51940.fb2 Das kleine Gespenst - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 6

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Fast ein Wunder

Das kleine Gespenst war sehr traurig, es ließ in den folgenden Nächten häufig den Kopf hängen. Nach allem, was es erlebt hatte, glaubte es nicht mehr daran, daß es ihm je vergönnt sein werde, die Welt bei Tage zu sehen. Aber man weiß ja, daß Wünsche mitunter gerade dann in Erfüllung gehen, wenn man am allerwenigsten damit rechnet.

Seit dem Gespräch mit dem Uhu Schuhu war eine knappe Woche vergangen.

Wieder einmal schlug die Rathausuhr zwölf, und wie immer erwachte das kleine Gespenst mit dem letzten Glockenschlag. Es rieb sich den Schlaf aus den Augen, es reckte und streckte sich, wie es seine Gewohnheit war. Dann entstieg es der Truhe, stieß mit dem Kopf an die Spinnweben, mußte niesen -„Hatzi!" - und kam schlüsselrasselnd hinter dem Schornstein hervorgeschwebt.

Aber nanu, wie verändert der Dachboden heute aussah! War er nicht sehr viel heller als sonst, viel geräumiger?

Durch die Ritzen zwischen den Dachziegeln schimmerte goldenes Mondlicht herein, daran lag es wohl.

Goldenes Mondlicht?

Mondlicht ist silberweiß, manchmal mit einem Stich ins Bläuliche . . . Aber golden?

„Wenn es kein Mondlicht ist", überlegte das kleine Gespenst, „- was denn dann?"

Es huschte zum nächsten Dachfenster, um einen Blick ins Freie zu werfen, - aber sogleich fuhr es wieder zurück und hielt sich die Augen zu.

Das fremde Licht draußen war so grell, daß sich das kleine Gespenst erst langsam daran gewöhnen mußte. Vorsichtig blinzelnd schaute es aus dem Fenster. Es verstrich eine ganze Weile, bis es die Augen öffnen und richtig hinsehen konnte.

„Ah!" rief es aus und staunte.

Wie hell war die Welt heute! Und wie bunt sie war!

Bisher hatte das kleine Gespenst gemeint, daß die Bäume schwarz seien und die Dächer grau. Nun merkte es, daß sie in Wirklichkeit grün und rot waren.

Jedes Ding hatte seine besondere Farbe!

Türen und Fensterrahmen waren braun angestrichen, die Vorhänge in den Wohnungen bunt gemustert. Im Burghof lag gelber Kies, die Grasbüschel auf den Mauern leuchteten saftig grün, vom Turm wehte eine Fahne mit roten und goldenen Streifen - und hoch über allem wölbte sich klar und strahlend der prächtige blaue Sommerhimmel, an dem ein paar einzelne weiße Wölkchen dahintrieben, klein und verloren wie Fischerboote auf einem weiten Meer.

„Herrlich, ganz herrlich!" jauchzte das kleine Gespenst und kam aus dem Staunen gar nicht heraus.

Es dauerte einige Zeit, bis ihm klar wurde, was geschehen war.

„Sollte ich wirklich einmal bei Tag erwacht sein?"

Es rieb sich die Augen, es zwickte sich in die Nase -wahrhaftig, es träumte nicht!

„Es ist Tag, es ist heller Tag!" rief das kleine Gespenst außer sich vor Freude.

Wie und warum sich gerade heute sein Wunsch erfüllt hatte, wußte es nicht.

Vielleicht war ein Wunder geschehen?

Wer konnte das sagen .. .

Aber dem kleinen Gespenst war es einerlei. „Hauptsache", dachte es, „daß ich mir endlich einmal die Welt bei Tage betrachten kann! Los jetzt, ich darf keine Zeit verlieren, ich muß mich ein wenig genauer umsehen auf dem Eulenstein!"