51979.fb2 Ferien auf Saltkrokan - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 5

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Und dann wurde es Mittsommer …

Mittsommer war es, ein strahlend heller Mittsommertag, und was fiel Malin ein? Den ganzen langen Vormittag saß sie hinter der Fliederhecke im Gras und schrieb in ihr Tagebuch, und als Johann sich ihr einschmeichelnd näherte, sagte sie kalt und ohne auch nur aufzublicken: »Geh weg!«

Worauf Johann kleinlaut zu seinen Brüdern zurückging und berichtete: »Sie ist noch immer böse!«

»Tsss, sie sollte lieber dankbar sein«, sagte Niklas. »Jetzt hat sie ja was zu schreiben gekriegt. Aus dem Tagebuch würde nie etwas werden, wenn sie uns nicht hätte.«

Aber Pelle machte ein reuevolles Gesicht.

»Dann hätte sie aber vielleicht lustigere Sachen reinzuschreiben. Was sie so lustiger findet, mein ich.«

Sie schauten betrübt in Malins Richtung, und Johann sagte: »Diesmal schmiert sie bestimmt was Schreckliches rein.«

Gestern war Mittsommerabend* [Der Tag vor der Sommersonnenwende], schrieb Malin. Und ein Mittsommerabend, den ich nie vergessen werde. Aber sicherheitshalber will ich in einem kleinen Nachruf festhalten, was geschehen ist. Diese Zeilen werde ich meiner jungen Tochter aushändigen, falls ich einmal eine kriege und sie vielleicht an einem Mittsommerabend glühend vor Glück nach Hause kommt und fragt: »Hast du es auch so schön gehabt, als du jung warst, Mama?« Dann werde ich unmutig auf ein paar vergilbte Tagebuchblätter zeigen und sagen: »Hier kannst du sehen, wie es deiner armen Mutter erging, nur wegen deiner kleinen, abscheulichen Onkel.«

Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben – die abscheulichsten kleinen Onkel der Welt können den lieblichen Glanz über einem Mittsommer auf Saltkrokan nicht trüben. Den Glanz und die Schönheit und die Freude eines Sommers, der jetzt um uns herum blüht, das kann keiner kaputtmachen. Über der ganzen Insel liegt der Duft von Steinbrech und Kälberkropf und Mädesüß und Klee, Margeriten schwanken an jedem Grabenrand, und Butterblumen leuchten im Gras, der rosa Schaum der Heckenrosen legt einen Schleier über unsere armseligen grauen Felsbuckel, und in den Spalten sprießen wilde Stiefmütterchen. Alles duftet, alles blüht, alles ist Sommer, und jeder Kuckuck ruft, alle Vögel zwitschern und singen, die Erde freut sich, und ich freue mich auch. Hoch über meinem Kopf fliegen die Schwalben in schnellen Bögen, während ich hier sitze und schreibe. Sie nisten unter den Dachziegeln des Schreinerhauses und sind die nächsten Nachbarn von Pelles Wespen; ich glaube allerdings nicht, daß sie näher miteinander verkehren. Die Gesellschaft der Schwalben mag ich und die der Hummeln und Schmetterlinge, die um mich herumfliegen und flattern, ich wäre aber dankbar, wenn du es unterließest, Johann, die Nase hinter der Hausecke hervorzustecken, denn ich bin auf euch alle böse und gedenke das auch noch eine ganze Weile zu sein, wenn ich es über mich bringe. Mindestens aber so lange, bis ich diese Erinnerungen an meinen ersten Mittsommerabend auf Saltkrokan fertiggeschrieben habe.

Ich wurde durch Gesang geweckt. Papa war frühzeitig aufgestanden und legte letzte Hand an die Gartenmöbel – diesmal mit einem gewöhnlichen Malerpinsel, nicht mit dieser vertrackten Spritze. Er stand im Garten dicht unter meinem Fenster, und ich wurde wach, weil er wirklich hübsch sang von Mittsommer und »blühender Insel« und dergleichen. Und ich fuhr hoch und in die Kleider und lief nach draußen und sah, daß der Fjord blau und blank dalag und daß meine liebenswerten Brüder wach waren und nichts zu tun hatten, und ich zwang sie, mit in Janssons Kuhwäldchen zu gehen. Die Arme voller Feldblumen und grüner Zweige, kamen wir nach Hause und verwandelten das ganze Schreinerhaus in eine Laubhütte mit sommerlichen Düften in jedem Winkel.

Und als die »Saltkrokan I« draußen auf dem Fjord angedampft kam, da sahen wir, daß auch sie einer schwimmenden Laubhütte glich mit jungen Birken von vorn bis hinten. An Bord wurde Harmonika gespielt, sommerlich gekleidete Menschen sangen von Mittsommer und »blühender Insel« genau wie Papa, nur nicht so schön.

Ganz Saltkrokan war auf dem Anleger. Du liebe Zeit, es ist ja das größte Vergnügen, das wir hier haben, hinunterzulaufen und den Dampfer zu empfangen – und dann noch dazu den Mittsommerdampfer! Ja, wir waren alle dort. Nur Björn nicht!

Ich hatte mich feingemacht, riesig fein war ich in meinem Hellblauen, das so schön schwingt. Johann und Niklas pfiffen beide durch die Zähne, als sie mich sahen, und das will etwas heißen. Wenn einem die eigenen Brüder nachpfeifen, dann kann man sein dürftiges Selbstvertrauen darauf stützen. Ich stand da und war zufrieden und wie von ungefähr ein bißchen erwartungsvoll.

Pelle war nicht ganz so zufrieden.

»Muß man so blödes Zeug anhaben, bloß weil Mittsommer ist?« sagte er. Ja, ja, sicher ist es nicht richtig, die Kinder mit einem Sonntagsanzug und weißem Hemd und Schlips zu plagen, aber man hat all diese dreckigen Jeans satt und möchte wenigstens einmal etwas anderes sehen.

»Ja, das muß man«, sagte Papa, »und so gefährlich ist es doch nicht. Du brauchst dich nur vorzusehen, daß du dich nicht schmutzig machst und nicht naß wirst, dann kann dir gar nichts passieren.«

»Sag doch gleich, ich soll mich vor allem vorsehen, was Spaß macht, dann kann dir und Malin gar nichts passieren«, sagte Pelle.

Dann entdeckte er Tjorven, diese selbe Tjorven, die kein Mensch bisher in anderen Sachen gesehen hatte als in karierten langen Hosen und Pulli. Jetzt hatte sie ein weißes Stickereikleid an mit Falten und allen Finessen, und ihre Miene war nicht zu beschreiben. Es war ihr von weitem anzusehen, was sie dachte: »Da staunt ihr, was?« Und eins ist sicher, sogar Bootsmann war über dieses funkelnagelneue Frauchen verwundert. Selbst Pelle wurde scheu und verstummte. Da stieg Tjorven von der Höhe ihres Triumphes herab und sagte:

»Weißt du was, Pelle? Wir schmeißen Stöckchen für Bootsmann. Das ist das einzige, was man machen kann, wenn man so verflixt fein ist.«

Schon möglich, daß sie sich das ausgedacht hatte, um Pelle vor Stina zu retten.

Stina und der alte Söderman waren nämlich auch auf dem Anleger. Söderman erzählte, sein Magenknurren sei jetzt besser geworden, was uns alle freut, denn hier auf Saltkrokan nehmen wir Anteil an den Freuden und Leiden und Krämpfen des anderen.

»Jaja, nun kommen die Sommergäste, achach, jaja«, sagte Söderman. Und als Papa ihn fragte, ob er die Sommergäste nicht möge, machte er ein verdutztes Gesicht. Dieser Gedanke war ihm offensichtlich noch nie gekommen.

»Nicht mögen, tjaa«, sagte er. »Aber die meisten von denen sind ja Stockholmer, und die übrigen, die sind eigentlich auch bloß Gesindel.« Papa lachte und fühlte sich nicht im geringsten getroffen. Er zählt sich schon zu den Ureinwohnern. Das tut er immer, wohin er auch kommt, und ich glaube, das ist der Grund, weshalb er überall so viele Freunde findet. Außerdem merken die Menschen wohl, daß er mit all seiner Kindlichkeit und seinen Schrullen und seiner Hilflosigkeit Wärme und Schutz braucht, ja, wie er es anstellt, weiß ich nicht, aber alle mögen ihn. Ich hab gehört, wie der alte Söderman im Laden sagte – er hatte nicht gemerkt, daß ich auch da war -: »Dieser Melcherson, der ist nicht ganz bei Trost, aber das ist eigentlich das einzige, was ich an ihm auszusetzen habe.«

Na, das gehört nicht hierher, zurück zum Anleger! Die Grankvist-Amazonen – so nennt Papa Teddy und Freddy –, die Grankvist-Amazonen waren auch da in neuen Jeans und roten T-Shirts. Sie saßen mit Johann und Niklas auf ein paar leeren Benzinfässern und krächzten ab und zu wie Krähen. Sie haben offenbar irgendeine Art geheimen Klub, diese vier, und laufen herum und sind von morgens bis abends geheim, was die Kleineren bis zur Weißglut ärgert, weil sie nicht mit dabeisein dürfen. Pelle rächt sich, indem er seine Brüder »geheimer Johann« und »geheimer Niklas« nennt und hämisch grinst, wenn er es sagt. Tjorven versichert, der Klub sei ganz albern, und nach dem Verhalten der Klubmitglieder gestern abend glaube ich ihr aufs Wort.

Als wir auf dem Anleger standen und warteten, daß der Dampfer festmachte, kamen Johann und Niklas plötzlich auf mich zugerannt und packten mich jeder an einem Arm.

»Komm, Malin, jetzt gehen wir nach Hause«, sagte Johann. Ich sträubte mich natürlich und fragte, was wir denn zu Hause sollten. »Wir können irgendein schönes Buch lesen oder so«, sagte Niklas. »Du hast doch Vorlesen so gern«, sagte Johann.

Das habe ich allerdings, aber nicht mitten am schönsten Sommertag, und das hab ich ihnen gesagt.

Ich bekam die Erklärung fast sofort. Sie kam in all ihrer Herrlichkeit den Laufsteg heruntergegangen, und es war niemand anders als Krister, der damals, als wir herkamen, auch auf dem Dampfer gewesen war.

Ich bin es gewohnt, daß meine Brüder jeden, aber auch jeden ablehnen, der »ankommt und mit Malin schöntut« – so drücken sie sich aus, nicht ich. Aber dieser arme Krister hat es offenbar schon von Anfang an geschafft, sich beliebter zu machen als irgendein anderer. Ich finde nicht, daß er besondere Mängel hat. Er ist vollkommen selbstsicher, aber das werde ich ihm schon noch austreiben, falls es nötig wird. Er sieht gut aus und ist, wie Papa sagt, »gut angezogen«. Kaum war er ausgestiegen, da kam er auf mich zu, und als er lächelte, fand ich, er sah wirklich gut aus, denn er hat auch hübsche Zähne. Aber Johann und Niklas starrten ihn an, als hätte er ein Wolfsgrinsen aufgesetzt – und kein Wolf sollte hier etwa ankommen und ihre Schwester verschlingen, besten Dank!

»Arme kleine Malin«, sagte Krister, »steht da so allein an einem Mittsommerabend. Komm, jetzt kehren wir beide auf Saltkrokan das Unterste zuoberst.«

Das machte ihn bei Johann und Niklas nicht gerade beliebter.

»Sie ist nicht allein«, sagte Johann wütend. »Wir sind ja bei ihr.« Krister klopfte ihm auf die Schulter.

»Jaja, aber nun nehmt euren Eimer und eure Schaufel und geht wieder zu eurem Sandhaufen. Ich kümmere mich schon um Malin.«

Ich glaube, in diesem Augenblick erklärten sie Krister ernstlich den Krieg. Ich konnte sehen, wie sie mit den Zähnen knirschten, als sie sich zu Teddy und Freddy zurückzogen, und gleich darauf ertönte aus ihrer Richtung ein fürchterliches Krähengekrächze, das sehr rachsüchtig und schicksalsschwer klang.

»Malin, heute abend gehen wir tanzen, das hab ich entschieden«, sagte Krister, und als ich ihm klarmachte, ich würde allein entscheiden, mit wem ich tanzen wollte, da sagte er: »Dann entscheide dich für mich, dann brauchen wir uns nicht weiter darüber zu streiten.«

Björn war nicht zu sehen, und ich weiß auch nicht, ob er tanzt. Und ich wollte tanzen, in meinem Hellblauen und am Mittsommerabend, und so sagte ich zu Krister: »Wir wollen mal sehen.«

Aber wenn noch so sehr Mittsommer ist, höhere Gewalten haben ein für allemal bestimmt, daß ich meinen drei Brüdern eine Mutter zu sein habe, und das kleinste Brüderchen hätte ich offenbar nicht Tjorven überlassen dürfen, nicht, wenn er seine Sonntagssachen anhatte. Ich hörte plötzlich die Leute lachen und sagte zu Krister: »Komm, ich möchte sehen, was da so lustig ist.«

Und das sah ich dann. Was ich sah, war Pelle, der sich nicht naß machen sollte. Jetzt stand er bis zum Bauch im Wasser, Tjorven ebenfalls, und sie bespritzten sich, sosehr sie nur konnten. Sie waren wassertoll – es gibt kein Wort, das besser paßt, und Tjorven schrie: »Jetzt können wir genausogut gleich baden!« Und das taten sie. Sie warfen sich ins Wasser und kamen wieder hoch und jauchzten und schrien und bespritzten sich noch mehr. Eben wassertoll und so ganz ihrer eigenen Freude hingegeben, daß sie die Umwelt völlig vergessen hatten. Aber sie erwachten aus ihrem Rausch, als Märta und ich angestürzt kamen. Erwachten und merkten, daß sie durchweicht waren, etwa so wie Adam und Eva sahen, daß sie nackt waren. Pelle und Tjorven waren leider nicht nackt, sondern in höchstem Maß bekleidet, das stand fest, und ich hatte nie zuvor erlebt, daß ein ehemals steif gestärktes Stickereikleid aussehen konnte wie ein kleiner, weicher Lappen.

»Wir konnten nichts dafür«, sagte Tjorven, »es kommte bloß so.« Sie versuchte, Märta zu erklären, wie es so »kommte«, und soviel ich mich erinnere, erklärte sie es ungefähr so:

»Wir wollten nur mal die Füße baden, und wir haben uns ganz doll vorgesehen, wir waren doch so fein. Aber Pelle hat gesagt, bis zu den Knien können wir reingehen, und da haben wir das gemacht, und dann ging Pelle noch ein bißchen weiter rein. ›So weit trau ich mich jedenfalls zu gehen, sagte er, und da ging ich noch weiter rein und sagte: ›So weit trau ich mich jedenfalls zu gehen!‹ Aber da wurde ich ein bißchen unten am Kleid naß, und da sagte Pelle: ›Ich, ich bin nicht naß!‹ Und da spritzte ich ihn ein bißchen mit Wasser, damit er naß wird, und da spritzte er mich ein bißchen, und dann spritzte ich ihn noch ein bißchen, und da spritzte er mich noch ein bißchen, und dann spritzten wir immer doller und doller, und dann badeten wir, das kommte bloß so.«

»Für heute habt ihr aber genug gebadet«, sagte Märta streng.

Wir mußten nach Hause gehen, jeder mit seinem nassen Kind. Hinter dem Schreinerhaus habe ich zwischen zwei Apfelbäumen eine Wäscheleine. Dort hängte ich Pelles Sachen auf, und dort tanzten sie mit dem Südwind ihren Mittsommertanz, den einzigen, den sie erleben sollten.

Aber zum nächsten Mittsommer, falls wir dann noch leben, werde ich dafür sorgen, daß ich eine doppelt so lange Wäscheleine habe – denn das ist ohne Frage nötig. Darüber später mehr!

Märta und ich kamen mit unseren gewohnten Alltagskindern zur Quellwiese, und Märta sagte:

»Es wird eine Weile dauern, bis ich Tjorven wieder ein Stickereikleid anziehe.«

»Prima«, sagte Tjorven.

Märta selbst war ungemein hübsch und fein in ihrem Trachtenkleid mit dem baumwollenen Faltenrock und dem weißen Tuch mit den Zipfeln. Oh, diese Märta! Wer sorgt dafür, daß Saltkrokan einen Mittsommerbaum bekommt und Mittsommerspiele gemacht werden – Märta! Wer ist Wortführerin im Hausfrauenverein – Märta! Wer leitet den Frauenchor – Märta! Und wer bringt ganz Saltkrokan, jede einzelne Seele, dazu, um den Mittsommerbaum zu sprinten und das Lied von den Fröschen zu singen – Märta und immer wieder Märta!

Unser Mittsommerbaum steht auf der Quellwiese hinter Södermans Wiese, und als wir hinkamen, Märta und ich, hatte es angefangen zu regnen. O doch, es war ja schließlich Mittsommerabend, und das Wetter konnte Märta nicht bestimmen. Aber ihre Hausfrauen versammelten sich tapfer unter ihren Regenschirmen und sangen trotzdem getreulich: »Ich schaukle auf höchstem Zweige von Harjulas höchstem Berg.« Und ich merkte, daß das auch auf mich paßte, ich schaukelte auf dem höchsten Zweig und sah, daß die Erde lieblich war und der Himmel schön, obwohl es regnete. Aber oh, erhöre des kleinen Vogels Gebet, und laß es zum Abend aufklaren, denn hier ist ein kleiner Vogel, der gern auf dem Anleger tanzen möchte!

Das durfte ich auch. Aber bevor es soweit war, passierte noch eine ganze Menge, und die Wäscheleine zwischen den Apfelbäumen hängte sich beinahe durch. Denn hier hingen schließlich außer Pelles Hemd und Jackett und Hose auch ein Hemd von Krister, ferner Papas Hemd und Hose, ferner Johanns Hemd und Hose. Ich weiß nicht, was Niklas' Hose verbrochen hatte, die gestern den ganzen Tag nicht hat baden dürfen, wo es doch alle anderen Hosen durften; aber das Leben ist nun einmal voller Ungerechtigkeiten.

Kristers Hemd hatte nicht gebadet. Das hatte ich für ihn gewaschen. Er war beim Eierlaufen hingefallen und auf dem Bauch im Gras gelandet, genau da, wo Papa eine Sekunde vorher sein Ei hatte fallen lassen.

»Man kann nicht den ganzen Mittsommerabend mit einem weichgekochten Ei auf der Brust rumlaufen«, sagte Papa. Und gutmütig, wie er ist, ging er nach Hause und holte eins von seinen Hemden für Krister. »Danke«, sagte Krister, »ich geh inzwischen baden.«

Johann und Niklas und die Grankvist-Amazonen standen dabei und feixten. Niemand kann behaupten, daß sie wegen Kristers Mißgeschick mit dem Ei besonders unglücklich waren. Ich hörte, wie Krister sie fragte, wo man baden könnte, und Teddy zeigte es ihm.

»Ist es dort flach?« fragte Krister.

»Ja, da ist es flach, du kannst bis nach Finnland spazieren«, sagte Johann mit einem Grinsen.

»Und das solltest du auch tun, finde ich«, sagte Niklas. Aber da war Krister schon gegangen, und so hörte er das nicht mehr.

Für die Kleinen sollte gerade das Sacklaufen anfangen, und ich ging hin, um zuzugucken. Aber plötzlich kam Johann angerannt, ganz blaß im Gesicht. Er packte mich am Arm.

»Weißt du, ob Krister schwimmen kann?« fragte er. »Wenn aber nicht, was dann? Da drüben ist es ja gleich ganz tief!«

Ich wußte auch, daß es an der Stelle steil abwärts ging, aber ebensowenig wie Johann war mir der Gedanke gekommen, daß es tatsächlich Menschen gibt, die nicht schwimmen können, und ich hatte keine Ahnung, ob Krister dazugehörte.

»Komm«, sagte ich, und dann rannten wir hin, so schnell wir konnten, Johann und Niklas und Teddy und Freddy und ich.

Wir kamen gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Krister ins Wasser hineinstapfte.

»Halt!« schrie Johann.

Krister hörte offenbar nicht. Er ging rasch weiter, als ob er wirklich nach Finnland hinüberstrebte, aber nach wenigen Schritten war er schon im tiefen Wasser, und dort verschwand er einfach, mein Gott, er verschwand einfach, und von dem Schrecken habe ich mich noch immer nicht erholt.

Johann streifte die Schuhe ab und tauchte sofort, und ich rief den anderen zu:

»Lauft und holt Leute!«

Niklas und Freddy rannten los, Teddy und ich blieben zitternd stehen, und der kalte Schweiß brach uns aus. Johann blieb lange unter Wasser, und jede Sekunde war eine Qual. Ich wäre beinahe hinterhergesprungen, aber da kam er endlich wieder hoch. Allerdings ohne Krister. Er schüttelte verzweifelt den Kopf.

»Ich kann ihn nicht finden!«

»Du mußt mehr in dieser Richtung suchen«, rief Teddy. »Dort ist er untergegangen.«

Da streckte jemand hinter mir einen Zeigefinger vor und sagte: »Stimmt nicht! Es war da drüben. Und da hinten bei dem Stein ist er wieder rausgeklettert.«

Ich drehte mich um, und vor mir stand Krister. Triefend naß und sehr zufrieden mit seinem albernen Scherz.

Aber Teddy zeigte noch immer in dieselbe Richtung und beteuerte: »Nein, dort ist er untergegangen, ich hab es doch selber gesehen!«

»Ich auch«, versicherte Krister, und jetzt endlich ging es Teddy auf, mit wem sie sich stritt.

Sie wurde wütend.

»So was darf man einfach nicht machen«, sagte sie, und ich pflichtete ihr bei.

»Nein«, sagte Krister, »und man darf auch keinen ins Tiefe schicken, bevor man weiß, ob er schwimmen kann.«

Johann war von neuem getaucht und hatte wieder gesucht. Jetzt tauchte er auf und entdeckte Krister. Man sah ihm an, wie erleichtert und gleichzeitig verblüfft er war – einen retten zu wollen, der schon auf dem Trockenen stand! Wenn irgend etwas ein bißchen peinlich ist, dann zieht Johann es mit aller Macht ins Komische, und das tat er auch jetzt. Er stieß ein Geheul aus und ließ sich rücklings wieder unter Wasser sinken, ungefähr so, als wäre er ohnmächtig geworden vor Glück, Krister zu sehen.

Das hätte er lieber nicht tun sollen, denn in diesem Augenblick kam die gesamte Bevölkerung von Saltkrokan angestürzt, mit Papa an der Spitze. Sie wußten ja, daß irgend jemand am Ertrinken war, und Papa kam gerade noch rechtzeitig, um einen Schimmer von Johann zu erhaschen, bevor dieser verschwand.

»Johann!« schrie Papa und stürzte sich ins Wasser, ehe ich ihn daran hindern konnte. Es war wie in einem Film. Zuerst tauchte Johanns Kopf auf und dann Papas. Sie starrten einander schweigend an.

»Was willst du?« fragte Johann schließlich.

»Ich will an Land«, sagte Papa ärgerlich, und er ging an Land.

»Herr Melcher, weshalb badest du immer mit allen deinen Sachen an?« fragte Tjorven. Nichts kann sie zurückhalten, wenn etwas passiert.

»Es ›kommte‹ bloß so«, sagte Papa, und da schwieg Tjorven.

Aber Papa zupfte Freddy am Ohr.

»Hattest du nicht gesagt, da wäre jemand am Ertrinken?«

Teddy kam ihr zu Hilfe.

»Es war alles nur ein Mißverständnis.«

Krister begann zu erklären, aber alle waren böse auf ihn, und ich hörte, was Niklas zu Freddy sagte.

»Dieser Kerl da ist ein Mißverständnis, so lang, wie er ist.«

Ich glaube, Björn war derselben Ansicht. Er hatte sich schließlich auch eingefunden, aber er ging mit finsterer Miene herum und kam nie in meine Nähe.

Jedenfalls wurde es ein ungeheuer schöner Mittsommerabend, und auf dem Bootsanleger war Tanz, genau wie ich gehofft hatte. Der alte Söderman spielte Ziehharmonika, und wir tanzten, alle tanzten, oh, wie wir tanzten, während die Sonne im Fjord versank und die Mücken uns umschwirrten. Björn tanzte nicht – er kann vielleicht nicht. Aber Krister konnte – oh! Mein Hellblaues stand wie eine Glocke um mich, wenn wir dahinflogen, und ich amüsierte mich großartig.

»Malin«, sagte Söderman in einer seiner kleinen Bierpausen, »versprich mir eins: Werde nie alt!«

Er sollte bloß wissen, wie alt ich manchmal bin.

Der geheime Johann und sein geheimer Anhang lehnten am Geländer und bewachten mich. Jedesmal, wenn wir

vorübertanzten, Krister und ich, schrie Johann:

»Reiß dich zusammen, Malin!«

Schließlich hatte ich es satt und fuhr ihn an: »Wieso soll ich mich zusammenreißen?«

»Daß du nicht drüberhaust«, rief er, und die anderen drei kicherten. Krister kümmerte sich nicht darum, seinetwegen mochten sie ruhig lachen. Und so wahr ich Malin heiße, wirklich, der Junge wußte, wie man es anstellt! Völlig unbekümmert und ohne sich etwas daraus zu machen, ob diese kleinen Banditen es hörten, deklamierte er in einer von Södermans Bierpausen für mich:

»Wie altschwedisches Leinen schimmert dein Scheitel

mit der hellroten Rose im flachsblonden Haar.«

O ja, ich hatte nämlich eine Heckenrose in die Haarspange gesteckt und fühlte mich leinengelb und altschwedisch wie noch nie, bis Johann das verdarb.

»Doch, doch, es ist verschieden mit so Haaren«, sagte er. »Manche haben Borsten wie ein altschwedisches Schwein.«

Und dann guckten alle vier Banditen auf Kristers Borstenschnitt und kicherten lange. Wo kommt nur all das Gekicher her, das in Dreizehnjährigen steckt?

Aber noch war ich nicht soweit, daß ich böse auf sie war. Das wurde ich erst, als sie meinen Mittsommernachtstraum an Janssons Bucht störten. Ich hatte ihn allein träumen wollen, ohne Krister und unter allen Umständen ohne die Banditen, aber das durfte ich nicht.

Janssons Bucht ist ein einsamer und seltsamer Ort. Dorthin gingen wir, Krister und ich, nachdem der Tanz zu Ende war.

Hier liegt ein altes Bootshaus mit ein paar Einbäumen darin und einem verfallenen Steg, aber sonst nichts, was verrät, daß es Menschen auf der Welt gibt. Alles dort ist Geheimnis und Schönheit und Schweigen. Heute nacht schwammen ein paar Schwäne auf dem dunklen Wasser. Sie leuchteten unwirklich weiß, als wären es Märchenvögel. Vielleicht waren sie es auch, denn alles war wie verzaubert und märchenhaft und irgendwie urzeitlich, und jeden Augenblick konnten diese Schwäne ihr Schwanengefieder fallen lassen und zu heidnischen Göttern werden, die tanzten und auf der Flöte bliesen. Das Wasser lag schwarz unter den hohen Uferfelsen jenseits der Bucht, aber draußen zum Meer hin waren die Fjorde fahl, und die Nacht war keine Nacht, sondern nur eine armselige kleine Dämmerung, die den Versuch machte, Nacht zu werden.

Wir saßen auf einem Felsen, Krister und ich, und ich wollte, daß er schwieg. Aber das begriff er nicht. Er dachte, alles müsse nach seinem gewohnten Rezept gehen, und daher fing er an, mir in die Augen zu schauen und zu fragen, ob sie grün oder grau seien, meine Augen also. Da hörte man hinter einem Felsen ganz in der Nähe eine Stimme, gefolgt von einem Kichern: »Die sind ganz lila.«

Jetzt wurde ich endlich böse und schrie: »Was habt ihr da zu suchen? Könnt ihr mir das mal sagen?«

»Klar«, sagte Niklas und steckte den Kopf hervor. »Wir sitzen hier und schwärmen ein bißchen, wie andere Leute auch.«

Darüber kicherten Teddy und Freddy mehrere Minuten lang, und ich wurde noch wütender.

»Jetzt hab ich's aber satt«, sagte ich, und da sagte Johann:

»Dann geh doch einfach nach Hause. Du brauchst doch nicht da zu sitzen und so zu schwärmen, daß du davon satt wirst.«

Die Ungeheuer! Sie hatten von Papa die Erlaubnis bekommen, so lange aufzubleiben, wie sie wollten, weil Mittsommerabend war.

»Ich finde, hier sind reichlich viele Brüder«, sagte Krister. »Gibt es denn nirgendwo einen Ort, wo man vor ihnen Ruhe hat?«

»Vielleicht zu Hause«, sagte ich, »denn da wollen sie bestimmt nicht hin.«

So zogen wir uns ins Schreinerhaus zurück. Im Wohnzimmer, wo es nach Maiglöckchen und Birkenlaub duftete, tischte ich Krister etwas Abendbrot auf.

Papa schlief, Pelle schlief, alles war still und ruhevoll. Wir saßen auf dem Sofa, im Rücken das offene Fenster, vor dem die Dämmerung stand, die bald weichen sollte.

»Wie hältst du es aus, ständig diese Kinder um dich zu haben?« fragte Krister. Und ich antwortete wahrheitsgemäß, daß ich es sehr gut aushielt, weil ich sie liebte, und wenn sie auch noch so albern seien. »Jaja, im Augenblick liebe ich sie auch ganz ungemein«, sagte Krister, »nur weil sie nicht hier sind.«

Dachte er. Und dachte ich. Bis ich wieder dieses bezaubernde Kichern hörte, diesmal draußen vorm Fenster. Hier ging in der sommerlichen Dämmerung eine kleine Prozession von kichernden Kindern vorbei, die greulichsten alten Hüte der Welt auf dem Kopf – es gibt wunderbare Sachen auf unsrem Dachboden! Jedesmal, wenn sie am Fenster vorüberkamen, lüfteten sie höflich die Hüte und lachten so über ihre Witze, daß sie sich an die Apfelbäume lehnen mußten, um nicht umzufallen.

»Guten Abend! Haben Sie schon gehört, daß die Butter um mehrere Pfunde gestiegen ist?« sagten sie. Oder: »Entschuldigen Sie, geht hier der Weg zur nächsten Insel?« Oder: »Habt ihr nicht zufällig ein bißchen Schnupftabak für Opa?«

Als Johann dies sagte, kicherte Niklas derart, daß er tatsächlich umfiel und wie ein Käfer im Gras lag und vor Lachen nur noch quietschte.

Aber da kam zum Glück Nisse, um seine Töchter heimzuholen, und es schien, als ob Johann und Niklas auch müde geworden wären und schlafen gehen wollten. Ich hörte sie die Bodentreppe hinauf in ihr Zimmer stapfen und seufzte erleichtert auf.

Krister war jedoch verärgert, und das wunderte mich nicht. Ich bot ihm noch ein Butterbrot an und schenkte ihm mehr Tee ein und versuchte, auf jede Art und Weise das niederträchtige Benehmen meiner Brüder wiedergutzumachen.

»Verflixt viele Brüder hast du«, sagte Krister. »Dein jüngstes Brüderlein hast du wohl narkotisiert, weil es sich so ruhig verhält?«

»Der ist Gott sei Dank so ein goldiges Kind, der schläft nachts«, sagte ich.

Da hörte ich plötzlich Pelles Stimme: »Denkst du, ja!«

Papa hatte im Giebelzimmer der Jungen eine Feuerleine angebracht. An dieser Feuerleine baumelte jetzt draußen vor dem Fenster das goldige Kind, das nachts schläft, und aus dem Giebelfenster darüber hörte man ein wildes Gekicher. Da war ich den Tränen nahe.

»Pelle«, sagte ich stöhnend, »weshalb hängst du da?«

»Um nachzusehen, ob es hier unten manierlich zugeht«, sagte Pelle. »Johann sagt, das soll ich.«

Da stand Krister auf und ging zur Tür. Wenn draußen vor dem Fenster an einem Seil Brüder baumelten, dann sei er am Ende, sagte er, dann gebe er auf.

»Tschüs, Malin«, sagte er und verschwand in den dämmernden Morgen hinaus. Und dann war mein Mittsommerabend zu Ende.

Ja, ja – aber es war trotzdem ein ganz schöner Mittsommerabend, finde ich.

»Ja, Johann, ich weiß, daß ihr hinter der Hecke liegt«, sagte Malin und legte das Buch neben sich ins Gras. »Kommt her, wir wollen das jetzt mal bereden! Wenn ihr den ganzen Tag Holz und Wasser holt, dann verzeihe ich euch vielleicht.«