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«Ich weiß etwas, das wir versuchen könnten», sagte James Henry Trotter langsam. «Aber ich weiß nicht, ob es wirklich geht...»
«Sag's schon!» drängte Regenwurm. «Schnell!»
«Wir tun alles, was du für richtig hältst!» sagte Tausendfüßler. «Aber mach schnell!»
«Seid still und laßt den Jungen reden», sagte Marienkäferchen. «Sag's uns, James.»
Sie drängten sich alle um ihn. Es entstand eine ziemlich lange Pause.
«Nun red schon!» riefen sie verzweifelt. Denn die ganze Zeit hörten sie, wie unten die Haie das Wasser schier zum Brodeln brachten. Das klang bedrohlich genug, um jeden in Verzweiflung zu stürzen.
«Sag's doch, James», bat Marienkäferchen.
«Ich... ich... ich fürchte, es ist doch keine gute Idee», murmelte James und ließ den Kopf hängen. «Es tut mir schrecklich leid. Ich habe das Wichtigste vergessen. Wir haben ja keine Seile, und wir brauchten Hunderte von Metern Seil...»
«Was für Seile?» fragte Grashüpfer scharf.
«Nun, irgendwelche. Bloß stark müssen sie sein», erklärte James.
«Aber mein lieber Junge, wir haben jede Menge Seile!» rief Grashüpfer.
«Wieso?... Wo?»
«Die Seidenraupe!» stieß Grashüpfer aus. «Die hast du überhaupt nicht bemerkt, nicht wahr? Sie liegt immerzu unten in ihrer Ecke und schläft den lieben langen Tag lang, aber wir können sie aufwecken, damit sie Seile spinnt.»
«Und ich?» sagte Spinne leicht beleidigt. «Ich kann genausogut spinnen wie Seidenraupe. Ich kann sogar Muster spinnen, und das kann sie nicht.»
«Könnt ihr zusammen ganz viele Seile spinnen?» fragte James zweifelnd.
«Soviel du willst!»
«Und schnell?»
«Natürlich.»
«Und ist euer Seil auch stark?»
«Das kräftigste, das es überhaupt gibt! Wir können es so dick wie deinen Finger machen. Warum? Was hast du damit vor?» fragte Spinne.
«Ich werde diesen Pfirsich aus dem Meer heben», verkündete James gelassen.
«Du bist verrückt!» rief Regenwurm.
«Das ist unsere einzige Chance.»
«Der Junge ist übergeschnappt!»
«Er macht sich über uns lustig!»
«Sprich weiter, James», sagte Marienkäferchen freundlich. «Erkläre uns, wie du das anfangen willst.»
«Wahrscheinlich klettert er an dem Seil hoch wie ein Fakir, und dann schlägt er einen Haken in den Himmel, wickelt das Seil darum, und dann zieht er uns... hau ruck... daran hoch», spottete Tausendfüßler.
«Mit Seemöwen», antwortete James ungerührt. «Schaut nur, hier gibt's genug.»
Alle hoben die Köpfe. Ein großer Möwenschwarm schwebte oben am Himmel.
«Ich nehme eine lange Seidenschnur und binde das eine Ende einer Möwe um den Hals», fuhr James fort. «Dann binde ich das andere Ende um den Pfirsichstengel.» Er zeigte auf den Pfirsichstengel, der wie ein kurzer dicker Mast mitten auf Deck aufragte. «Und dann fange ich eine zweite Möwe und mache es mit ihr genauso, und dann noch eine, und noch eine, und immer so weiter... »
«Das ist unmöglich!»
«Verrückt!»
«Einfach lächerlich!»
«Wahnsinn!»
«Haushoher Blödsinn!»
«Wie können ein paar Möwen solch ein Riesending wie diesen Pfirsich in die Luft heben und uns noch obendrein dazu?» sagte Grashüpfer. «Dazu brauchten wir praktisch Hunderte von Möwen, Tausende...»
«Es gibt hier jede Menge Möwen», antwortete James.
«Ich weiß nicht, wie viele wir brauchen. Vielleicht vier- oder fünfhundert, vielleicht wirklich tausend. Ich binde einfach so lange Möwen an den Pfirsichstengel, bis es genug sind, um uns hochzuheben. Zum Schluß bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als uns hochzuheben. Das ist wie bei Luftballons. Wenn man jemandem genug Luftballons zum Festhalten gibt... ich meine, wirklich genug... dann fliegt er zum Schluß davon. Und eine Möwe ist viel stärker als ein Luftballon und kann viel mehr heben. Wenn wir bloß noch genug Zeit haben... Wenn die Haie uns bloß nicht vorher zum Sinken bringen...»
«Du hast den Verstand verloren», sagte Regenwurm. «Wie willst du den Möwen die Schlinge um den Hals legen? Willst du selbst da hinauffliegen und sie eine nach der anderen fangen und herunterholen?»
«Der Junge hat einen Dachschaden!» sagte Tausendfüßler.
«Laßt ihn ausreden», mahnte Marienkäferchen. «Also, James, wie willst du das anstellen?»
«Mit einem Köder.»
«Mit was für einem Köder?»
«Mit einem Wurm, natürlich. Möwen lieben Würmer. Wußtet ihr das nicht? Und glücklicherweise haben wir den größten, fettesten, saftigsten und rosigsten Regenwurm auf der Welt an Bord.»
«Aus deinem Plan wird nichts!» sagte Regenwurm scharf. «Du brauchst gar nicht weiterzureden!»
«Doch, doch!» drängten die anderen voll Interesse. «Rede weiter, James!»
«Die Möwen haben Regenwurm schon erspäht», fuhr James fort. «Deshalb kreisen sie über uns. Aber sie trauen sich nicht herunter, um ihn zu holen, solange wir alle um ihn herumstehen. Deshalb... »
«Halt, sei still!» schrie Regenwurm. «Hör auf! Ich weigere mich! Ich... ich... ich...»
«Sei still und kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten!» sagte Tausendfüßler.
«Das sind meine eigenen Angelegenheiten!»
«Mein lieber Regenwurm, du wirst auf jeden Fall aufgefressen. Welchen Unterschied macht es also, ob dich die Haie fressen oder die Möwen?»
«Ich mache nicht mit!»
«Hört euch doch zuerst an, wie James seinen Plan durchführen will», meinte Grashüpfer.
«Ich pfeife auf seinen Plan!» schrie Regenwurm. «Ich lasse mich nicht von Möwen totpicken!»
«Dann bist du ein Märtyrer», sagte Tausendfüßler. «Und ich denke mein ganzes Leben lang voll Dankbarkeit und Hochachtung an dich.»
«Ich auch», sagte Spinne. «Und dein Name kommt in die Zeitung. Regenwurm opfert sein Leben, um seine Freunde zu retten...»
«Aber er braucht sein Leben ja gar nicht zu opfern», sagte James. «Hört mal zu. Wir machen das so...»