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Die Geschichte fängt eigentlich erst richtig an, nachdem James drei Jahre lang bei seinen Tanten gelebt hatte. Denn eines Morgens erlebte er etwas ziemlich Eigentümliches.
Und dieses erste Ereignis, das bloß ziemlich eigentümlich war. Und dieses sehr eigentümliche Ereignis wiederum verursachte einfach unglaubliche, haarsträubend fantastische Dinge. Es begann alles an einem glühendheißen Tag mitten im Sommer.
Tante Schwamm und Tante Zinke lagen gemütlich im Liegestuhl im Garten, tranken große Gläser kühle Limonade und paßten auf, daß James seine Arbeit nicht unterbrach. Denn James mußte wie immer arbeiten. Diesmal hackte er Holz für den Küchenherd.
Tante Schwamm war sehr klein und ungeheuer fett. Sie hatte kleine Schweinsaugen, einen eingefallenen Mund, und ihr weißes, schwammiges Gesicht sah aus, als ob es gekocht worden sei. Die ganze Tante Schwamm glich einem kugelrunden aufgeweichten Kohlkopf. Tante Zinke dagegen war lang und spindeldürr und knochig und trug einen Nickelkneifer auf der langen spitzen Nase. Sie hatte schmale, verkniffene Lippen und eine kreischende Stimme, und sie spuckte beim Sprechen, sobald sie wütend oder aufgeregt wurde.
Da saßen sie, die beiden scheußlichen Schachteln, schlürften Limonade und schrien zwischendurch James an, er solle schneller Holz hacken. Sie unterhielten sich auch über sich selbst, und jede verkündete laut, für wie schön sie sich hielt. Tante Schwamm hatte einen Handspiegel mit langem Griff auf dem Schoß liegen, und sie hielt ihn immer wieder hoch und betrachtete bewundernd ihr widerliches Gesicht.
Das war Tante Schwamms Meinung von sich selbst, aber Tante Zinke sagte sofort:
Natürlich war Tante Schwamm ganz anderer Ansicht:
Tante Zinke sagte: «Meine liebe Schwamm, du könntest wirklich einen großartig gräßlichen Frankenstein abgeben.»
Unterdessen mühte sich der arme James noch immer beim Holzhacken ab. Es war schrecklich heiß, und er schwitzte sehr. Seine Arme schmerzten. Die Axt war viel zu groß und schwer für einen kleinen Jungen wie ihn; obendrein war die Schneide stumpf. Während er arbeitete, mußte James an all die anderen Kinder auf der Welt denken, und er überlegte sich, was sie wohl in diesem Augenblick machten. Manche fuhren mit dem Dreirad im Garten herum. Andere gingen im kühlen Wald spazieren und pflückten Blumen. Und alle seine kleinen Freunde von früher spielten jetzt am Strand, bauten Sandburgen und planschten im Wasser herum.
Große Tränen rollten James über die Wangen. Die Traurigkeit überwältigte ihn. Er ließ die Axt sinken und lehnte sich an den Hackblock.
«Was ist los?» schrie Tante Zinke und schaute ihn über den Rand ihres Kneifers hinweg wütend an.
James fing an zu schluchzen.
«Hör auf zu heulen und arbeite, du elender Kerl!» befahl Tante Schwamm.
«Tante Schwamm, Tante Zinke, könnten wir nicht mal mit dem Autobus ans Meer fahren, nur ein einziges Mal, bitte?» flehte James. «Es ist nicht weit, und es ist so heiß, und... und ich schwitze so, und ich bin hier immer so allein!»
«Was fällt dir ein, du gefräßiger Faulpelz!» schrie Tante Zinke.
«Verprügle ihn!» schrie Tante Schwamm.
«Natürlich verprügle ich ihn!» Tante Zinke funkelte James an, als ob sie ihn auffressen wollte, und James schaute sie mit weit aufgerissenen ängstlichen Augen an.
«Ich verprügle dich später, wenn es nicht mehr so heiß ist, und wenn ich dabei nicht mehr so schwitzen muß»,, sagte Tante Zinke. «Und jetzt verschwinde, du ekelhafter Wurm, und laß mich in Ruhe!»
James ließ sich das nicht zweimal sagen. Er machte kehrt und rannte, so schnell er konnte, bis in den fernsten Gartenwinkel. Dort versteckte er sich hinter dem alten Lorbeergebüsch, legte das Gesicht auf die Arme und weinte und weinte.