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»Ein Brummkreisel? Eine glänzende Idee! Sie wird sich freuen, wenn sie zusehen kann, wie er die Milchstraße hinuntertanzt und dabei singt. Und was glaubst du, Jane, was für Merope, unser Baby, das Richtige wäre?«
»John und Barbara haben Gummienten«, meinte Jane.
Maja schlug begeistert die Händchen zusammen.
»O Jane, wie klug du bist! Daran hätte ich nie gedacht. Eine Gummiente für Merope, bitte — eine blaue mit gelben Augen.«
Der Verkäufer verschnürte die Pakete, während Maja um ihn herumtanzte, am Papier herumdrückte und fest an der Schnur zog, um sicher zu sein, daß der Knoten hielt.
»So ist's gut!« sagte sie. »Verstehen Sie, ich darf nichts verlieren.«
Michael, der sie die ganze Zeit unverwandt angestaunt hatte, drehte sich um und flüsterte Mary Poppins ins Ohr:
»Aber sie hat doch keine Geldtasche mit. Wer bezahlt denn die Spielsachen?«
»Mach dir nur keine Sorgen!« sagte Mary Poppins kühl. »Außerdem ist es unhöflich zu flüstern.« Aber trotzdem fing sie an, eifrig in ihrer Tasche zu suchen.
»Was sagtest du da? Bezahlen?« fragte Maja und riß verwundert die Augen auf. »Niemand wird bezahlen! Da ist nichts zu bezahlen — nicht wahr?«
Sie heftete ihren schimmernden Blick auf den Verkäufer.
»Gar nichts, mein Fräulein«, versicherte er, legte die Pakete in ihre Arme und verbeugte sich wieder.
»Ich dachte es mir. Siehst du«, sagte sie zu Michael gewandt, »die Hauptsache zu Weihnachten ist doch, daß die Sachen verschenkt werden, nicht wahr? Außerdem, womit sollte ich bezahlen? Wir haben dort oben kein Geld.« Und sie lachte bei der bloßen Vorstellung.
»Jetzt müssen wir gehen«, fuhr sie fort und nahm Michael beim Arm. »Wir müssen alle nach Hause. Es ist schon sehr spät, und ich habe gehört, wie eure Mutter sagte, ihr sollt rechtzeitig zum Tee wieder da sein. Auch ich muß wieder zurück. Kommt!«
Michael, Jane und Mary Poppins mit sich fortziehend, führte Maja sie durchs Warenhaus und zur Drehtür hinaus.
Draußen vor dem Eingang sagte Jane plötzlich:
»Aber für sie ist ja gar kein Geschenk dabei! Sie hat für alle anderen etwas gekauft und nichts für sich. Maja hat kein Weihnachtsgeschenk!« Sie begann rasch, ihre Pakete zu durchstöbern, um nachzusehen, ob sie etwas für Maja fände.
Mary Poppins warf einen raschen Blick ins Schaufenster. Sie sah dort ihr Spiegelbild, sehr flott, sehr anziehend. Ihr Hut saß gerade, ihr Mantel war sorgfältig gebügelt, und ihre neuen Handschuhe bildeten die Krönung des Ganzen.
»Du hältst den Mund!« befahl sie Jane mit ihrer schnippischen Stimme. Dann zog sie die neuen Handschuhe aus und warf Maja in jede Hand einen Handschuh.
»Da!« sagte sie nur. »Es ist kalt heute. Du wirst noch froh darüber sein.«
Maja blickte auf die Handschuhe nieder, die weit und lose über ihre Hände hingen. Sie antwortete nichts, schmiegte sich aber ganz nah an Mary Poppins, legte ihr den freien Arm um den Hals und gab ihr einen Kuß. Sie schauten sich lang in die Augen und lächelten, wie Menschen lächeln, die einander verstehen. Dann wandte Maja sich um und streichelte Jane und Michael leicht über die Wangen. Und für einen Augenblick standen sie alle beieinander, an der windigen Ecke, und blickten sich an wie verzaubert.
»Ich war so glücklich!« brach Maja mit weicher Stimme das Schweigen. »Vergeßt mich bitte nicht!«
Sie schüttelten den Kopf.
»Lebt wohl!« sagte Maja.
»Leb wohl!« sagten die andern, obgleich sie alles andere weit lieber gesagt hätten.
Maja stellte sich leicht auf die Fußspitzen, hob ihre Arme empor und sprang in die Luft. Dann begann sie zu steigen, Schritt für Schritt, immer höher hinauf, als wären unsichtbare Stufen in den Himmel geschlagen. Sie winkte den Zurückbleibenden zu, während sie weiter stieg, und die drei winkten zurück.
»Was ist denn hier los?« fragte jemand neben ihnen.
»Das ist doch wohl nicht möglich!« ertönte eine andere Stimme.
»Unglaublich!« eine dritte. Plötzlich hatte sich eine Menschen-menge angesammelt, die das wunderbare Schauspiel von Majas Heimkehr genoß.
Ein Polizist bahnte sich einen Weg durchs Gedränge und trieb die Leute mit seinem Knüppel auseinander.
»Aber, aber! Was bedeutet das alles? Ein Unfall oder was?«
Er schaute nach oben, dem Blick der Menge folgend.
»He!« rief er wütend und drohte Maja mit der Faust. »Komm 'runter! Was machst du da oben? Hältst nur den Verkehr auf. Komm 'runter! So was ist nicht gestattet — nicht auf einem öffentlichen Platz. Und es geht auch nicht mit rechten Dingen zu!«
Ganz von fern hörten sie Maja lachen und sahen etwas Helles von ihrem Arm herabbaumeln. Es war das Sprungseil. Sicherlich war das Paket aufgegangen.
Noch einen Augenblick sahen sie sie die luftige Treppe hinauftänzeln, dann entzog eine Wolkenwand sie ihren Augen. Sie wußten trotzdem, daß sie sich dahinter befand. Der helle Schein verriet es, der durch die Wolkenwand brach.
»Jetzt schlägt's dreizehn!« sagte der Schutzmann. Er starrte immer noch zum Himmel hinauf und kratzte sich den Kopf unterm Helm.
»Das könnte schon sein!« sagte Mary Poppins so bissig, daß man hätte glauben können, sie ärgere sich über den Schutzmann. Aber Jane und Michael ließen sich durch den Tonfall nicht täuschen. Sie hatten in ihren Augen etwas glänzen gesehen: Hätte sich's nicht um Mary Poppins gehandelt, so hätte man es Tränen genannt.
»Haben wir uns das alles nur eingebildet?« fragte Michael, als sie heimkamen und die ganze wunderbare Geschichte ihrer Mutter erzählten.
»Vielleicht«, meinte Mistreß Banks. »Wir bilden uns oft recht seltsame Dinge ein, mein Liebling.«
»Aber was ist dann mit Mary Poppins' Handschuhen?« fragte Jane. »Wir haben doch gesehen, daß sie sie Maja geschenkt hat. Und jetzt hat sie sie nicht mehr. Also muß es doch wahr sein!«
»Was, Mary Poppins!« rief Mistreß Banks. »Deine besten
Handschuhe, die mit dem Pelzbesatz! Die hast du weggeschenkt?« Mary Poppins schnüffelte.
»Meine Handschuhe sind meine Handschuhe, und ich mache mit ihnen, was ich will!« erklärte sie von oben herab. Sie rückte ihren Hut gerade und ging in die Küche hinunter, um Tee zu trinken.
Es war der erste Frühlingstag.
Jane und Michael wußten es sofort, als sie Mister Banks in seiner Badewanne singen hörten. Es gab nur einen Tag im Jahr, an dem er das tat.
Nun, an diesen Morgen würden sie sich ihr Lebtag erinnern. Zunächst durften sie zum erstenmal mit den Erwachsenen frühstücken — und dann konnte Mister Banks seine schwarze Mappe nicht finden.
»Wo ist meine Mappe?« rief Mister Banks und raste in der Diele herum wie ein Hund auf der Jagd nach seinem Schwanz.
Gleich darauf suchte das ganze Haus — Ellen und Mistreß Brill und die Kinder. Sogar Robertson Ay machte eine außergewöhnliche Anstrengung und rannte zweimal durch alle Räume. Schließlich entdeckte Mister Banks die Mappe in seinem Arbeitszimmer. Er stürzte damit in die Diele. In hocherhobenen Händen hielt er sie den andern entgegen.
»Hört!« sagte er, als wollte er eine Rede halten. »Meine Mappe liegt immer am selben Platz, nämlich hier! Auf dem Schirmständer! — Wer hat sie ins Arbeitszimmer gelegt?« fragte er wütend.