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«Hier ist es!», rief Herr Wonka. Er stand am Fußende des Bettes und hielt eine kleine Flasche hoch. «Das kostbarste Pillenfläschchen der Welt! Und das», sagte er mit einem frechen Seitenblick zu Großmutter Georgine, «ist übrigens der Grund, warum ich selber keine davon eingenommen habe. Ich kann sie nicht verschwenden, dazu sind sie viel zu wertvoll!»
Er hielt das Fläschchen übers Bett. Die drei alten Leute setzten sich auf und verrenkten sich fast die ausgemergelten Hälse, um einen Blick auf die Pillen in dem Fläschchen zu erhaschen. Charlie und Großvater Josef traten ebenfalls neugierig näher. Herr und Frau Bucket auch.
Alle konnten die Pillen durch das Glas sehen. Sie waren leuchtend gelb und glänzten und zitterten in dem Fläschchen. Vibrieren ist vielleicht das richtigere Wort. Sie vibrierten so heftig, dass sie vor den Augen verschwammen und nicht zu erkennen war, welche Form sie hatten. Man sah nur die Farbe. Und man bekam den Eindruck, dass es sich um etwas sehr Kleines, aber unglaublich Starkes und Mächtiges handelte, nicht voll und ganz von dieser Welt, das in diesen Pillen eingesperrt war und mit Macht herauswollte.
«Die würmeln», sagte Großmutter Georgine. «Ich mag nichts, was würmelt. Wenn die nun in uns weiterwürmeln, wenn wir sie runtergeschluckt haben? Wie Charlies mexikanische Springbohnen, die ich vor ein paar Jahren mal probiert habe. Das weißt du doch noch, nicht, Charlie?»
«Ich habe dir aber gesagt, du sollst sie nicht essen, Großmutter.»
«Die sind noch einen ganzen Monat in mir herumgesprungen», sagte Großmutter Georgine. «Ich konnte überhaupt nicht still sitzen!»
«Wenn ich eine von diesen Pillen schlucken soll, dann will ich erst mal wissen, was drin ist», meldete Großmutter Josefine sich jetzt.
«Das kann ich verstehen», sagte Herr Wonka. «Aber das Rezept ist überaus kompliziert...» Er fing an, in den Taschen seines Fracks zu kramen. «Es muss hier irgendwo sein», sagte er. «Ich kann es nicht verloren haben. Ich bewahre all meine wertvollsten und wichtigsten Sachen in diesen Taschen auf...» Er leerte seine Taschen aus und legte alles, was er herausholte, nacheinander aufs Bett - eine selbst gemachte Gummischleuder... ein Jo-Jo-Spiel... ein Juxspiegelei aus Gummi... eine Scheibe Salami... einen Zahn mit Plombe... eine Stinkbombe... ein Päckchen Juckpulver... «Es muss hier irgendwo sein, ganz bestimmt», murmelte er immer wieder. «Ich habe es so sorgfältig weggesteckt... Ah! Da ist es!» Er faltete einen verknitterten Zettel auseinander, strich ihn glatt, hielt ihn hoch und las vor, was darauf stand:
REZEPT FÜR WONKA-VIT
Man nehme einen Block feinster Schokolade im Gewicht von 1 Tonne (oder zwanzig Sack Bruch, je nachdem, was leichter zu beschaffen ist). Die Schokolade lege man in einen großen Kessel und schmelze sie über rot glühender Esse. Sodann drossele man die Temperatur ein wenig, damit die Schokolade nur noch köchelt und nicht anbrennt. Nun mische man folgende Zutaten unter, genau in der angegebenen Reihenfolge und unter ständigem Umrühren, wobei zu beachten ist, dass jede Zutat gänzlich aufgelöst sein muss, bevor man die nächste in die Mischung gibt:
Den Huf eines Gartengauls
Die Dotter von drei Eiern eines Flattervogels
Eine Warze von einem Warzenschwein
Ein wenig Popel von einem Nashorn
Eine Prise Pulver von einem Trockenhorn
Das ganze Horn einer Waldbauernkuh (fälschlich auch Waldhorn genannt)
Den Vorderschwanz eines Basilisken
Sechs Lot Spriehl von einem jungen Schleimschaber
Zwei Haare (und ein Kaninchen) vom Kopf eines Seepferdes
Den Schnabel eines Rotbrüstigen Walbatros
Ein echtes Hühnerauge vom Zeh eines Kampfhahns
Die vier Arme eines vierarmigen Tintenfisches
Die Schnauze eines Geuschrecks
Ein Leberblümchen mit Leberfleck
Die Haut (aber nicht sehr toll!) von einem gefleckten Bollentudel Zwölf Eiweiß von Eiern einer Baumwuchtel
Die Quadratwurzel eines südamerikanischen Rechenbaums Die Reißzähne einer Co-Bra, die den Bra schon vertreten kann
Die Lider (ohne Worte) einer Wilddonte Den rechten Enkel (auf keinen Fall den rechten Großvater!) eines zahmen Schnodderlenks
Wenn alle genannten Zutaten sich vollkommen aufgelöst haben, lasse man es weitere siebenundzwanzig Tage kochen, rühre aber nicht mehr um. Am Schluss wird alle Flüssigkeit verdampft und unten im Kessel nur ein harter, brauner Klumpen etwa von der Größe eines Fußballs übrig geblieben sein. Den Klumpen schlage man mit einem Hammer auf, und dann wird man genau in der Mitte eine kleine, runde Pille finden. Diese Pille ist WONKA-VIT.