof reichlich kleinliche, aufgeblasene Männer. Weißt du, ich habe Florentius einmal in seinem Haus in Paris besucht. Kennst du es? Man kann sich kaum bewegen vor lauter Vorhängen, Bronzestatuen und kostbaren Möbeln.«

Wir lachten. Es war allgemein bekannt, wie der Präfekt in seinem Amt reich geworden war. Seine Wohnungen in Paris waren luxuriös, aber doch nur ein kleiner Teil des von ihm zusammengerafften Besitzes. Er hatte auch eine prächtige Villa bei Vienne, wo seine Gattin, die die Kälte des Nordens verabscheute, mit zwei Kindern lebte. Es hieß auch, er besitze ein Haus in Rom, so nah beim Palatin, wie es nur irgend ging.

Julian nickte auf unser Schmunzeln hin und biss in einen Apfel.

»Ich glaube nicht«, sagte er kauend, »dass wir in den Büchern Belege dafür fänden.«

Wir gingen zu anderen Themen über und unterhielten uns eine Weile über die Bauarbeiten in den Grenzstädten.

Doch später, nachdem die Sklaven die Tische abgeräumt hatten und wir mit unseren Weinpokalen um eine einzelne flackernde Lampe saßen, sagte Julian nach längerem Schweigen: »Ich werde mir von Männern wie Florentius meine Pläne nicht durchkreuzen lassen!«

Florentius jedoch verstand es meisterlich, anderen Steine in den Weg zu legen, und war in diesem Handwerk sehr rege. Kurze Zeit später kam ein Kurier mit einem Brief von Constantius, der sich zurzeit im illyrischen Sirmium aufhielt.

Am Abend zeigte Julian mir den Brief. Der göttliche Constantius habe mit Enttäuschung vernommen, dass sein Cäsar Grund gefunden hatte, mit dem Präfekten in der Angelegenheit der Zahlungen an die Barbaren uneins zu sein. Er, Julian, möge bedenken, dass Florentius in solchen Fragen erfahren sei, und täte gut daran, sich seinem Urteil zu beugen.

Ich las die Zeilen, besah mir das große Siegel und legte den Brief beiseite.

»Also hat er sich bei Constantius beschwert«, sagte Julian. »Lange hat er nicht gebraucht.« Er zuckte die Achseln. »Aber ganz gleich, das Kind ist in den Brunnen gefallen. Ich werde Constantius antworten und ihm mitteilen, dass er sein Geld für Wichtigeres sparen kann. Die Franken haben sich unterworfen, unser Heer befriedet die östliche Rheinseite, und bald werden wieder Getreidekähne auf dem Rhein fahren …« Er stockte, weil sich laute Stimmen seiner Tür näherten. »Was ist denn nun schon wieder?«, sagte er und blickte auf. Man hörte schnelle Stiefelschritte; dann flog die Tür auf, und ein Tribun im Mantel stürmte herein.

»Ja, Dagalaif, was ist denn?«

»Mein Cäsar!«, rief er atemlos. »Maudio ist draußen, zurück aus dem germanischen Wald! Es hat einen Hinterhalt gegeben.«

Wir eilten hinaus. Maudio wartete mit ein paar Reitern im Hof. Ihre Uniformen waren schmutzig, die Gesichter verschwitzt und schlammbespritzt. Ich kannte Maudio; er war einer von Marcellus’ Freunden. Ich hielt nach Marcellus Ausschau, doch er war nicht bei ihnen.

»Was ist geschehen?«, rief Julian. »Wo sind deine Leute?«

Alle riefen durcheinander.

»Ruhe!«, befahl Julian, worauf die Männer verstummten. »Maudio, du berichtest.«

Er begann, und seine Erschöpfung war ihm anzuhören. Als er einen Schritt vortrat, sah ich an seinem rechten Arm eine blutige Schürfwunde. Sie waren durch den Wald vorgerückt, berichtete Maudio, und am Nachmittag in einen engen Hohlweg gelangt, der schließlich mit gefällten Bäumen versperrt war.

»Und die alemannischen Kundschafter?«

Maudio blickte Julian stumm an, als wäre er gerade aus dem Schlaf erwacht.

»Die Kundschafter, Maudio! Die alemannischen Kundschafter. Haben sie euch mit Absicht dorthin geführt?«

»Die Kundschafter? Die waren ebenso überrascht wie wir, Cäsar.«

»Was geschah dann?«

Severus hatte sofort befohlen, Abwehrformation zu bilden. Dann erklärte einer der Kundschafter, er wisse eine andere Route, die um den Pass herum auf die andere Seite führte. Doch weil Severus eine Falle vermutete und dem Wort des Alemannen nicht trauen wollte, entschied er, den Hohlweg zu räumen und mit einer kleinen Abteilung voranzureiten, um zu erkunden, was vor ihnen lag.

»Als er nicht zurückkam, sprachen sich einige von uns dafür aus, seiner Spur zu folgen«, berichtete Maudio. »Doch es dämmerte bereits, und die Männer wurden unruhig.«

Julian hatte stirnrunzelnd zugehört. Nun fragte er: »Wer führte Befehl, nachdem Severus fort war?«

»Jovinus für die Reiterei, Cella für die Infanterie.«

»Zwei Befehlshaber.« Julian schüttelte den Kopf. »Konnten sie sich denn nicht auf einen einigen? Wo war Marcellus?«

»Bei Severus, Cäsar, zusammen mit …« Er nannte eine Reihe von Namen, von denen ich viele kannte; es waren alles Männer aus Marcellus’ Einheit.

Ich holte tief Luft und fühlte eine plötzliche Kälte in der Brust, als ich weiter zuhörte. Jovinus hatte sich dafür ausgesprochen, mit dem Heer sofort weiter vorzurücken und Severus zu suchen. Doch Cella hatte darauf bestanden, den nächsten Morgen abzuwarten, da man bei Dunkelheit alle gefährdete. Sie hatten das Für und Wider erörtert, doch es war kein guter Zeitpunkt für Uneinigkeiten zwischen den Befehlshabern, und so waren sie am Ende übereingekommen, dass Jovinus noch in der Dämmerung, solange man etwas sehen konnte, mit einem kleinen Trupp auf Erkundung ging.

»Ich war auch dabei«, sagte Maudio.

Sie hatten nicht weit zu gehen brauchen. Nach einer Meile stießen sie an einer dunklen Stelle im Wald auf einen Graben. Er war mit einem Gitter aus Zweigen und Farnwedeln getarnt. Am Grund waren zugespitzte Pfähle in den Boden gerammt.

Maudio schniefte und wischte sich mit dem Unterarm über die Augen, sodass er sich Blut ins Gesicht schmierte. »Wären wir ein wenig schneller geritten, wären auch wir in den Graben gestürzt. Aber wir waren auf der Hut und haben die Pferde langsam gehen lassen …« Ihm versagte die Stimme.

Der Mann neben ihm, Decimus, berichtete weiter. »Severus lag am Grund, noch im Sattel. Er war tot. Er muss direkt hineingeritten sein.«

»Und die anderen?«, fragte Julian leise.

»Ein zweites Pferd lag in dem Graben, das von Rufus, glaube ich, oder vielleicht von Marcellus …« Er warf mir einen zaghaften Blick zu und fügte rasch hinzu: »Aber es gab sonst keine Toten, denn Severus ritt immer voran. Jovinus vermutet, dass die anderen verschleppt wurden.«

Jemand packte meinen Arm. Es war Oribasius. Als ich ihn anschaute, war sein Blick voller Sorge. Es war typisch für ihn, selbst in einem solchen Augenblick daran zu denken, wie anderen zumute war.

Julian stellte Maudio allerhand Fragen. Ich zwang mich, zuzuhören. War das Heer unterwegs angegriffen worden? Wo befand es sich jetzt? Wie lange würde es dauern, dazuzustoßen?

Maudio antwortete mit nassen Augen und brechender Stimme, dass es keinen Angriff gegeben habe. Sie hätten sich auf sicheres Gelände zurückgezogen und ein Lager aufgeschlagen. »Dann hat Jovinus uns hierhergeschickt. Mehr weiß ich auch nicht.«

Julian wandte sich Dagalaif zu. »Gib Bescheid, dass wir im Morgengrauen aufbrechen. Maudio, Decimus – ihr müsst mich begleiten. Ich brauche Männer, die die Stelle kennen.«

»Ja, Cäsar«, antworteten sie.

»Gut. Jetzt lass dir vom Arzt den Arm versorgen und geh schlafen.«

Er wandte sich zum Gehen.

»Ich komme mit«, sagte ich.

»Nein, ich brauche dich hier«, erwiderte er, blieb dann aber stehen und schaute mich an.

»Ja, du kommst mit, Drusus. Natürlich. Wie könntest du anders?«

Am Tag darauf überquerten wir im ersten Morgengrauen die Bootsbrücke.

Ich war schon in Britannien durch Wald geritten. Doch dort war er durch jahrhundertelange Nutzung ausgedünnt und von Straßen und Wegen durchzogen, sodass die Waldstücke wie Inseln von Ackerland und Weiden umgeben waren.

Hier jedoch schien der Wald kein Ende zu nehmen. Er war so finster und dicht, dass man nicht weit sehen konnte; es sah aus, als hätte noch kein Mensch diesen Wald durchstreift. Die hohen Kronen der Eichen und Buchen ließen kaum Licht hindurch, sodass es auch mitten am Tag dämmrig war. Schon bei harmlosen Geräuschen – dem Rascheln trockener Blätter bei unseren Schritten oder dem Knacken von Ästen – richteten sich meine Nackenhaare auf. Es war, als ob die Bäume uns unsere Anwesenheit verübelten.

Doch ich hatte keine Zeit, Angst aufkommen zu lassen, und verbannte die finsteren Baumgötter aus meinen Gedanken. Ich musste Marcellus retten. Die verstohlenen, mitleidvollen Blicke der anderen waren mir nicht entgangen, aber nur Oribasius hatte ein Wort darüber verloren, als er am Abend in mein Quartier gekommen war. »Es wurde keine Leiche gefunden, Drusus, bedenke das«, sagte er. »Noch gibt es Hoffnung.«

»Ja, Oribasius. Er ist nicht tot. Das weiß ich genau. Ich werde ihn finden, was immer es kostet.«

Ich dankte ihm für sein Kommen und seine Freundlichkeit. Das Übrige behielt ich für mich. Ein Leben ohne Marcellus konnte ich mir nicht vorstellen. Mir war, als hätte sich ein Abgrund vor mir aufgetan.

Am Nachmittag des zweiten Tages stießen wir zum Heer, das auf einem Hügel lag, umgeben von hastig errichteten Palisaden. Es herrschte eine gedämpfte, unruhige Stimmung. Julian rief sofort nach Jovinus und Cella und ließ die alemannischen Kundschafter zu sich bringen.

Man hatte sie gefesselt. Mit Angst in den Augen stolperten sie herein, denn sie erwarteten ihre Hinrichtung. Julian befragte sie mithilfe eines Dolmetschers. Wessen Territorium dies sei, wollte er wissen, und welches Volk hier lebe, Alemannen oder Burgunder oder andere Stämme, und wie viele es seien und wo ihre Siedlungen lägen.

Ich beobachtete die Gesichter der Alemannen, als sie antworteten. Julian war zornig. Er hätte sie enthaupten lassen, sobald er eine Lüge gespürt hätte. Doch er schonte sie. Germanen sind nicht darin geübt, ihre wahren Gedanken zu verbergen, und die Gesichter unter den jugendlichen, blonden Bärten ließen erkennen, dass sie die Wahrheit sagten. Sie waren genauso überrascht gewesen wie alle anderen.

Danach ging ich durch das Lager, tief in Gedanken versunken, als mich plötzlich jemand am Arm fasste. Überrascht drehte ich mich um. Es war Durano.

»Hör zu, Drusus«, begann er und zog mich auf die Seite. »Du musst mit Julian sprechen. Dieser törichte Cella will mit dem gesamten Heer blindlings durch den Wald trampeln.«

»Na und? Dann finden wir sie wenigstens.«

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Denn sobald wir uns nähern, werden die Germanen in den Wald verschwinden und die Gefangenen mitnehmen oder sie vorher umbringen. Sie werden Cella nicht den Gefallen tun und ihm die Schlacht liefern, die er sich wünscht. Das ist nicht ihre Kampfesweise.«

»Was dann, Durano?«, fragte ich ein wenig verärgert. »Wie sollen wir sie anders finden?«

»Überzeuge Julian, mich heute Nacht nach ihnen suchen zu lassen. Mich und noch drei Mann. Mehr brauche ich nicht.«

Nach kurzem Nachdenken sah ich ein, dass sein Vorschlag vernünftig war. Ich blickte ihm fest in die Augen und sagte: »Und ich komme mit.«

Er musterte mich prüfend. »Du wirst vielleicht den Tod finden«, gab er zu bedenken.

»Glaubst du, das kümmert mich? Sie haben Marcellus, oder er ist vielleicht schon tot.«

Er nickte bedächtig. »Dann sprich mit Julian. Er vertraut dir. Mich kennt er gar nicht. Überzeuge ihn. Aber beeil dich. Es dämmert bereits.«

Und so kam es, dass wir uns bei Einbruch der Dunkelheit auf den Weg machten – Durano mit seinen drei Männern, einer der alemannischen Kundschafter und ich.

Auf Duranos Beharren hatten wir die schwere Rüstung und das Schwert im Lager gelassen und trugen nur unsere lederne Tunika und den Dolch. Schwere Ausrüstung hätte uns nur gebremst, und worauf es jetzt ankam, waren Schnelligkeit und das Überraschungsmoment.

Die grauen Wolken, die seit unserer Rheinüberquerung über dem Wald gehangen hatten, waren aufgerissen und wurden von einem frischen Ostwind davongetrieben. Der Kundschafter, der ein schlichtes, fehlerhaftes Latein sprach, sagte, er habe unweit der Stelle, wo Severus gefallen war, ein Rinnsal gesehen. Wenn wir dem folgten, würden wir zu einem Bach gelangen und an seinem weiteren Verlauf vermutlich eine Siedlung finden.

Wir zogen weiter, bewegten uns vorsichtig und schauten wachsam nach allen Seiten. Irgendwann blieb der Kundschafter stehen und gab uns ein Zeichen, still zu sein. Schweigend spähte er über den dunklen Boden, wie ein Hund an einer Fährte Witterung aufnimmt. Dann nickte er und führte uns von der eingeschlagenen Richtung weg eine Böschung hinauf. Bald kamen wir zu einer farnbewachsenen Felsnase. Der Kundschafter blieb stehen; dann kletterte er zur Spitze hinauf, schob die Farne auseinander und deutete auf die sprudelnde Quelle darunter.

Eine halbe Meile weit liefen wir an dem Wasserlauf entlang bis zu einer Stelle, wo er in einen flachen, steinigen Bach mündete. Diesem folgten wir am Grund einer Schlucht nach Osten.

Ich kannte Duranos Männer nicht, und bei unserem eiligen Aufbruch hatten wir uns nur flüchtig bekannt machen können. Sie waren eng miteinander verbunden, Gereon, Pallas und Phormio, und hatten schon viele gemeinsame Kämpfe hinter sich. Ich war der Fremde; sie betrachteten mich misstrauisch und akzeptierten mich nur, weil Durano mir vertraute. Ich konnte das gut verstehen. In solch einer Lage, wo das Leben vom Verhalten des nächsten Kameraden abhängt, hält ein Soldat sich an die, die er kennt. Unter anderen Umständen hätte ich mich von ihnen zurückgezogen und sie ihren Auftrag ausführen lassen. Doch mich hatte eine Wut gepackt und trieb mich voran, oder es war ein Gott. Wie auch immer, ich war nicht in der Stimmung, darüber nachzudenken. Ich wusste nur, dass ich mich nicht verscheuchen lassen wollte.

Die Nachtstunden vergingen. Der Mond zog über den Himmel und sandte kalte blaue Lichtstrahlen durch die Lücken im Blätterdach.

Der Wasserlauf, dem wir folgten, wurde von Rinnsalen gespeist und verbreiterte sich allmählich. Nach einiger Zeit veränderte sich das Terrain, und wir sahen die ersten Anzeichen menschlichen Tuns – Sägespuren an einem Baumstumpf, einen Pfad mit Maultierspuren und dann voraus auf einem Hügel zwischen Bäumen ein Getreidefeld.

Wir gingen bis an den Rand der Bäume und duckten uns in den Schatten der Stämme. Der Kundschafter flüsterte Gereon in seiner Muttersprache etwas zu.

»Was ist?«, fragte Durano von hinten.

»Holzrauch«, antwortete Gereon. »Man riecht Holzrauch.«

Ich schnupperte. Zuerst roch ich nichts außer Leder und Schweiß. Aber dann regte sich der Wind, und ich nahm den beißenden Geruch wahr. Eine Eule schrie. Irgendwo schlug ein Hund an und heulte in die Nacht hinaus. Wir horchten erschrocken. Durano flüsterte: »Das gilt nicht uns. Wir nähern uns gegen den Wind. Vermutlich hat er einen Fuchs gewittert. Bewegt euch jetzt vorsichtig. Die Siedlung muss sehr nah sein.«

Langsam rückten wir vor. Hinter dem Kamm ging es steil hinunter in eine Senke voller Haselbüsche. An ihrem Grund befand sich ein Darrofen, der gemächlich vor sich hin rauchte; daneben stand eine Wachhütte.

»Bleibt geduckt!«, flüsterte Durano. Er winkte Pallas und Phormio weiterzugehen und den Platz auszukundschaften, und so stiegen sie außerhalb des Blickwinkels der Hüttentür den Hang hinunter. Unten angekommen verharrten sie kurz, zogen ihre Dolche und schlichen sich von hinten an. Jeder bog an einer anderen Seite um die Hütte, bis sie hineinschauen konnten. Dann drehte Phormio sich um und hob den Arm, um uns heranzuwinken. Die Hütte war leer.

Als ich den Hang hinunterstieg, trat ich auf irgendetwas und bückte mich danach. Es war ein Apfelgehäuse, das braun geworden war, aber noch nicht faulte. »Komm weiter«, sagte Durano nach einem Blick darauf; dann schaute er unruhig zum Sternenhimmel.

Wir gingen an der gegenüberliegenden Seite der Senke den Pfad hinauf und folgten ihm an einem bewaldeten Kamm entlang. Irgendwo unten zwischen den Bäumen hörte ich einen Bach fließen. Der Pfad beschrieb eine Kehre und verlief bergab, und wir gelangten wieder an den Bach. An dieser Stelle war er breiter; doch es gab eine Reihe Trittsteine, die ans andere Ufer führten.

Gereon berührte Durano an der Schulter und wies mit ausgestrecktem Arm. »Schau!«

Ein Stück voraus zeichnete sich ein Weiler aus strohgedeckten Lehmhäusern dunkel gegen den Himmel ab. Dazwischen standen grob gezimmerte Tierpferche. Am Ende, ein Stück abseits der anderen, stand ein größeres Haus, das die römische Bauweise auf plumpe Weise nachahmte.

»Das Haus des Häuptlings«, sagte Durano, nachdem er eine Zeit lang hinübergespäht hatte. »Haltet euch davon fern. Dort werden die Krieger sein.«

Der Mond war untergegangen. Die Venus leuchtete am Osthimmel, und die ersten Vögel regten sich bereits. »Hier entlang«, sagte Durano. »Es ist Zeit, vom Pfad zu verschwinden.«

Wir schwenkten in Gebüsch und hohes Gras ab, das auf dem nassen Boden zwischen dem Wald und der Siedlung wuchs. Pallas, ein schlanker, zierlicher Grieche aus Südgallien, ging ein Stück voraus, um den Weg zu erkunden. »Und?«, flüsterte Durano, als er zurückkam.

»Siehst du die einzelne Tanne dort drüben? Da ist ein Mann an den Stamm gefesselt.«

»Was ist mit Wächtern?«

»Habe keine gesehen.«

Wir rückten durch das hohe Gras vor und hielten uns rechts neben den Häusern, stiegen dann eine niedrige Böschung hinauf und gelangten auf einen festgetretenen freien Platz zwischen Tierpferchen, möglicherweise der Dorfplatz. Dort war jemand an den Stamm der Tanne gebunden, wie Pallas gesagt hatte. Er saß vornübergesunken und reglos am Boden. Ich konnte nicht erkennen, ob er schlief oder tot war.

Wir huschten geduckt zwischen den Pferchen hindurch über den Platz, geradewegs auf den Gefesselten zu. Unterwegs hielt ich inne und ging in die Hocke.

Neben mir hinter einem Weidengatter schnarchte eine große Sau; ihre nackten rosa Ferkel lagen in einer Reihe an ihren Zitzen. Durano trat neben mich, gefolgt von Gereon und den anderen. Gerade als wir weiterschlichen, riss der Gefesselte erschrocken die Augen auf. Ich hörte, wie er Luft holte, um loszuschreien, doch ehe er einen Laut von sich geben konnte, sprang ich auf ihn zu, schlug ihm die Hand über den Mund und bedeutete ihm, still zu sein. Er starrte mir ins Gesicht. Es war nicht Marcellus, so viel hatte ich vorher schon gewusst. Aber ich kannte ihn. Es war der junge Rufus.

»Bist du der Einzige?«, fragte ich.

Rufus schaute mich benommen und verständnislos an. Er war übel geschlagen worden.

»Wir waren zu fünft«, murmelte er dann mit aufgeplatzten Lippen. »Die anderen haben sie in den Wald geschleift und umgebracht, einen nach dem anderen. Ich hörte sie schreien.«

Ich hielt ihm meine Flasche an die Lippen. Er trank in großen Schlucken; einiges floss auf seine blutige Tunika. Ich wischte ihm das Kinn ab und wollte ihn fragen, wieso er als Einziger verschont geblieben war, doch in diesem Moment fiel mein Blick auf den zerrissenen Saum seiner Tunika und die blutigen Kratzer an seinen Oberschenkeln. Und da begriff ich, wozu sie ihn aufgespart und was sie mit ihm gemacht hatten.

Er sah mich mit flehendem Blick an, voller Scham und Schmerz. Stumm nickte ich und versuchte zu lächeln, während mir Tränen der Wut in die Augen stiegen.

Ich ließ ihn trinken und zog sanft seine Tunika zurecht, um seine Blöße zu bedecken. Rufus hatte eine verletzliche, kindliche Unschuld ausgestrahlt – genau das, was barbarische Lust gern schändet, wenn sie von Anstand und Zurückhaltung nicht mehr gehindert wird.

Die anderen hatten nichts von alldem bemerkt. Sie verständigten sich flüsternd, aber ich hörte nur halb hin. Ich hatte ein Klingeln im Ohr, als hätte ich einen Schlag auf den Kopf bekommen. Rufus räusperte sich. »Warte, Drusus«, bat er und sah mich an. »Marcellus … Marcellus war nicht bei den anderen. Sie haben ihn abgesondert. Er ist im Häuptlingshaus.«

Die Wut, die ich bisher mühsam im Zaum gehalten hatte, packte mich mit eisernem Griff. Ich sprang auf wie ein versengtes Tier und wollte losrennen, doch jemand fasste mich hart am Arm und riss mich zurück. Es war Durano.

»Warte! Sei ruhig. Die Krieger schlafen dort. Das ist üblich.«

Ich versuchte, mich loszureißen, doch er hielt mich unerbittlich fest und blickte mir in die Augen. »Denk nach, Drusus! Bedenke, was ich dir beigebracht habe … vor allem jetzt, wo du ihn retten willst.«

»Ob ich lebe oder sterbe, ich werde ihn nicht im Stich lassen.« Ich redete, aber meine Stimme schien mir weit weg zu sein, als wäre sie nicht meine eigene. Dann aber kam ich zur Vernunft, holte tief Luft und sagte: »Ja, ich werde es bedenken.«

Inzwischen hatten die anderen Rufus losgeschnitten. Er stand auf unsicheren Beinen und sah elend aus. »Dort haben sie ihn reingebracht?«, fragte Durano ihn. »Ganz gewiss?«

Rufus überlegte und schüttelte den Kopf. »Vielleicht nicht hinein, aber zu dem Haus. Ich konnte es nicht genau sehen.«

Durano wandte sich mir zu und sah meinen Blick. »Ja, geh und sieh nach, ob du ihn finden kannst. Beeil dich, Drusus, es wird bald hell.«

Ich eilte zwischen den Pferchen davon. Als ich an einem Hühnerstall vorbeikam, krähte ein Hahn laut und empört, und ich hörte die Hennen ängstlich gackernd durcheinanderlaufen. Ich fluchte im Stillen. Hinter dem Stall war ein Haus. Jeder im Inneren musste den Lärm gehört haben.

Die Hühner beruhigten sich, und ich schlich vorsichtig weiter. Hinter mir hörte ich Schritte und schwang herum, aber es war nur Gereon, der zu mir aufschloss. Er nickte mir zu, und gemeinsam rückten wir weiter vor.

Das Häuptlingshaus stand allein auf einem Grasplatz zwischen der Siedlung und dem umliegenden Wald. An der gesamten Vorderseite entlang verlief ein von groben Holzpfosten gestütztes Vordach, ähnlich einer Kolonnade.

Wir schlichen bis an die Ecke, verharrten lauschend. Drinnen war alles still. Ich streckte den Kopf vor.

»Kannst du etwas sehen?«, flüsterte Gereon.

Ich schüttelte den Kopf. Große Weidenkörbe türmten sich neben der Tür und versperrten mir die Sicht. »Warte hier und halte Wache. Ich muss näher heran.«

»Das ist zu gefährlich, Drusus. Ich glaube nicht, dass er dort ist. Wahrscheinlich ist er längst tot. Du hast gehört, was Rufus erzählt hat.«

Ich sah ihm in die Augen.

Er wich meinem Blick nicht aus und zuckte die Achseln. »Also gut. Er könnte drinnen sein. Aber was dann?«

»Ich weiß es nicht. Aber ich muss es tun. So ist es nun mal zwischen ihm und mir. Geh zurück zu den anderen, wenn du willst.«

»Nein«, sagte er entschlossen, »ich bleibe hier. Sei vorsichtig.«

Ich bog um die Hausecke und rannte geduckt über die offene Grasfläche, dann an dem Vordach entlang, bis ich freien Blick hatte.

Hinter den aufgestapelten Körben befand sich die breite Tür des Häuptlingshauses, die aus altem schwarzem Eichenholz bestand. Ich schaute mich um. Zuerst konnte ich nur Körbe, Töpfe und anderes Gerümpel ausmachen. Dann bemerkte ich weiter hinten unter dem Vordach an einer dunklen Stelle nahe der Tür eine Gestalt, die zusammengekrümmt an einem der Pfosten lag. Ich schaute angestrengt und dachte an den Hund, den wir hatten bellen hören. Aber da lag kein Hund, sondern ein Mann.

Ich bezwang mein Verlangen, hinzulaufen, und horchte mit angehaltenem Atem. Die Vögel zwitscherten laut, aber sonst war nichts zu hören. Auf Händen und Knien kroch ich an der Tür vorbei und erwartete jeden Moment, dass eine Schar schwertschwingender Krieger über mich herfiel.

Als ich näher kam, erkannte ich die vertraute breite Hand und den braunen Lederriemen am Handgelenk, den Marcellus schon seit seiner Kindheit trug.

Er war mit einem Seil an den Pfosten gefesselt. Wie Rufus war er ins Gesicht geschlagen worden, wenn auch nicht so schlimm. Sie hatten ihm den Gürtel und die Ledertunika abgenommen und ihm nur das dünne rote Leinenhemd gelassen. Darunter sah ich die sachten Bewegungen des Brustkorbs beim Atmen. Mir fiel ein Stein vom Herzen.

Sanft berührte ich ihn an der Schulter. Er riss die Augen auf, und ich bedeutete ihm hastig, kein Geräusch zu machen. Dann nahm ich meinen Dolch und machte mich daran, das Seil durchzuschneiden.

Es bestand aus geflochtenem Leder, und die Klinge rutschte nutzlos daran entlang. Ich zog das Seil stramm und drückte die Schneide mit aller Kraft nach unten. Marcellus zog ebenfalls. Mit lautem Schnappen riss das Leder, und ich fiel unbeholfen auf den Hintern.

Erschrocken blickte ich zur Tür.

Unter dem Vordach hatte der dumpfe Aufprall sich laut wie ein Trommelschlag angehört. Doch nichts rührte sich. Marcellus begann zu flüstern und erzählte, wie die Germanen sich die halbe Nacht lang betrunken hatten und dass ein Tritt an den Kopf nötig wäre, um sie zu wecken. Beinahe hätte ich laut gelacht. Doch dann, als ich uns schon sicher glaubte, ging es los: Krallen scharrten wütend an der Holztür, und wildes Gebell brach los.

Wir sprangen auf und rannten zu Gereon, der angespannt und mit schreckgeweiteten Augen auf uns wartete. Schon hörten wir drängende Stimmen aus dem Haus des Häuptlings, dann die schweren Türriegel.

Wir stürmten den Pfad hinunter. Die anderen waren an der Koppel und scheuchten die Pferde hinaus. Als ich zum Schweinekoben gelangte, riss ich das Gatter auf und wedelte schreiend mit den Armen, sodass die Sau erwachte, die Ferkel quiekend auseinanderstoben und ins Freie flitzten. Am Häuptlingshaus wurden die Hunde losgelassen. Ich sah sie hinter uns herhetzen, und sie holten schnell auf.

»Da entlang!«, rief ich und zog Marcellus mit.

Wir schwenkten vom Pfad ab ins hohe Gras und rannten weiter, stolperten über verborgene Wasserläufe und sumpfige Tümpel. Das bremste uns zwar, brachte aber wie erhofft die Hunde von unserer Fährte ab. Wir waren fast schon am Ziel, wo das Gras auf den Bach am Waldrand stieß und die anderen warteten. Doch Gereon, der zehn Schritte hinter uns rannte, schrie plötzlich auf und stürzte. Ich hielt an und drehte mich um. Ein Hund hatte sich auf ihn gestürzt und biss knurrend zu. Ich rief Marcellus zu, er solle weiterlaufen, und zog meinen Dolch.

Gereon wehrte das Tier ab, das nach seinen Unterarmen schnappte und versuchte, ihm an die Kehle zu gehen. Der Hund drehte den Kopf, als ich mich näherte. Er musste mich gewittert haben. Knurrend ließ er von Gereon ab, starrte mich sprungbereit an und bleckte seine blutigen Zähne. Langsam rückte ich vor, mit seitlichen Schritten, und vollführte eine Ringerfinte, die ich kannte. Wie erhofft sprang das Tier von Gereon herunter und griff mich an.

Es war stark und schnell und hatte ein großes, kräftiges Maul. Doch ich war flinker. Ich drehte und duckte mich gleichzeitig und stieß ihm mein Messer in die Seite. Das Tier heulte auf, aber der Stich war nicht tödlich, und so schnellte es zu mir herum und schnappte nach meinem Gesicht. Gereon, der jetzt die Hände frei hatte, zog seinen Dolch, taumelte heran und stieß ihn dem Hund in die Kehle. Ein blubberndes Zischen war zu hören; das Tier schüttelte sich röchelnd, dann fiel es tot zu Boden.

Uns blieb keine Zeit, ein Wort zu wechseln. Keuchend rannten wir weiter. Gereon blutete am linken Arm. Als wir die anderen erreichten, kauerte er sich an den Bach, und ich half ihm, die Wunde zu säubern. Inzwischen herrschte im ganzen Dorf lautes Geschrei. »Wir müssen hier weg«, mahnte Durano.

Wir rannten platschend durch den kalten Bach, um unsere Fährte zu verwischen, und drangen am anderen Ufer in das tiefe Dunkel des Waldes vor. Dort folgten wir einer engen Schlucht, wo der Bach klar in einem Kieselbett unter überhängenden Zweigen dahinfloss. Ich bildete ein paar Schritte hinter den anderen den Schluss. An einem großen glatten Felsbrocken änderte der Bach seinen Lauf. Als die anderen dahinter abschwenkten, verlor ich sie aus den Augen.

Ich sah die zottige Gestalt erst, als sie zuschlug. Einen Moment glaubte ich, es sei ein Bär oder irgendein anderes wildes Tier aus dem Wald. Doch im Fallen sah ich den eisenbeschlagenen Gürtel über dem Fell und erkannte, dass es ein Mann war. Er musste auf einem kürzeren Weg über den Kamm gekommen sein oder hatte hinter dem Felsen auf der Lauer gelegen, zwischen den Weidensträuchern und Farnbüschen. Ich konnte nicht einmal mehr nach meinem Dolch greifen. Der Mann hielt mich mit seiner massigen Gestalt unter Wasser gedrückt, sodass ich keine Luft bekam. Ich fühlte, wie er sich bewegte, und sah durch das Wasser, wie er zum tödlichen Schlag ausholte.

Mit letzter Kraft trat ich zu und drehte mich. Mein Gegner schien zu zögern. Ich brach mit dem Kopf durch die Wasseroberfläche und saugte Luft in die Lungen. Dabei sah ich, warum der Mann gezögert hatte. Marcellus saß auf seinem Rücken und hielt ihn umklammert wie ein Kind ein buckelndes Pferd, während der Barbar brüllend mit dem Dolch nach ihm hieb. Ich griff an meinen Gürtel, doch mein Messer war verschwunden. Ich musste es beim Sturz verloren haben. Hastig tastete ich neben mir in dem Bachbett über die Steine, bekam aber nur Kiesel und Sand zwischen die Finger. Doch als ich den Kopf drehte, sah ich zwei Schritte entfernt die Klinge bläulich silbern im aufgewühlten Wasser blinken, knapp außerhalb meiner Reichweite.

Mit einem Ruck reckte ich den Oberkörper zur Seite. Für einen Moment fühlte ich nur weichen Sand und konnte nicht näher heranreichen. Aber endlich berührten meine Fingerspitzen den kordelumwundenen Griff. Ich bekam ihn zu fassen. Brüllend fuhr ich mit dem Oberkörper hoch und versenkte die Klinge in dem nassen Fell über mir. Marcellus fiel ins Wasser; dann waren Gereon und Durano bei uns. Ich stach erneut zu. Mein Angreifer fuhr schreiend herum. Einen Moment lang begegneten sich unsere Blicke; dann taumelte er, kippte vornüber in das blutverschleierte Wasser und bewegte sich nicht mehr.

Ich kam auf die Beine und rang nach Luft, die Hände auf die Knie gestützt. Mein Bein blutete, aber der Schnitt war nicht tief. Neben mir versetzte Durano dem Toten fluchend einen Tritt. Ich sah, dass Marcellus sich die Seite hielt.

»Ist nur ein Kratzer …«, sagte er, als er meinen Blick auffing. Doch sein Gesicht verriet ihn. Und dann quoll auch schon das Blut zwischen seinen Fingern hindurch, strömte über seine Tunika und tropfte wie große rote Tränen ins Wasser.

Ich rannte zu ihm. »Sei nicht dumm, lass mich sehen.« Ich zerrte seine Hand weg, zog sein Hemd hoch und sah eine klaffende Wunde in der Seite, ungefähr auf Höhe der Rippen. Bei jedem Atemzug quoll neues Blut hervor.

Ich setzte ihn hin. »Du zitterst.«

»Weil ich durchnässt bin. Das Wasser war kalt.« Er versuchte zu lächeln. Stattdessen keuchte und hustete er. Als er aufblickte, sah ich Blut zwischen seinen Lippen.

Durano war derweil die Böschung hinaufgeklettert, um sich zu vergewissern, dass der Krieger allein gewesen war. Er kam zurück, während ich einen Streifen Tuch von meinem Unterhemd abriss, um Marcellus zu verbinden. Durano ging in die Hocke und besah sich die Wunde; dann half er mir, einen festen Verband anzulegen. »Wir müssen weiter«, sagte er besorgt. »Die Horde wird nicht mehr weit hinter uns sein.«

Dem Verlauf des Baches folgend, eilten wir durch den Wald. Marcellus konnte zwar laufen, war aber aschfahl im Gesicht, und alle paar Schritte hörte ich ihn die Luft anhalten, obwohl er es zu überspielen versuchte. Allmählich wurde es hell, und Sonnenstrahlen stachen schräg durch das Blätterdach.

Bald sah ich Gereon anhalten. Er war vorn bei dem germanischen Kundschafter, ungefähr einen Speerwurf weit entfernt. Der Kundschafter tippte ihm auf die Schulter und deutete in die Ferne. Ich folgte ihren Blicken. Zuerst konnte ich nichts entdecken; dann aber fiel mir jenseits eines Gebüschs im scheckigen Licht des Morgens eine Bewegung ins Auge. Dort stand auf einer hellen Lichtung ein Grauschimmel mit römischem Zaumzeug und graste.

Marcellus sagte: »Das ist Plancus’ Pferd. Es ist davongaloppiert, als man uns gefangen nahm.«

Er stieg die Uferböschung hinauf und näherte sich dem Tier. Da es ihn kannte, schüttelte es den Kopf und schmiegte die Schnauze in seine Hand.

»Was ist mit Plancus passiert?«, fragte Gereon.

»Sie haben ihn wie die anderen mit in den Wald genommen. Er hat nicht um sein Leben gefleht, aber ich habe gehört, wie sie ihn umbrachten. Er rief den Namen seines Vaters.«

Gereon starrte finster zu Boden. Durano murmelte einen Fluch; dann sagte er: »Du bist verwundet, Marcellus. Kannst du dich im Sattel halten?«

»Ich kann im Schlaf reiten«, sagte Marcellus leichthin.

Gemeinsam hoben wir ihn aufs Pferd. Mittlerweile gelang es ihm nicht mehr, seine Schmerzen zu überspielen. Er atmete nur noch flach, und als er im Sattel saß, sah ich, dass sein Hemd von frischem Blut durchtränkt war.

Durano redete in munterem Tonfall mit ihm. »So! Jetzt hast du es bequemer. Wie es scheint, wacht ein Pferdegott über dich.« Er lachte und tätschelte dem Pferd die Flanke, doch als er sich abwandte, sah ich sein Lächeln schnell verlöschen.

»Was ist, Durano?«, flüsterte ich, als ich ihm folgte. »Wird er sterben?«

Er drehte sich um und schaute mich an. Seine Kinnpartie war dunkel von Bartstoppeln, und unter den Augen hatte er blaue Ränder.

Er legte mir eine Hand auf die Schulter und seufzte. »Er kann sich jetzt auf dem Pferd ausruhen. Es geht ihm schlechter, als er sich anmerken lässt. Bleib bei ihm, Drusus, und gib acht, dass er nicht herunterfällt.«

Das Heer rückte durch eine breite Waldschneise vor wie Männer auf der Jagd, die auf die Büsche schlagen, um die Beute aufzuscheuchen. Sie steckten die germanische Siedlung in Brand. Doch wie Durano vermutet hatte, waren die Bewohner schon geflohen. Die wenigen, die sie fangen konnten, wurden getötet. Die Männer waren nicht in der Stimmung, Gnade zu zeigen, nachdem sie die Leichen ihrer Kameraden in einem Gehölz in der Nähe des Dorfes entdeckt hatten.

Doch das erfuhr ich erst später. Zu dem Zeitpunkt dachte ich nur an Marcellus.

Er hatte schon vor einiger Zeit das Bewusstsein verloren. Der Arzt, ein alter Gallier aus Metz mit scharfen Gesichtszügen, murmelte und schnalzte kopfschüttelnd vor sich hin, während sein blässlicher Gehilfe aus einer dampfenden Tonschale eine übel riechende Salbe auf die Wunde auftrug. Er tat es mit groben Bewegungen, als würde er eine Mauer weißeln.

Ich stand dabei und sah aufgebracht zu. Während des ganzen Rückmarsches durch den Wald war es nur darum gegangen, am Leben zu bleiben und Marcellus im Sattel zu halten. Und jetzt, wo die unmittelbare Bedrohung vorbei war und ich Zeit hatte, nachzudenken, musste ich zusehen, wie das Leben langsam aus ihm wich, und war machtlos. Der Arzt verhielt sich mir gegenüber, als spiele es keine Rolle, ob Marcellus lebte oder starb, und er redete mit mir wie mit einem Bauern, dem eine Kuh krank geworden ist.

Schließlich verlor ich die Beherrschung und fuhr ihn scharf an, ob er nicht mehr für ihn tun könne. Der Arzt wandte mir sein ernstes Gesicht zu und zögerte einige Augenblicke lang mit der Antwort – er war ein Mann, der eine schlechte Nachricht mit Wonne hinauszögert. Er hätte etwas tun können, antwortete er dann mit geschürzten Lippen, wenn man ihn früher gerufen hätte. Als ich dagegen aufbegehrte, erwiderte er: »Ja, ich weiß, dass du nicht hier warst, und darum ist es leider …« Seine Stimme verebbte, und er blickte zu Marcellus, der reglos und grau wie ein Toter auf dem Bett lag. Voller Entsetzen starrte ich ihn an, kaum fähig, Luft zu holen. »Auf jeden Fall«, fuhr der Arzt fort, »sollte jemand bei ihm bleiben, auch wenn ich nicht glaube, dass es viel helfen wird.«

»Ich werde bei ihm bleiben. Was braucht er sonst noch? Sag es mir, und ich werde es beschaffen.«

Der Arzt zuckte die Achseln, als könne man ohnehin nichts mehr für den Patienten tun. Ich war nahe daran, den Mann zu schlagen.

»Du kannst beten«, sagte er schließlich ein wenig belustigt, »falls du an solche Dinge glaubst. Und schicke nach mir, wenn eine Veränderung eintritt. Andernfalls werde ich morgen wieder nach ihm sehen.«

Er wandte sich zum Gehen, blieb in der Tür noch einmal stehen und räusperte sich. Ich hob den Blick und begriff erst einen Moment später, worauf er wartete. Ich zog eine Münze aus meinem Beutel und drückte sie in die ausgestreckte Hand.

»Gut«, sagte er. »Ich danke dir.« Und damit ging er.

In dieser Nacht lag ich bei brennender Lampe im Bett, starrte zu Marcellus hinüber und drängte ihn stumm, weiterzuleben. Am Ende muss ich doch eingenickt sein, denn im Morgengrauen fuhr ich erschreckt hoch, weil es an der Tür klopfte. Ich sprang auf, weil ich dachte, der Arzt sei gekommen. Aber als ich die Tür aufriss, stand Duranos dunkelhaariges Mädchen auf der Schwelle.

In meiner Verblüffung starrte ich sie offenen Mundes an. Sie sagte etwas in ihrer Heimatsprache, und da ich nicht zur Seite trat, drängte sie sich an mir vorbei ins Zimmer, zog sich einen Schemel heran und setzte sich neben Marcellus’ Bett.

Einen Moment lang betrachtete sie ihn; dann strich sie ihm die Haare aus der Stirn.

»Was tust du da?«, rief ich verwirrt. Dann erst bemerkte ich, dass ich nackt war, und griff nach meiner Bettdecke.

Das Mädchen blieb, pflegte Marcellus, saß den ganzen Tag bei ihm und stimmte hin und wieder einen leisen Singsang fremder, beschwörender Worte an. In der folgenden Nacht schlief sie wie ein Wachhund auf einer Matte am Fuß seines Bettes.

Fünf Tage lang schwebte Marcellus zwischen Leben und Tod, und das Mädchen blieb bei ihm. An einem Tag ging ich zu einem Händler im Lager, um einen Hahn zu kaufen. In der Nacht opferte ich ihn Luna und der Großen Mutter, ohne dass es mich kümmerte, wer mich dabei sehen und anschwärzen könnte. Julian kam zu einem Krankenbesuch. Er sprach von den Göttern und vom Schicksal, aber mir war nicht nach Philosophie zumute, und so ging er bald und schärfte mir ein, ich solle mich an ihn wenden, falls ich etwas brauchte. Später kam ein Brief von Oribasius, der sich in Paris aufhielt, mit ausführlichen Anweisungen an den Arzt. Offenbar hatte Julian einen Boten geschickt.

In der Nacht, in der ich Luna opferte, kam das Mädchen zu mir ins Bett.

Zunächst schlich ich mit dem Hahn in einem Weidenkorb bei Dunkelheit hinaus zu einem abgelegenen, bewaldeten Felsen, von dem man über den Fluss blicken konnte, wo der Wind in den Erlen flüsterte und es nach feuchter Erde roch. Als ich zurückkam, war die Lampe im Fenster erloschen, und das Mädchen lag schlafend auf der Matte. Ich zog mich aus und legte mich ins Bett. Noch voller innerer Unruhe nach der Opferung lag ich im Dunkeln wach.

Bald hörte ich das Mädchen rascheln, und als ich den Kopf drehte, sah ich ihre Silhouette im Mondlicht. Still hob sie meine Bettdecke an und legte sich wortlos zu mir. Sie duftete nach Lavendel, nach Zedernöl und nach Marcellus.

Jedes Soldatenlager hat Kurtisanen. Sie folgen dem Heer von Ort zu Ort, zusammen mit den Weinhändlern, Wahrsagern, Hufschmieden, Schustern und anderen Gewerbetreibenden, die die menschlichen Bedürfnisse befriedigen. Es gab Frauen von einiger Eleganz mit Schminke im Gesicht und städtischen Manieren, die in geschlossenen Wagen mit seidener Ausstattung reisten; es gab raue, ungepflegte Weiber mit derber Wortwahl und lückenhaftem Gebiss – und viele andere dazwischen. Ich hegte eine tiefe Abneigung gegen das, was diese Frauen anboten, obwohl ich es mir nicht erklären konnte, und sie – mit ihrem scharfen Gespür für einträgliche Kunden – ließen mich bald in Ruhe.

Doch dieses Barbarenmädchen, dessen Name ich nicht kannte, überrumpelte mich. Sie ließ mir keine Zeit zu überlegen, und inmitten meiner Trauer war ihre Berührung wie die Wärme des Feuers im Winter. Was sie gab, gab sie willig und mit echter Lust. Ich spürte ihren Stolz, als gehörte er zu ihrem Körper; es war ein Stolz um des Stolzes willen, eine Begegnung von Gleichen.

Später lag sie ganz nah bei mir und zeichnete mit den Fingerspitzen die harten Konturen meiner Brust nach. Ich döste dabei ein und träumte von heiteren Szenen aus meiner Kindheit, von der Jägerin Diana mit ihren Hunden und von meiner Mutter, die ich nie gekannt habe.

Am nächsten Morgen, als ich vom Badehaus zurückkam, entfuhr mir ein freudiger Aufschrei, denn Marcellus saß aufrecht in seinen Kissen. Das Mädchen flößte ihm löffelweise Hühnerbrühe ein. Sie drehte sich lächelnd zu mir um, und ich rannte los, um den Arzt zu suchen.