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Mister Schopf schmunzelte befriedigt.
»Zwar ist es wohl üblich, mit Brot und Butter anzufangen«, sagte er zu Jane und Michael, »aber da heut mein Geburtstag ist, wollen wir es umgekehrt machen — was ich schon immer für richtiger hielt. Zuerst also der Kuchen!«
Er schnitt für jeden ein mächtiges Stück ab.
»Noch etwas Tee?« fragte er Jane. Aber ehe sie noch antworten konnte, kam unten von der Tür her ein kurzes, scharfes Klopfen.
»Herein!« rief Mister Schopf.
Die Tür ging auf. Da stand Miß Dattelpflaum und brachte auf einem Tablett eine Kanne mit heißem Wasser.
»Ich dachte mir, Mister Schopf«, begann sie und schaute sich suchend im Zimmer um, »daß Sie sicher noch heißes Wasser . .. Nein, so etwas! Noch nie habe ich...«, stammelte sie, als sie die Gesellschaft in der Luft sitzen sah. »Solch ein Benehmen ist mir noch nie vorgekommen! Mein Lebtag hab ich so was nicht gesehen! Ich hab Sie ja schon immer für ein bißchen verrückt gehalten, Mister Schopf! Aber ich habe ein Auge zugedrückt, weil Sie Ihre Miete bisher stets pünktlich bezahlt haben. Aber so ein Benehmen — mit seinen Gästen in der Luft Tee zu trinken —, Mister Schopf — mein Herr, ich muß mich sehr über Sie wundern, das schickt sich doch nicht für einen Herrn Ihres Alters — noch nie hab ich ...«
»Aber vielleicht werden Sie, Miß Dattelpflaum«, sagte Michael.
»Werde ich was?« fragte Miß Dattelpflaum hochmütig.
»Mit Lachgas angesteckt, so wie wir«, sagte Michael.
Miß Dattelpflaum warf zornig den Kopf in den Nacken.
»Junger Mann«, erwiderte sie scharf, »ich hoffe doch, ich habe vor mir selbst zuviel Respekt, um wie ein Gummiball durch die Luft zu hopsen! Nein, danke bestens, ich bleibe fest auf meinen Füßen stehen, oder ich will nicht mehr Malchen Dattelpflaum heißen, und... Ach, du liebes Bißchen, Allmächtiger! Was ist denn nun los? Ich kann mich ja nicht mehr auf den Füßen halten, es hebt mich hoch — ich — Hilfe, Hilfe!«
Ganz gegen ihren Willen hatte Miß Dattelpflaum den Boden verloren und taumelte durch die Luft. Wie ein Fäßchen rollte sie von einer Seite zur andern und balancierte dabei das Tablett in der Hand. Sie weinte fast vor Zorn, als sie den Tisch erreichte und die Kanne mit heißem Wasser hinsetzte.
»Danke schön!« sagte Mary Poppins ruhig und sehr höflich.
Dann drehte sich Miß Dattelpflaum um und schwebte wieder zur Erde. »So etwas Merkwürdiges — und das mir, einer anständigen, hochachtbaren Frau! Ich muß gleich zu Doktor . ..«, hörten die anderen sie vor sich hin murmeln.
Als sie wieder festen Boden berührte, rannte sie schleunigst aus dem Zimmer, händeringend und ohne einen Blick nach rückwärts zu werfen.
»So etwas Unwürdiges!« ertönte ihre jammernde Stimme noch durch die geschlossene Tür.
»Jetzt kann sie nicht mehr Malchen Dattelpflaum heißen, denn sie blieb nicht fest auf ihren Füßen stehen«, wisperte Jane Michael zu.
Mister Schopf aber schaute nur Mary Poppins an. Sein Blick war merkwürdig, halb belustigt, halb vorwurfsvoll.
»Mary, Mary! Das hättest du nicht — du lieber Himmel, das hättest du nicht tun sollen, Mary. Das wird die arme, alte Frau nie verwinden. Aber, mein Gott, hat sie nicht komisch ausgesehen, wie sie so durch die Luft taumelte? War das nicht verdammt komisch?«
Er, Jane und Michael konnten sich nicht länger beherrschen. Sie wälzten sich keuchend in der Luft herum und hielten sich die Seiten vor Lachen, weil Miß Dattelpflaum gar so komisch ausgesehen hatte.
»Du liebe Güte!« rief Michael. »Bringt mich nicht noch mehr zum Lachen. Ich halt's nicht mehr aus. Ich platze!«
»Oh, oh, oh!« Jane schnappte nach Luft und drückte die Hand aufs Herz.
»Allmächtiger!« keuchte Mister Schopf und tupfte sich die Augen mit dem Rockzipfel, weil er sein Taschentuch nicht finden konnte.
»Es wird Zeit, daß wir nach Hause gehen«, schmetterte Mary Poppins' Stimme wie eine Trompete durch das Gelächter.
Und plötzlich, mit einem Ruck, kamen Jane, Michael und Mister Schopf von der Decke herunter. Der Gedanke ans Nachhausegehen löste in ihnen die erste traurige Empfindung dieses Nachmittags aus. Und sobald er auftauchte, war das Lachgas wie weggeblasen.
Jane und Michael seufzten aus Herzensgrund, während sie zusahen, wie Mary Poppins langsam durch die Luft herabschwebte. Janes Hut und Mantel brachte sie mit.
Auch Mister Schopf seufzte tief.
»Wie schade«, sagte er ernüchtert. »Das ist aber traurig, daß ihr schon heimgehen müßt! Noch nie hat mir ein Nachmittag so gut gefallen — euch auch?«
»Noch nie!« sagte Michael düster. Es machte ihm gar keinen Spaß, wieder auf der Erde zu stehen und kein Lachgas mehr in sich zu haben.
»Nie, nie!« beteuerte Jane, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Mister Schopf einen Kuß auf die runzlige Backe. »Noch nie, nie, nie!«
Auf der Heimfahrt im Bus saß jeder auf einer Seite von Mary Poppins. Sie waren beide sehr still und genossen noch in der Erinnerung den wunderbaren Nachmittag. Schließlich wandte sich Michael schläfrig an Mary Poppins:
»Macht dein Onkel oft so was?«
»Was macht er?« fragte Mary Poppins streng, als hätte Michael absichtlich etwas Beleidigendes gesagt.
»Nun — das Hüpfen und Springen und Lachen und in die Luft hochgehen.«
»In die Luft hoch?« Mary Poppins Stimme klang sehr hochmütig und ärgerlich. »Was willst du damit sagen, bitte, mit dem >in die Luft hochgehen<?«
Jane versuchte es zu erklären.
»Michael meint — ob dein Onkel oft voller Lachgas ist, und ob er oft an der Decke umherrollt und hüpft, wenn . . .«
»Umherrollt — und hüpft! Was für ein Einfall! An der Decke umherrollen und hüpfen! Ich muß mich für dich schämen, daß du dir so etwas einfallen läßt.« Offensichtlich war Mary Poppins sehr beleidigt.
»Aber er hat es doch getan!« sagte Michael. »Wir haben es doch alle gesehn.«
»Was? Umherrollen und Hüpfen? Was fällt dir ein? Du weißt doch hoffentlich, daß mein Onkel ein anständiger, hochgeachteter Mann ist, der sich ehrlich durchs Leben bringt. Sprich gefälligst mit Respekt von ihm. Und kaue nicht auf deinem Billett herum! Umherrollen und Hüpfen! Was für eine Idee!«
Michael und Jane blickten, an Mary Poppins vorbei, einander verständnisvoll in die Augen. Sie hielten den Mund, denn sie hatten schon gelernt, daß es besser war, Mary Poppins nicht zu widersprechen, auch wenn ihnen manches sehr merkwürdig vorkam.
Daher hieß der Blick, den sie tauschten: Ist es nun wahr oder nicht? Das mit Mister Schopf? Wer hat recht, Mary Poppins oder wir?
Aber niemand war da, der es ihnen hätte sagen können.
Der Omnibus ratterte weiter, wild schaukelnd und rollend.
Mary Poppins saß zwischen ihnen, beleidigt und schweigsam. Bald darauf wurden sie müde, drängten sich näher heran, schmiegten sich an sie und fielen, noch immer voller Verwunderung, in Schlaf.
Miß Lark wohnte nebenan.
Aber ehe ich fortfahre, muß ich euch erzählen, wie es nebenan aussah. Das Haus war hochherrschaftlich, bei weitem das stattlichste am Kirschbaumweg. Man wußte, sogar Admiral Boom beneidete Miß Lark um ihr wundervolles Haus, obwohl sein eigenes Schiffsschornsteine hatte statt der Kamine und vorn im Garten einen Flaggenmast. Immer wieder hörten die Bewohner der Straße ihn brummen, wenn er an Miß Larks vornehmem Haus vorbeispazierte: »Verdammt noch mal! Was will die nur mit einem solchen Haus?«
Aber der eigentliche Grund zu Admiral Booms Neid lag darin, daß Miß Larks Haus zwei Eingänge hatte. Einen für Miß Larks Freunde und Verwandte und den anderen für die Lieferanten.