52064.fb2 Mary Poppins - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 16

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»Was muß ich hören?« rief die zitterige Stimme und kam näher. Und plötzlich schob sich um die Ecke des Ladentischs eine alte Dame, die so klein und piepsig war wie ihre Stimme und ebenso zitterig. Den Kindern kam sie älter vor als alles in der Welt, mit ihrem Haar, das aussah wie ein Flederwisch, ihren Stöckelbeinen und ihrem verschrumpelten, winzigen Gesicht. Aber im Gegensatz zu ihrem Aussehen lief sie so leicht und munter auf sie zu wie ein junges Mädchen.

»Aber, aber, aber — ah, ich fange an, zu verstehen! Himmel, wenn das nicht Mary Poppins ist mit John und Barbara Banks! Jane und Michael sind auch dabei? Das nenne ich eine Überraschung! Ich kann euch sagen, seit Christoph Kolumbus Amerika entdeckt hat, habe ich keine solche Überraschung mehr erlebt — wirklich nicht!«

Sie lächelte verzückt, während sie mit kleinen, hüpfenden Schritten zur Begrüßung näher kam. In ihren winzigen Zugstiefelchen hüpfte sie zum Kinderwagen, schaukelte ihn sanft und fuhr mit ihren dünnen, krummen, alten Fingern so lange vor Johns und Barbaras Gesicht hin und her, bis sie mit dem Schreien aufhörten und lachten.

»So ist's besser!« sagte sie und kicherte lustig. Dann tat sie etwas höchst Seltsames. Sie brach sich zwei von ihren Fingern ab und gab einen John und einen Barbara. Was aber das Erstaunlichste war: in der Lücke wuchsen sofort zwei neue Finger nach. Jane und Michael konnten es deutlich sehen.

»Nur Gerstenzucker — kann nicht schaden!« sagte die alte Dame zu Mary Poppins.

»Alles, was Sie ihnen geben, Mistreß Corry, kann nur gut für sie sein«, antwortete Mary Poppins mit ungewohnter Höflichkeit.

»Wie schade, daß es keine Pfefferminzstangen sind!« konnte Michael nicht unterdrücken.

»Manchmal sind es welche«, sagte Mistreß Corry verschmitzt, »und die schmecken auch sehr gut. Oft knabbere ich sie selber auf, wenn ich nachts nicht schlafen kann. Besonders gut für die Verdauung!«

»Woraus werden sie das nächstemal sein?« fragte Jane und besah höchst aufmerksam Mistreß Corrys Finger.

»Das ist eben die Frage«, sagte Mistreß Corry. »Ich weiß es nie vorher, woraus sie sein werden. >Ich laß es darauf ankommen, Liebling<, so hörte ich Wilhelm den Eroberer zu seiner Mutter sagen, als sie ihm abriet, England zu erobern.«

»Da müssen Sie aber schrecklich alt sein!« Jane seufzte vor Neid. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß sie sich je würde an soviel erinnern können wie Mistreß Corry.

Die warf ihren kleinen Flederwischkopf zurück und gluckste vor Lachen.

»Alt!« rief sie. »Im Vergleich zu meiner Großmutter bin ich noch das reinste Küken. Sie ist wirklich eine alte Frau. Aber ich habe auch schon eine Menge erlebt. Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als diese Welt geschaffen wurde, damals war ich schon aus den Kinderschuhen. Du meine Güte, war das ein Durcheinander, das kann ich dir sagen!«

Sie brach ab und heftete ihre kleinen Augen auf die Kinder.

»Aber, lieber Gott — da steh ich und schwatze und ihr habt noch nichts bekommen. Ich nehme an, meine Liebe —«, sie wandte sich an Mary Poppins, die eine alte Bekannte zu sein schien, »ihr seid wegen der Pfefferkuchen gekommen?«

»Erraten, Mistreß Corry«, antwortete Mary Poppins sehr höflich.

»Sehr gut! Haben euch Fannie und Annie noch keine gegeben?« Bei dieser Frage sah sie Jane und Michael an.

Jane schüttelte den Kopf. Zwei schüchterne Stimmen kamen hinter dem Ladentisch hervor:

»Nein, Mutter«, sagte Miß Fannie betreten.

»Wir waren dabei, Mutter«, flüsterte Miß Annie verschüchtert.

Mistreß Corry richtete sich auf, so hoch sie konnte, und betrachtete ihre riesigen Töchter voll Zorn. Sie sagte leise, aber verärgert und höhnisch:

»Eben dabei? Wirklich? Das ist ja höchst interessant. Und wer, darf ich fragen, Annie, gab dir die Erlaubnis, meine Pfefferkuchen fortzugeben —?«

»Niemand, Mutter. Und ich hab sie auch nicht fortgegeben. Ich dachte nur —«

»Du dachtest nur. Das ist sehr gütig von dir. Aber ich wäre dir dankbar, wenn du es bleiben ließest. Was es hier zu denken gibt, besorge ich!« erklärte Mistreß Corry mit ihrer leisen, schrecklichen Stimme. Dann brach sie in ein grelles, gackerndes Gelächter aus.

»Schaut sie an! Schaut sie nur an! Angsthase! Heulsuse!« kreischte sie und zeigte mit ihrem knotigen Finger auf die Tochter.

Jane und Michael drehten sich um und sahen, wie eine große

Träne über Miß Annies trauriges Gesicht kullerte. Aber sie wagten nichts zu sagen, denn so winzig Mistreß Corry war, sie fühlten sich vor ihr verlegen und eingeschüchtert. Aber als Mistreß Corry jetzt wegschaute, benutzte Jane die Gelegenheit, Miß Annie ihr Taschentuch zuzustecken. Die riesengroße Träne durchnäßte es ganz, und Miß Annie wand es mit einem dankbaren Blick auf Jane aus, ehe sie es ihr zurückgab.

»Und du, Fannie — du hast wohl auch gedacht?« Die hohe, dünne Stimme wandte sich nun an die andere Tochter.

»Nein, Mutter«, antwortete Miß Fannie bebend.

»Hm! Dein Glück. Mach den Kasten auf!«

Mit unsicheren, ungeschickten Fingern öffnete Miß Fannie den Glaskasten.

»So, Kinderchen«, sagte nun Mistreß Corry mit völlig veränderter Stimme. Sie lächelte liebevoll und nickte Jane und Michael zu. Nun schämten sich beide, weil sie sich vor ihr gefürchtet hatten, und begriffen, daß sie trotz allem sehr nett war.

»Wollt ihr nicht herkommen und euch etwas aussuchen, meine Lämmchen? Es ist ein besonderes Rezept — eins, das ich von Alfred dem Großen bekommen habe. Das war ein guter Koch, wie ich mich erinnere, obwohl er einmal die Kuchen hat anbrennen lassen. Wieviel wollt ihr?«

Jane und Michael blickten fragend auf Mary Poppins.

»Jeder vier«, bestimmte sie, »das macht zwölf — ein Dutzend.«

»Ich will daraus ein Bäckerdutzend machen — nehmt dreizehn!« forderte Miß Corry sie freundlich auf.

So wählten also Jane und Michael dreizehn Pfefferkuchen aus, auf jedem war ein vergoldeter Papierstern. Michael konnte nicht widerstehen, eine Ecke anzuknabbern.

»Gut?« piepste Mistreß Corry, und als er nickte, nahm sie ihre Röcke auf und machte aus purem Vergnügen ein paar schottische Tanzschritte.

»Hurra, hurra, das ist wunderbar — hurra!« rief sie mit ihrer schrillen, dünnen Stimme. Dann hielt sie an, und ihr Gesicht wurde wieder ernst.

»Aber versteht mich recht — ich kann sie nicht herschenken. Ihr müßt sie bezahlen. Jeder von euch einen Dreier.«

Mary Poppins öffnete ihre Börse und nahm drei Dreipenny-stücke heraus. Sie gab Jane und Michael je einen Dreier.

»So«, sagte Mistreß Corry, »steckt sie an meine Jacke! Dahin kommen sie alle.«

Sie besahen sich ihre schwarze, lange Jacke sehr genau. Und tatsächlich, sie war so dicht mit Pennies besetzt wie die Jacke einer Hökerin mit Perlmutterknöpfen.

»Kommt nur! Steckt sie an!« sagte Mistreß Corry noch einmal und rieb sich die Hände. »Ihr werdet sehen, sie fallen nicht ab.«

Mary Poppins machte einen Schritt vorwärts und drückte ihren Dreier an den Kragen von Mistreß Corrys Jacke.

Zur großen Überraschung Janes und Michaels blieb er hängen.

Dann setzten die beiden ihre Dreier auf die Jacke — Jane auf die rechte Schulter und Michael aufs Vorderteil. Auch ihre Dreier saßen fest.

»Wie sonderbar!« sagte Jane.

»Gar nicht, meine Liebe«, kicherte Mistreß Corry. »Vielmehr nicht so sonderbar wie manches, was ich erzählen könnte.« Und sie machte eine weit ausladende Handbewegung zu Mary Poppins hin.

»Ich fürchte, wir müssen jetzt gehen, Mistreß Corry«, sagte diese. »Es gibt heute gebrannte Eierkrem zum Mittagessen, und ich muß zeitig daheim sein, um sie zu machen. Diese Mistreß Brill —«