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Jetzt war es Sommer geworden, die Schule war zu Ende, und Lillebror sollte zu seiner Großmutter fahren. Aber erst mußte noch etwas sehr Wichtiges vor sich gehen: Lillebror wurde acht Jahre alt. Ach, er hatte auf diesen Geburtstag so lange gewartet — beinahe von dem Tag an, als er sieben wurde! Es war eigentümlich, wie lange Zeit zwischen den Geburtstagen war, fast ebenso lange wie zwischen den Weihnachten. Am Abend vor dem Geburtstag unterhielt er sich eine Weile mit Karlsson.
„Ich habe morgen Geburtstag", sagte Lillebror. „Gunilla und Krister kommen, und hier drinnen in meinem Zimmer wird der Tisch gedeckt..."
Lillebror verstummte und blickte finster vor sich hin. „Ich hätte dich auch gern eingeladen", sagte er, „aber..." Mama war ja so böse auf Karlsson vom Dach. Es hatte sicher keinen Zweck, hinzugehen und zu bitten, ob er ihn zum Geburtstag einladen dürfe.
Aber Karlsson machte einen noch größeren Flunsch als sonst.
„Ich mach' nicht mit, wenn ich nicht mitmachen darf, sagte er. „Ich darf wohl auch mal ein Vergnügen haben!" „Ja ja, du darfst kommen", sagte Lillebror hastig. Er wollte mit Mama sprechen — dann mochte kommen, was wollte. Er konnte seinen Geburtstag nicht ohne Karlsson feiern. „Was kriegen wir zu essen?" fragte Karlsson, als er fertiggemault hatte.
„Torte natürlich", sagte Lillebror. „Ich bekomme eine Geburtstagstorte mit acht Lichtern drauf." „So so", sagte Karlsson. „Du, ich habe einen Vorschlag!" „Was für einen?" fragte Lillebror.
„Kannst du nicht deine Mama bitten, ob du statt dessen acht Torten und ein Licht haben kannst?" Lillebror meinte, darauf werde sich Mama nicht einlassen. „Kriegst du denn ein paar gute Geschenke?" fragte Karlsson. „Das weiß ich nicht", sagte Lillebror.
Er seufzte. Er wußte wohl, was er sich wünschte — mehr als irgend etwas anderes auf der Welt wünschte. Aber das bekam er nicht.
„Einen Hund kriege ich wohl in meinem ganzen Leben nicht", sagte er. „Aber ich bekomme selbstverständlich eine Menge anderer Geschenke. Ich muß also froh sein und darf nicht den ganzen Tag an einen Hund denken. Das habe ich mir vorgenommen."
„Nee, und dann hast du ja mich", sagte Karlsson. „Und ich sollte meinen, das haut 'n bißchen mehr hin als ein Hund!" Er legte den Kopf schief und schaute Lillebror an.
„Ich möchte wirklich mal wissen, was für Geschenke du kriegst", sagte er. „Ich möchte wissen, ob du Bonbons kriegst! In dem Fall, finde ich, sollten sie unmittelbar wohltätigen Zwecken zugeführt werden."
„Ja, wenn ich eine Tüte Bonbons bekomme, dann sollst du sie haben", sagte Lillebror.
Für Karlsson konnte er alles tun, und jetzt mußten sie sich ja außerdem trennen.
„Karlsson, übermorgen fahre ich zu meiner Großmutter und bleibe den ganzen Sommer dort", sagte Lillebror. Karlsson sah erst etwas verdrießlich aus, aber dann sagte er prahlerisch:
„Ich fahre auch zu meiner Großmutter. Sie ist viel groß-muttriger als deine."
„Wo wohnt sie, deine Großmutter?" fragte Lillebror.
„In einem Haus", antwortete Karlsson. „Dachtest du, sie rennt die ganzen Nächte draußen rum?"
Danach wurde nicht mehr von Karlssons Großmutter oder von Lillebrors Geburtstagsgeschenken oder sonstwas geredet, denn es war spät geworden, und Lillebror mußte ins Bett gehen, damit er an seinem Geburtstag rechtzeitig wach sein konnte. Diese Minuten am Geburtstagsmorgen, während man dalag und wartete, daß die Tür aufging und alle miteinander hereinkamen — mit dem Geburtstagstablett und Geschenken — das war fast mehr, als man ertragen konnte. Lillebror fühlte, wie es ihm richtig im Bauch kribbelte vor Spannung. Aber jetzt kamen sie, jetzt stimmten sie da draußen ihr „Hoch soll er leben" an, jetzt ging die Tür auf, und da waren sie alle versammelt, Mama und Papa und Birger und Betty. Lillebror setzte sich kerzengrade im Bett hoch, und seine Augen blitzten.
„Ich gratuliere, liebster Lillebror", sagte Mama. Alle sagten der Reihe nach zu ihm „ich gratuliere". Und da war die Torte mit den acht Lichtern, und auf dem Tablett lagen die Geschenke.
Mehrere Geschenke. Wenn auch eigentlich nicht so viele, wie er es an seinem Geburtstag gewohnt war. Da lagen nicht mehr als vier Pakete, wie oft Lillebror auch nachzählte. Aber Papa sagte:
„Im Laufe des Tages können noch mehr Geschenke kommen. Man braucht ja nicht gleich alles frühmorgens zu bekommen."
Und Lillebror freute sich sehr über seine vier Pakete. Er hatte einen Tuschkasten bekommen und ein Spielzeugauto und ein Buch und ein Paar neue Hosen, und er fand alles sehr schön. Wie waren sie doch lieb, Mama und Papa und Birger und Betty! Keiner hatte so liebe Eltern oder so liebe Geschwister wie er.
Er ließ ein paarmal sein Auto durch das Zimmer sausen. Und die ganze Familie saß auf seiner Bettkante und sah zu. Oh, wie lieb hatte er sie alle miteinander!
„Denkt bloß, jetzt ist es acht Jahre her, seit dieser kleine Knirps zur Welt kam", sagte Papa.
„Ja", sagte Mama, „wie doch die Zeit vergeht! Erinnerst du dich noch, wie es an dem Tag in Stockholm regnete?"
„Mama, ich bin ja hier in Stockholm geboren", sagte Lillebror.
„Ja, gewiß bist du das", sagte Mama.
„Aber Birger und Betty, die sind in Malmö geboren?"
„Ja, das sind sie."
„Und du, Papa, du bist in Göteborg geboren?"
„Ja, ich bin ein Göteborger Kind", sagte Papa.
„Und wo bist du geboren, Mama?"
„In Eskilstuna", sagte Mama.
Lillebror schlang lebhaft seine Arme um ihren Hals.
„Da haben wir aber ein phenominonales Glück gehabt, daß wir uns alle getroffen haben!"
Der Meinung waren sie alle. Und dann sangen sie noch einmal „Hoch soll er leben!", und Lillebror ließ sein Auto fahren, und es sauste durchs Zimmer.
Er hatte noch viele Male im Laufe des Tages Gelegenheit, sein Auto fahren zu lassen, während er darauf wartete, daß die Geburtstagsgesellschaft anfing. Und er hatte ziemlich viel Gelegenheit, darüber nachzugrübeln, was Papa gesagt hatte — daß es im Laufe des Tages noch mehr Geschenke geben könnte. Einen kurzen glücklichen Augenblick lang dachte er, ob nicht vielleicht doch ein Wunder geschehen und er einen Hund bekommen würde. Aber dann sah er ein, es war unmöglich. Und er machte sich selber Vorwürfe, daß er auf so dumme Gedanken kommen konnte — er hatte sich doch vorgenommen, den ganzen Geburtstag hindurch nicht an einen Hund zu denken, sondern trotzdem vergnügt zu sein.
Und Lillebror war vergnügt. Gegen Nachmittag begann Mama, in seinem Zimmer den Tisch überaus fein zu decken. Sie stellte eine ganze Menge Blumen auf den Tisch und die besten, dünnsten Tassen — drei Stück.
„Mama, wir brauchen vier Tassen", sagte Lillebror. „Wieso denn?" fragte Mama verwundert. Lillebror schluckte. Er war gezwungen zu erzählen, daß er Karlsson vom Dach eingeladen hatte, wenn Mama auch nicht einverstanden sein würde.
„Karlsson vom Dach kommt auch", sagte Lillebror und sah seiner Mutter fest in die Augen.
„Oooh", sagte Mama. „Oooh! Aber — na schön, die Tasse holen wir, wenn Karlsson da ist."
Sie strich Lillebror über das helle Haar.
„Was hast du nur alles für kindliche Einfälle, Lillebror. Man sollte nicht glauben, daß du schon acht geworden bist. Wie alt bist du eigentlich?"
„Ich bin ein Mann in den besten Jahren", sagte Lillebror würdevoll. „Und das sagt Karlsson auch." Der Geburtstag schlich sich im Schneckentempo dahin. Jetzt war es schon ziemlich „im Laufe des Tages", aber noch immer hatte er keine weiteren Geschenke zu Gesicht bekommen. Endlich bekam er jedenfalls eins. Birger und Betty, deren Sommerferien noch nicht begonnen hatten, kamen von der Schule nach Hause. Und sie schlössen sich in Birgers Zimmer ein. Lillebror durfte nicht mitkommen. Er hörte, wie
sie da drinnen kicherten und mit Papier raschelten. Lillebror war zu neugierig, daß er am liebsten geplatzt wäre.
Nach einer ganzen Weile kamen sie heraus, und Betty lachte und reichte ihm ein Paket. Lillebror freute sich mächtig und wollte gleich das Papier abreißen. Aber da sagte Birger:
„Du mußt erst das Gedicht lesen, das außen drauf steht." Sie hatten es mit großen Blockbuchstaben geschrieben, damit Lillebror es selber lesen konnte, und er las:
Lillebror stand wie angewurzelt und völlig stumm da. „Mach jetzt das Paket auf", sagte Birger.
Aber Lillebror schmiß es auf die Erde, und die Tränen schössen ihm aus den Augen.
„Aber Lillebror, was ist denn los?" rief Betty.
„Was hast du denn?" fragte Birger. „Bist du denn so unglücklich?"
Betty schlang die Arme um Lillebror.
„Sei nicht böse, es war doch nur Spaß, das mußt du doch verstehen."
Lillebror riß sich heftig los. Die Tränen strömten ihm über die Backen.
„Ihr habt ja gewußt", schluchzte er, „ihr habt ja gewußt, daß ich einen lebendigen Hund haben wollte, und dann braucht ihr mich doch nicht so anzuführen."
Er rannte ihnen davon in sein Zimmer und warf sich aufs Bett. Birger und Betty gingen ihm nach, und Mama kam angelaufen.
Aber Lillebror kümmerte sich nicht um sie. Er weinte so sehr, daß er vom Schluchzen geschüttelt wurde. Jetzt war der ganze Geburtstag verdorben. Er hatte sich doch vorgenommen, vergnügt zu sein, auch wenn er keinen Hund bekam, aber wenn die ankamen und ihm einen Samthund schenkten ... Das Weinen stieg zu einem richtigen Gejammer an, als er daran dachte, und er bohrte das Gesicht in die Kissen, so tief er konnte. Mama und Birger und Betty standen um das Bett herum und waren ebenfalls ganz niedergeschlagen.
„Ich läute Papa an und bitte ihn, ob er nicht etwas früher vom Büro nach Hause kommen kann", sagte Mama. Lillebror weinte — was für einen Zweck hatte es, daß Papa nach Hause kam? Alles war jetzt so trostlos und der Geburtstag verdorben, nichts und gar nichts hatte irgendeinen Zweck.
Er hörte, wie Mama hinüberging und telefonierte — aber er weinte. Er hörte auch, wie Papa eine Weile später nach Hause kam — aber er weinte. Er konnte nie mehr vergnügt sein. Es wäre schon besser, er wäre tot. Und da mochten Birger und Betty ihren Samthund nehmen und immer, immer daran denken, wie häßlich sie zu ihrem kleinen Bruder gewesen waren, als er noch lebte und seinen Geburtstag feierte. Da standen sie plötzlich alle miteinander an seinem Bett — Papa und Mama und Birger und Betty. Er grub sein Gesicht noch tiefer in das Kissen.
„Lillebror, da draußen auf dem Korridor ist jemand, der auf dich wartet", sagte Papa.
Lillebror gab keine Antwort. Papa rüttelte ihn an der Schulter. „Draußen auf dem Korridor wartet ein guter kleiner Freund von dir, hast du nicht gehört!"
„Ist es Gunilla oder Krister?" murmelte Lillebror mürrisch.
„Nein, einer, der Bimbo heißt", sagte Mama.
„Ich kenne keinen, der Bimbo heißt", murmelte Lillebror noch mürrischer.
„Das mag wohl sein", sagte Mama. „Aber er möchte dich gern kennenlernen."
Da ertönte aus dem Korridor ein kurzes, kläffendes Hundegebell.
Lillebror spannte alle Muskeln an und krallte die Hände in das Kissen — nein, jetzt durfte er sich aber wirklich nicht lauter dummes Zeug einbilden!
Aber wieder hörte man dies leise Gekläff. Lillebror setzte sich jäh im Bett hoch.
„Ist das ein Hund?" fragte er. „Ist das ein lebendiger Hund?" „Ja, es ist dein Hund", sagte Papa.
Und nun rannte Birger in den Flur hinaus, und im Nu war er wieder da, und in seinen Armen trug er — oh, war das
wirklich wahr? — in seinen Armen trug er einen kleinen, jungen rauhhaarigen Dackel.
„Ist das mein lebendiger Hund?" flüsterte Lillebror.
Er hatte noch immer Tränen in den Augen, als er die Arme nach Bimbo ausstreckte. Er sah aus, als glaubte er, der Dackel würde sich in der nächsten Sekunde in Rauch auflösen und verschwinden.
Aber Bimbo verschwand nicht. Bimbo lag in seinem Arm und leckte ihm das Gesicht und tobte und bellte und schnappte nach seinen Ohren. Bimbo war kolossal lebendig. „Freust du dich jetzt, Lillebror?" fragte Papa. Lillebror seufzte auf. Wie konnte Papa nur fragen? Er freute sich so, daß es irgendwo drinnen in der Seele wehtat oder im Bauch oder wo es nun saß, wenn man sich richtig freute. „Dieser Samthund, weißt du, Lillebror, der sollte nur ein Spielzeug für Bimbo sein", sagte Betty. „Wir hatten doch nicht die Absicht, dich anzuführen — wenigstens nicht so sehr", fügte sie hinzu.
Lillebror verzieh alles. Und im übrigen hörte er kaum, was sie sagte. Denn er unterhielt sich mit Bimbo.
„Bimbo, ach Bimbo, du bist mein Hund!"
Dann sagte er zu Mama: „Ich finde Bimbo noch süßer als Ahlberg. Rauhhaarige Dackel sind unter allen Umständen am süßesten."
Dann fiel ihm ein, daß Gunilla und Krister jede Minute kommen konnten. Oh, oh, er begriff gar nicht, daß man so viel Schönes an einem einzigen Tag erleben konnte! Denkt bloß, jetzt würden sie sehen, daß er einen Hund hatte, und einen, der richtig seiner war und das Liebste, Liebste, Liebste auf der ganzen Welt.
Aber plötzlich wurde er unruhig.
„Mama, darf ich Bimbo mitnehmen, wenn ich zu Großmutter fahre?"
„Aber gewiß, du nimmst ihn in diesem kleinen Korb mit in den Zug", sagte Mama und wies auf einen Hundekorb, den Birger vom Korridor hereingeholt hatte. „Oh", sagte Lillebror, „oh!"
In diesem Augenblick klingelte es an der Wohnungstür. Gunilla und Krister kamen, und Lillebror rannte ihnen entgegen und sdirie:
„Ich hab' einen Hund bekommen! Er gehört mir ganz allein!" „O Gott, wie ist der süß", sagte Gunilla. Aber dann besann sie sich und sagte: „Ich gratuliere! Dies ist von Krister und mir zusammen."
Sie überreichte ihm eine Tüte Bonbons. Und dann machte sie sich über Bimbo her und rief wieder:
„Oh, wie ist der süß!"
Das hörte Lillebror nur zu gern.
„Fast ebenso süß wie Joffa", meinte Krister.
„Fast noch süßer", sagte Gunilla. „Sogar süßer als Ahlberg.«
„Ja, viel süßer als Ahlberg", sagte Krister.
Lillebror fand, daß Gunilla und Krister riesig nett waren. Und er forderte sie auf, an der Geburtstagstafel Platz zu nehmen.
Mama hatte soeben große Schüsseln hereingetragen, voll, voll herrlicher Butterbrote mit Schinken und Käse darauf. Und mitten auf dem Tisch stand die Geburtstagstorte mit acht Lichtern.
Und aus der Küche kam Mama herein mit einer großen Kanne Schokolade. Sie fing gleich an, in die Tassen einzuschenken.
„Müssen wir nicht auf Karlsson warten?" fragte Lille-? bror zögernd.
Mama schüttelte den Kopf.
„Jetzt finde ich, wir kümmern uns nicht mehr um Karlsson. Denn weißt du, ich bin sicher, daß er gar nicht kommt. Von jetzt ab kümmern wir uns überhaupt nicht mehr um Karlsson. Denn jetzt hast du ja Bimbo."
Ja, jetzt hatte er ja Bimbo — aber deshalb wollte Lillebror doch, daß Karlsson bei seiner Geburtstagsfeier dabei war.
Gunilla und Krister setzten sich an den Tisch, und Mama reichte Butterbrote herum. Lillebror legte Bimbo in den
kleinen Hundekorb und setzte sich ebenfalls. Dann ging Mama hinaus und ließ die Kinder allein.
Birger steckte noch einmal den Kopf zur Tür hinein und rief:
„Du hebst hoffentlich ein bißchen von der Torte auf — Betty und ich möchten auch gern ein Stück haben. Daran wirst du doch denken?"
„Ja, das muß ich wohl tun", sagte Lillebror. „Wenn es auch eigentlich ungerecht ist, denn ihr habt sieben, acht Jahre lang Torte gefuttert, als ich noch gar nicht auf der Welt war." „Komm mir nicht damit! Ein großes Stück Torte will ich haben", sagte Birger und machte die Tür zu. Kaum war er weg, da hörte man das gewohnte Brummen, und herein kam Karlsson.
„Habt ihr etwa schon angefangen?" schrie er. „Wieviel habt ihr gegessen?"
Lillebror tröstete ihn, sie wären noch gar nicht zum Essen gekommen.
„Prächtig", sagte Karlsson.
„Sagst du nicht ,ich gratuliere' zu Lillebror?" fragte Gunilla. „Ach so, ja, gratuliere, gratuliere", sagte Karlsson. „Wo sitze ich?"
Für Karlsson war ja nicht gedeckt, und als er das merkte, zog er einen Flunsch und maulte.
„Ich mach' nicht mit, wenn es so ungerecht zugehen soll. Warum hab' ich denn keine Tasse bekommen?"
Lillebror schob ihm schleunigst seine eigene hin. Und dann schlich er leise in die Küche hinaus und holte sich eine andere Tasse.
„Karlsson, ich habe einen Hund bekommen", sagte er, als er zurückkam. „Da liegt er, er heißt Bimbo."
Lillebror zeigte auf Bimbo, der in seinem Korb eingeschlafen war.
„Soso, das ist ja nett", sagte Karlsson. „Dies Butterbrot ist für mich, ich hab's schon angefaßt — und dies und dies!" „Ach ja, stimmt ja", sagte er dann, „ich hab' ja ein Geburtstagsgeschenk für dich mit. Ich bin der Guteste, den es gibt."
Aus seiner Hosentasche zog er eine kleine Pfeife und reichte sie Lillebror.
„Die kannst du haben und damit nach deinem Bimbo pfeifen. Das mach' ich auch so, ich pfeife immer nach meinen Hunden, wenn auch meine Hunde Ahlberg heißen und fliegen können." „Heißen sie alle Ahlberg?" fragte Krister. „Ja, alle tausend", sagte Karlsson. „Wann schneiden wir die Torte an?"
„Vielen Dank, lieber, lieber Karlsson, für die Trillerpfeife", sagte Lillebror. „Oh, das macht aber Spaß, wenn man so eine hat — da pfeife ich immer nach Bimbo."
„Allerdings werde ich sie mir manchmal ausleihen", sagte Karlsson. „Ziemlich oft vielleicht leihe ich sie mir aus", sagte er und fuhr unruhig fort: „Hast du Bonbons bekommen?"
„Ja, gewiß", sagte Lillebror. „Von Gunilla und Krister."
„Die werden gleich wohltätigen Zwecken zugeführt", sagte Karlsson und schnappte sich die Tüte. Er stopfte sie in die Tasche und fiel über die Butterbrote her.
Gunilla und Krister mußten sich beeilen, um auch noch was abzubekommen. Aber zum Glück hatte Mama sehr viele gestrichen.
Im Wohnzimmer saßen Mama, Papa, Birger und Betty. „Hört, wie lustig sie da drinnen sind", sagte Mama. „Oh, wie bin ich froh, daß Lillebror seinen Hund hat. Er wird natürlich Mühe machen, aber das hilft eben nichts."
„Ja, und nun wird er seine dummen Phantasien mit Karlsson vom Dach vergessen, davon bin ich überzeugt", sagte Papa. In Lillebrors Zimmer wurde gelacht und geschwatzt, und Mama sagte: „Wollen wir nicht hineingehen und sehen, was die Kinder treiben?"
„Ja, kommt, gehen wir mal hinein", sagte Betty.
Und sie gingen alle zusammen hinüber, Mama und Papa und Birger und Betty, um sich Lillebrors Geburtstagsgesellschaft anzusehen.
Es war Papa, der als erster die Tür öffnete. Aber es war Mama, die als erste aufschrie. Denn sie war es, die den kleinen dicken Mann zuerst erblickte, der neben Lillebror saß. Ein kleiner dicker Mann mit Sahnetorte bis weit über beide Ohren hinauf.
„Nein, jetzt werde ich ohnmächtig", sagte Mama.
Papa und Birger und Betty standen nur da und rissen die Augen auf.
„Siehst du, Mama, Karlsson ist doch noch gekommen", sagte Lillebror vergnügt.
Ach, was war das heute für ein schöner Geburtstag! Der kleine dicke Mann wischte die Sahnetorte, die er um den Mund geschmiert hatte, ein bißchen weg und winkte Papa und Mama und Birger und Betty mit einer kurzen dicken Hand zu, daß die Sahne nur so spritzte.
„Heißa hopsa", schrie er. „Ihr habt sicher noch nicht die Ehre gehabt? Mein Name ist Karlsson vom Dach — halt, halt, Gunilla, tu dir nicht so viel auf! Ich darf wohl auch ein bißchen Torte haben!"
Er packte Gunillas Hand, die den Tortenheber hielt, und zwang sie, ihn loszulassen.
„Hat man je so ein gefräßiges kleines Mädchen gesehen?" sagte er.
Dann nahm er sich selber ein großes Stück.
„Der beste Tortenesser der Welt, das ist Karlsson vom Dach",
sagte er und lachte strahlend wie eine Sonne.
„Kommt, wir gehen", flüsterte Mama.
„Ja, ich hindere euch nicht", sagte Karlsson.
„Versprich mir eins", sagte Papa zu Mama, als sie die Tür wieder hinter sich zugemacht hatten. „Versprecht mir alle eins, Birger und Betty, ihr ebenfalls! Sprecht zu niemand hierüber, zu gar keinen Menschen." „Weshalb denn nicht?" fragte Birger.
„Niemand würde es glauben", sagte Papa. „Und wenn sie es glaubten, würden wir für den Rest unseres Lebens keine ruhige Minute mehr haben."
Papa und Mama und Birger und Betty gaben sich die Hand darauf, daß sie keinem einzigen Menschen von diesem sonderbaren Spielkameraden erzählen wollten, den Lillebror sich zugelegt hatte.
Und sie hielten Wort. Nie hat jemand etwas über Karlsson von ihnen gehört. Deshalb kann Karlsson weiter in seinem kleinen Hause wohnen, von dem keiner etwas weiß, obwohl es auf einem ganz gewöhnlichen Dach auf einem ganz gewöhnlichen Haus in einer ganz gewöhnlichen Straße in Stockholm steht. Karlsson kann umhergehen und in aller Ruhe Streiche machen, und das tut er auch. Denn er ist der beste Streichemacher der Welt.
Als die Butterbrote und auch die Kuchen und die ganze Torte alle waren und Gunilla und Krister nach Hause gegangen waren und Bimbo schlief, da nahm Lillebror von Karlsson Abschied. Karlsson saß auf dem Fensterblech, im Begriff aufzubrechen. Die Gardinen wehten sacht hin und her, die Luft war lau — es war ja Sommer.
„Lieber, lieber Karlsson, es ist doch ganz sicher, daß du noch auf dem Dach wohnst, wenn ich von Großmutter zurückkomme?" fragte Lillebror.
„Ruhig, nur ruhig", sagte Karlsson. „Wenn mich meine Großmutter nur losläßt. Aber das ist nicht sicher. Denn sie findet, ich bin das beste Enkelkind der Welt." „Bist du das?" fragte Lillebror.
„Ja, wer in aller Welt sollte es denn sonst sein? Kannst du dir einen anderen denken?" fragte Karlsson.
Dann drehte er an dem Knopf, der ungefähr mitten vor seinem Nabel saß. Der Motor begann zu brummen.
„Wenn wir zurückkommen, essen wir viel Torte", schrie er.
„Denn von der heute konnte man nicht fett werden. Heißa hopsa, Lillebror!"
„Heißa hopsa, Karlsson", rief Lillebror.
Und dann war Karlsson weg.
Aber in dem Hundekorb neben Lillebrors Bett lag Bimbo und schlief. Lillebror beugte sich zu ihm hinunter. Er schnupperte an ihm. Er strich mit einer kleinen rauhen Hand sacht über seinen Kopf.
„Bimbo, morgen fahren wir zur Großmutter", sagte er. „Gute Nacht, Bimbo! Schlaf gut, Bimbo!"