52002.fb2 Hexen hexen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 19

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In der Küche

 «Jetzt ist es an der Zeit!», sagte meine Großmutter. «Die große Stunde ist gekommen. Bist du bereit, mein Schätzelchen?»

Es war genau halb acht. Bruno saß in der Obstschale und beendete gerade die vierte Banane. «Moment noch», sagte er. «Nur noch die paar Bissen.»

«Nein!», sagte meine Großmutter. «Wir müssen gehen!» Sie hob ihn auf und umschloss ihn fest mit ihrer Hand. Sie war sehr nervös und angespannt. So hatte ich sie noch nie erlebt. «Ich stecke euch beide jetzt in die Handtasche», sagte sie. «Aber ich lasse den Verschluss wieder offen.» Sie stopfte Bruno zuerst hinein, ich wartete, das Fläschchen fest an die Brust gepresst. «Jetzt du», sagte sie. Sie hob mich auf und gab mir einen Kuss auf die Nasenspitze. «Viel Glück, mein Schätzelchen. Ach übrigens, es ist dir doch klar, dass du jetzt einen Schwanz hast, nicht wahr?»

«Einen was?», fragte ich.

«Einen Schwanz. Einen langen geschwungenen Schwanz.»

«Ich muss gestehen, das ist mir noch gar nicht so richtig aufgefallen», antwortete ich. «Gütiger Himmel. Ich habe wirklich einen! Jetzt merke ich es selber. Und ich kann ihn auch tatsächlich bewegen! Das ist ja fabelhaft!»

«Ich hab das nur erwähnt, weil er dir von Nutzen sein könnte, wenn du in der Küche herumkletterst», sagte meine Großmutter. «Du kannst ihn um etwas herumwickeln, und du kannst Gegenstände damit heranangeln, und du kannst dich daran aufhängen und hin und her schaukeln, und du kannst dich mit seiner Hilfe von einer hoch gelegenen Stelle herablassen.»

«Das hätte ich vorher wissen sollen», sagte ich. «Dann hätte ich ein wenig üben können.»

«Dafür ist es jetzt zu spät», sagte meine Großmutter. «Wir müssen aufbrechen.» Sie schob mich zu Bruno in ihre Handtasche, und ich nahm sofort meinen gewohnten Sitz in der kleinen Seitentasche ein, sodass ich meinen Kopf hinausstrecken und verfolgen konnte, was draußen passierte.

Meine Großmutter griff nach ihrem Stock und ging hinaus, den Gang entlang zum Aufzug. Sie drückte auf den Knopf, der Aufzug kam, und sie stieg ein. Außer uns befand sich niemand in der Kabine.

«Hört mal», sagte sie. «Wenn wir im Speisesaal sind, werde ich mich nicht mehr mit euch unterhalten können. Wenn ich das nämlich tue, werden die Leute denken, ich sei verkalkt und hielte Selbstgespräche.»

Der Aufzug erreichte das Erdgeschoss und hielt mit einem kleinen Bumser an. Meine Großmutter verließ den Fahrstuhl, durchquerte die Hotelhalle und betrat den Speisesaal. Das war ein sehr großer Raum mit Golddekorationen an der Decke und hohen Spiegeln ringsherum an allen Wänden. Bestimmte Tische waren immer für die Hausgäste reserviert, und die meisten von ihnen hatten bereits Platz genommen und fingen an, sich ihrem Abendessen hinzugeben.

Kellner schwirrten überall herum und schleppten Teller und Platten. Unser Tisch war klein und stand an der rechten Wand, fast in der Mitte. Meine Großmutter marschierte dorthin und setzte sich.

Ich lugte aus der Handtasche und konnte sehen, dass genau im Mittelpunkt des Saales zwei lange Tische standen, an denen noch niemand saß. Auf jedem Tisch prangte ein kleines Kärtchen in einem Silberhalter, und auf den Kärtchen stand: RESERVIERT FÜR DIE MITGLIEDER DES KGVK.

Meine Großmutter betrachtete sich die beiden langen Tafeln, sagte aber nichts. Sie faltete ihre Serviette auseinander und breitete sie über die Handtasche auf ihrem Schoß. Ihre Hand glitt unter die Serviette und umschloss mich sanft. Unter dem Schutz der Serviette hob sie mich dicht an ihr Gesicht: «Ich setze dich jetzt unter dem Tisch auf den Boden. Das Tischtuch reicht fast bis auf den Fußboden, es kann dich also keiner sehen. Hast du das Fläschchen? Und hältst du es gut fest?»

«Ja», flüsterte ich zurück. «Ich bin bereit, Großmama.»

Gerade in diesem Augenblick kam ein Kellner in einem schwarzen Frack und blieb vor unserem Tisch stehen. Ich konnte trotz der Serviette seine Beine sehen, und als ich seine Stimme hörte, wusste ich auch, wer er war. Er hieß William. «Guten Abend, gnädige Frau», sagte er zu meiner Großmutter. «Wo ist denn der junge Herr heute Abend?»

«Er fühlt sich nicht wohl», erwiderte meine Großmutter. «Er ist oben in seinem Zimmer geblieben.»

«Das tut mir aber Leid», antwortete William. «Heute gibt es grüne Erbsensuppe als Vorspeise und beim Hauptgericht haben Sie die Wahl zwischen gegrilltem Seezungenfilet und Lammbraten.»

«Erbsensuppe und Lamm für mich, bitte», sagte meine Großmutter. «Aber Sie brauchen sich nicht zu beeilen, William. Ich habe heute Abend Zeit. Ach, Sie könnten mir überhaupt zuerst einmal ein Glas trockenen Sherry bringen.»

«Sehr wohl, gnädige Frau», erwiderte William und ging von dannen. Meine Großmutter tat so, als ob ihr irgendetwas hingefallen wäre, und als sie sich bückte, ließ sie mich unter der Serviette auf den Boden unter den Tisch gleiten. «Lauf, Schätzelchen, lauf!», flüsterte sie, und dann richtete sie sich wieder auf.

Ich war nun ganz auf mich gestellt. Ich umklammerte das Fläschchen. Ich wusste genau, wo sich die Tür zur Küche befand. Ich musste, um sie zu erreichen, fast um den halben riesigen Saal herumrennen. Also los, dachte ich und huschte wie ein Blitz unter dem Tisch hervor und flitzte zur Wand. Ich hatte nicht die Absicht, quer durch den Speisesaal zu laufen. Das war viel zu riskant. Mein Plan bestand darin, mich dicht an die Fußleiste unten an der Wand zu halten und ihr zu folgen, bis ich auf die Küchentür stieß.

Ich rannte. Ach, und wie ich rannte! Ich glaube nicht, dass mich jemand sah. Sie waren alle viel zu sehr mit dem Essen beschäftigt. Aber um die Tür zu erreichen, die in die Küche führte, musste ich den Haupteingang in den Speisesaal überqueren. Ich war gerade dabei, Anlauf zu nehmen, da strömte eine große Horde von Damen herein. Ich schmiegte mich an die Wand und presste das Fläschchen an mich. Zuerst sah ich nur die Schuhe und die Fesseln dieser Frauen, die durch die Tür quollen, als ich aber etwas höher blickte, erkannte ich sie gleich. Die Hexen versammelten sich zum Abendessen.

Ich wartete, bis sie alle an mir vorbeigegangen waren, dann flitzte ich zur Küchentür. Ein Kellner stieß sie gerade auf, um hineinzugehen. Ich trippelte hinter ihm her und versteckte mich sofort hinter einem großen Müllkübel. Ich blieb dort ein paar Minuten verborgen und hörte nur zu, wie sie schwatzten und spektakelten.

Meine Güte, was war diese Küche für ein Ort! Dieser Krach! Und diese Dampfschwaden! Und das Geklapper von Töpfen und Pfannen und das Durcheinandergeschrei der Köche! Und dazu noch die Kellner, die unaufhörlich vom Speisesaal raus und rein eilten und den Köchen die Bestellungen zuriefen! «Vier Suppen und zwei Lamm und zwei Fisch für Tisch 28! Drei Apfelauflauf und zwei Erdbeereis für Nummer 17!» So ging das die ganze Zeit.

Über mir, aber nicht weit von meinem Kopf entfernt, war ein Griff, der seitlich an dem Abfallkübel saß. Ohne das Fläschchen loszulassen, machte ich einen Satz, überschlug mich in der Luft und erwischte den Griff mit meiner Schwanzspitze. Plötzlich schaukelte ich hin und her und rauf und runter. Ich war vor Entzücken ganz außer mir. Das war herrlich! So, sagte ich mir, muss sich ein Trapezkünstler fühlen, wenn er sich hoch oben durch die Zirkuskuppel schwingt. Der einzige Unterschied bestand darin, dass sein Trapez nur vorwärts und rückwärts schaukeln konnte. Mein Trapez jedoch, mein Schwanz, konnte mich in jeder Richtung schaukeln lassen, die ich wünschte.

Vielleicht würde ich am Ende noch eine Zirkusmaus werden.

In diesem Augenblick kam ein Kellner mit einem Teller in der Hand herein, und ich hörte, wie er sagte: «Die alte Ziege von Tisch 14 sagt, dies Fleisch hier sei zäh. Sie will eine andere Portion!» Einer der Köche antwortete: «Los, gib mir ihren Teller!» Ich ließ mich auf den Boden fallen und lugte um den Müllkübel. Ich sah, wie der Koch das Fleisch vom Teller gleiten ließ und wie er eine andere Scheibe draufklatschte. Dann sagte er: «Los, Jungs, gebt ihr ein bisschen Soße!» Er machte mit dem Teller eine Runde durch die Küche, und wisst ihr, was sie gemacht haben? Jeder von diesen Köchen und Küchenjungen hat einmal auf den Teller der alten Dame gespuckt! «So, woll'n mal sehn, wie ihr das schmeckt!», sagte der Koch und gab dem Kellner den Teller zurück.

Kurz darauf kam wieder ein Kellner hereingeeilt und rief: «Alle von der großen KGVK-Gesellschaft wollen die Suppe!» Das war der Augenblick! Ich war jetzt ganz Ohr. Ich beugte mich ein bisschen weiter hinter dem Abfalleimer hervor, sodass ich alles verfolgen konnte, was in der Küche passierte. Ein Mann mit einer hohen weißen Mütze, der der Chefkoch gewesen sein muss, rief mit lauter Stimme: «Die Suppe für die große Gesellschaft in die größere Silberterrine!»

Ich sah, wie der Chefkoch eine riesige silberne Suppenschüssel auf das hölzerne Seitenbrett stellte, das an der gegenüberliegenden Wand von einem Ende bis zum anderen reichte. In diese silberne Schüssel kommt also die Suppe, sagte ich mir Da hinein muss also auch der Inhalt von meiner kleinen Flasche.

Ich sah, dass über diesem Seitenbrett ziemlich hoch und fast unter der Decke ein fast ebenso langes Regal angebracht war, das mit Kasserollen und Bratpfannen voll gepackt war. Wenn ich es irgendwie schaffe, auf dieses Regal zu kommen, dachte ich, dann ist die Sache geritzt. Dann werde ich nämlich direkt über der silbernen Suppenschüssel sein.

Aber zuerst musste ich irgendwie quer durch die Küche auf die andere Seite kommen und dann auch noch hinauf auf das Regal. Da hatte ich eine großartige Idee! Ich sprang abermals in die Höhe und schlang meinen Schwanz um den Griff des Müllkübels. Dann begann ich, Schwanz oben, Kopf unten, zu schaukeln. Ich schwang mich immer höher. Ich dachte dabei an den Trapezkünstler im Zirkus, den ich vorige Ostern gesehen hatte, und wie er das Trapez immer höher und höher hatte schwingen lassen und wie er es dann losließ und durch die Luft flog. Genauso machte ich es. Im richtigen Moment, also am höchsten Punkt meines Schwunges, ließ ich meinen Schwanz los und segelte sauber quer durch die Küche und setzte zu einer perfekten Landung auf dem mittleren Regal auf.

Вonnerwetter, dachte ich, was könnenMäuse alles machen!

Und dabei stehe ich  doch erst am Anfang!

Keiner hatte mich gesehen.

Sie waren alle viel zu sehr mit ihren Töpfen und Pfannen beschäftigt. Von dem mittleren Regal aus schaffte ich es irgendwie, an einem kleinen Wasserrohr in der Ecke höher zu krabbeln, und im Handumdrehen befand ich mich oben auf dem höchsten Regal fast unter der Decke, zwischen lauter Kasserollen und Bratpfannen. Ich wusste, dass mich hier oben keiner sehen konnte. Es war eine hervorragende Position, und ich begann, mir auf dem Regal einen Weg zu bahnen, bis ich mich direkt über der großen leeren silbernen Terrine befand, in die sie die Suppen füllen wollten. Ich stellte mein Fläschchen hin. Ich schraubte die Kappe ab und kroch an den Rand des Regals und kippte den Inhalt in die Silberterrine da unten. Im nächsten Augenblick kam schon einer der Köche mit einem mächtigen Topf, in dem die grüne Suppe dampfte, und goss die ganze Geschichte in die Terrine. Dann setzte er den Deckel drauf und rief: «Suppe für die große Gesellschaft kann raus!» Daraufhin erschien ein Kellner und trug die Silberterrine fort.

Ich hatte es geschafft! Selbst wenn ich jetzt nicht mehr lebendig zu meiner Großmutter zurückkäme, würden die Hexen ihren Mäusemacher bekommen! Ich ließ das leere Fläschchen hinter einem großen Stieltopf stehen und machte mich oben auf dem Regal auf den Rückweg. Ohne Flasche kam ich viel besser voran. Ich begann mehr und mehr, meinen Schwanz zu benutzen. Ich turnte von einem Topfgriff zum nächsten, während tief unter mir Köche und Kellner hin und her wuselten und Kessel dampften und Töpfe brodelten und Pfannen zischelten, und ich dachte: Oh, Junge, das ist das wahre Leben! Was für eine Wonne, eine Maus zu sein und solche abenteuerlichen Aufgaben zu erledigen! Ich schaukelte ununterbrochen weiter. Ich hing und hangelte, flog und schwebte aufs herrlichste von Griff zu Griff, und ich genoss das so in vollen Zügen, dass ich vollkommen vergaß, wie sehr ich mich da vor aller Augen bewegte, falls einer in der Küche zufällig nach oben schaute.

Was als Nächstes geschah, passierte so rasch, dass ich keine Zeit mehr hatte, mich zu retten. Ich hörte eine Männerstimme schreien: «Eine Maus! Schaut euch diese dreckige kleine Maus an!» Ich erhaschte einen Blick auf eine weiß gekleidete Gestalt mit einer hohen Kochmütze unter mir, und dann blitzte Stahl auf, als das Tranchiermesser durch die Luft fuhr, und dann schoss mir der Schmerz durch die Schwanzspitze, und plötzlich stürzte ich und knallte mit dem Kopf zuerst auf den Küchenboden.

Schon als ich fiel, wusste ich genau, was passiert war. Ich wusste, dass mir die Schwanzspitze abgehauen worden war und dass ich auf den Boden krachen würde und dass sich alle Mann in der Küche auf mich stürzen würden.

«Eine Maus!», schrien sie. «Eine Maus! Eine Maus! Schnell, fangt sie!»

Ich prallte auf den Boden, sprang sofort auf und rannte um mein Leben. Überall um mich herum waren diese großen schwarzen Stiefel und traten zu und knallten auf die Kacheln und ich wieselte zwischen ihnen hindurch und rannte und rannte und drehte und wendete mich und schlug Haken und flitzte quer über den Küchenboden.

«Fangt sie!», riefen sie. «Erschlag sie! Tritt doch drauf!»

Der ganze Fußboden schien voll von schwarzen Stiefeln zu sein, die mich tottreten wollten, und ich duckte mich und drehte mich und hüpfte und sprang und schnellte hin und her und machte wilde Sätze und dann, aus reiner Verzweiflung und ohne dass ich wusste, was ich tat, nur um ein Plätzchen zu finden, wo ich mich verbergen konnte, fuhr ich einem der Köche in das Hosenbein und klammerte mich an seiner Socke fest.

«He!», schrie der Koch. «Verflixt noch einmal! Jetzt ist sie mir in die Hose gesaust! Wartet, Jungs! Jetzt werden wir sie aber haben!»

Die Hände des Mannes begannen mit aller Kraft gegen das Hosenbein zu schlagen, und wenn ich jetzt nicht flink war, konnte ich wirklich zermalmt werden. Ich hatte nur einen einzigen Fluchtweg und der führte nach oben. Ich grub meine kleinen Krallen dem Mann in seine behaarten Beine und krabbelte nach oben, immer höher, die Wade entlang, durch die Kniekehle und dann zur Hüfte hinauf.

«Heiliges Kanonenrohr!», heulte der Mann. «Sie kommt mir ganz rauf. Sie läuft mein Bein rauf!» Ich hörte, wie die anderen Köche vor Vergnügen schrien und wieherten, aber ich schwöre euch, mir war nicht im Geringsten zum Kichern zumute. Ich krabbelte um mein Leben. Die Hände des Mannes klopften und trommelten hinter mir her, und er machte Luftsprünge, als ob er barfuß auf heißen Ziegelsteinen stünde, und ich kletterte immer weiter und wich so gut wie möglich aus und hatte ziemlich bald das Ende des Hosenbeins erreicht, und da ging es nicht mehr weiter.

«Hilfe! Zur Hilfe!», kreischte der Mann. «Jetzt sitzt sie in meiner Unterhose! Sie rennt in meiner verdammten Unterhose herum! Holt sie doch raus! Hilf mir doch jemand, damit sie da wieder rausgeht!»

«Lass doch deine Hose runter, du Torfkopf!», rief jemand anders. «Und dann zieh deine Unterhose aus, dann werden wir sie schon erwischen!»

Ich steckte jetzt genau in der Mitte der Männerhose, an der Stelle, wo die beiden Hosenbeine zusammenstoßen und wo der Reißverschluss beginnt. Es war hier drinnen finster und scheußlich heiß. Ich wusste aber, dass ich weiter musste. Ich stürzte mich also wieder weiter und fand den Anfang des anderen Hosenbeines. Ich rutschte wie ein geölter Blitz durch die Röhre, purzelte unten heraus und fand mich wieder auf dem Fußboden. Ich hörte, wie der dämliche Koch immer noch schrie: «Sie steckt in meiner Hose! Holt sie raus! Bitte, bitte!

Kann mir nicht jemand helfen und sie rausholen, ehe sie mich beißt!»

Ich erhaschte noch einen flüchtigen Blick auf die gesamte Küchenbrigade, die sich um ihn drängelte und sich halb totlachte, und keiner sah die kleine braune Maus, die über den Kachelboden huschte und in einen Sack mit Kartoffeln sprang.

Ich buddelte mich zwischen den schmutzigen Kartoffeln ein und hielt die Luft an.

Der Koch musste angefangen haben, seine Hosen auszuziehen, denn jetzt brüllten sie alle durcheinander: «Da ist ja gar nichts! Da steckt nichts drin! Du hast ja gar keine Mäuse, du mickriger Mäusemelker!»

«Aber da ist eine gewesen! Ich schwör's euch, da war eine!», schrie der Mann zurück. «Ihr habt ja noch nie eine Maus in der Hose gehabt. Ihr habt ja keine Ahnung, was das für ein Gefühl ist!»

Die Tatsache, dass ein so winziges Wesen, wie ich es war, eine ganze Mannschaft von erwachsenen Männern so in Aufruhr versetzen konnte, erfüllte mich mit einem wohligen Glücksgefühl. Trotz der Schmerzen, die ich in meinem Schwanz hatte, musste ich schmunzeln.

Ich blieb, wo ich war, bis ich sicher sein konnte, dass sie mich vergessen hatten. Dann wühlte ich mich wieder aus den Kartoffeln heraus und schob meinen kleinen Kopf über den Rand des Sackes. Die Küche war wieder von dem Krach und Getöse der Köche und der Kellner erfüllt, die unaufhörlich überall herumrannten. Ich erblickte den Kellner, der vorhin das beanstandete zähe Fleisch zurückgebracht hatte. Er kam jetzt wieder herein. «He, Jungs!», rief er. «Ich hab die alte Ziege gefragt, ob das neue Stück Fleisch besser wäre, und sie hat gesagt, es wäre einfach göttlich! Richtig lecker wär es, hat sie gesagt!»

Ich musste aus der Küche heraus und zu meiner Großmutter zurück. Und da gab's nur einen einzigen Weg. Ich musste quer über den Fußboden flitzen und hinter einem der Kellner zur Tür hinaus. Ich verhielt mich vollkommen reglos und wartete auf meine Gelegenheit. Mein Schwanz tat unterdessen schrecklich weh. Ich ringelte ihn herum, damit ich ihn betrachten konnte. Es fehlten ein paar Zentimeter, und er blutete ziemlich stark. Ein Kellner war gerade dabei, sich mit Tellern zu beladen, auf denen irgendein rosa Eis angerichtet war. Er trug einen Teller in jeder Hand und balancierte zwei weitere auf jedem Unterarm. Er ging gerade auf die Tür zu. Er stieß sie mit seiner Schulter auf. Ich sprang aus dem Kartoffel sack, sauste über diesen Küchenboden und wie ein Blitz in den Speisesaal, und ich hörte nicht zu rennen auf, bis ich unter dem Tisch meiner Großmutter war.

Es war zu schön, die Füße meiner Großmutter wieder zu sehen, in diesen altmodischen schwarzen Stiefeln mit ihren Schnürsenkeln und Haken. Ich huschte an einem ihrer Beine hinauf und landete auf ihrem Schoß. «Hallo, Großmama!», flüsterte ich. «Ich bin wieder da. Ich hab's geschafft! Ich hab es in ihre Suppe gegossen!»

Ihre Hand kam unter den Tisch und streichelte mich. «Bravo, mein Schätzelchen», flüsterte sie zurück. «Gut gemacht! Im Augenblick sind sie gerade dabei, diese Suppe zu essen!»

Plötzlich zog sie ihre Hand zurück. «Du blutest ja!», flüsterte sie. «Mein Schätzelchen, was ist denn mit dir passiert?»

«Einer der Köche hat mir den Schwanz mit einem Küchenmesser abgeschlagen», flüsterte ich zurück. «Es tut ganz schön weh.»

«Lass mich mal sehen», sagte sie. Sie senkte den Kopf und untersuchte meinen Schwanz. «Armes kleines Ding», flüsterte sie. «Ich werde dich erst einmal mit meinem Taschentuch verbinden. Dann wird es nicht mehr bluten.»

Sie zog ein kleines spitzenbesetztes Taschentuch aus ihrem Lederbeutel und wickelte es irgendwie um meine Schwanzspitze. «Das wird wieder heilen», sagte sie. «Versuch jetzt einfach, nicht mehr daran zu denken. Hast du es wirklich geschafft, ihnen den ganzen Flascheninhalt in die Suppe zu träufeln?»

«Bis zum letzten Tropfen», antwortete ich. «Meinst du, du könntest mich irgendwo unterbringen, von wo ich sie beobachten kann?»

«Sicherlich», antwortete sie. «Meine Handtasche liegt neben mir, auf deinem eigenen Stuhl. Ich steck dich da jetzt hinein, und du kannst hinausschauen, aber nur, wenn du aufpasst, dass dich niemand sieht. Bruno steckt auch da drinnen, aber um ihn brauchst du dich gar nicht zu kümmern. Ich habe ihm ein Brötchen zu essen gegeben, und damit wird er wohl eine Weile beschäftigt sein.»

Ihre Hand umschloss mich, und ich wurde von ihrem Schoß gehoben und in ihre Handtasche überführt. «Hallo, Bruno», sagte ich.

«Schön großes Brötchen», antwortete er, und ich hörte ihn im Grunde des Beutels knuspern und knabbern. «Wär mir nur lieber gewesen, wenn sie's mit Butter bestrichen hätte.»

Ich spähte über den Rand der Handtasche. Ich konnte die Hexen ganz klar und deutlich sehen, wie sie mitten im Saal an ihren beiden langen Tafeln saßen. Sie waren bereits mit der Suppe fertig, und die Kellner sammelten die Teller ein. Meine Großmutter hatte sich eine von ihren schrecklichen schwarzen Zigarren angezündet und nebelte uns gerade ein.

Um uns herum saßen die anderen Sommergäste dieses ziemlich vornehmen Hotels und schwatzten und lachten und stopften sich das Essen in den Bauch. Ungefähr die Hälfte von ihnen waren alte Leute mit Krückstöcken, aber es gab auch eine ganze Masse Familien mit Vater, Mutter und mehreren Kindern. Sie sahen alle recht wohlhabend aus. Das musste man auch sein, wenn man im Grandhotel Ferien machen wollte.

«Das ist sie, Großmama!», flüsterte ich. «Das ist die Hoch-und Großmeister-Hexe!»

«Ich weiß!», flüsterte meine Großmutter zurück. «Sie ist die zierliche Person in Schwarz, am Kopf der Tafel, die uns am nächsten ist.»

«Sie könnte dich ermorden!», flüsterte ich. «Sie könnte jedermann in diesem Raum mit ihren weißglühenden Funken töten!»

«Pass auf!», flüsterte meine Großmutter. «Der Kellner kommt!»

Ich schlüpfte in mein Versteck, und ich hörte William sagen: «Ihr Lammbraten, gnädige Frau. Und was für ein Gemüse wünschen Sie? Erbsen oder Mohrrüben?»

«Mohrrüben, bitte», antwortete meine Großmutter. «Aber keine Kartoffeln.»

Ich hörte, wie die Mohrrüben serviert wurden. Dann wieder Stille. Dann die Stimme meiner Großmutter, die flüsterte: «In Ordnung. Er ist weg.» Ich schob meinen Kopf wieder heraus. «Es merkt doch wohl keiner, wenn ich meinen kleinen Kopf so wie jetzt rausstrecke?», wisperte ich.

«Nein», antwortete sie. «Das glaub ich wirklich nicht. Mein Problem besteht darin, dass ich mich mit dir unterhalten muss, ohne die Lippen zu bewegen.»

«Das kannst du aber großartig», sagte ich.

«Ich hab die Hexen gezählt», sagte sie. «Es sind gar nicht so viele, wie du gedacht hast. Als du gesagt hast zweihundert, da hast du wahrscheinlich nur geschätzt, oder?»

«Sie sind mir wie zweihundert vorgekommen», antwortete ich.

«Ich hab mich auch geirrt», fuhr meine Großmutter fort. «Ich dachte, es gäbe sehr viel mehr Hexen in England.»

«Wie viele sind es denn?», fragte ich.

«Vierundachtzig», erwiderte sie.

«Dann sind es fünfundachtzig gewesen», sagte ich. «Denn eine ist verschmurgelt worden.»

In diesem Moment erblickte ich Mister Jenkins, Brunos Vater, der direkt auf unseren Tisch zusteuerte. «Pass auf, Großmama!», flüsterte ich. «Da kommt Brunos Vater!»