52064.fb2 Mary Poppins - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 12

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»Das bin ich nicht«, erwiderte Michael. »Es gibt gar keine verkehrte Seite an meinem Bett.«

»Jedes Bett hat eine richtige und eine verkehrte Seite«, sagte Mary Poppins nachdrücklich.

»Meins nicht — es steht an der Wand.«

»Das ist gleich. Es hat trotzdem zwei Seiten«, lachte Mary Poppins.

»Nun, ist dann die linke oder die rechte Seite die verkehrte? Ich bin nämlich auf der rechten Seite aus dem Bett gestiegen, wie kann es dann verkehrt sein?«

»Beide Seiten waren heute morgen verkehrt, Mister Besserwisser.«

»Aber mein Bett hat nur eine Seite, und wenn ich an der rechten heraus bin —«, widersprach er hartnäckig.

»Noch ein Wort von dir —«, fing Mary Poppins an, und sie sagte es in so drohendem Ton, daß Michael ein bißchen ängstlich wurde. »Noch ein Wort, und ich werde —« Sie sagte nicht, was sie tun würde, trotzdem beschleunigte er seine Schritte.

»Benimm dich doch anständig!« wisperte Jane.

»Und du sei still!« gab er zurück, aber so leise, daß Mary Poppins es nicht hörte.

»So, mein Lieber, du gehst jetzt schneller — vor mir, bitte«, sagte Mary Poppins. »Ich habe keine Lust, dich länger hinterhertrödeln zu lassen. Du tust mir einen Gefallen, wenn du vorausgehst.« Sie schubste ihn nach vorn. »Und dort liegt etwas auf dem Weg, das glitzert und funkelt. Ich wäre dir dankbar, wenn du hingingst und es aufheben und mir herbringen würdest. Vielleicht hat jemand seinen Schmuck verloren.«

Widerwillig, weil er doch nicht wagte, es nicht zu tun, schaute Michael in die Richtung, in die sie deutete. Richtig — dort lag etwas Glitzerndes auf dem Weg. Aus der Entfernung sah es sehr verlockend aus. Es funkelte, als wollte es ihm zuwinken. Er ging weiter, drehte und wandte sich ein wenig, ging so gemächlich, wie er nur konnte und tat, als ob er nicht nachsehen wollte.

Endlich erreichte er die Stelle, bückte sich und hob das glitzernde Ding auf. Es war eine kleine, runde Schachtel mit einem Glasdeckel. Auf dem Glas war ein Pfeil eingeritzt. Im Innern war eine runde Scheibe, auf der, wie es schien, Buchstaben standen. Die Scheibe schwankte sacht, als er die Schachtel bewegte.

Jane kam angelaufen und blickte ihm über die Schulter.

»Was ist es denn, Michael?« fragte sie.

»Das sag ich dir nicht«, entgegnete Michael und wußte selbst nicht, was es war.

»Mary Poppins, was ist das?« bettelte Jane, als der Kinderwagen sie eingeholt hatte. Mary Poppins nahm Michael die kleine Schachtel aus der Hand.

»Die gehört mir«, sagte er trotzig.

»Nein, mir«, gab Mary Poppins zurück. »Ich hab sie zuerst gesehen.«

»Aber ich hab sie aufgehoben!« Er versuchte, ihr die Schachtel zu entreißen, aber sie warf ihm einen Blick zu, daß seine Hand herabsank.

Mary Poppins wendete das Ding hin und her, und im Sonnenlicht tanzten Scheibe und Buchstaben wie toll in dem Gehäuse.

»Wozu ist das?« fragte Jane.

»Um damit um die Welt zu reisen«, antwortete Mary Poppins.

»Pah!« rief Michael. »Um die Welt reist man in einem Schiff oder in einem Flugzeug. Das weiß ich. Das Schachtelding könnte dich nie um die Welt tragen.«

»O wirklich — könnte es das nicht?« sagte Mary Poppins mit einem sonderbaren Ich-weiß-es-besser-als-du-Ausdruck. »Gib gut acht!«

Sie hielt den Kompaß in der Hand, wandte sich zum Eingang des Parks und sagte: »Nord!«

Die Buchstaben rasten um den Pfeil, in einem schwindelerregenden Tanz. Plötzlich wurde es schneidend kalt in der Luft, und der Wind wehte so eisig, daß Jane und Michael die Augen zukniffen. Als sie sie wieder aufschlugen, war der Park verschwunden — nichts war mehr zu sehen, weder ein Baum noch eine Bank noch ein asphaltierter Fußweg, alles fort. Statt dessen waren sie von riesigen, blauen Eisblöcken umgeben, und unter ihren Füßen lag dick gefrorener Schnee.

»Oh, oh!« rief Jane und zitterte vor Kälte und Überraschung. Sie lief zu den Zwillingen und wickelte sie in die Kinderwagendecke ein. »Was ist denn mit uns geschehen?«

Mary Poppins schaute vielsagend auf Michael. Es blieb ihr keine Zeit zu einer Antwort, denn im selben Augenblick kam aus einem Loch in einem der Eisblöcke ein Eskimo gekrochen, das runde, braune Gesicht von einer weißen Fellmütze umrahmt, und mit einem langen, weißen Pelz über den Schultern.

»Willkommen am Nordpol, Mary Poppins, und auch ihr ande-ren alle!« sagte der Eskimo, übers ganze Gesicht lächelnd. Dann trat er näher und rieb zur Begrüßung seine Nase der Reihe nach an ihren Nasen. Jetzt kam auch eine Eskimodame aus dem Loch gekrochen. Sie trug ein Eskimobaby, das in ein Seehundsfell eingewickelt war.

»Aber, Mary, ist das eine Freude!« rief sie, und das Nasenreiben begann von neuem. »Ihr werdet schön frieren!« Überrascht blickte sie auf die dünnen Kleider. »Warte, ich hole schnell Mäntel für euch. Wir haben ein paar Eisbärenfelle hängen. Und ihr wollt sicher gern etwas Warmes essen, einen Teller Transuppe, nicht wahr, meine Lieben?«

»Ich fürchte, wir können uns nicht länger aufhalten«, unterbrach sie Mary Poppins schnell. »Wir reisen um die Welt und schauten nur für einen Augenblick herein — aber trotzdem, vielen Dank. Vielleicht ein andermal!«

Und mit einer leichten Handbewegung drehte sie den Kompaß und sagte: »Süd!«

Jane und Michael kam es vor, als wirbelte die ganze Welt im Kreis herum wie der Kompaß, sie aber stünden unbeweglich im Mittelpunkt. So wird einem zumute, wenn ein Karussellbesitzer sich den Spaß macht und einen in den Motorraum seines Karussells mitnimmt, während sich draußen alles dreht.

Während die Welt um sie herumwirbelte, spürten sie, wie ihnen wärmer und wärmer wurde, und als sich das Tempo verlangsamte und wieder Ruhe eintrat, da standen sie vor einem Palmenwäldchen. Die Sonne schien heiß, und ringsumher breitete sich goldener und silberner Sand aus, der unter ihren Füßen wie Feuer brannte.

Unter den Palmen saßen ein Mann und eine Frau, beide schwarz von Kopf bis Fuß und nur wenig bekleidet. Aber zum Ausgleich trugen sie viele, viele Glasperlen — einige baumelten ihnen von einer großen Federkrone herab um den Kopf, andere hingen an ihren Ohren, ein oder zwei sogar an ihrer Nase. Glasperlen-schnüre schlangen sich um ihren Hals und lagen, zu Gürteln geflochten, um ihre Hüften. Auf dem Schoß der Negerdame saß ein

Baby, das hatte überhaupt nichts am Leibe. Es lachte die Kinder an, als seine Mutter zu sprechen begann.

»Ah, wir dich schon lang erwarten, Mary Poppins«, sagte sie lächelnd. »Du bringen Kinder in meine kleine Haus, sie gleich sollen haben ein Stück Melone. Aber das sein schrecklich weiße Babys. Du sie müssen anstreichen ein bißchen mit schwarzes Schuhpaste. Kommen mit jetzt. Ihr sein sehr willkommen!« Und sie lachte laut und froh und stand auf und wollte sie zu einer kleinen Palmhütte führen.

Jane und Michael hatten Lust, ihr zu folgen, aber Mary Poppins hielt sie zurück.

»Wir haben leider keine Zeit, hier zu bleiben. Schauten nur herein, als wir vorbeikamen, versteht ihr? Wir müssen noch um die ganze Welt —«, sagte sie zur Erklärung, und die beiden schwarzen Leute schlugen vor Erstaunen die Hände zusammen.

»Ihr haben aber eine Reise vor, o Mary Poppins!« sagte der Mann. Er lachte, rieb sich mit dem Ende seiner großen Keule die Backe und blickte sie aus schwarzen Funkelaugen an.

»Um die ganze Welt? Mein, aber das sein besser als arbeiten, was?« sagte seine Frau. Auch sie lachte, als sei das ganze Leben ein riesiger Spaß, und während sie noch lachte, drehte Mary Poppins den Kompaß und sagte laut und entschieden: »Ost!«

Wieder fing die Welt an herumzuwirbeln, und auf einmal — den erstaunten Kindern schien es nur ein Augenblick — waren die Palmen verschwunden. Als das Gewirbel aufgehört hatte, befanden sie sich in einer Straße, an der fremdartige Häuschen standen. Sie sahen aus, als ob sie aus Papier wären, und die geschweiften Dächer waren mit Glöckchen behängt, die leise im Wind läuteten. Über die Häuser breiteten Mandel- und Pflaumenbäume ihre Zweige, die sich unter leuchtenden Blüten bogen. Auf der Straße lustwandelten Menschen in seltsam geblümten Gewändern. Es war ein sehr heiterer und friedlicher Anblick.

»Ich glaube, wir sind in China«, flüsterte Jane Michael zu.

»Ja, ich glaub es bestimmt!« fuhr sie fort, als jetzt in einem der kleinen Papierhäuser die Tür aufging, aus der ein alter Mann herauskam. Der war wunderlich angetan mit einem steifen Kimono aus Goldbrokat und seidenen Hosen, die an den Knöcheln ein goldener Ring zusammenhielt. Seine Schuhe waren an den Spitzen schwungvoll nach oben gebogen. Von seinem Kopf hing ein langer, grauer Zopf fast bis zu den Knien herab und von seinen Lippen ein langer Bart, der bis zum Gürtel reichte.

Als der alte Herr Mary Poppins und die Kinder stehen sah, verbeugte er sich tief bis zum Boden. Jane und Michael sahen überrascht, wie Mary Poppins sich ebenso tief verneigte, so daß die Margeriten auf ihrem Hut die Erde berührten.

»Wo bleiben eure Manieren?« zischte Mary Poppins und sah aus dieser ungewöhnlichen Stellung zu ihnen auf. Sie sagte es in einem Ton, daß es Jane und Michael ratsam schien, sich auch zu verbeugen, und selbst die Zwillinge neigten die Stirn bis an den Rand des Kinderwagens.

Der alte Herr richtete sich feierlich auf und begann zu sprechen:

»Hochzuverehrende Mary aus dem Hause der Poppins. Laß dich herab, auf mein unwürdiges Haus das Licht deiner trefflichen Gunst auszustrahlen. Und, ich flehe dich an, führe zu seinem öden Herd auch deine vornehmen Reisegefährten.« Er machte noch eine Verbeugung und winkte mit der Hand nach seinem Hause hin.

Jane und Michael hatten noch nie eine so seltsame und wundervolle Ansprache gehört und waren sehr verdutzt. Aber noch größer war ihr Erstaunen, als Mary Poppins die Einladung mit der gleichen Feierlichkeit beantwortete.