52079.fb2 Momo oderDie seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zur?ckbrachte - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 3

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DRITTER TEIL:DIE STUNDEN-BLUMEN

DREIZEHNTES KAPITELDort ein Tag und hier ein Jahr

Momo erwachte und schlug die Augen auf.

Sie musste sich eine Weile besinnen, wo sie war. Es verwirrte sie dass sie sich auf den grasbewachsenen Steinstufen des alten Amphitheaters wiederfand. War sie denn nicht vor wenigen Augenblicken noch im Nirgend-Haus bei Meister Hora gewesen? Wie kam sie denn so plötzlich hierher?

Es war dunkel und kühl. Über dem östlichen Horizont dämmerte eben das erste Morgengrauen auf. Momo fröstelte und zog sich ihre viel zu große Jacke enger um den Leib.

Ganz deutlich erinnerte sie sich an alles, was sie erlebt hatte, an die nächtliche Wanderung durch die große Stadt hinter der Schildkröte her, an den Stadtteil mit dem seltsamen Licht und den blendend weißen Häusern, an die Niemals-Gasse, an den Saal mit den unzähligen Uhren, an die Schokolade und die Honigbrötchen, an jedes einzelne Wort ihrer Unterhaltung mit Meister Hora und an das Rätsel. Aber vor allem erinnerte sie sich an das Erlebnis unter der goldenen Kuppel. Sie brauchte nur die Augen zu schließen, um die nie zuvor geschaute Farbenpracht der Blüten wieder vor sich zu sehen. Und die Stimmen von Sonne, Mond und Sternen klangen ihr noch immer im Ohr, so deutlich sogar, dass sie die Melodien mitsummen konnte.

Und während sie das tat, formten sich Worte in ihr, Worte, die wirklich den Duft der Blüten und deren nie gesehene Farben ausdrückten! Die Stimmen in Momos Erinnerung waren es, die diese Worte sprachen - doch mit dieser Erinnerung selbst war etwas Wunderbares geschehen! Momo fand in ihr nun nicht mehr nur das, was sie gesehen und gehört hatte, sondern mehr und immer noch mehr. Wie aus einem unerschöpflichen Zauberbrunnen stiegen tausend Bilder von Stunden-Blumen auf. Und bei jeder Blume erklangen neue Worte. Momo brauchte nur aufmerksam in sich hinein zu lauschen, um diese nachsprechen, ja sogar mitsingen zu können. Von geheimnisvollen und wunderbaren Dingen war da die Rede, aber indem Momo die Worte nachsprach, konnte sie deren Bedeutung verstehen.

Das also hatte Meister Hora gemeint, als er gesagt hatte, die Worte müssten erst in ihr wachsen!

Oder war am Ende alles nur ein Traum gewesen? War das alles gar nicht wirklich geschehen?

Aber während Momo noch überlegte, sah sie unten auf dem runden Platz in der Mitte etwas krabbeln. Es war eine Schildkröte, die da ganz gemächlich nach essbaren Kräutern suchte!

Rasch kletterte Momo zu ihr hinunter und hockte sich neben sie auf den Boden. Die Schildkröte hob nur kurz den Kopf, musterte das Kind mit ihren uralten, schwarzen Augen und fraß dann geruhsam weiter.

»Guten Morgen, Schildkröte«, sagte Momo. Keine Antwort erschien auf dem Rückenpanzer.

»Warst du es«, fragte Momo,»die mich heute Nacht zu Meister Hora geführt hat?«

Wieder keine Antwort. Momo seufzte enttäuscht.»Schade«, murmelte sie,»also bist du nur eine gewöhnliche Schildkröte und nicht die… ach, ich hab den Namen vergessen. Es war ein schöner Name, aber lang und seltsam. Ich hab ihn noch nie vorher gehört.«

»kassiopeia!«, stand plötzlich in schwach leuchtenden Buchstaben auf dem Panzer der Schildkröte. Momo entzifferte es entzückt.

»Ja!«, rief sie und klatschte in die Hände.»Das war der Name! Dann bist du's ja doch? Du bist Meister Horas Schildkröte, nicht war?«

»WER DENN SONST?«

»Aber warum hast du mir denn zuerst nicht geantwortet?«

»ich frühstücke«, war auf dem Panzer zu lesen.

»Entschuldige!«, erwiderte Momo.»Ich wollte dich ja nicht stören. Ich möchte nur gern wissen, wie es kommt, dass ich auf einmal wieder hier bin?«

»dein wunsch!«, erschien als Antwort.

»Sonderbar«, murmelte Momo,»daran kann ich mich gar nicht erinnern. Und du, Kassiopeia? Warum bist du nicht bei Meister Hora geblieben, sondern mit mir gekommen?«

»mein wunsch!«, stand auf dem Rückenpanzer.

»Vielen Dank«, sagte Momo,»das ist lieb von dir.«

»bitte«, war die Antwort. Damit schien für die Schildkröte die Unterhaltung zunächst beendet, denn sie stapfte weiter um ihr unterbrochenes Frühstück fortzusetzen.

Momo setzte sich auf die steinernen Stufen und freute sich auf Beppo, Gigi und die Kinder. Sie lauschte wieder auf die Musik, die nicht aufhörte in ihrem Inneren zu klingen. Und obwohl sie ganz allein war und kein Mensch ihr zuhörte, sang sie immer lauter und beherzter die Melodien und die Worte mit, geradewegs in die aufgehende Sonne hinein. Und es schien ihr, als ob die Vögel und die Grillen und die Bäume und sogar die alten Steine diesmal ihr zuhörten.

Sie konnte nicht wissen, dass sie für lange Zeit keine anderen Zuhörer mehr finden würde. Sie konnte nicht wissen, dass sie ganz vergeblich auf ihre Freunde wartete, dass sie sehr lange fort gewesen war und dass die Welt sich inzwischen verändert hatte. -

Mit Gigi Fremdenführer hatten die grauen Herren es vergleichsweise leicht gehabt.

Es hatte damit begonnen, dass etwa vor einem Jahr, kurz nach dem Tag, an dem Momo plötzlich spurlos verschwunden war, ein längerer Artikel über Gigi in der Zeitung erschien.»Der letzte wirkliche Geschichtenerzähler«, stand da. Außerdem wurde berichtet, wo und wann man ihn treffen könne und er sei eine Attraktion, die man nicht versäumen dürfe.

Daraufhin kamen immer häufiger Leute zu dem alten Amphitheater, die Gigi sehen und hören wollten. Gigi hatte natürlich nichts dagegen einzuwenden.

Er erzählte wie immer, was ihm gerade einfiel und ging anschließend mit seiner Mütze herum, die jedes Mal voller von Münzen und Geldscheinen war. Bald wurde er von einem Reiseunternehmen angestellt, das ihm zusätzlich noch eine feste Summe bezahlte für das Recht, ihn selbst als Sehenswürdigkeit zu präsentieren. Die Reisenden wurden in Autobussen herbeigeschafft und schon nach kurzer Zeit musste Gigi einen regelrechten Stundenplan einhalten, damit auch wirklich alle, die dafür bezahlt hatten, Gelegenheit fanden, ihn zu hören.

Schon damals begann Momo ihm sehr zu fehlen, denn seine Geschichten hatten keine Flügel mehr, obgleich er sich noch immer standhaft weigerte, die gleiche Geschichte zweimal zu erzählen, selbst als ihm das doppelte Geld dafür geboten wurde.

Nach wenigen Monaten hatte er es nicht mehr nötig beim alten Amphitheater aufzutreten und mit der Mütze herumzugehen. Der Rundfunk holte ihn und wenig später sogar das Fernsehen. Dort erzählte er nun dreimal wöchentlich vor Millionen von Zuhörern seine Geschichten und er verdiente eine Menge Geld.

Inzwischen wohnte er auch nicht mehr in der Nähe des alten Amphitheaters, sondern in einem ganz anderen Stadtteil, dort wo alle reichen und berühmten Leute wohnten. Er hatte ein großes modernes Haus gemietet, das mitten in einem gepflegten Park lag. Er nannte sich auch nicht mehr Gigi, sondern Girolamo.

Natürlich hatte er längst aufgehört, wie früher immer neue Geschichten zu erfinden. Er hatte gar keine Zeit mehr dazu.

Er begann haushälterisch mit seinen Einfallen umzugehen. Aus einem einzigen machte er jetzt manchmal fünf verschiedene Geschichten.

Und als auch das nicht mehr genügte, um der immer noch zunehmenden Nachfrage gerecht zu werden, tat er eines Tages etwas, das er nicht hätte tun dürfen: Er erzählte eine der Geschichten, die Momo ganz allein gehörte.

Sie wurde ebenso hastig verschlungen wie alle anderen und war sofort wieder vergessen. Man forderte weitere Geschichten von ihm.

Gigi war so benommen von diesem Tempo, dass er, ohne sich zu besinnen, hintereinanderweg alle Geschichten preisgab, die nur für Momo bestimmt gewesen waren. Und als er die letzte erzählt hatte, fühlte er plötzlich, dass er leer und ausgehöhlt war und nichts mehr erfinden konnte.

In seiner Angst, der Erfolg könne ihn wieder verlassen, begann er alle seine Geschichten noch einmal zu erzählen, nur mit neuen Namen und ein bisschen verändert. Und das Erstaunliche war, dass niemand es zu bemerken schien. Jedenfalls beeinträchtigte es die Nachfrage nicht. Daran hielt Gigi sich fest wie ein Ertrinkender an einer Holzplanke. Denn nun war er doch reich und berühmt - und war es nicht das gewesen, wovon er immer geträumt hatte?

Aber manchmal des Nachts, wenn er in seinem Bett mit der seidenen Steppdecke lag, sehnte er sich zurück nach dem anderen Leben, wo er mit Momo und dem alten Beppo und den Kindern hatte zusammen sein können und wo er wirklich noch zu erzählen verstanden hatte.

Aber dorthin führte kein Weg zurück, denn Momo war und blieb verschwunden. Anfangs hatte Gigi einige ernstliche Versuche gemacht sie wiederzufinden, später war ihm dazu keine Zeit mehr geblieben. Er hatte nun drei tüchtige Sekretärinnen, die für ihn Verträge abschlossen, denen er seine Geschichten diktierte, die Reklame für ihn machten und seine Termine regelten. Aber ein Termin für die Suche nach Momo ließ sich niemals mehr einschieben.

Von dem alten Gigi war nur noch wenig übrig geblieben. Aber eines Tages raffte er dieses wenige zusammen und beschloss sich auf sich selbst zu besinnen. Er war doch nun jemand, so sagte er sich, dessen Stimme Gewicht hatte und auf den Millionen hörten. Wer, wenn nicht er, konnte den Menschen die Wahrheit sagen! Er wollte ihnen von den grauen Herren erzählen! Und er wollte dazu sagen, dass dies keine erfundene Geschichte sei und dass er alle seine Zuhörer bitte, ihm bei der Suche nach Momo zu helfen.

Diesen Entschluss hatte er in einer jener Nächte gefasst, in denen er sich nach seinen alten Freunden sehnte. Und als die Morgendämmerung kam, saß er bereits an seinem großen Schreibtisch, um sich Notizen zu seinem Plan zu machen. Doch ehe er noch das erste Wort niedergeschrieben hatte, schrillte das Telefon. Er hob ab, horchte und erstarrte vor Entsetzen.

Eine seltsam tonlose, sozusagen aschengraue Stimme sprach zu ihm und er fühlte gleichzeitig eine Kälte in sich aufsteigen, die aus dem Mark seiner Knochen zu kommen schien.

»Lass das sein!«, sprach die Stimme.»Wir raten es dir im Guten.«

»Wer ist da?«, fragte Gigi.

»Das weißt du ganz gut«, antwortete die Stimme.»Wir brauchen uns wohl nicht vorzustellen. Du hast zwar bisher noch nicht persönlich das Vergnügen mit uns gehabt, aber du gehörst uns schon längst mit Haut und Haar. Sag nur, du wüsstest das nicht!«

»Was wollt ihr von mir?«

»Was du dir da vorgenommen hast, das gefällt uns nicht. Sei brav und lass es bleiben, ja?«

Gigi nahm all seinen Mut zusammen.

»Nein«, sagte er,»ich lasse es nicht bleiben. Ich bin nicht mehr der kleine, unbekannte Gigi Fremdenführer. Ich bin jetzt ein großer Mann. Wir werden ja sehen, ob ihr es mit mir aufnehmen könnt.«

Die Stimme lachte tonlos und Gigi begannen plötzlich die Zähne aufeinander zu schlagen.

»Du bist niemand«, sagte die Stimme.»Wir haben dich gemacht. Du bist eine Gummipuppe. Wir haben dich aufgeblasen. Aber wenn du uns Ärger machst, dann lassen wir die Luft wieder aus dir heraus. Oder glaubst du im Ernst, dass du es dir und deinem unbedeutenden Talent zu verdanken hast, was du jetzt bist?«

»Ja, das glaube ich«, erwiderte Gigi heiser.

»Armer kleiner Gigi«, sagte die Stimme,»du bist und bleibst ein Phantast. Früher warst du Prinz Girolamo in der Maske des armen Schluckers Gigi. Und was bist du nun? Der arme Schlucker Gigi in der Maske des Prinzen Girolamo.

Trotzdem, du solltest uns dankbar sein, denn schließlich waren wir es doch, die dir alle deine Träume erfüllt haben.«

»Das ist nicht wahr!«, stammelte Gigi.»Das ist Lüge!«

»Du liebe Zeit!«, antwortete die Stimme und lachte wieder tonlos.»Ausgerechnet du willst uns mit der Wahrheit kommen? Du hattest doch früher immer so viele schöne Sprüche von wegen wahr und nicht wahr. Ach nein, armer Gigi, es wird dir nicht gut bekommen, wenn du versuchst, dich auf die Wahrheit zu berufen. Berühmt bist du mit unserer Hilfe für deine Flunkereien. Für die Wahrheit bist du nicht zuständig. Darum lass es sein!«

»Was habt ihr mit Momo gemacht?«, flüsterte Gigi.

»Darüber zerbrich dir nicht deinen niedlichen Wirrkopf! Ihr kannst du nicht mehr helfen - schon gar nicht, indem du nun diese Geschichte über uns erzählst. Das Einzige, was du damit erreichen wirst, ist, dass dein schöner Erfolg genau so schnell vorbei sein wird, wie er gekommen ist. Natürlich musst du das selbst entscheiden. Wir wollen dich nicht abhalten, den Helden zu spielen und dich zu ruinieren, wenn dir so viel daran liegt. Aber du kannst nicht von uns erwarten, dass wir weiterhin unsere schützende Hand über dich halten, wenn du so undankbar bist. Ist es denn nicht viel angenehmer, reich und berühmt zu sein?«

»Doch«, antwortete Gigi mit erstickter Stimme.

»Na, siehst du! Also - lass uns aus dem Spiel, ja? Erzähle den Leuten lieber weiterhin das, was sie von dir hören wollen!«

»Wie soll ich das machen?«, brachte Gigi mit Anstrengung hervor.»Jetzt, wo ich das alles weiß.«

»Ich gebe dir einen guten Rat: Nimm dich selbst nicht so ernst. Es kommt wirklich nicht auf dich an. So betrachtet, kannst du doch sehr schön weitermachen wie bisher!«

»Ja«, flüsterte Gigi und starrte vor sich hin,»so betrachtet…«

Dann klickte es im Hörer und auch Gigi hängte ein. Er fiel vornüber auf die Platte seines großen Schreibtisches und verbarg das Gesicht in seinen Armen. Ein lautloses Schluchzen schüttelte ihn. Von diesem Tag an hatte Gigi alle Selbstachtung verloren. Er gab seinen Plan auf und machte weiter wie bisher, aber er fühlte sich dabei wie ein Betrüger. Und das war er ja auch. Früher hatte ihn seine Phantasie ihre schwebenden Wege geführt und er war ihr unbekümmert gefolgt.

Aber nun log er!

Er machte sich zum Hanswurst, zum Hampelmann seines Publikums und er wusste es. Er begann seine Tätigkeit zu hassen. Und so wurden seine Geschichten immer alberner oder rührseliger.

Aber das tat seinem Erfolg nicht etwa Abbruch, im Gegenteil, man nannte es einen neuen Stil und viele versuchten ihn nachzuahmen. Er wurde große Mode. Aber Gigi hatte keine Freude daran. Er wusste ja nun, wem er das alles verdankte. Er hatte nichts gewonnen. Er hatte alles verloren.

Aber er raste weiter mit dem Auto von Termin zu Termin, er flog mit den schnellsten Flugzeugen und er diktierte unaufhörlich, wo er ging und stand, den Sekretärinnen seine alten Geschichten im neuen Gewand. Er war - wie in allen Zeitungen stand -»erstaunlich fruchtbar«. So war aus dem Träumer Gigi der Lügner Girolamo geworden.

Viel schwerer war es den grauen Herren geworden mit dem alten Beppo Straßenkehrer fertig zu werden.

Nach jener Nacht, in der Momo verschwunden war, saß er, wann immer seine Arbeit es ihm erlaubte, im alten Amphitheater und wartete. Seine Sorge und Unruhe wuchs von Tag zu Tag. Und als er es schließlich nicht mehr aushalten konnte, beschloss er trotz aller berechtigten Einwände, die Gigi vorgebracht hatte, zur Polizei zu gehen.

»Immer noch besser«, sagte er sich,»sie stecken Momo wieder in solch ein Heim mit Gittern vor den Fenstern, als dass die Grauen sie gefangen halten. Falls sie überhaupt noch am Leben ist. Aus so einem Heim ist sie schon mal ausgerissen und kann es wieder tun. Vielleicht kann ich auch dafür sorgen, dass sie gar nicht erst reinkommt. Aber erst muss man sie jetzt finden.«

Er ging also zur nächsten Polizeiwache, die am Stadtrand lag. Eine Weile stand er noch vor der Tür herum und drehte seinen Hut in den Händen, dann fasste er sich ein Herz und ging hinein.

»Sie wünschen?«, fragte der Polizist, der gerade damit beschäftigt war, ein langes und schwieriges Formular auszufüllen. Beppo brauchte eine Weile, ehe er hervorbrachte:»Es muss da nämlich etwas Schreckliches geschehen sein.«

»So?«, fragte der Polizist, der immer noch weiterschrieb.»Worum handelt es sich denn?«

»Es handelt sich«, antwortete Beppo,»um unsere Momo.«

»Ein Kind?«

»Ja, ein kleines Mädchen.«

»Ist es Ihr Kind?«

»Nein«, sagte Beppo verwirrt,»das heißt, ja, aber der Vater bin ich nicht.«

»Nein, das heißt ja!«, sagte der Polizist ärgerlich.»Wessen Kind ist es denn? Wer sind seine Eltern?«

»Das weiß niemand«, antwortete Beppo.

»Wo ist das Kind denn gemeldet?«

»Gemeldet?«, fragte Beppo.»Na, ich denke, bei uns. Wir kennen es alle.«

»Also nicht gemeldet«, stellte der Polizist seufzend fest.»Wissen Sie, dass so was verboten ist? Wo kämen wir denn da hin! Bei wem wohnt das Kind?«

»Bei sich«, erwiderte Beppo,»das heißt, im alten Ampitheater. Aber da wohnt sie ja nun nicht mehr. Sie ist weg.«

»Augenblick mal«, sagte der Polizist,»wenn ich richtig verstehe, dann wohnte bis jetzt in der Ruine da draußen ein vagabundierendes kleines Mädchen namens… wie sagten Sie?«

»Momo«, antwortete Beppo. Der Polizist begann alles aufzuschreiben.

»… namens Momo. Momo und wie weiter? Den ganzen Namen, bitte!«

»Momo und nichts weiter«, sagte Beppo.

Der Polizist kratzte sich unter dem Kinn und blickte Beppo bekümmert an.

»Also so geht das nicht, mein Guter. Ich will Ihnen ja helfen, aber so kann man keine Anzeige aufsetzen. Nun sagen Sie mir erst mal, wie Sie selbst heißen.«

»Beppo«, sagte Beppo.

»Und wie weiter?«»Beppo Straßenkehrer.«

»Den Namen will ich wissen, nicht den Beruf!«

»Es ist beides«, erklärte Beppo geduldig.

Der Polizist ließ den Federhalter sinken und vergrub sein Gesicht in den Händen.

»Gott im Himmel!«, murmelte er verzweifelt.»Warum muss gerade ich jetzt Dienst haben?«

Dann richtete er sich auf, straffte seine Schultern, lächelte dem alten Mann aufmunternd zu und sagte mit der Sanftheit eines Krankenpflegers:»Die Personalien können wir ja später aufnehmen. Jetzt erzählen Sie erst mal der Reihe nach, was eigentlich war und wie alles gekommen ist.«

»Alles?«, fragte Beppo zweifelnd.

»Alles, was zur Sache gehört«, antwortete der Polizist.»Ich habe zwar überhaupt keine Zeit, ich muss bis Mittag diesen ganzen Berg von Formularen da ausgefüllt haben, ich bin am Rande meiner Kräfte und meiner Nerven -, aber lassen Sie sich ruhig Zeit und erzählen Sie, was Sie auf dem Herzen haben.«

Er lehnte sich zurück und schloss die Augen mit dem Ausdruck eines Märtyrers, der gerade auf dem Rost gebraten wird. Und der alte Beppo begann, auf seine wunderliche und umständliche Art, die ganze Geschichte zu erzählen, angefangen von Momos Auftauchen und ihrer besonderen Eigenschaft, bis zu den grauen Herren auf der Müllhalde, die er selbst belauscht hatte.

»Und in derselben Nacht«, schloss er,»ist Momo verschwunden.«

Der Polizist blickte ihn lange und gramerfüllt an.

»Mit anderen Worten«, sagte er schließlich,»da war einmal ein höchst unwahrscheinliches, kleines Mädchen, dessen Existenz man nicht beweisen kann und das ist von so einer Art Gespenster, die es ja bekanntlich nicht gibt, wer weiß wohin entführt worden. Aber auch das ist nicht sicher. Und darum soll sich nun die Polizei kümmern?«

»Ja, bitte!«, sagte Beppo.

Der Polizist beugte sich vor und rief barsch:»Hauchen Sie mich mal an!«

Beppo verstand diese Aufforderung nicht, er zuckte die Schultern, hauchte aber dann gehorsam dem Polizisten ins Gesicht. Der schnüffelte und schüttelte den Kopf.»Betrunken sind Sie offenbar nicht.«

»Nein«, murmelte Beppo, rot vor Verlegenheit,»bin ich noch nie gewesen.«

»Warum erzählen Sie mir dann diesen ganzen Unsinn?«, fragte der Polizist.»Halten Sie die Polizei denn für so blöd, dass sie auf solche Ammenmärchen hereinfällt?«»Ja«, antwortete Beppo arglos.

Jetzt riss dem Polizisten endgültig der Geduldsfaden. Er sprang von seinem Stuhl auf und hieb mit der Faust auf das lange und schwierige Formular.»Jetzt reicht es mir aber!«, schrie er mit rotem Kopf.»Verschwinden Sie auf der Stelle, sonst sperre ich Sie wegen Amtsbeleidigung ein!«

»Verzeihung«, murmelte Beppo eingeschüchtert,»ich hab es anders gemeint. Ich wollte sagen…«

»Raus!«, brüllte der Polizist.

Beppo drehte sich um und ging hinaus.

Während der nächsten Tage tauchte er in verschiedenen anderen Polizeistationen auf. Die Szenen, die sich dort abspielten, unterschieden sich kaum von der ersten. Man warf ihn hinaus, man schickte ihn freundlich nach Hause oder man vertröstete ihn um ihn loszuwerden. Aber einmal geriet Beppo an einen höheren Beamten, der weniger Sinn für Humor hatte als seine Kollegen. Er ließ sich unbewegten Gesichts die ganze Geschichte erzählen, dann sagte er kalt:»Dieser alte Mann ist verrückt. Man wird feststellen müssen, ob er gemeingefährlich ist. Bringt ihn in die Arrestzelle!«

In der Zelle musste Beppo einen halben Tag warten, dann wurde er von zwei Polizisten in ein Auto verfrachtet. Sie fuhren mit ihm quer durch die Stadt zu einem großen, weißen Gebäude, das Gitter vor den Fenstern hatte. Aber es war kein Gefängnis oder dergleichen, wie Beppo zuerst dachte, sondern ein Krankenhaus für Nervenleiden.

Hier wurde er gründlich untersucht. Der Professor und die Krankenpfleger waren freundlich zu ihm, sie lachten ihn nicht aus und schimpften nicht mit ihm, sie schienen sich sogar sehr für seine Geschichte zu interessieren, denn er musste sie ihnen immer und immer wieder erzählen. Obgleich sie ihm nie widersprachen, hatte Beppo auch nie das Gefühl, dass sie ihm wirklich glaubten. Er wurde nicht recht schlau aus ihnen, aber gehen ließen sie ihn auch nicht.

Jedes Mal, wenn er fragte, wann er denn nun hinausdürfe, hieß es:»Bald, aber im Augenblick brauchen wir Sie noch. Sie müssen das verstehen, die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, aber wir kommen voran.«

Und Beppo, der glaubte, es handle sich um Untersuchungen nach dem Verbleib der kleinen Momo, fasste sich in Geduld.

Man hatte ihm ein Bett in einem großen Schlafsaal angewiesen, wo noch viele andere Patienten schliefen. Eines Nachts wachte er auf und sah im schwachen Licht der Notbeleuchtung, dass jemand neben seinem Bett stand. Erst entdeckte er nur das rote Leuchtpünktchen einer glimmenden Zigarre, aber dann erkannte er den runden steifen Hut und die Aktentasche, die die Gestalt im Dunkeln trug. Er begriff, dass es einer der grauen Herren war, ihm wurde kalt bis ins Herz hinein und er wollte um Hilfe rufen.

»Still!«, sagte die aschenfarbene Stimme im Dutikeln.»Ich habe den Auftrag, Ihnen ein Angebot zu machen. Hören Sie mir zu und antworten Sie mir erst, wenn ich Sie dazu auffordere! Sie haben ja nun ein wenig sehen können, wie weit unsere Macht bereits reicht. Es hängt ganz von Ihnen ab, ob Sie noch mehr davon kennen lernen werden. Sie können uns zwar nicht im Geringsten damit schaden, dass Sie diese Geschichte über uns jedem auf die Nase binden, aber angenehm ist es uns trotzdem nicht. Übrigens haben Sie natürlich völlig Recht mit der Annahme, dass ihre kleine Freundin Momo von uns gefangen gehalten wird. Aber geben Sie die Hoffnung auf, dass man sie je bei uns finden kann. Das wird niemals geschehen. Und durch ihre Bemühungen sie zu befreien, machen Sie dem armen Kind seine Lage nicht gerade angenehmer. Für jeden Ihrer Versuche, mein Bester, muss sie büßen. Überlegen Sie sich also in Zukunft, was sie tun und sagen.«

Der graue Herr blies einige Rauchringe und beobachtete mit Genugtuung die Wirkung, die seine Rede auf den alten Beppo hatte. Denn der glaubte jedes Wort.

»Um mich so kurz wie möglich zu fassen, denn auch meine Zeit ist kostbar«, fuhr der graue Herr fort,»mache ich Ihnen folgendes Angebot: Wir geben Ihnen das Kind zurück unter der Bedingung, dass Sie nie wieder ein Wort über uns und unsere Tätigkeit verlieren. Außerdem fordern wir von ihnen, sozusagen als Lösegeld, die Summe von hunderttausend Stunden eingesparter Zeit. Machen Sie sich keine Sorgen darüber, wie wir in den Besitz dieser Zeit kommen werden, das ist unsere Sache. Sie haben lediglich die Aufgabe diese Zeit einzusparen. Wie, das ist Ihre Sache. Wenn Sie damit einverstanden sind, dann werden wir dafür sorgen, dass Sie im Laufe der nächsten Tage hier entlassen werden. Wenn nicht, dann bleiben Sie eben für immer hier und Momo bleibt für immer bei uns. Überlegen sie sich's. Wir machen dieses großzügige Angebot nur dies eine Mal. Also?«

Beppo schluckte zweimal und krächzte dann:»Einverstanden.«

»Sehr vernünftig«, sagte der graue Herr zufrieden,»also denken Sie daran: völliges Stillschweigen und hunderttausend Stunden. Sobald wir die haben, bekommen Sie die kleine Momo wieder. Machen Sie's gut, mein Bester.«

Damit verließ der graue Herr den Schlafsaal. Die Rauchfahne, die hinter ihm zurückblieb, schien in der Dunkelheit matt zu leuchten wie ein Irrlicht.

Von dieser Nacht an erzählte Beppo seine Geschichte nicht mehr. Und wenn man ihn fragte, warum er sie früher erzählt habe, dann zuckte er nur traurig die Schultern. Wenige Tage später schon schickte man ihn nach Hause.

Aber Beppo ging nicht nach Hause, sondern geradewegs zu jenem großen Haus mit dem Hof, wo er und seine Kollegen immer ihre Besen und Karren in Empfang nahmen. Er holte seinen Besen, ging damit in die große Stadt und fing an zu kehren.

Aber nun kehrte er nicht mehr wie früher, bei jedem Schritt einen Atemzug und bei jedem Atemzug einen Besenstrich, sondern jetzt tat er es hastig und ohne Liebe zur Sache und nur um Stunden einzubringen. Mit peinigender Deutlichkeit wusste er, dass er damit seine tiefste Überzeugung, ja, sein ganzes bisheriges Leben verleugnete und verriet, und das machte ihn krank vor Widerwillen gegen das, was er tat. Wäre es nur um ihn gegangen, er wäre lieber verhungert, als sich selbst so untreu zu werden. Aber es ging ja um Momo, die er freikaufen musste und dies war die einzige Art Zeit zu sparen, die er kannte. Er kehrte bei Tag und bei Nacht, ohne jemals nach Hause zu gehen. Wenn die Erschöpfung ihn übermannte, setzte er sich auf eine Anlagenbank oder auch einfach auf den Rinnstein und schlief ein wenig. Dann fuhr er nach kurzem wieder auf und kehrte weiter. Ebenso hastig würgte er zwischendurch rasch einmal irgendetwas zu essen hinunter. Zu seiner Hütte bei dem Amphitheater ging er nicht mehr zurück. Er kehrte durch Wochen und durch Monate. Es kam der Herbst und es kam der Winter. Beppo kehrte.

Und es kam der Frühling und wieder der Sommer. Beppo bemerkte es kaum, er kehrte und kehrte, um die hunderttausend Stunden Lösegeld zu ersparen.

Die Leute in der großen Stadt hatten keine Zeit, um auf den kleinen alten Mann zu achten. Und die wenigen, die es doch taten, tippten sich hinter seinem Rücken an die Stirn, wenn er keuchend an ihnen vorüberhastete und den Besen schwang, als gelte es sein Leben. Aber dass man ihn für närrisch hielt, war ja nichts Neues für Beppo und er beachtete es kaum.

Nur wenn ihn manchmal jemand fragte, warum er es denn so eilig habe, dann unterbrach er seine Arbeit für einen Augenblick, schaute den Frager ängstlich und voll Trauer an und legte den Finger an die Lippen. -

Die schwierigste Aufgabe stellte es für die grauen Herren dar, die Kinder unter Momos Freunden nach ihren Plänen zu lenken. Nachdem Momo verschwunden war, hatten die Kinder sich dennoch, sooft es nur ging, im alten Amphitheater versammelt. Sie hatten immer neue Spiele erfunden, ein paar alte Kisten und Schachteln genügten ihnen um darin fabelhafte Weltreisen zu unternehmen oder um daraus Burgen und Schlösser zu errichten. Sie hatten weiterhin ihre Pläne geschmiedet und einander Geschichten erzählt, kurzum, sie hatten einfach so getan, als sei Momo noch mitten unter ihnen. Und es hatte sich erstaunlicherweise gezeigt, dass es dadurch fast so war, als sei sie tatsächlich noch da.

Außerdem hatten diese Kinder keinen Augenblick daran gezweifelt, dass Momo wiederkommen würde. Darüber war zwar niemals gesprochen worden, aber das war auch gar nicht nötig. Die stillschweigende Gewissheit verband die Kinder miteinander. Momo hörte zu ihnen und war ihr heimlicher Mittelpunkt, ganz gleich, ob sie nun da war oder nicht.

Dagegen hatten die grauen Herren nicht ankommen können. Wenn sie die Kinder nicht unmittelbar unter ihren Einfluss bringen konnten, um sie von Momo loszureißen, dann mussten sie es eben über einen Umweg zuwege bringen. Und dieser Umweg waren die Erwachsenen, die ja über die Kinder zu bestimmen hatten. Nicht alle Erwachsenen, versteht sich, aber diejenigen, die sich als Helfershelfer eigneten und das waren leider gar nicht wenige. Obendrein waren es nun die eigenen Waffen der Kinder, welche die grauen Herren gegen sie verwendeten.

Plötzlich erinnerten sich nämlich einige Leute an die Umzüge, an die Plakate und Inschriften der Kinder.

»Wir müssen etwas unternehmen«, hieß es,»denn es geht nicht an, dass immer mehr und mehr Kinder allein sind und vernachlässigt werden. Den Eltern ist kein Vorwurf zu machen, denn das moderne Leben lässt ihnen eben keine Zeit sich genügend mit ihren Kindern zu beschäftigen. Aber die Stadtverwaltung muss sich darum kümmern.«

»Es geht nicht an«, sagten andere,»dass der reibungslose Ablauf des Straßenverkehrs durch herumlungernde Kinder gefährdet wird. Die Zunahme von Unfällen, die durch Kinder auf den Straßen verursacht werden, kostet immer mehr Geld, das man anderweitig vernünftiger ausgeben könnte.«

»Kinder ohne Aufsicht«, erklärten wieder andere,»verwahrlosen moralisch und werden zu Verbrechern. Die Stadtverwaltung muss dafür sorgen, dass alle diese Kinder erfasst werden. Man muss Anstalten schaffen, wo sie zu nützlichen und leistungsfähigen Mitgliedern der Gesellschaft erzogen werden.«

Und abermals andere meinten:»Kinder sind das Menschenmaterial der Zukunft. Die Zukunft wird eine Zeit der Düsenmaschinen und der Elektrogehirne. Ein Heer von Spezialisten und Facharbeitern wird notwendig sein, um alle diese Maschinen zu bedienen. Aber anstatt unsere Kinder auf diese Welt von morgen vorzubereiten, lassen wir es noch immer zu, dass viele von ihnen Jahre ihrer kostbaren Zeit mit nutzlosen Spielen verplempern. Es ist eine Schande für unsere Zivilisation und ein Verbrechen an der künftigen Menschheit!«

Das alles leuchtete den Zeit-Sparern ungemein ein. Und da schon sehr viele Zeit-Sparer in der großen Stadt waren, gelang es ihnen in ziemlich kurzer Zeit, die Stadtverwaltung von der Notwendigkeit zu überzeugen, etwas für die vielen vernachlässigten Kinder zu tun.

Daraufhin wurden in allen Stadtvierteln sogenannte»Kinder-Depots«gegründet. Das waren große Häuser, wo alle Kinder, um die sich niemand kümmern konnte, abgeliefert werden mussten und je nach Möglichkeit wieder abgeholt werden konnten.

Es wurde strengstens verboten, dass Kinder auf den Straßen oder in den Grünanlagen oder sonst wo spielten. Wurde ein Kind doch einmal dabei erwischt, so war sofort jemand da, der es in das nächste Kinder-Depot brachte. Und die Eltern mussten mit einer gehörigen Strafe rechnen.

Auch Momos Freunde entgingen dieser neuen Regelung nicht. Sie wurden voneinander getrennt, je nach der Gegend, aus der sie kamen, und wurden in verschiedene Kinder-Depots gesteckt. Davon, dass sie sich hier selbst Spiele einfallen lassen durften, war natürlich keine Rede mehr. Die Spiele wurden ihnen von Aufsichtspersonen vorgeschrieben und es waren nur solche, bei denen sie irgendetwas Nützliches lernten. Etwas anderes verlernten sie freilich dabei und das war: sich zu freuen, sich zu begeistern und zu träumen.

Nach und nach bekamen die Kinder Gesichter wie kleine Zeit-Sparer. Verdrossen, gelangweilt und feindselig taten sie, was man von ihnen verlangte. Und wenn sie doch einmal sich selbst überlassen blieben, dann fiel ihnen nichts mehr ein, was sie hätten tun können.

Das Einzige, was sie nach all dem noch konnten, war Lärm machen - aber es war natürlich kein fröhlicher Lärm, sondern ein wütender und böser.

Aber die grauen Herren selbst kamen zu keinem der Kinder. Das Netz das sie über die große Stadt gewebt hatten, war nun dicht und - wie es schien - unzerreißbar. Selbst den schlausten Kindern gelang es nicht durch die Maschen zu schlüpfen. Der Plan der grauen Herren war ausgeführt. Alles war für Momos Rückkehr vorbereitet.

Von da an hatte das alte Amphitheater leer und verlassen dagelegen.

Und nun saß Momo also auf den steinernen Stufen und wartete auf ihre Freunde. Den ganzen Tag seit ihrer Rückkehr hatte sie so gesessen und gewartet. Aber niemand war gekommen. Niemand.

Die Sonne senkte sich dem westlichen Horizont zu. Die Schatten wuchsen und es wurde kalt.

Endlich stand Momo auf. Sie war hungrig, denn niemand hatte daran gedacht, ihr etwas zu essen zu bringen. Das war noch nie geschehen. Selbst Gigi und Beppo mussten sie heute vergessen haben. Aber sicher, dachte Momo, war das Ganze nur ein Versehen, irgendein dummer Zufall, der sich morgen aufklären würde.

Sie stieg zur Schildkröte hinunter, die sich schon zum Schlafen in ihr Gehäuse zurückgezogen hatte. Momo hockte sich neben sie und klopfte mit dem Fingerknöchel schüchtern auf den Rückenpanzer. Die Schildkröte schob ihren Kopf hervor und blickte Momo an.

»Entschuldige bitte«, sagte Momo,»es tut mir Leid, wenn ich dich geweckt habe, aber kannst du mir sagen, warum heute den ganzen lag kein einziger von meinen Freunden gekommen ist?«

Auf dem Panzer erschienen die Worte:»keiner mehr da.«

Momo las sie, verstand aber nicht, was sie bedeuten sollten.

»Na ja«, sagte sie zuversichtlich,»morgen wird sich's schon herausstellen. Morgen kommen meine Freunde bestimmt.«

»nie mehr«, war die Antwort.

Momo starrte die matt leuchtenden Buchstaben eine Weile an.

»Was meinst du damit?«, fragte sie schließlich bang.»Was ist denn mit meinen Freunden?«

»alle fort«, las sie.

Sie schüttelte den Kopf.»Nein«, sagte sie leise,»das kann nicht sein. Du irrst dich bestimmt, Kassiopeia. Gestern waren sie ja noch alle da zur großen Versammlung, aus der nichts geworden ist.«

»hast lang geschlafen«, lautete Kassiopeias Antwort.

Momo erinnerte sich, dass Meister Hora gesagt hatte, sie müsse einen Sonnenkreis hindurch schlafen wie ein Samenkorn in der Erde. Sie hatte nicht bedacht, wie viel Zeit das sein mochte, als sie zugestimmt hatte. Aber nun begann sie es zu ahnen.

»Wie lang?«, fragte sie flüsternd.

»JAHR UND TAG.«

Momo brauchte eine Weile, ehe sie diese Antwort begriffen hatte.

»Aber Beppo und Gigi«, stammelte sie schließlich,»die beiden warten doch bestimmt noch auf mich!«

»niemand mehr da«, stand auf dem Panzer.

»Wie kann denn das sein?«, Momos Lippen zitterten.»Es kann doch nicht einfach alles weg sein - alles, was war…«

Und langsam erschien auf Kassiopeias Rücken das Wort:»vergangen.«

Zum ersten Mal in ihrem Leben empfand Momo mit voller Gewalt, was dieses Wort bedeutet. Ihr Herz wurde schwer wie nie zuvor.

»Aber ich«, murmelte sie fassungslos,»ich bin doch noch da…«

Sie hätte gern geweint, aber sie konnte nicht. Nach einer Weile fühlte sie dass die Schildkröte sie an ihrem nackten Fuß berührte.

»ich bin bei dir!«, stand auf ihrem Panzer.

»Ja«, sagte Momo und lächelte tapfer,»du bist bei mir, Kassiopeia. Und ich bin froh darüber. Komm, wir wollen schlafen gehen.«

Sie nahm die Schildkröte hoch und trug sie durch das Einstiegsloch in der Mauer in ihren Raum hinunter. Im Licht der untergehenden Sonne sah Momo, dass alles noch so war, wie sie es verlassen hatte. (Beppo hatte das Zimmer damals wieder aufgeräumt.) Aber überall lag dicker Staub und hingen Spinnweben.

Auf dem Tischchen aus Kistenbrettern lehnte an einer Blechbüchse ein Brief. Auch er war von Spinnweben bedeckt.

»An Momo«, stand darauf.

Momos Herz begann schneller zu klopfen. Sie hatte noch nie einen Brief bekommen. Sie nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn von allen Seiten, dann riss sie das Kuvert auf und nahm einen Zettel heraus.

»Liebe Momo!«, las sie.»Ich bin umgezogen. Falls du zurückkommst, melde dich bitte gleich bei mir. Ich mache mir große Sorgen um dich. Du fehlst mir sehr. Hoffentlich ist dir nichts passiert. Wenn du Hunger hast, dann geh bitte zu Nino. Er schickt mir die Rechnung, ich bezahle alles. Also iss nur, so viel du willst, hörst du? Alles Weitere sagt dir dann Nino. Behalte mich lieb! Ich behalte dich auch lieb!

Immer

dein Gigi«

Es dauerte lang, bis Momo diesen Brief buchstabiert hatte, obwohl Gigi sich offensichtlich alle Mühe gegeben hatte schön und deutlich zu schreiben. Als sie endlich damit fertig war, erlosch gerade das letzte Restchen Tageslicht.

Aber Momo war getröstet.

Sie hob die Schildkröte hoch und legte sie neben sich auf das Bett.

Während sie sich in die staubige Decke hüllte, sagte sie leise:»Siehst du, Kassiopeia, ich bin doch nicht allein.«

Aber die Schildkröte schien bereits zu schlafen. Und Momo, die beim Lesen des Briefes Gigi ganz deutlich vor sich gesehen hatte, kam nicht auf den Gedanken, dass dieser Brief schon fast ein Jahr hier lag.

Sie legte ihre Wange auf das Papier. Jetzt war ihr nicht mehr kalt.

VIERZEHNTES KAPITELZu viel zu essen und zu wenig Antworten

Am nächsten Mittag nahm Momo die Schildkröte unter den Arm und machte sich auf den Weg zu Ninos kleinem Lokal.

»Du wirst sehen, Kassiopeia«, sagte sie,»jetzt wird sich alles aufklären. Nino weiß, wo Gigi und Beppo jetzt sind. Und dann gehen wir und holen die Kinder und wir sind wieder alle zusammen. Vielleicht kommen Nino und seine Frau auch mit und die anderen alle. Sie werden dir bestimmt gut gefallen, meine Freunde. Vielleicht machen wir heute Abend ein kleines Fest. Ich werde ihnen von den Blumen erzählen und von der Musik und von Meister Hora und allem. Ach, ich freu mich schon drauf, sie alle wiederzusehen. Aber jetzt freu ich mich erst mal auf ein schönes Mittagessen. Ich hab schon richtigen Hunger, weißt du.«

So schwatzte sie fröhlich weiter. Immer wieder fasste sie nach Gigis Brief, den sie in der Jackentasche bei sich trug. Die Schildkröte schaute sie nur mit ihren uralten Augen an, antwortete aber nichts.

Momo begann im Gehen zu summen und schließlich zu singen. Wieder waren es die Melodien und die Worte der Stimmen, die in ihrer Erinnerung noch ebenso deutlich weiterklangen wie am Tage zuvor. Momo wusste jetzt, dass sie sie nie mehr verlieren würde. Aber dann brach sie plötzlich ab. Vor ihr lag Ninos Lokal. Momo dachte im ersten Augenblick, sie hätte sich im Wege geirrt. Statt des alten Hauses mit dem regenfleckigen Verputz und der kleinen Laube vor der Tür stand dort jetzt ein lang gestreckter Betonkasten mit großen Fensterscheiben, welche die ganze Straßenfront ausfüllten. Die Straße selbst war inzwischen asphaltiert und viele Autos fuhren auf ihr. Auf der gegenüberliegenden Seite waren eine große Tankstelle und in nächster Nähe ein riesiges Bürohaus entstanden. Viele Fahrzeuge parkten vor dem neuen Lokal, über dessen Eingangstür in großen Lettern die Inschrift prangte:

NINOS SCHNELLRESTAURANT

Momo trat ein und konnte sich zunächst kaum zurechtfinden. An der Fensterseite entlang standen viele Tische mit winzigen Platten auf hohen Beinen, sodass sie wie sonderbare Pilze aussahen. Sie waren so hoch, dass ein Erwachsener im Stehen an ihnen essen konnte. Stühle gab es keine mehr.

Auf der anderen Seite befand sich eine lange Barriere aus blitzenden Metallstangen, eine Art Zaun. Dahinter zogen sich in kleinem Abstand lange Glaskästen hin, in denen Schinken- und Käsebrote, Würstchen, Teller mit Salaten, Pudding, Kuchen und alles mögliche andere stand, das Momo nicht kannte.

Aber alles das konnte Momo erst nach und nach wahrnehmen, denn der Raum war gedrängt voller Menschen, denen sie immerfort im Wege zu stehen schien; wo sie auch hintrat, wurde sie beiseite geschubst und weiter gedrängt. Die meisten Leute balancierten Tabletts mit Tellern und Flaschen darauf und versuchten einen Platz an den Tischchen zu ergattern. Hinter denen, die dort standen und hastig aßen, warteten schon jeweils andere auf deren Platz. Da und dort wechselten die Wartenden und die Essenden unfreundliche Worte. Überhaupt machten die Leute alle einen ziemlich missvergnügten Eindruck.

Zwischen dem Metallzaun und den Glaskästen schob sich langsam eine Schlange von Leuten weiter. Jeder nahm sich da und dort einen Teller oder eine Flasche und einen Pappbecher aus den Glaskästen.

Momo staunte. Hier konnte sich also jeder nehmen, was er wollte! Sie konnte niemand sehen, der die Leute daran gehindert hätte oder wenigstens Geld dafür forderte. Vielleicht gab es hier alles umsonst! Das wäre freilich eine Erklärung für das Gedränge gewesen.

Nach einer Weile gelang es Momo, Nino zu erspähen. Er saß, von den vielen Leuten verdeckt, ganz am Ende der langen Reihe der Glaskästen hinter einer Kasse, auf der er ununterbrochen tippte, Geld einnahm und Wechselgeld herausgab. Also bei ihm bezahlten die Leute! Und durch den Metallzaun wurde jeder so gelenkt, dass er nicht zu den Tischchen kommen konnte, ohne an Nino vorbei zu müssen.

»Nino!«, rief Momo und versuchte sich zwischen den Leuten durchzudrängen. Sie winkte mit Gigis Brief, aber Nino hörte sie nicht. Die Kasse machte zu viel Lärm und beanspruchte seine ganze Aufmerksamkeit.

Momo fasste sich ein Herz, kletterte über den Zaun und drängte sich durch die Menschenschlange zu Nino durch. Er blickte auf, weil einige Leute laut zu schimpfen anfingen.

Als er Momo sah, verschwand plötzlich der missmutige Ausdruck auf seinem Gesicht.

»Momo!«, rief er und strahlte, ganz wie früher.»Du bist wieder da! Das ist aber eine Überraschung!«

»Weitergehen!«, riefen Leute aus der Reihe.»Das Kind soll sich hinten anstellen wie wir auch. Einfach vordrängen, das gibt's nicht! So ein unverschämtes Gör!«

»Moment«, rief Nino und hob beschwichtigend die Hände,»ein kleines bisschen Geduld, bitte!«

»Da konnte ja jeder kommen!«, schimpfte einer aus der Reihe der Wartenden.»Weiter, weiter! Das Kind hat mehr Zeit als wir.«

»Gigi bezahlt alles für dich, Momo«, flüsterte Nino dem Mädchen astig zu,»also nimm dir zu essen, was du willst. Aber stell dich hinten an wie die anderen. Du hörst ja selbst!«

Ehe Momo noch etwas fragen konnte, schoben die Leute sie einfach weiter. Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als es genauso zu machen wie alle anderen. Sie stellte sich ans Ende der Menschenschlange und nahm sich aus einem Regal ein Tablett und aus einem Kasten Messer Gabel und Löffel. Dann wurde sie langsam und schrittweise weiter geschoben.

Da sie beide Hände für das Tablett benötigte, setzte sie Kassiopeia einfach darauf. Im Vorbeigehen holte sie sich aus den Glaskästen da und dort etwas heraus und stellte es um die Schildkröte herum. Momo war von alledem etwas verwirrt, und so wurde es eine recht merkwürdige Zusammenstellung. Ein Stück gebratenen Fisch, ein Marmeladebrot, ein Würstchen, eine kleine Pastete und ein Pappbecher Limonade. Kassiopeia in der Mitte zog es vor, sich gänzlich in ihr Gehäuse zu verkriechen und sich nicht dazu zu äußern.

Als Momo endlich zur Kasse kam, fragte sie Nino schnell:»Weißt du, wo Gigi ist?«

»Ja«, sagte Nino,»unser Gigi ist berühmt geworden. Wir sind alle sehr stolz auf ihn, denn immerhin, er ist doch einer von uns! Man kann ihn oft im Fernsehen sehen und im Radio spricht er auch. Und in den Zeitungen steht immer wieder etwas von ihm. Neulich sind sogar zwei Reporter zu mir gekommen und haben sich von früher erzählen lassen. Ich hab ihnen die Geschichte erzählt, wie Gigi einmal…«

»Weiter da vorne!«, riefen einige Stimmen aus der Schlange.

»Aber, warum kommt er denn nicht mehr?«, fragte Momo.

»Ach, weißt du«, flüsterte Nino, der schon ein bisschen nervös wurde,»er hat eben keine Zeit mehr. Er hat jetzt Wichtigeres zu tun und am alten Amphitheater ist ja sowieso nichts mehr los.«

»Was ist denn mit euch?«, riefen mehrere unwillige Stimmen von hinten.»Glaubt ihr, wir haben Lust, hier ewig herumzustehen?«

»Wo wohnt er denn jetzt?«, erkundigte Momo sich hartnäckig.»Auf dem Grünen Hügel irgendwo«, antwortete Nino,»er hat eine schöne Villa, wie man hört, mit einem Park drum herum. Aber geh jetzt erst mal weiter, bitte!«

Momo wollte eigentlich nicht, denn sie hatte ja noch viele, viele Fragen, aber sie wurde einfach weitergeschoben. Sie ging mit ihrem Tablett zu einem der Pilztischchen und erwischte tatsächlich nach kurzem Warten einen Platz. Allerdings war das Tischchen für sie so hoch, dass sie gerade eben mit der Nase über die Platte reichte.

Als sie ihr Tablett hinaufschob, schauten die Umstehenden mit angeekelten Gesichtern auf die Schildkröte.

»So was«, sagte einer zu seinem Nachbarn,»muss man sich heutzutage bieten lassen.«

Und der andere brummte:»Was wollen Sie - die Jugend von heute!«

Aber sonst sagten sie nichts und kümmerten sich nicht weiter um Momo. Doch das Essen gestaltete sich auch so schon schwierig genug für sie, weil sie eben kaum auf ihren Teller gucken konnte. Da sie aber sehr hungrig war, verzehrte sie alles bis auf den letzten Rest.

Nun war sie zwar satt, wollte aber unbedingt noch erfahren, was aus Beppo geworden war. Also stellte sie sich noch einmal in die Reihe. Und weil sie befürchtete, dass die Leute sonst vielleicht wieder ärgerlich auf sie werden würden, wenn sie bloß so dazwischenstand, nahm sie sich im Vorübergehen noch einmal allerhand aus den Glaskästen. Als sie schließlich wieder bei Nino ankam, fragte sie:»Und wo ist Beppo Straßenkehrer?«

»Er hat lang auf dich gewartet«, erklärte Nino hastig, weil er neuerlichen Unwillen seiner Kunden befürchtete.»Er dachte, es wäre dir was Schreckliches passiert. Er hat immer irgendwas von grauen Herren erzahlt, ich weiß nicht mehr was. Na, du kennst ihn ja, er war ja immer schon ein bisschen wunderlich.«

»He, ihr zwei da vorn!«, rief jemand aus der Schlange.»Schlaft ihr?«

»Sofort, mein Herr!«, rief Nino ihm zu.

»Und dann?«, fragte Momo.

»Dann hat er die Polizei rebellisch gemacht«, fuhr Nino fort und strich sich nervös mit der Hand übers Gesicht.»Er wollte unbedingt, dass sie dich suchen sollten. Soviel ich weiß, haben sie ihn schließlich in eine Art Sanatorium gebracht. Mehr weiß ich auch nicht.«

»Verdammt nochmal«, schrie jetzt eine wütende Stimme von hinten,»ist das hier eigentlich ein Schnellrestaurant oder ein Wartesaal? Ihr habt wohl ein Familientreffen da vorne, wie?«

»Sozusagen!«, rief Nino flehend.

»Ist er noch dort?«, erkundigte sich Momo.

»Ich glaube nicht«, erwiderte Nino,»es heißt, sie haben ihn wieder laufen lassen, weil er harmlos ist.«

»Ja, aber wo ist er denn jetzt?«

»Keine Ahnung, wirklich, Momo. Aber, bitte, geh jetzt weiter!«

Abermals wurde Momo einfach von den nachdrängenden Leuten weiter geschoben. Wieder ging sie zu einem der Pilztischchen, wartete, bis sie einen Platz fand und verdrückte die Mahlzeit, die auf ihrem Tablett stand. Diesmal schmeckte es ihr schon sehr viel weniger gut. Auf die Idee, das Essen einfach stehen zu lassen, kam Momo natürlich nicht.

Nun musste sie aber noch erfahren, was mit den Kindern war, die sie früher immer besucht hatten. Da half nichts, sie musste sich wieder in die Reihe der Wartenden stellen, an den Glaskästen vorübermaschieren und ihr Tablett mit Speisen füllen, damit die Leute nicht böse auf sie würden.

Endlich war sie wieder bei Nino an der Kasse.

»Und die Kinder?«, fragte sie.»Was ist mit denen?«

»Das ist jetzt alles anders geworden«, erklärte Nino, dem bei Momos neuerlichem Anblick der Schweiß auf die Stirn trat.»Ich kann dir das jetzt nicht so erklären, du siehst ja, wie es zugeht hier!«

»Aber warum kommen sie nicht mehr?«, beharrte Momo eigensinnig auf ihrer Frage.

»Alle Kinder, um die sich niemand kümmern kann, sind jetzt in Kinder-Depots untergebracht. Die dürfen sich nicht mehr selbst überlassen bleiben, weil… na, kurz und gut, für sie ist jetzt gesorgt.«

»Beeilt euch doch, ihr Trantanten da vorne!«, riefen wieder Stimmen aus der Schlange.»Wir wollen schließlich auch mal zum Essen kommen.«

»Meine Freunde?«, fragte Momo ungläubig.»Haben sie das wirklich selber gewollt?«

»Das hat man sie nicht gefragt«, erwiderte Nino und zappelte fahrig mit den Händen auf den Tasten seiner Kasse herum.»Kinder können doch über so was nicht entscheiden. Es ist dafür gesorgt, dass sie von der Straße wegkommen. Das ist schließlich das Wichtigste, nicht wahr?«

Momo sagte darauf gar nichts, sondern schaute Nino nur prüfend an. Und das machte Nino nun vollends konfus.

»Zum Kuckuck nochmal«, schrie nun wieder eine erboste Stimme aus dem Hintergrund,»das ist ja zum Auswachsen, wie hier heute getrödelt wird. Müsst ihr euer gemütliches Schwätzchen denn ausgerechnet jetzt abhalten?«

»Und was soll ich jetzt machen«, fragte Momo leise,»ohne meine Freunde?«

Nino zuckte die Schultern und knetete seine Finger.

»Momo«, sagte er und holte tief Luft wie einer, der mit Gewalt seine assung zu bewahren sucht,»sei vernünftig und komm irgendwann wieder, ich habe jetzt wirklich keine Zeit mit dir zu beraten, was du anfangen sollst. Du kannst hier immer essen, das weißt du ja. Aber ich an deiner Stelle würde eben einfach auch in solch ein Kinder-Depot gehen, wo du beschäftigt wirst und aufgehoben bist und sogar noch was lernst. Aber da werden sie dich sowieso hinbringen, wenn du so allein durch die Welt läufst.«

Momo sagte wieder nichts und sah Nino nur an. Die Menge der Nachdrängenden schob sie weiter. Automatisch ging sie zu einem der Tischchen und ebenso automatisch verdrückte sie auch noch das dritte Mittagessen, obwohl sie es kaum hinunterwürgen konnte und es wie Pappendeckel und Holzwolle schmeckte. Danach fühlte sie sich elend.

Sie nahm Kassiopeia unter den Arm und ging still und ohne sich noch einmal umzudrehen hinaus.

»He, Momo!«, rief Nino ihr nach, der sie im letzten Augenblick noch erspäht hatte.»Warte doch mal! Du hast mir ja gar nicht erzählt, wo du inzwischen gesteckt hast!«Aber dann drängten die nächsten Leute heran und er tippte wieder auf der Kasse, nahm Geld ein und gab Wechselgeld heraus. Das Lächeln auf seinem Gesicht war schon lange wieder verschwunden. -

Viel zu essen«, sagte Momo zu Kassiopeia, als sie wieder im alten Amphitheater waren,»viel zu essen hab ich ja schon gekriegt, viel zu viel. Aber ich hab trotzdem das Gefühl, als ob ich nicht satt bin.«Und nach einer Weile fügte sie hinzu:»Ich hätte Nino auch nicht von den Blumen und der Musik erzählen können.«Und abermals nach einer Weile sagte sie:»Aber morgen gehen wir und suchen Gigi. Er wird dir bestimmt gefallen, Kassiopeia. Du wirst schon sehen.«

Aber auf dem Rücken der Schildkröte erschien nur ein großes Fragezeichen.

FÜNFZEHNTES KAPITELGefunden und verloren

Am nächsten Tag machte Momo sich schon früh am Morgen auf, um Gigis Haus zu suchen. Die Schildkröte nahm sie natürlich wieder mit. Wo der Grüne Hügel war, wusste Momo. Es war ein Villenvorort, der weit entfernt lag von jener Gegend um das alte Amphitheater. Er lag in der Nähe jener gleichförmigen Neubauviertel, also auf der anderen Seite der großen Stadt.

Es war ein weiter Weg. Momo war zwar daran gewöhnt barfuß zu laufen, aber als sie endlich auf dem Grünen Hügel ankam, taten ihr doch die Füße weh.

Sie setzte sich auf einen Rinnstein, um sich einen Augenblick auszuruhen.

Es war wirklich eine sehr vornehme Gegend. Die Straßen waren hier breit und sehr sauber und beinahe menschenleer. In den Gärten hinter den hohen Mauern und Eisengittern erhoben uralte Bäume ihre Wipfel in den Himmel. Die Häuser in den Gärten waren meist lang gestreckte Gebäude aus Glas und Beton mit flachen Dächern. Die glattrasierten Wiesen vor den Häusern waren saftiggrün und luden förmlich ein, auf ihnen Purzelbäume zu machen. Aber nirgends sah man jemand in den Gärten spazieren gehen oder auf dem Rasen spielen. Wahrscheinlich hatten die Besitzer keine Zeit dazu.

»Wenn ich nur wüsste«, sagte Momo zur Schildkröte,»wie ich jetzt herauskriegen kann, wo Gigi hier wohnt.«

»wirst's gleich wissen«, stand auf Kassiopeias Rücken.

»Meinst du?«, fragte Momo hoffnungsvoll.

»He, du Dreckspatz«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihr,»was suchst du denn hier?«

Momo drehte sich um. Da stand ein Mann, der eine sonderbare gestreifte Weste anhatte.

Momo wusste nicht, dass Diener von reichen Leuten solche Westen tragen. Sie stand auf und sagte:»Guten Tag, ich suche das Haus von Gigi. Nino hat mir gesagt, dass er jetzt hier wohnt.«

»Wessen Haus suchst du?«

»Von Gigi Fremdenführer. Er ist nämlich mein Freund.«

Der Mann mit der gestreiften Weste guckte das Kind misstrauisch an. Hinter ihm war das Gartentor ein wenig offen geblieben und Momo konnte einen Blick hineinwerfen. Sie sah einen weiten Rasen, auf dem einige Windhunde spielten und ein Springbrunnen plätscherte. Und auf einem Baum voller Blüten saß ein Pfauenpärchen.

»Oh«, rief Momo bewundernd,»was für schöne Vögel!«

Sie wollte hineingehen um sie aus der Nähe zu betrachten, aber der Mann mit der Weste hielt sie am Kragen zurück.

»Hier geblieben!«, sagte er.»Was fällt dir ein, Dreckspatz!«

Dann ließ er Momo wieder los und wischte sich die Hand mit seinem Taschentuch ab, als habe er etwas Unappetitliches angefasst.

»Gehört das alles dir?«, fragte Momo und zeigte durch das Tor.

»Nein«, sagte der Mann mit der Weste noch eine Spur unfreundlicher,»verschwinde jetzt! Du hast hier nichts zu suchen.«

»Doch«, versicherte Momo mit Nachdruck,»Gigi Fremdenführer muss ich suchen. Er wartet nämlich auf mich. Kennst du ihn denn nicht?«

»Hier gibt es keine Fremdenführer«, erwiderte der Mann mit der Weste und drehte sich um. Er ging in den Garten zurück und wollte das Tor schließen, doch im letzten Augenblick schien ihm noch etwas einzufallen.

»Du meinst doch nicht etwa Girolamo, den berühmten Erzähler?«

»Na ja, Gigi Fremdenführer eben«, antwortete Momo erfreut,»so heißt er doch. Weißt du, wo sein Haus ist?«

»Und er erwartet dich wirklich?«, wollte der Mann wissen.

»Ja«, meinte Momo,»ganz bestimmt. Er ist mein Freund und er bezahlt für mich alles, was ich bei Nino esse.«

Der Mann mit der Weste zog die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf.

»Diese Künstler!«, sagte er säuerlich.»Was sie doch manchmal für ausgefallene Launen haben! Aber wenn du wirklich glaubst, dass er Wert auf deinen Besuch legt: Sein Haus ist das letzte ganz oben an der Straße.«

Und das Gartentor fiel ins Schloss.

»lackaffe!«, stand auf Kassiopeias Panzer, aber die Schrift erlosch sogleich wieder.

Das letzte Haus ganz oben an der Straße war von einer übermannshohen Mauer umgeben. Und auch das Gartentor war, ähnlich wie das bei dem Mann mit der Weste, aus Eisenplatten, sodass man nicht hineinsehen konnte. Nirgends war ein Klingelknopf oder ein Namensschild zu finden.

»Ich möchte wissen«, sagte Momo,»ob das überhaupt Gigis neues Haus ist. Es sieht eigentlich gar nicht nach ihm aus.«

»ist es aber«, stand auf dem Rücken der Schildkröte.

»Warum ist denn alles so zu?«, fragte Momo.»Da komm ich nicht rein.«

»warte!«, erschien als Antwort.

»Na ja«, meinte Momo seufzend,»da kann ich aber vielleicht lang warten. Woher soll Gigi wissen, dass ich hier draußen stehe - falls er überhaupt drin ist.«

»er kommt gleich«, war auf dem Panzer zu lesen. Also setzte Momo sich geradewegs vor das Tor und wartete geduldig.

Lange Zeit geschah gar nichts und Momo begann zu überlegen, ob Kassiopeia sich nicht vielleicht doch einmal geirrt hatte.

»Bist du wirklich ganz sicher?«, fragte sie nach einer Weile.

Statt jeder erwarteten Antwort erschien aber auf dem Rückenpanzer das Wort:»lebewohl!«

Momo erschrak.»Was meinst du denn damit, Kassiopeia? Willst du mich denn wieder verlassen? Was hast du denn vor?«

»ich geh dich suchen!«, war Kassiopeias noch rätselhaftere Auskunft.

In diesem Augenblick flog plötzlich das Tor auf und ein langes, elegantes Auto schoss in voller Fahrt heraus. Momo konnte sich gerade noch durch einen Sprung nach rückwärts retten und fiel hin. Das Auto raste noch ein Stückchen weiter, dann bremste es, dass die Reifen quietschten. Eine Tür wurde aufgerissen und Gigi sprang heraus.

»Momo!«, schrie er und breitete die Arme aus.»Das ist doch wirklich und wahrhaftig meine kleine Momo!«

Momo war aufgesprungen und lief auf ihn zu und Gigi fing sie auf und hob sie hoch, küsste sie hundertmal auf beide Backen und tanzte mit ihr auf der Straße herum.

»Hast du dir weh getan?«, fragte er atemlos, aber er wartete gar nicht ab, was sie sagte, sondern redete aufgeregt weiter.»Es tut mir Leid, dass ich dich erschreckt habe, aber ich hab's schrecklich eilig, verstehst du? Ich bin schon wieder mal zu spät dran. Wo hast du denn nur gesteckt die ganze Zeit? Du musst mir alles erzählen. Also ich habe nicht mehr geglaubt, dass du zurückkommen würdest. Hast du meinen Brief gefunden? Ja? War er noch da? Gut und bist du zu Nino essen gegangen? Hat es dir geschmeckt? Ach, Momo, wir müssen uns so viel erzählen, es ist ja so schrecklich viel passiert inzwischen. Wie geht es dir denn? So rede doch endlich! Und unser alter Beppo, was macht er? Ich hab ihn schon ewig nicht mehr gesehen. Und die Kinder? Ach, weißt du, Momo, ich denke oft an die Zeit, als wir noch alle zusammen waren und ich euch Geschichten erzählt habe. Das waren schöne Zeiten. Aber jetzt ist alles anders, ganz, ganz anders.«

Momo hatte mehrmals versucht, auf Gigis Fragen zu antworten. Aber da er seinen Redestrom nicht unterbrach, wartete sie einfach ab und schaute ihn an. Er sah anders aus als früher, so schön gepflegt und er duftete gut. Aber irgendwie war er ihr seltsam fremd.

Inzwischen waren aus dem Auto noch vier andere Personen ausgestiegen und herangekommen: ein Mann in einer ledernen Chauffeursuniform und drei Damen mit strengen, aber stark geschminkten Gesichtern.

»Hat das Kind sich verletzt?«, fragte die eine, eher vorwurfsvoll als besorgt.

»Nein, nein, keine Spur«, versicherte Gigi,»es hat sich nur erschreckt.«

»Was lungert es aber auch vor dem Tor herum!«, sagte die zweite Dame.

»Aber das ist doch Momo!«, rief Gigi lachend.»Meine alte Freundin Momo ist das!«

»Ach, dieses Mädchen gibt es also wirklich?«, fragte die dritte Dame erstaunt.»Ich hatte es immer für eine Ihrer Erfindungen gehalten. - Aber das könnten wir doch gleich an Presse und Rundfunk geben!»Wiedersehen mit der Märchenprinzessin«oder so, das wird bei den Leuten fabelhaft ankommen! Ich werde das sofort veranlassen. Das wird der Knüller!«

»Nein«, sagte Gigi,»das möchte ich eigentlich nicht.«

»Aber du, Kleine«, wandte sich die erste Dame nun an Momo und lächelte,»du möchtest doch bestimmt gern in der Zeitung stehen, nicht wahr?«

»Lassen Sie das Kind in Ruhe!«, sagte Gigi ärgerlich.

Die weite Dame warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.»Wenn wir nicht mächtig auf die Tube drücken, dann fliegt uns das Flugzeug wirklich noch vor der Nase weg. Sie wissen ja selbst, was das bedeuten würde.«

»Mein Gott«, antwortete Gigi nervös,»kann ich denn nicht mal mehr mit Momo in Ruhe ein paar Worte wechseln nach so langer Zeit! Aber du siehst ja selbst, Kind, sie lassen mich nicht, diese Sklaventreiber, sie lassen mich nicht!«

»Oh«, versetzte die zweite Dame spitz,»uns ist das völlig gleich. Wir erledigen nur unseren Job. Wir werden von Ihnen dafür bezahlt, dass wir Ihre Termine organisieren, verehrter Meister.«

»Ja natürlich, natürlich!«, lenkte Gigi ein.»Also fahren wir schon! Weißt du was, Momo? Du fährst einfach mit zum Flugplatz. Dann können wir unterwegs reden. Und mein Fahrer bringt dich anschließend nach Hause, einverstanden?«

Er wartete nicht ab, was Momo dazu sagen würde, sondern zog sie an der Hand hinter sich her zum Auto. Die drei Damen nahmen auf dem Rücksitz Platz. Gigi setzte sich neben den Fahrer und nahm Momo auf den Schoß. Und ab ging die Fahrt.

»Also«, sagte Gigi,»und jetzt erzähle, Momo! Aber hübsch der Reihe nach. Wieso bist du damals so plötzlich verschwunden?«

Momo wollte eben anfangen, von Meister Hora und den Stunden-Blumen zu erzählen, als sich eine der Damen nach vorn beugte.

»Entschuldigung«, sagte sie,»aber mir kommt gerade eine fabelhafte Idee. Wir sollten Momo unbedingt der Public-Film-Gesellschaft vorfuhren. Sie wäre doch haargenau der neue Kinderstar für Ihre Vagabunden-Story, die als Nächstes gedreht wird. Stellen Sie sich die Sensation vor! Momo spielt Momo!«

»Haben Sie nicht verstanden?«, fragte Gigi scharf.»Ich möchte auf keinen Fall, dass Sie das Kind da hineinziehen!«

»Ich weiß wirklich nicht, was Sie wollen«, entgegnete die Dame gekränkt.»Jeder andere würde sich die Finger ablecken nach einer solchen Gelegenheit.«

»Ich bin nicht jeder andere!«, schrie Gigi plötzlich wütend. Und zu Momo gewandt fügte er hinzu:»Entschuldige, Momo, du kannst das vielleicht nicht verstehen, aber ich will einfach nicht, dass dieses Pack auch dich noch in die Finger kriegt.«

Nun waren alle drei Damen beleidigt.

Gigi griff sich stöhnend an den Kopf, dann holte er ein silbernes Döschen aus seiner Westentasche, nahm eine Pille heraus und schluckte sie.

Ein paar Minuten lang sagte niemand mehr etwas.

Schließlich drehte sich Gigi nach hinten zu den Damen.»Verzeihen Sie«, murmelte er abgekämpft, »Sie hab ich nicht gemeint. Ich bin einfach mit den Nerven fertig.«

»Na ja, das kennt man ja allmählich schon«, antwortete die erste Dame.

»Und nun«, fuhr Gigi fort und lächelte Momo etwas schief an,»wollen wir nur noch von uns reden, Momo.«

»Nur eine Frage noch, ehe es zu spät ist«, mischte sich nun die zweite Dame dazwischen.»Wir sind nämlich gleich da. Könnten Sie mich nicht wenigstens rasch ein Interview mit dem Kind machen lassen?«

»Schluss!«, brüllte Gigi, aufs Äußerste gereizt. »Ich will jetzt mit Momo reden und zwar privat! Das ist wichtig für mich! Wie oft soll ich Ihnen das noch erklären?«

»Sie selbst werfen mir doch dauernd vor«, erwiderte die Dame nun ebenfalls wütend,»dass ich nicht genügend wirkungsvolle Reklame für Sie mache!«

»Richtig!«, stöhnte Gigi.»Aber nicht jetzt! Nicht jetzt!«

»Sehr schade!«, meinte die Dame.»So was würde bei den Leuten auf Tränendrüsen drücken. Aber wie Sie wollen. Vielleicht können wir's ja auch später machen, wenn wir…«

»Nein!«, fuhr ihr Gigi in die Rede.»Nicht jetzt und nicht später, sondern überhaupt nicht. Und jetzt halten Sie gefälligst Ihren Mund, während ich mit Momo rede!«

»Na, erlauben Sie mal!«, antwortete die Dame ebenso heftig.»Schließlich geht's ja um Ihre Publicity, nicht um meine! Sie sollten es sich gut überlegen, ob Sie sich's zurzeit leisten können, eine solche Gelegenheit auszulassen!«

»Nein«, schrie Gigi verzweifelt,»ich kann es mir nicht leisten! Aber Momo bleibt aus dem Spiel! Und jetzt - ich flehe Sie an! - lassen Sie uns beide für fünf Minuten in Ruhe!«

Die Damen schwiegen. Gigi fuhr sich mit der Hand erschöpft über die Augen.

»Da siehst du's nun - so weit ist es mit mir gekommen.«Er ließ ein kleines bitteres Lachen hören.»Ich kann nicht mehr zurück, selbst wenn ich wollte. Es ist vorbei mit mir.»Gigi bleibt Gigi!«- Erinnerst du dich noch? Aber Gigi ist nicht Gigi geblieben. Ich sage dir eines, Momo, das Gefährlichste, was es im Leben gibt, sind Wunschträume, die erfüllt werden. Jedenfalls, wenn es so geht wie bei mir. Für mich gibt's nichts mehr zu träumen. Ich könnte es auch bei euch nicht wieder lernen. Ich hab alles so satt.«

Er starrte trübe zum Wagenfenster hinaus.

»Das Einzige, was ich jetzt noch tun könnte, das wäre - den Mund halten, nichts mehr erzählen, verstummen, vielleicht für den Rest meines Lebens, oder doch wenigstens so lang, bis man mich vergessen hat und bis ich wieder ein unbekannter, armer Teufel bin.

Aber arm sein ohne Träume - nein, Momo, das ist die Hölle. Darum bleibe ich schon lieber, wo ich jetzt bin. Das ist zwar auch eine Hölle, aber wenigstens eine bequeme. - Ach, was rede ich da? Das kannst du natürlich alles nicht verstehen.«

Momo sah ihn nur an. Sie verstand vor allem, dass er krank war, todkrank. Sie ahnte, dass die grauen Herren dabei ihre Finger im Spiel hatten. Und sie wusste nicht, wie sie ihm hätte helfen können, wo er es doch selbst gar nicht wollte.

»Aber ich rede immerfort nur von mir«, sagte Gigi,»nun erzähle doch endlich mal, was du inzwischen erlebt hast, Momo!«

In diesem Augenblick hielt das Auto vor dem Flughafen. Sie stiegen alle aus und eilten in die Halle. Hier wurde Gigi bereits von uniformierten Stewardessen erwartet. Einige Zeitungsreporter knipsten ihn und stellten ihm Fragen. Aber die Stewardessen drängten ihn, weil das Flugzeug in wenigen Minuten starten würde.

Gigi beugte sich zu Momo herunter und sah sie an. Und plötzlich hatte er Tränen in den Augen.

»Hör zu, Momo«, sagte er so leise, dass die Umstehenden es nicht hören konnten,»bleib bei mir! Ich nehme dich mit auf diese Reise und überallhin. Du wohnst bei mir in meinem schönen Haus und gehst in Samt und Seide wie eine richtige kleine Prinzessin. Du sollst nur da sein und mir zuhören. Vielleicht fallen mir dann wieder wirkliche Geschichten ein, solche wie damals, weißt du? Du brauchst nur ja zu sagen, Momo, und alles kommt in Ordnung. Bitte, hilf mir!«

Momo wollte Gigi so gerne helfen. Das Herz tat ihr davon weh. Aber sie fühlte, dass es so nicht richtig war, dass er wieder Gigi werden musste und dass es ihm nichts helfen würde, wenn sie nicht mehr Momo wäre. Auch ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie schüttelte den Kopf.

Und Gigi verstand sie. Er nickte traurig, dann wurde er von den Damen, die er selbst dafür bezahlte, weggezogen. Er winkte noch einmal aus der Ferne, Momo winkte zurück und dann war er verschwunden.

Momo hatte während der ganzen Begegnung mit Gigi kein einziges Wort sagen können. Und sie hätte ihm doch so viel zu sagen gehabt.

Ihr war als hätte sie ihn dadurch, dass sie ihn gefunden hatte, nun erst wirklich verloren.

Langsam drehte sie sich um und ging dem Ausgang der Halle zu. Und plötzlich durchfuhr sie ein heißer Schreck: Auch Kassiopeia hatte sie verloren!

SECHZEHNTES KAPITELDie Not im Überfluss

»Also, wohin?«, fragte der Fahrer, als Momo sich wieder zu ihm in Gigis langes elegantes Auto setzte.

Das Mädchen starrte verstört vor sich hin. Was sollte sie ihm sagen? Wohin wollte sie denn eigentlich? Sie musste Kassiopeia suchen. Aber wo? Wo und wann hatte sie sie denn verloren? Bei der ganzen Fahrt mit Gigi war sie schon nicht mehr dabei gewesen, das wusste Momo ganz sicher.

Also vor Gigis Haus! Und nun fiel ihr auch ein, dass auf ihrem Rückenpanzer»lebewohl!«und»ich geh dich suchen«gestanden hatte. Natürlich hatte Kassiopeia vorher gewusst, dass sie sich gleich verlieren würden. Und nun ging sie also Momo suchen. Aber wo sollte Momo Kassiopeia suchen?

»Na, wird's bald?«, sagte der Chauffeur und trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad.»Ich habe noch was anderes zu tun, als dich spazieren zu fahren.«

»Zu Gigis Haus, bitte«, antwortete Momo.

Der Fahrer blickte etwas überrascht drein.»Ich denke, ich soll dich zu dir nach Hause bringen. Oder wirst du jetzt etwa bei uns wohnen?«

»Nein«, erwiderte Momo,»ich hab was auf der Straße verloren. Das muss ich jetzt suchen.«

Dem Fahrer war es recht, denn dorthin musste er ja sowieso. Als sie vor Gigis Villa ankamen, stieg Momo aus und begann sofort, alles ringsum abzusuchen.

»Kassiopeia!«, rief sie immer wieder leise,»Kassiopeia!«

»Was suchst du denn eigentlich?«, fragte der Fahrer aus dem Wagenfenster.

»Meister Horas Schildkröte«, antwortete Momo,»sie heißt Kassiopeia und weiß immer eine halbe Stunde die Zukunft voraus. Sie schreibt nämlich Buchstaben auf ihrem Rückenpanzer. Ich muss sie unbedingt wiederfinden. Hilfst du mir bitte?«

»Ich hab keine Zeit für dumme Witze!«, knurrte er und fuhr durch das Tor, das hinter dem Auto zufiel.

Momo suchte also allein. Sie suchte die ganze Straße ab, aber keine Kassiopeia war zu sehen.

»Vielleicht«, dachte Momo,»hat sie sich schon auf den Heimweg zum Amphitheater gemacht.«

Momo ging also den gleichen Weg, den sie gekommen war, langsam zurück. Dabei spähte sie in jede Mauerecke und suchte in jedem Straßengraben. Immer wieder rief sie den Namen der Schildkröte. Aber vergebens.

Tief in der Nacht erst kam Momo im alten Amphitheater an. Auch hier suchte sie sorgfältig alles ab, soweit es in der Dunkelheit möglich war. Sie hegte die zaghafte Hoffnung, dass die Schildkröte durch ein Wunder schon vor ihr nach Hause gekommen wäre. Aber das war ja natürlich gar nicht möglich, so langsam wie sie war.

Momo kroch in ihr Bett. Und nun war sie wirklich zum ersten Mal ganz allein.

Die nächsten Wochen verbrachte Momo damit, ziellos in der großen Stadt umherzuirren und Beppo Straßenkehrer zu suchen. Da niemand ihr etwas über seinen Verbleib sagen konnte, blieb ihr nur die verzweifelte Hoffnung, ihre Wege würden sich durch Zufall kreuzen. Aber freilich, in dieser riesengroßen Stadt war die Möglichkeit, dass zwei Menschen sich zufällig begegneten, so verschwindend gering wie die, dass eine Flaschenpost, die ein Schiffbrüchiger irgendwo im weiten Ozean m die Wellen wirft, von einem Fischerboot an einer fernen Küste aufgefischt wird.

Und doch, so sagte sich Momo, waren sie sich vielleicht ganz nah. Wer weiß, wie oft es geschah, dass sie just an einer Stelle vorüberkam, wo Beppo erst vor einer Stunde, einer Minute, ja vielleicht erst vor einem Augenblick gewesen war. Oder umgekehrt, wie oft mochte Beppo wohl kurz oder lang nach ihr über diesen Platz oder an diese Straßenecke kommen. Momo wartete deshalb oft an einer Stelle viele Stunden. Aber schließlich musste sie doch irgendwann weitergehen und so war es wieder möglich, dass sie sich nur um ein weniges verfehlten.

Wie gut hätte sie jetzt Kassiopeia brauchen können! Wenn sie noch bei ihr gewesen wäre, sie hätte ihr geraten»warte!«oder»geh weiter!«, aber so wusste Momo nie, was sie tun sollte. Sie musste fürchten Beppo zu verfehlen, weil sie wartete und sie musste fürchten ihn zu verfehlen, weil sie es nicht tat.

Auch nach den Kindern, die früher immer zu ihr gekommen waren, hielt sie Ausschau. Aber sie sah niemals eines. Sie sah überhaupt keine Kinder mehr auf den Straßen und sie erinnerte sich an Ninos Worte, dass für die Kinder jetzt gesorgt sei.

Dass Momo selbst niemals von einem Polizisten oder einem Erwachsenen aufgegriffen und in ein Kinder-Depot gebracht wurde, lag an der heimlichen, unablässigen Überwachung durch die grauen Herren. Denn das hätte ja nicht in die Pläne gepasst, die sie mit Momo hatten. Aber davon wusste Momo nichts.

Jeden Tag ging sie einmal zu Nino zum Essen. Aber mehr als bei ihrer ersten Begegnung konnte sie nie mit ihm reden. Nino war immer in der gleichen Eile und hatte niemals Zeit.

Aus den Wochen wurden Monate. Und immer war Momo allein. Ein einziges Mal erblickte sie, als sie in der Abenddämmerung auf dem Geländer einer Brücke saß, in der Ferne auf einer anderen Brücke eine kleine gebückte Gestalt. Diese schwang hastig einen Besen, als gelte es ihr Leben. Momo glaubte Beppo zu erkennen und schrie und winkte, aber die Gestalt unterbrach ihre Tätigkeit keinen Augenblick. Momo rannte los, aber als sie auf der anderen Brücke ankam, konnte sie niemand mehr entdecken.

»Es wird wohl nicht Beppo gewesen sein«, sagte Momo zu sich, um sich zu trösten.»Nein, das kann er gar nicht gewesen sein. Ich weiß doch, wie Beppo kehrt.«

An manchen Tagen blieb sie auch zu Hause im alten Amphitheater, weil sie plötzlich hoffte, Beppo könnte vielleicht vorbeikommen um nachzusehen, ob sie schon zurückgekommen sei. Wenn sie dann gerade nicht da wäre, musste er natürlich glauben, sie sei noch immer verschwunden. Auch hier quälte sie wieder die Vorstellung, dass genau das vielleicht schon geschehen war, vor einer Woche oder gestern! Also wartete sie, aber sie wartete natürlich vergebens. Schließlich malte sie in großen Buchstaben an die Wand ihres Zimmers: BIN WIEDER DA.

Aber niemals las es jemand außer ihr selbst.

Eines jedoch verließ sie nicht in all dieser Zeit: die lebendige Erinnerung an das Erlebnis bei Meister Hora, an die Blumen und die Musik. Sie brauchte nur die Augen zu schließen und in sich hineinzuhorchen, so sah sie die glühende Farbenpracht der Blüten und hörte die Musik der Stimmen. Und wie am ersten Tag konnte sie die Worte nachsprechen und die Melodien mitsingen, obgleich diese sich immerfort neu bildeten und niemals die gleichen waren.

Manchmal saß sie ganze Tage lang allein auf den steinernen Stufen und sprach und sang vor sich hin. Niemand war da, der ihr zuhörte, außer den Bäumen und den Vögeln und den alten Steinen. Es gibt viele Arten von Einsamkeit, aber Momo erlebte eine, die wohl nur wenige Menschen kennen gelernt haben und die wenigsten mit solcher Gewalt.

Sie kam sich vor wie eingeschlossen in einer Schatzhöhle voll unermesslicher Reichtümer, die immer mehr und mehr wurden und sie zu ersticken drohten. Und es gab keinen Ausgang! Niemand konnte zu ihr dringen und sie konnte sich niemand bemerkbar machen, so tief vergraben unter einem Berg von Zeit.

Es kamen sogar Stunden, in denen sie sich wünschte, sie hätte die Musik nie gehört und die Farben nie geschaut. Und dennoch, wäre sie vor die Wahl gestellt worden, sie hätte diese Erinnerung um nichts in der Welt wieder hergegeben. Auch wenn sie daran sterben musste. Denn das war es, was sie nun erfuhr: Es gibt Reichtümer, an denen man zugrunde geht, wenn man sie nicht mit anderen teilen kann. -

Alle paar Tage lief Momo zu Gigis Villa und wartete oft lange vor dem Gartentor. Sie hoffte, ihn noch einmal zu sehen. Sie war inzwischen mit allem einverstanden. Sie wollte bei ihm bleiben, ihm zuhören und zu ihm sprechen, ganz gleich, ob es so werden würde wie früher. Aber das Tor öffnete sich nie wieder.

Es waren nur einige Monate, die so vergingen - und doch war es die längste Zeit, die Momo je durchlebte. Denn die wirkliche Zeit ist eben nicht nach der Uhr und dem Kalender zu messen.

Über eine solche Art von Einsamkeit kann man in Wahrheit auch nichts erzählen. Es genügt vielleicht, nur dies eine noch zu sagen: Wenn Momo den Weg zu Meister Hora hätte finden können - und sie versuchte es oft und oft - so wäre sie zu ihm hingegangen und hätte ihn gebeten, ihr keine Zeit mehr zuzuteilen, oder ihr zu erlauben, bei ihm im Nirgend-Haus für immer zu bleiben.

Aber ohne Kassiopeia konnte sie den Weg nicht wiederfinden. Und die war und blieb verschwunden. Vielleicht war sie längst zu Meister Hora zurückgekehrt. Oder sie hatte sich irgendwo auf der Welt verirrt. Jedenfalls kam sie nicht wieder. -

Stattdessen geschah etwas ganz Anderes.

Tages nämlich begegnete Momo in der Stadt drei Kindern, die früher immer zu ihr gekommen waren. Es waren Paolo, Franco und Mädchen Maria, das früher immer das kleine Geschwisterchen Dedé herumgetragen hatte. Alle drei sahen ganz verändert aus. Sie trugen eine Art grauer Uniform und ihre Gesichter wirkten seltsam erstarrt und leblos. Selbst als Momo sie jubelnd begrüßte, lächelten sie kaum.

»Ich hab euch so gesucht«, sagte Momo atemlos,»kommt ihr jetzt wieder zu mir?«

Die drei wechselten Blicke, dann schüttelten sie die Köpfe.

»Aber morgen vielleicht, ja?«, fragte Momo.»Oder übermorgen?«

Wiederum schüttelten die drei die Köpfe.

»Ach, kommt doch wieder!«, bat Momo.»Früher seid ihr doch immer gekommen.«

»Früher!«, antwortete Paolo.»Aber jetzt ist alles anders. Wir dürfen unsere Zeit nicht mehr nutzlos vertun.«

»Das haben wir doch nie getan«, meinte Momo.

»Ja, es war schön«, sagte Maria,»aber darauf kommt es nicht an.«

Die drei Kinder gingen eilig weiter. Momo lief neben ihnen her.

»Wo geht ihr denn jetzt hin?«, wollte sie wissen.

»In die Spielstunde«, antwortete Franco.»Da lernen wir spielen.«

»Was denn?«, fragte Momo.

»Heute spielen wir Lochkarten«, erklärte Paolo,»das ist sehr nützlich, aber man muss höllisch aufpassen.«

»Und wie geht das?«

»Jeder von uns stellt eine Lochkarte dar. Jede Lochkarte enthält eine Menge verschiedener Angaben: wie groß, wie alt, wie schwer und so weiter. Aber natürlich nie das, was man wirklich ist, sonst wäre es ja zu einfach. Manchmal sind wir auch nur lange Zahlen, MUX/763/y zum Beispiel. Dann werden wir gemischt und kommen in eine Kartei. Und dann muss einer von uns eine bestimmte Karte herausfinden. Er muss Fragen stellen und zwar so, dass er alle anderen Karten aussondert und nur die eine zum Schluss übrig bleibt. Wer es am schnellsten kann, hat gewonnen.«

»Und das macht Spaß?«, fragte Momo etwas zweifelnd.»Darauf kommt es nicht an«, meinte Maria ängstlich,»so darf man nicht reden.«

»Aber worauf kommt es denn an?«, wollte Momo wissen.

»Darauf«, antwortete Paolo,»dass es nützlich für die Zukunft ist.«

Inzwischen waren sie vor dem Tor eines großen, grauen Hauses angekommen.»Kinder-Depot«stand über der Tür.

»Ich hätte euch so viel zu erzählen«, sagte Momo.»Vielleicht sehen wir uns irgendwann mal wieder«, antwortete Maria traurig.

Um sie herum waren noch mehr Kinder, die alle in das Tor hineingingen. Und alle sahen ähnlich aus wie die drei Freunde von Momo.»Bei dir war 's viel schöner«, sagte Franco plötzlich.»Da ist uns selber immer eine Menge eingefallen. Aber dabei lernt man nichts, sagen sie.«

»Könnt ihr denn nicht einfach ausreißen?«, schlug Momo vor. Die drei schüttelten die Köpfe und blickten sich um, ob es jemand gehört hatte.

»Ich hab's schon ein paar Mal versucht, am Anfang«, flüsterte Franco,»aber es ist zwecklos. Sie kriegen einen immer wieder.«

»So darf man nicht reden«, meinte Maria,»schließlich wird doch jetzt für uns gesorgt.«

Alle schwiegen und blickten vor sich hin. Schließlich fasste Momo sich ein Herz und fragte:»Könntet ihr mich nicht vielleicht mitnehmen? Ich bin jetzt immer so allein.«

Doch nun geschah etwas Sonderbares: Ehe eines der Kinder antworten konnte, wurden sie wie von einer riesigen Magnetkraft in das Haus hineingesaugt. Hinter ihnen schlug hallend das Tor zu.

Momo hatte es erschrocken beobachtet. Dennoch trat sie nach einer Weile an das Tor heran, um zu klingeln oder zu klopfen. Sie wollte noch einmal bitten, dass man sie mitspielen lassen sollte, ganz gleich was für Spiele es sein würden. Aber kaum hatte sie einen Schritt auf das Tor zu gemacht, als sie vor Schreck erstarrte. Zwischen ihr und der Tür stand plötzlich einer der grauen Herren.

»Zwecklos!«, sagte er mit dünnem Lächeln, die Zigarre im Mundwinkel.»Versuche es gar nicht erst! Es liegt nicht in unserem Interesse, dass du dort hineinkommst.«

»Warum?«, fragte Momo. Sie fühlte wieder die eisige Kälte in sich aufsteigen.

»Weil wir mit dir etwas anderes vorhaben«, erklärte der Graue und paffte einen Rauchring, der sich wie eine Schlinge um Momos Hals legte und nur langsam verging.

Leute gingen vorüber, aber sie hatten es alle sehr eilig.

Momo zeigte mit dem Finger auf den grauen Herrn und wollte um Hilfe rufen, aber sie brachte keinen Laut hervor.

»Lass das doch!«, sagte der graue Herr und ließ ein freudloses, aschengraues Gelächter hören.»Kennst du uns denn noch immer so wenig? Weißt du noch immer nicht, wie mächtig wir sind? Wir haben dir alle deine Freunde genommen. Niemand kann dir mehr helfen. Und auch mit dir können wir machen, was wir wollen. Aber wir verschonen dich, wie du siehst.«

»Warum?«, brachte Momo mühsam hervor.

»Weil wir möchten, dass du uns einen kleinen Dienst erweist«, erwiderte der graue Herr.»Wenn du vernünftig bist, kannst du viel dabei gewinnen für dich - und deine Freunde. Möchtest du das?«

»Ja«, flüsterte Momo.

Der graue Herr lächelte dünn.»Dann wollen wir uns heute um Mitternacht zur Besprechung treffen.«

Momo nickte stumm. Aber der graue Herr war schon nicht mehr da. Nur der Rauch seiner Zigarre hing noch in der Luft. Wo sie ihn treffen sollte, hatte er ihr nicht gesagt.

SIEBZEHNTESKAPITELGroße Angst und größerer Mut

Momo fürchtete sich davor ins alte Amphitheater zurückzukehren. Sicherlich würde der graue Herr, der sie um Mitternacht treffen wollte, dort hinkommen.

Und bei dem Gedanken, dort ganz allein mit ihm zu sein, packte Momo das Entsetzen.

Nein, sie wollte ihm überhaupt nicht mehr begegnen, weder dort noch anderswo. Was auch immer er ihr vorzuschlagen hatte - dass es in Wahrheit nichts Gutes für sie und ihre Freunde sein würde, war ja mehr als deutlich gewesen.

Aber wo konnte sie sich vor ihm verstecken?

Am sichersten schien es ihr mitten in der Menge anderer Menschen.

Zwar hatte sie ja gesehen, dass niemand auf sie und den grauen Herren geachtet hatte, aber wenn er ihr wirklich etwas tun würde und sie um Hilfe schrie, dann würden die Leute doch wohl aufmerksam werden und sie retten. Außerdem, so sagte sie sich, war sie mitten in einer dichten Menschenmenge auch am schwersten zu finden.

Den restlichen Nachmittag und den ganzen Abend über bis tief in die Nacht hinein lief Momo also mitten im Gedränge der Passanten über die belebtesten Straßen und Plätze, bis sie wie in einem großen Kreis wieder dorthin zurückkam, wo sie diesen Weg begonnen hatte. Sie lief ihn ein zweites und ein drittes Mal. Sie ließ sich einfach mittreiben in dem Strom der immer eiligen Menschenmassen.

Aber sie war ja schon den ganzen Tag über herumgelaufen und allmählich schmerzten ihre Füße vor Müdigkeit. Es wurde spät und später und Momo marschierte halb im Schlaf dahin, immer weiter, weiter, weiter…

»Nur einen Augenblick ausruhen«, dachte sie endlich,»nur einen winzigen Augenblick, dann kann ich wieder besser Acht geben…«

Am Straßenrand stand gerade ein kleiner, dreirädriger Lieferwagen, auf dessen Ladefläche allerlei Säcke und Kisten lagen. Momo kletterte hinauf und lehnte sich gegen einen Sack, der angenehm weich war. Sie zog die müden Füße hoch und steckte sie unter ihren Rock. Ach, das tat gut! Sie seufzte erleichtert, schmiegte sich gegen den Sack und war, ehe sie es selbst merkte, vor Erschöpfung eingeschlafen. Wirre Träume suchten sie heim. Sie sah den alten Beppo, der seinen Besen als Balancierstange benutzte, hoch über einem finsteren Abgrund auf einem Seil dahinschwanken.

»Wo ist das andere Ende?«, hörte sie ihn immer wieder rufen.»Ich kann das andere Ende nicht finden!«

Und das Seil schien tatsächlich unendlich lang. Es verlor sich nach beiden Seiten in der Dunkelheit.

Momo wollte Beppo so gerne helfen, aber sie konnte sich ihm nicht einmal bemerkbar machen. Er war zu weit fort, zu hoch droben. Dann sah sie Gigi, der sich einen endlosen Papierstreifen aus dem Munde zog. Er zog und zog immer weiter, aber der Papierstreifen hörte nicht auf und riss auch nicht ab. Gigi stand schon auf einem ganzen Berg von Papierstreifen. Und es schien Momo, als ob er sie flehend anblickte, als ob er keine Luft mehr bekommen könne, wenn sie ihm nicht zu Hilfe käme.

Sie wollte zu ihm hinlaufen, aber ihre Füße verfingen sich in den Papierstreifen. Und je heftiger sie sich zu befreien versuchte, desto mehr verwickelte sie sich darin.

Dann sah sie die Kinder. Sie waren alle ganz flach wie Spielkarten. Und in jede Karte waren richtige Muster kleiner Löcher gestanzt. Die Karten wurden durcheinander gewirbelt, dann mussten sie sich neu ordnen, und neue Löcher wurden in sie hineingestanzt. Die Kartenkinder weinten lautlos, aber schon wurden sie wieder gemischt und dabei fielen sie übereinander, dass es knatterte und ratterte.

»Ha1t!«wollte Momo rufen und»Aufhören!«, aber das Knattern und Rattern übertönte ihre schwache Stimme. Und es wurde immer lauter und lauter, bis sie schließlich davon aufwachte.

Im ersten Augenblick wusste sie nicht mehr, wo sie sich befand, denn es war dunkel um sie.

Doch dann fiel ihr wieder ein, dass sie sich auf den Lieferwagen gesetzt hatte. Und dieser Wagen fuhr jetzt und sein Motor machte solchen Lärm.

Momo wischte sich die Wangen ab, die noch nass von Tränen waren. Wo war sie überhaupt?

Der Wagen musste wohl schon eine ganze Weile gefahren sein, ohne dass sie es gemerkt hatte, denn er befand sich jetzt in einem Teil der Stadt, der um diese späte Nachtzeit wie ausgestorben wirkte. Die Straßen waren menschenleer und die hohen Häuser dunkel.

Der Lieferwagen fuhr nicht sehr schnell und Momo sprang ab, ehe sie sich's recht überlegt hatte. Sie wollte auf die belebten Straßen zurück, wo sie vor dem grauen Herren sicher zu sein glaubte. Aber dann fiel ihr ein, was sie geträumt hatte und sie blieb stehen.

Das Motorengeräusch verklang allmählich in den dunklen Straßen und es wurde still.

Momo wollte nicht mehr fliehen. Sie war davongelaufen in der Hoffnung sich zu retten. Die ganze Zeit hatte sie nur an sich, an ihre eigene Verlassenheit, an ihre eigene Angst gedacht! Und dabei waren es doch m Wirklichkeit ihre Freunde, die in Not waren. Wenn es überhaupt noch jemand gab, der ihnen Hilfe bringen konnte, dann war sie es. Mochte die Möglichkeit, die grauen Herren dazu zu bewegen ihre Freunde freizugeben, auch noch so winzig sein, versuchen musste sie es wenigstens.

Als sie so weit gedacht hatte, fühlte sie plötzlich eine seltsame Veränderung in sich. Das Gefühl der Angst und Hilflosigkeit war so groß geworden, dass es plötzlich umschlug und sich ins Gegenteil verwandelte. Es war durchgestanden. Sie fühlte sich nun so mutig und zuversichtlich, als ob keine Macht der Welt ihr etwas anhaben könnte, oder vielmehr: Es kümmerte sie überhaupt nicht mehr, was mit ihr geschehen würde.

Jetzt wollte sie dem grauen Herren begegnen. Sie wollte es um jeden Preis.

»Ich muss sofort zum alten Amphitheater«, sagte sie zu sich,»vielleicht ist es noch nicht zu spät, vielleicht wartet er auf mich.«Aber das war nun leichter beschlossen als getan. Sie wusste nicht, wo sie sich befand und hatte nicht die leiseste Ahnung, in welche Richtung sie überhaupt laufen musste. Trotzdem lief sie aufs Geratewohl los.

Sie lief immer weiter und weiter durch die dunklen, totenstillen Straßen. Und da sie barfuß war, hörte sie nicht einmal den Klang ihrer eigenen Schritte. Jedes Mal, wenn sie in eine neue Straße einbog, hoffte sie, irgendetwas zu entdecken, das ihr verriet, wie sie weiterlaufen musste, irgendein Zeichen, das sie wiedererkannte. Aber sie fand keines. Und fragen konnte sie auch niemand, denn das einzige lebendige Wesen, das ihr begegnete, war ein magerer, schmutziger Hund, der in einem Abfallhaufen nach Essbarem suchte und ängstlich floh, als sie näher kam.

Schließlich gelangte Momo zu einem riesenhaften, leeren Platz. Es war keiner von den schönen Plätzen, auf denen Bäume oder Brunnen stehen, sondern einfach eine weite, leere Fläche. Nur am Rande hoben sich dunkel die Umrisse der Häuser gegen den nächtlichen Himmel ab. Momo überquerte den Platz. Als sie eben dessen Mitte erreicht hatte, begann ziemlich in der Nähe eine Turmuhr zu schlagen. Sie schlug viele Male, also war es nun vielleicht schon Mitternacht. Wenn der graue Herr jetzt im Amphitheater auf sie wartete, dachte Momo, dann konnte sie unmöglich noch rechtzeitig hinkommen. Er würde unverrichteter Dinge wieder fortgehen. Die Möglichkeit ihren Freunden zu helfen, würde vorüber sein - vielleicht ein für allemal!

Momo biss sich auf die Faust. Was sollte, was konnte sie jetzt noch tun? Sie wusste sich keinen Rat.

»Hier bin ich!«, rief sie, so laut sie konnte, in die Dunkelheit hinein. Aber sie hatte keine Hoffnung, dass der graue Herr sie hören würde. Doch darin hatte sie sich getäuscht.

Kaum war nämlich der letzte Glockenschlag verhallt, als gleichzeitig in allen Straßen, die ringsum auf den großen, leeren Platz mündeten, ein schwacher Lichtschein auftauchte, der rasch heller wurde. Und dann erkannte Momo, dass es die Scheinwerfer von vielen Autos waren, die nun sehr langsam von allen Seiten auf die Mitte des Platzes zukamen, wo sie stand. In welche Richtung sie sich auch wandte, von überall her strahlte ihr grelles Licht entgegen und sie musste ihre Augen mit der Hand schützen. Sie kamen also!

Aber mit einem so gewaltigen Aufgebot hatte Momo nicht gerechnet. Für einen Augenblick schwand ihr ganzer Mut wieder dahin. Und da sie eingekreist war und nicht weglaufen konnte, verkroch sie sich, soweit das möglich war, in ihrer viel zu großen Männerjacke.

Aber dann dachte sie an die Blumen und an die Stimmen in der großen Musik und im Nu fühlte sie sich getröstet und gestärkt. Mit leise brummenden Motoren waren die Autos näher und näher herangekommen. Schließlich blieben sie, Stoßstange neben Stoßstange, in einem Kreis stehen, dessen Mittelpunkt Momo war.

Dann stiegen die Herren aus. Momo konnte nicht sehen, wie viele es waren, denn sie blieben im Dunkeln hinter den Scheinwerfern. Aber sie spürte, dass viele Blicke auf sie gerichtet waren - Blicke, die nichts Freundliches enthielten. Und ihr wurde kalt.

Eine ganze Weile sagte niemand ein Wort, Momo nicht und auch keiner der grauen Herren.

»Das also«, hörte sie schließlich eine aschenfarbene Stimme,»ist dieses Mädchen Momo, das uns einmal herausfordern zu können glaubte. Seht es euch jetzt an, dieses Häufchen Unglück!«

Diesen Worten folgte ein rasselndes Geräusch, das sich entfernt anhörte wie vielstimmiges Gelächter.

»Vorsicht!«, sagte eine andere aschenfarbene Stimme unterdrückt.»Sie wissen, wie gefährlich uns die Kleine werden kann. Es hat keinen Zweck ihr etwas vorzumachen.«

Momo horchte auf.

»Na schön«, sagte die erste Stimme aus dem Dunkel hinter den Scheinwerfern,»versuchen wir's also mit der Wahrheit.«

Wieder entstand eine lange Stille. Momo fühlte, dass die grauen Herren sich davor fürchteten die Wahrheit zu sagen. Es schien sie eine unvorstellbare Anstrengung zu kosten. Momo hörte etwas, das wie ein Keuchen aus vielen Kehlen klang.

Endlich begann wieder einer zu reden. Die Stimme kam aus einer anderen Richtung, aber klang genauso aschenfarben:»Reden wir also offen miteinander. Du bist allein, armes Kind. Deine Freunde sind unerreichbar für dich. Es gibt niemand mehr, mit dem du deine Zeit teilen kannst.

Das alles war unser Plan. Du siehst, wie mächtig wir sind. Es hat keinen Sinn sich uns zu widersetzen. Die vielen einsamen Stunden, was sind sie jetzt für dich? Ein Fluch, der dich erdrückt, eine Last, die dich erstickt, ein Meer, das dich ertränkt, eine Qual, die dich versengt. Du bist ausgesondert von allen Menschen.«

Momo hörte zu und schwieg weiterhin.

»Einmal«, fuhr die Stimme fort,»kommt der Augenblick, wo du es nicht mehr erträgst, morgen, in einer Woche, in einem Jahr. Uns ist es gleich, wir warten einfach. Denn wir wissen, dass du einmal gekrochen kommen wirst und sagst: Ich bin zu allem bereit, nur befreit mich von dieser Last! - Oder bist du schon so weit? Du brauchst es nur zu sagen.«

Momo schüttelte den Kopf.»Du willst dir nicht von uns helfen lassen?«, fragte die Stimme eisig.

Eine Welle von Kälte kam von allen Seiten auf Momo zu, aber sie biss die Zähne zusammen und schüttelte abermals den Kopf.

»Sie weiß, was die Zeit ist«, zischelte eine andere Stimme.

»Das beweist, dass sie wirklich beim Sogenannten war«, antwortete die erste Stimme ebenso. Und dann fragte sie laut:»Kennst du Meister Hora?«

Momo nickte.

»Und du warst tatsächlich bei ihm?«

Momo nickte wieder.

»Dann kennst du also die - Stunden-Blumen?«

Momo nickte zum Dritten Mal. Oh und wie gut sie sie kannte!

Wieder entstand eine längere Stille. Als die Stimme von neuem zu reden anfing, kam sie abermals aus einer anderen Richtung.»Du liebst deine Freunde, nicht wahr?«

Momo nickte.

»Und du würdest sie gern aus unserer Gewalt befreien?«

Wieder nickte Momo.

»Du könntest es, wenn du nur wolltest.«

Momo zog sich ihre Jacke ganz eng um den Leib, denn sie bebte an allen Gliedern vor Kälte.

»Es würde dich wirklich nur eine Kleinigkeit kosten deine Freunde zu befreien. Wir helfen dir und du hilfst uns. Das ist doch nicht mehr als recht und billig.«

Momo blickte aufmerksam in die Richtung, aus welcher die Stimme jetzt kam.

»Wir möchten diesen Meister Hora nämlich auch gern einmal persönlich kennen lernen, verstehst du? Aber wir wissen nicht, wo er wohnt. Wir wollen von dir nicht mehr, als dass du uns zu ihm führst. Das ist alles. Ja, höre nur gut zu, Momo, damit du auch sicher bist, dass wir vollkommen offen mit dir reden und es ehrlich meinen: Du bekommst dafür deine Freunde zurück und ihr könnt wieder euer altes, lustiges Leben führen. Das ist doch ein lohnendes Angebot!«

Jetzt tat Momo zum ersten Mal den Mund auf. Es kostete sie Anstrengung zu sprechen, denn ihre Lippen waren wie eingefroren.

»Was wollt ihr von Meister Hora?«, fragte sie langsam.

»Wir wollen ihn kennen lernen«, antwortete die Stimme scharf und die Kälte nahm zu.»Damit lass dir genug sein.«

Momo blieb stumm und wartete ab. Unter den grauen Herren entstand eine Bewegung, sie schienen unruhig zu werden.

»Ich verstehe dich nicht«, sagte die Stimme,»denk doch an dich und deine Freunde! Was machst du dir Gedanken um Meister Hora. Das lass doch seine Sorge sein. Er ist alt genug, um für sich selbst zu sorgen. Und außerdem - wenn er vernünftig ist und sich gütlich mit uns einigt, dann werden wir ihm kein Haar krümmen. Andernfalls haben wir unsere Mittel, ihn zu zwingen.«

»Wozu?«, fragte Momo mit blauen Lippen.

Plötzlich klang die Stimme nun schrill und überanstrengt, als sie antwortete:»Wir haben es satt, uns die Stunden, Minuten und Sekunden der Menschen einzeln zusammenzuraffen. Wir wollen die ganze Zeit aller Menschen. Die muss Hora uns überlassen!«

Momo starrte entsetzt ins Dunkel, woher die Stimme kam.

»Und die Menschen?«, fragte sie.»Was wird dann aus denen?«

»Menschen«, schrie die Stimme und überschlug sich,»sind längst überflüssig. Sie selbst haben die Welt so weit gebracht, dass für ihresgleichen kein Platz mehr ist. Wir werden die Welt beherrschen!«

Die Kälte war jetzt so schrecklich, dass Momo nur noch mühsam die Lippen bewegen, aber kein Wort mehr hervorbringen konnte.

»Aber keine Sorge, kleine Momo«, fuhr die Stimme nun plötzlich wieder leise und beinahe schmeichelnd fort,»du und deine Freunde, ihr seid natürlich ausgenommen. Ihr werdet die letzten Menschen sein, die spielen und sich Geschichten erzählen. Ihr mischt euch nicht mehr in unsere Angelegenheiten und wir lassen euch in Ruhe.«

Die Stimme verstummte, begann aber gleich darauf aus anderer Richtung wieder zu reden:»Du weißt, dass wir die Wahrheit gesagt haben. Wir werden unser Versprechen halten. Und nun führst du uns zu Hora.«

Momo versuchte zu sprechen. Die Kälte raubte ihr fast die Besinnung.

Nach mehreren Versuchen brachte sie schließlich hervor:»Selbst wenn ich's könnte, ich tät's nicht.«

Von irgendwoher fragte die Stimme drohend:»Was heißt das, wenn du es könntest? Du kannst es doch! Du warst doch bei Hora, also weißt du den Weg!«

»Ich finde ihn nicht wieder«, flüsterte Momo,»ich hab's versucht. Nur Kassiopeia weiß ihn.«

»Wer ist das?«

»Meister Horas Schildkröte.«

»Wo ist sie jetzt?«Momo, kaum noch bei Bewusstsein, stammelte:»Sie ist - mit mir - zurückgekommen - - - aber - ich hab - sie - verloren.«

Wie aus weiter Ferne hörte sie um sich her aufgeregtes Stimmengewirr.

»Sofort Großalarm!«, hörte sie rufen.»Man muss diese Schildkröte finden. Jede Schildkröte muss geprüft werden! Diese Kassiopeia muss gefunden werden! Sie muss! Sie muss!«

Die Stimmen verklangen. Es wurde still. Langsam kam Momo wieder zu sich. Sie stand allein auf dem großen Platz, über den nur noch ein kalter Windstoß hinfuhr, der wie aus einer großen Leere zu kommen schien, ein aschengrauer Wind.

ACHTZEHNTES KAPITELWenn man voraussieht ohne zurückzuschauen

Momo wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Die Turmuhr schlug manchmal, aber Momo hörte es kaum. Nur sehr langsam kehrte die Wärme in ihre erstarrten Glieder zurück. Sie fühlte sich wie gelähmt und konnte keinen Entschluss fassen.

Sollte sie nach Hause gehen ins alte Amphitheater und sich schlafen legen? Jetzt, nachdem alle Hoffnung für sie und ihre Freunde ein für allemal dahin war? Denn nun wusste sie ja, dass es nie wieder gut werden würde, nie wieder…

Dazu kam die Angst um Kassiopeia. Was, wenn die grauen Herren sie tatsächlich finden würden? Momo begann sich bittere Vorwürfe zu machen, dass sie die Schildkröte überhaupt erwähnt hatte. Aber sie war so benommen gewesen, dass sie gar nicht dazu gekommen war, sich all das zu überlegen.

»Und vielleicht«, versuchte Momo sich zu trösten,»ist Kassiopeia schon längst wieder bei Meister Hora. Ja, hoffentlich sucht sie nicht mehr nach mir. Es wäre ein Glück für sie - und für mich…«

In diesem Augenblick berührte etwas sie zart an ihrem nackten Fuß. Momo erschrak und beugte sich langsam hinunter. Vor ihr saß die Schildkröte! Und in der Dunkelheit leuchteten langsam die Buchstaben auf:»da bin ich wieder.«

Ohne sich zu besinnen packte Momo sie und steckte sie unter ihre Jacke. Dann richtete sie sich auf und horchte und spähte in die Dunkelheit ringsum, denn sie fürchtete, die grauen Herren könnten noch in der Nähe sein.

Aber alles blieb still.

Kassiopeia strampelte heftig unter der Jacke und versuchte Sich zu befreien. Momo hielt sie fest an sich gedrückt, guckte aber zu ihr hinein und flüsterte:»Bitte, halt dich ruhig!«

»was soll der unfug?«, stand leuchtend auf dem Panzer.

»Man darf dich nicht sehen!«raunte Momo.

Jetzt erschienen auf dem Rücken der Schildkröte die Worte:»freust dich wohl gar nicht?«

»Doch«, sagte Momo und schluchzte fast,»doch Kassiopeia und wie!«Und sie küsste sie mehrmals auf die Nase.

Die Buchstaben auf dem Panzer der Schildkröte erröteten sichtlich, als sie antwortete:»muss doch sehr bitten!«

Momo lächelte.

»Hast du mich denn die ganze lange Zeit gesucht?«

»freilich.«

»Und wieso hast du mich ausgerechnet jetzt und ausgerechnet hier gefunden?«

»wusste es vorher«, war die Antwort.

Also hatte die Schildkröte offenbar all die Zeit davor nach Momo gesucht, obgleich sie wusste, dass sie sie nicht finden würde? Dann hätte sie ja eigentlich gar nicht zu suchen brauchen? Das war wieder so eines von Kassiopeias Rätseln, bei dem einem der Verstand stillstand, wenn man zu lange darüber nachdachte. Aber jetzt war jedenfalls nicht der geeignete Augenblick, über diese Frage zu grübeln.

Flüsternd berichtete Momo nun der Schildkröte, was inzwischen geschehen war.

»Was sollen wir jetzt tun?«, fragte sie zuletzt.

Kassiopeia hatte aufmerksam zugehört. Nun erschienen auf ihrem Panzer die Worte:»wir gehen zu hora.«

»Jetzt?«, rief Momo ganz entsetzt.»Aber sie suchen dich überall! Nur gerade hier sind sie nicht. Ist es nicht gescheiter hier zu bleiben?«

Aber auf der Schildkröte stand nur:»ich weiss, wir gehen.«

»Dann«, sagte Momo,»werden wir ihnen geradewegs in die Arme laufen.«

»wir begegnen keinem«, war Kassiopeias Antwort. Nun, wenn sie das so sicher wusste, dann konnte man sich freilich darauf verlassen. Momo setzte Kassiopeia auf den Boden. Aber dann dachte sie an den langen mühevollen Weg, den sie damals gegangen waren und plötzlich fühlte sie, dass ihre Kräfte dazu nicht mehr ausreichen würden.

»Geh allein, Kassiopeia«, sagte sie leise,»ich kann nicht mehr. Geh allein und grüß Meister Hora schön von mir.«

»es ist ganz nah!«, stand auf Kassiopeias Rücken. Momo las es und schaute sich erstaunt um. Nach und nach dämmerte ihr, dass dies der armselige und wie ausgestorben wirkende Stadtteil war, von dem aus sie damals in jene andere Gegend mit den weißen Häusern und dem seltsamen Licht gelangt waren. Wenn es so war, dann konnte sie es vielleicht tatsächlich noch bis zur Niemals-Gasse und zum Nirgend-Haus schaffen.

»Gut«, sagte Momo,»ich geh mit dir. Aber könnte ich dich nicht vielleicht tragen, damit es schneller geht?«

»leider nein«, war auf Kassiopeias Rücken zu lesen.

»Warum musst du denn unbedingt selbst krabbeln?«, fragte Momo.

Darauf erschien die rätselhafte Antwort:»der weg ist in mir.«

Damit setzte sich die Schildkröte in Bewegung und Momo folgte ihr, langsam und Schrittchen für Schrittchen.

Kaum waren das Mädchen und die Schildkröte in einer der einmündenden Gassen verschwunden, als es rund um den Platz in den finsteren Schatten der Häuser lebendig wurde. Ein knisterndes Rascheln ging über den Platz hin wie tonloses Kichern. Es waren die grauen Herren, die die ganze Szene belauscht hatten. Ein Teil von ihnen war zurückgeblieben, um heimlich das Mädchen zu beobachten. Sie hatten lange warten müssen, aber dass dieses Warten einen solchen unverhofften Erfolg zeitigen würde, hatten sie selbst nicht geahnt.

»Da gehen sie!«, flüsterte eine aschengraue Stimme.»Sollen wir zupacken?«

»Natürlich nicht«, raunte eine andere.»Wir lassen sie laufen.«

»Wieso?«, fragte die erste Stimme.»Wir müssen doch die Schildkröte fangen. Um jeden Preis, hieß es.«

»Stimmt. Und wozu brauchen wir sie?«

»Damit sie uns zu Hora führt.«

»Eben. Und genau das tut sie jetzt. Und wir brauchen sie nicht einmal dazu zu zwingen. Sie tut es freiwillig - wenn auch nicht absichtlich.«

Wieder wehte tonloses Kichern durch die finsteren Schatten rund um den Platz.

»Geben Sie sofort Nachricht an alle Agenten in der Stadt. Die Suche kann abgebrochen werden. Alle sollen sich uns anschließen. Aber höchste Vorsicht, meine Herren! Keiner von uns darf sich ihnen in den Weg stellen. Man soll ihnen überall freie Bahn geben. Sie dürfen keinem von uns begegnen. Und nun, meine Herren, lassen Sie uns in aller Ruhe unseren beiden ahnungslosen Führern folgen!«

Und so kam es, dass Momo und Kassiopeia tatsächlich keinem einzigen ihrer Verfolger begegneten. Denn wohin auch immer sie ihre Schritte wandten, die Verfolger wichen aus und verschwanden rechtzeitig, um sich hinter dem Mädchen und der Schildkröte ihren Genossen anzuschließen. Eine größer und größer werdende Prozession von grauen Herren, immer durch Mauern und Häuserecken verborgen, folgte lautlos dem Weg der beiden Fliehenden. -

Momo war so müde wie noch nie in ihrem ganzen Leben zuvor. Manchmal glaubte sie, dass sie im nächsten Augenblick einfach hinfallen und einschlafen würde. Aber dann zwang sie sich noch zum nächsten Schritt und wieder zum nächsten. Und dann wurde es für ein kleines Weilchen wieder ein wenig besser.

Wenn nur die Schildkröte nicht so schrecklich langsam gekrabbelt wäre! Aber daran war ja nun nichts zu ändern. Momo schaute nicht mehr nach links und nach rechts, sondern nur noch auf ihre eigenen Füße und auf Kassiopeia.

Nach einer Ewigkeit, wie es ihr vorkam, bemerkte sie, dass die Straße unter ihren Füßen plötzlich heller wurde. Momo hob ihre Augenlider, die ihr schwer wie Blei zu sein schienen und blickte umher.

Ja, sie waren endlich in den Stadtteil gelangt, in dem jenes Licht herrschte, das nicht Morgen- noch Abenddämmerung war und wo alle Schatten in verschiedene Richtungen fielen. Blendend weiß und unnahbar standen die Häuser mit den schwarzen Fenstern. Und dort war auch wieder jenes seltsame Denkmal, das nichts darstellte als ein riesengroßes Ei auf einem schwarzen Steinquader.

Momo schöpfte Mut, denn nun konnte es nicht mehr allzu lange dauern, bis sie bei Meister Hora sein würden.

»Bitte«, sagte sie zu Kassiopeia,»können wir nicht ein bisschen schneller gehen?«

»je langsamer, desto schneller«, war die Antwort der Schildkröte.

Sie krabbelte weiter, eher noch langsamer als vorher. Und Momo bemerkte - wie schon beim vorigen Mal -, dass sie hier gerade dadurch schneller vorwärts kamen. Es war geradezu, als glitte die Straße unter ihnen dahin, immer schneller, je langsamer sie beide gingen.

Denn dies war das Geheimnis jenes weißen Stadtteils: Je langsamer man voranschritt, desto schneller kam man vom Fleck. Und je mehr man sich beeilte, desto langsamer kam man voran. Das hatten die grauen Herren damals, als sie Momo mit den drei Autos verfolgten, nicht gewusst. So war Momo ihnen entkommen.

Damals!

Aber jetzt war die Sache anders. Denn jetzt wollten sie das Mädchen und die Schildkröte ja gar nicht einholen. Jetzt folgten sie den beiden genauso langsam wie diese gingen. Und so entdeckten sie nun auch dieses Geheimnis. Langsam füllten sich die weißen Straßen hinter den beiden mit dem Heer der grauen Herren. Und da diese nun wussten, wie man sich hier bewegen musste, gingen sie sogar noch etwas langsamer als die Schildkröte und dadurch holten sie auf und kamen näher und näher heran. Es war wie ein umgekehrter Wettlauf, ein Wettlauf der Langsamkeit.

Kreuz und quer ging der Weg durch diese Traumstraßen, immer tiefer und tiefer hinein ins Innere des weißen Stadtteils. Dann war die Ecke der Niemals-Gasse erreicht.

Kassiopeia war schon eingebogen und lief auf das Nirgend-Haus zu. Momo erinnerte sich, dass sie in dieser Gasse nicht hatte weiter kommen können, bis sie sich umgedreht hatte und rückwärts gegangen war. Und deshalb tat sie es jetzt wieder.

Und nun blieb ihr fast das Herz stehen vor Schreck. Wie eine graue, wandernde Mauer kamen die Zeit-Diebe heran, einer neben dem anderen, die ganze Straßenbreite ausfüllend und Reihe hinter Reihe, so weit man sehen konnte.

Momo schrie auf, aber sie konnte ihr eigene Stimme nicht hören. Sie lief rückwärts in die Niemals-Gasse hinein und starrte mit aufgerissenen Augen auf das nachfolgende Heer der grauen Herren.

Aber nun geschah abermals etwas Seltsames: Als die ersten der Verfolger in die Niemals-Gasse einzudringen versuchten, lösten sie sich buchstäblich vor Momos Augen in Nichts auf. Zuerst verschwanden ihre vorgestreckten Hände, dann die Beine und Körper und schließlich auch die Gesichter, auf denen ein überraschter und entsetzter Ausdruck lag.

Aber nicht nur Momo hatte diesen Vorgang beobachtet, sondern natürlich auch die anderen nachdrängenden grauen Herren. Die ersten stemmten sich gegen die Masse der Nachfolgenden und für einen Augenblick entstand eine Art Handgemenge unter ihnen. Momo sah ihre zornigen Gesichter und ihre drohend geschüttelten Fäuste. Aber keiner wagte es, ihr weiter zu folgen.

Dann hatte Momo endlich das Nirgend-Haus erreicht. Die große schwere Tür aus grünem Metall öffnete sich. Momo stürzte hinein, rannte durch den Gang mit den steinernen Figuren, öffnete die ganz kleine Tür am anderen Ende, schlüpfte hindurch, lief durch den Saal mit den unzähligen Uhren auf das kleine Zimmerchen in der Mitte der Standuhren zu, warf sich auf das zierliche Sofa und versteckte ihr Gesicht unter einem Kissen, um nichts mehr zu sehen und zu hören.

NEUNZEHNTES KAPITELDie Eingeschlossenen müssen sich entschließen

Eine leise Stimme sprach.

Langsam tauchte Momo aus der Tiefe ihres traumlosen Schlafes empor. Sie fühlte sich auf wunderbare Weise erquickt und ausgeruht.»Das Kind kann nichts dafür«, hörte sie die Stimme sagen,»aber du, Kassiopeia - warum hast du das nur getan?«

Momo schlug die Augen auf. Am Tischchen vor dem Sofa saß Meister Hora. Er blickte mit kummervollem Gesicht vor sich auf den Boden nieder, wo die Schildkröte saß.»Konntest du dir nicht denken, dass die Grauen euch folgen würden?«

»weiss nur vorher«, erschien auf Kassiopeias Rücken,»denke nicht nach!«

Meister Hora schüttelte seufzend den Kopf.»Ach, Kassiopeia, Kassiopeia, manchmal bist du auch mir ein Rätsel!«

Momo setzte sich auf.

»Ah, unsere kleine Momo ist aufgewacht!«, sagte Meister Hora freundlich.»Ich hoffe, du fühlst dich wieder gut?«

»Sehr gut, danke«, antwortete Momo,»entschuldige bitte, dass ich hier einfach eingeschlafen bin.«

»Mach dir darüber keine Gedanken«, erwiderte Hora.»Das war ganz in Ordnung. Du brauchst mir nichts zu erklären. Soweit ich nicht alles selbst durch meine Allsicht-Brille beobachtet habe, hat Kassiopeia mir inzwischen berichtet.«

»Und was ist mit den grauen Herren?«, fragte Momo. Meister Hora zog ein großes blaues Taschentuch aus seiner Jacke.»Sie belagern uns. Sie haben das Nirgend-Haus von allen Seiten umstellt. Das heißt, soweit sie eben herankommen können.«

»Zu uns hereinkommen«, fragte Momo,»können sie doch nicht?«

Meister Hora schnäuzte sich.»Nein, das nicht. Du hast ja selbst gesehen dass sie sich einfach in Nichts auflösen, wenn sie die Niemals-Gasse betreten.«

»Wie kommt denn das?«, wollte Momo wissen.

»Das macht der Zeit-Sog«, antwortete Meister Hora.»Du weißt ja, dass man dort alles rückwärts tun muss, nicht wahr? Rings um das Nirgend-Haus läuft die Zeit nämlich umgekehrt. Sonst ist es doch so, dass die Zeit in dich hineingeht. Dadurch, dass du immer mehr Zeit in dir hast, wirst du älter. Aber in der Niemals-Gasse geht die Zeit aus dir heraus. Man kann sagen, dass du jünger geworden bist, während du durch sie hindurchgegangen bist. Nicht viel, nur eben die Zeit, die du dazu gebraucht hast, sie zu durchqueren.«

»Davon hab ich gar nichts gemerkt«, meinte Momo verwundert.

»Nun ja«, erklärte Meister Hora lächelnd,»für einen Menschen bedeutet das nicht so viel, weil er sehr viel mehr ist, als bloß die Zeit, die in ihm steckt. Aber bei den grauen Herren ist das anders. Sie bestehen nur aus gestohlener Zeit. Und die geht im Handumdrehen aus ihnen heraus, wenn sie in den Zeit-Sog geraten, so wie die Luft aus einem geplatzten Luftballon. Nur bleibt vom Ballon wenigstens noch die Hülle übrig, von ihnen aber gar nichts.«

Momo dachte angestrengt nach.

»Könnte man dann«, fragte sie nach einer Weile,»nicht einfach alle Zeit umgekehrt laufen lassen? Nur ganz kurz, meine ich. Dann würden alle Leute ein bisschen jünger, das würde ja nichts machen. Aber die Zeit-Diebe würden sich in Nichts auflösen.«

Meister Hora lächelte.»Das wäre freilich schön. Aber es geht leider nicht. Die beiden Strömungen halten sich im Gleichgewicht. Wenn man die eine aufhebt, verschwindet auch die andere. Dann gäbe es gar keine Zeit mehr…«

Er hielt inne und schob seine Allsicht-Brille auf die Stirn.

»Das heißt…«, murmelte er, stand auf und ging einige Male tief in Gedanken in dem kleinen Zimmer auf und ab. Momo beobachtete ihn gespannt, auch Kassiopeia verfolgte ihn mit den Augen. Schließlich setzte er sich wieder und sah Momo prüfend an.

»Du hast mich auf eine Idee gebracht«, sagte er,»aber es hängt nicht allein von mir ab, ob sie auszuführen ist.«

Er wandte sich an die Schildkröte zu seinen Füßen:»Kassiopeia, meine Teure! Was ist nach deiner Ansicht das Beste, das man während einer Belagerung tun kann?«

»frühstücken!«, erschien als Antwort auf deren Panzer.

»Ja«, sagte Meister Hora.»Auch keine schlechte Idee!«

Im gleichen Augenblick war der Tisch auch schon gedeckt. Oder war er es eigentlich die ganze Zeit gewesen und Momo hatte es nur bisher nicht bemerkt? Jedenfalls standen da wieder die kleinen goldenen Tässchen und das ganze übrige goldschimmernde Frühstück: Die Kanne mit dampfender Schokolade, der Honig, die Butter und die knusprigen Brötchen.

Momo hatte in der Zwischenzeit oft mit Sehnsucht an diese köstlichen Sachen zurückgedacht und begann sofort mit Heißhunger zu schmausen. Und diesmal schmeckte es ihr fast noch besser als beim ersten Mal. Übrigens griff jetzt auch Meister Hora herzhaft zu.

»Sie wollen«, sagte Momo nach einer Weile, mit vollen Backen kauend,»dass du ihnen die ganze Zeit aller Menschen gibst. Aber das wirst du doch nicht tun?«

»Nein, Kind«, antwortete Meister Hora,»das werde ich niemals tun. Die Zeit hat einmal angefangen und sie wird einmal enden, aber erst, wenn die Menschen sie nicht mehr brauchen. Von mir werden die grauen Herren nicht den kleinsten Augenblick bekommen.«

»Aber sie sagen«, fuhr Momo fort,»sie können dich dazu zwingen.«

»Ehe wir uns darüber weiter unterhalten«, sagte er sehr ernst,»möchte ich, dass du sie dir selber ansiehst.«

Er nahm seine kleine goldene Brille ab und reichte sie Momo hinüber, die sie sich aufsetzte.

Zuerst war da wieder der Wirbel aus Farben und Formen, der sie schwindelig machte wie beim ersten Mal. Aber diesmal ging es bald vorüber. Nach einer kleinen Weile schon hatten sich ihre Augen auf die Allsicht eingestellt.

Und nun sah sie das Heer der Belagerer!

Schulter an Schulter standen die grauen Herren in einer unabsehbar langen Reihe nebeneinander. Sie standen nicht nur vor der Niemals-Gasse, sondern weiter noch, immer weiter in einem großen Kreis, der sich durch den Stadtteil mit den schneeweißen Häusern zog und dessen Mittelpunkt das Nirgend-Haus war. Die Umzingelung war lückenlos. Aber dann bemerkte Momo noch etwas anderes, etwas Befremdliches. Zuerst meinte sie nur, die Gläser der Allsicht-Brille seien vielleicht beschlagen oder sie könne noch immer nicht ganz deutlich sehen, denn ein merkwürdiger Nebel ließ die Umrisse der grauen Herren nur verschwommen erkennen.

Aber dann begriff sie, dass dieser Dunst nichts mit der Brille und nichts mit ihren Augen zu tun hatte, sondern dass er dort draußen in den Straßen aufstieg. An manchen Stellen war er schon dicht und undurchsichtig, an anderen begann er erst sich zu bilden. Die grauen Herren standen unbeweglich. Jeder hatte wie immer seinen steifen runden Hut auf dem Kopf, seine Aktentasche in der Hand und in seinem Mund qualmte die kleine graue Zigarre. Aber diese Rauchwolken verteilten sich nicht, wie sie es sonst in gewöhnlicher Luft taten. Hier, wo sich kein Windhauch regte, in dieser gläsernen Luft zog sich der Rauch in zähen Schleiern wie Spinnweben dahin, kroch über die Straßen an den Fassaden der schneeweißen Häuser empor und spannte sich in langen Fahnen von Vorsprung zu Vorsprung. Er ballte sich zu ekligen, bläulich grünen Schwaden, die sich langsam aber stetig immer höher übereinander türmten und das Nirgend-Haus von allen Seiten wie mit einer unaufhaltsam wachsenden Mauer umgaben.

Momo sah auch, dass ab und zu neue Herren ankamen und anstelle anderer, die durch sie abgelöst wurden, in die Reihe traten. Aber warum geschah dies alles? Welchen Plan verfolgten die Zeit-Diebe? Sie nahm die Brille ab und schaute Meister Hora fragend an.

»Hast du genug gesehen?«, fragte er.»Dann gib mir bitte die Brille wieder.«

Während er sie sich aufsetzte, fuhr er fort:»Du hast gefragt, ob sie mich zu etwas zwingen können. Mich selbst können sie nicht erreichen, wie du nun weißt. Aber sie können den Menschen einen Schaden zufügen, der viel schlimmer ist, als alles, was sie bis jetzt getan haben. Und damit versuchen sie mich zu erpressen.«

»Etwas noch Schlimmeres?«, fragte Momo erschrocken.

Meister Hora nickte.»Ich teile jedem Menschen seine Zeit zu. Dagegen können die grauen Herren nichts tun. Sie können die Zeit, die ich aussende, auch nicht aufhalten. Aber sie können sie vergiften.«

»Die Zeit vergiften?«, fragte Momo entgeistert.

»Mit dem Rauch ihrer Zigarren«, erklärte Meister Hora.»Hast du jemals einen von ihnen ohne seine kleine graue Zigarre gesehen? Gewiss nicht, denn ohne sie könnte er nicht mehr existieren.«

»Was sind denn das für Zigarren?«, wollte Momo wissen.

»Du erinnerst dich an die Stunden-Blumen«, sagte Meister Hora.»Ich habe dir damals gesagt, dass jeder Mensch einen solchen goldenen Tempel der Zeit besitzt, weil jeder ein Herz hat. Wenn die Menschen dort die grauen Herren einlassen, dann gelingt es denen, mehr und mehr von diesen Blüten an sich zu reißen. Aber die Stunden-Blumen, die so herausgerissen sind aus dem Herzen eines Menschen, können nicht sterben, denn sie sind ja nicht wirklich vergangen. Sie können aber auch nicht leben, denn sie sind ja von ihrem wirklichen Eigentümer getrennt. Sie streben mit allen Fasern ihres Wesens zurück zu dem Menschen, dem sie gehören.«

Momo hörte atemlos zu.

»Du musst wissen, Momo, dass auch das Böse sein Geheimnis hat. Ich weiß nicht, wo die grauen Herren die geraubten Stunden-Blumen aufbewahren. Ich weiß nur, dass sie diese durch ihr eigene Kälte einfrieren, bis die Blüten hart sind wie gläserne Kelche. Dadurch werden sie gehindert zurückzukehren. Irgendwo tief unter der Erde müssen sich riesige Speicher befinden, in welchen die ganze gefrorene Zeit liegt. Doch auch dort sterben die Stunden-Blumen noch immer nicht.«

Momos Wangen begannen vor Empörung zu glühen.»Aus diesen Vorratskellern versorgen die grauen Herren sich immerzu. Sie reißen den Stunden-Blumen die Blütenblätter aus, lassen sie verdorren, bis sie grau und hart werden und daraus drehen sie sich ihre kleinen Zigarren. Aber bis zu diesem Augenblick ist noch immer ein Rest von Leben in den Blättern. Lebendige Zeit ist jedoch für die grauen Herren unbekömmlich. Darum zünden sie die Zigarren an und rauchen sie. Denn erst in diesem Rauch ist die Zeit nun wirklich ganz und gar tot. Und von solcher toten Menschenzeit fristen sie ihr Dasein.«

Momo war aufgestanden.»Ach«, sagte sie,»so viel tote Zeit…«

»Ja, diese Mauer von Rauch, die sie dort draußen rund um das Nirgend-Haus wachsen lassen, besteht aus toter Zeit. Noch ist genügend freier Himmel da, noch kann ich den Menschen ihre Zeit unversehrt zusenden. Aber wenn die finstere Qualmglocke sich rundherum und über uns geschlossen haben wird, dann mischt sich in jede Stunde, die von mir ausgeschickt wird, etwas von der abgestorbenen, gespenstischen Zeit der grauen Herren. Und wenn die Menschen die empfangen, dann werden sie krank davon, todkrank sogar.«

Momo starrte Meister Hora fassungslos an. Leise fragte sie:»Und was ist das für eine Krankheit?«

»Am Anfang merkt man noch nicht viel davon. Man hat eines Tages keine Lust mehr irgendetwas zu tun. Nichts interessiert einen, man ödet sich. Aber diese Unlust verschwindet nicht wieder, sondern sie bleibt und nimmt langsam immer mehr zu. Sie wird schlimmer von Tag zu Tag, von Woche zu Woche. Man fühlt sich immer missmutiger, immer leerer im Innern, immer unzufriedener mit sich und der Welt. Dann hört nach und nach sogar dieses Gefühl auf und man fühlt gar nichts mehr. Man wird ganz gleichgültig und grau, die ganze Welt kommt einem fremd vor und geht einen nichts mehr an. Es gibt keinen Zorn mehr und keine Begeisterung, man kann sich nicht mehr freuen und nicht mehr trauern, man verlernt das Lachen und das Weinen. Dann ist es kalt geworden in einem und man kann nichts und niemand mehr lieb haben. Wenn es einmal so weit gekommen ist, dann ist die Krankheit unheilbar. Es gibt keine Rückkehr mehr. Man hastet mit leerem, grauem Gesicht umher, man ist genauso geworden wie die grauen Herren selbst. Ja, dann ist man einer der ihren. Diese Krankheit heißt: die tödliche Langeweile.«

Momo überlief ein Schauder.

»Und wenn du ihnen also nicht die Zeit aller Menschen gibst«, fragte sie,»dann machen sie, dass alle Menschen so werden wie sie?«

»Ja«, antwortete Meister Hora,»damit wollen sie mich erpressen.«

Er stand auf und wandte sich ab.

»Ich habe bis jetzt darauf gewartet, dass die Menschen selbst sich von diesen Plagegeistern befreien würden. Sie hätten es gekonnt, denn sie selbst haben ihnen ja auch zum Dasein verhelfen. Aber nun kann ich nicht länger warten. Ich muss etwas tun. Aber ich kann es nicht allein.«Er blickte Momo an.»Willst du mir helfen?«

»Ja«, flüsterte Momo.

»Ich muss dich in eine Gefahr schicken, die gar nicht zu ermessen ist«, sagte Meister Hora.»Und es wird von dir abhängen, Momo, ob die Welt für immer stillstehen wird, oder ob sie von neuem beginnen wird zu leben. Willst du es wirklich wagen?«

»Ja«, wiederholte Momo und diesmal klang ihre Stimme fest.

»Dann«, sagte Meister Hora,»gib jetzt genau Acht auf das, was ich dir sage, denn du wirst ganz und gar auf dich gestellt sein und ich werde dir nicht mehr helfen können. Ich nicht und niemand sonst.«

Momo nickte und schaute Meister Hora mit äußerster Aufmerksamkeit an.

»Du musst wissen«, begann er,»dass ich niemals schlafe. Wenn ich einschliefe, würde im gleichen Augenblick alle Zeit aufhören. Die Welt würde stillstehen. Wenn es aber keine Zeit mehr gibt, dann können die grauen Herren auch niemand mehr bestehlen. Zwar können sie noch eine Weile weiterexistieren, da sie ja große Vorräte an Zeit besitzen. Aber wenn diese verbraucht sind, müssen sie sich in Nichts auflösen.«

»Aber dann«, meinte Momo,»ist es doch ganz einfach!«

»Leider ist es eben nicht so einfach, sonst brauchte ich ja nicht deine Hilfe, Kind. Wenn es nämlich keine Zeit mehr gibt, dann kann ich ja auch nicht wieder aufwachen. Und damit bliebe die Welt still und starr für alle Ewigkeit. Aber es liegt in meiner Macht, dir, Momo, dir ganz allein eine Stunden-Blume zu geben. Freilich nur eine einzige, weil ja immer nur eine blüht. Wenn also alle Zeit auf der Welt aufgehört hat, so hättest du noch eine Stunde.«

»Dann kann ich dich doch wecken!«, sagte Momo.

»Damit allein«, versetzte Meister Hora,»hätten wir nichts erreicht, denn die Vorräte der grauen Herren sind viel, viel größer. In einer einigen Stunde hätten sie davon so gut wie nichts verbraucht. Sie wären also danach noch immer da. Die Aufgaben, die du lösen müsstest, sind viel schwerer! Sobald die grauen Herren merken, dass die Zeit aufgehört hat - und das werden sie sehr schnell merken, weil ihr Zigarren-Nachschub ausbleiben wird - werden sie die Belagerung abbrechen und zu ihren Zeitvorräten streben. Und dorthin musst du ihnen folgen, Momo. Wenn du ihr Versteck gefunden hast, dann musst du sie daran hindern an ihre Zeitvorräte zu kommen. Sobald ihre Zigarren zu Ende sind, geht es auch mit ihnen zu Ende. Aber danach bleibt noch etwas zu tun und das wird vielleicht von allem das Schwerste sein. Wenn der letzte Zeit-Dieb verschwunden ist, dann musst du die ganze geraubte Zeit befreien. Denn nur, wenn diese zurückkehrt zu den Menschen, wird die Welt aufhören stillzustehen und ich selbst kann wieder aufwachen. Und für alles das bleibt dir nur eine einzige Stunde.«

Momo sah Meister Hora ratlos an. Mit einem solchen Berg von Schwierigkeiten und Gefahren hatte sie nicht gerechnet.

»Willst du es trotzdem versuchen?«, fragte Meister Hora.»Es ist die einzige und letzte Möglichkeit.«

Momo schwieg.

Es schien ihr unmöglich, dass sie das schaffen konnte.

»ich geh mit dir!«, las sie plötzlich auf Kassiopeias Rücken. Was konnte die Schildkröte ihr bei all dem helfen! Und doch war es ein winziger Hoffnungsstrahl für Momo. Die Vorstellung, nicht ganz allein zu sein, machte ihr Mut. Es war zwar ein Mut ohne jeden vernünftigen Grund, aber er bewirkte, dass sie sich auf einmal entscheiden konnte.

»Ich will es versuchen«, sagte sie entschlossen.

Meister Hora blickte sie lange an und begann zu lächeln.

»Vieles wird leichter sein, als du jetzt glaubst. Du hast die Stimmen der Sterne gehört. Du musst keine Angst haben -«

Dann wandte er sich der Schildkröte zu und fragte:»Und du, Kassiopeia, willst also mitgehen?«

»natürlich!«, stand auf dem Panzer. Die Schrift verschwand und es erschienen die Worte:»jemand muss doch auf sie aufpassen!«

Meister Hora und Momo lächelten sich an.

»Kriegt sie auch eine Stunden-Blume?«, fragte Momo.

»Kassiopeia braucht das nicht«, erklärte Meister Hora und kraulte die Schildkröte zärtlich am Hals,»sie ist ein Wesen von außerhalb der Zeit. Sie trägt ihre eigene kleine Zeit in sich selbst. Sie könnte auch über die Welt krabbeln, wenn alles für immer stillstünde.«

»Gut«, sagte Momo, in der nun plötzlich der Tatendrang erwachte,»und was sollen wir jetzt tun?«

»Jetzt«, antwortete Meister Hora,»wollen wir Abschied nehmen.«

Momo schluckte, dann fragte sie leise:»Werden wir uns denn nicht mehr wiedersehen?«

»Wir werden uns wiedersehen, Momo«, entgegnete Meister Hora,»und bis dahin wird jede Stunde deines Lebens dir einen Gruß von mir bringen. Denn wir bleiben doch Freunde, nicht wahr?«

»Ja«, sagte Momo und nickte.

»Ich werde nun gehen«, fuhr Meister Hora fort,»und du darfst mir nicht folgen und auch nicht fragen, wohin ich gehe. Denn mein Schlaf ist kein gewöhnlicher Schlaf und es ist besser, wenn du nicht dabei bist. Nur eines noch: Sowie ich fort bin, musst du sogleich die beiden Türen öffnen, die kleine, auf der mein Name steht und die große aus grünem Metall, die auf die Niemals-Gasse hinausführt. Denn sobald die Zeit aufhört, steht alles still und auch diese Türen sind durch keine Macht der Welt mehr zu bewegen. Hast du alles gut verstanden und behalten, mein Kind?«

»Ja«, sagte Momo,»aber woran soll ich erkennen, dass die Zeit aufgehört hat?«

»Sei unbesorgt, du wirst es bemerken.«

Meister Hora stand auf und auch Momo erhob sich. Er strich ihr leise mit der Hand über ihren struppigen Haarschopf.

»Leb wohl, kleine Momo«, sagte er,»es war eine große Freude für mich, dass du auch mir zugehört hast.«

»Ich werde allen von dir erzählen«, antwortete Momo,»später.«

Und nun sah Meister Hora plötzlich wieder unbegreiflich alt aus, ganz wie damals, als er sie in den goldenen Tempel getragen hatte, alt wie ein Felsenberg oder ein uralter Baum.

Er wandte sich ab und ging rasch aus dem kleinen Zimmer, das aus Uhrenkästen gebildet war. Momo hörte seine Schritte immer ferner und ferner und dann waren sie von dem Ticken der vielen Uhren nicht mehr zu unterscheiden. Vielleicht war er in dieses Ticken hineingegangen.

Momo hob Kassiopeia hoch und drückte sie fest an sich. Ihr größtes Abenteuer hatte unwiderruflich begonnen.

ZWANZIGSTES KAPITELDie Verfolgung der Verfolger

Als Erstes ging Momo nun hin und öffnete die kleine innere Tür, auf der Meister Horas Name stand. Dann lief sie geschwind durch den Gang mit den großen Steinfiguren und machte auch die äußere große Tür aus grünem Metall auf. Sie musste all ihre Kraft aufwenden, denn die riesigen Torflügel waren sehr schwer.

Als sie damit fertig war, lief sie in den Saal mit den unzähligen Uhren zurück und wartete, Kassiopeia auf dem Arm, was nun geschehen würde.

Und dann geschah es!

Es gab plötzlich eine Art Erschütterung, die aber nicht den Raum beben machte, sondern die Zeit, ein Zeit-Beben sozusagen. Es gibt keine Worte dafür, wie sich das anfühlte. Dieses Ereignis wurde von einem Klang begleitet, wie ihn zuvor noch nie ein Mensch gehört hat. Es war wie ein Seufzen, das aus der Tiefe von Jahrhunderten kam.

Und dann war alles vorüber.

Im gleichen Augenblick hörte das vielstimmige Ticken und Schnarren und Klingen und Schlagen der unzähligen Uhren ganz plötzlich auf. Die schwingenden Perpendikel blieben stehen, wie sie eben standen. Nichts, gar nichts regte sich mehr. Und eine Stille breitete sich aus, so vollkommen, wie sie nie und nirgends zuvor auf der Welt geherrscht hatte. Die Zeit hatte aufgehört.

Und Momo wurde gewahr, dass sie in ihrer Hand eine wunderbare, sehr große Stunden-Blume trug. Sie hatte nicht gefühlt, wie diese Blume in ihre Hand hineingekommen war. Sie war einfach ganz plötzlich da, als sei sie immer schon da gewesen.

Vorsichtig machte Momo einen Schritt. Tatsächlich, sie konnte sich bewegen, mühelos wie immer. Auf dem Tischchen standen noch die Reste des Frühstücks. Momo setzte sich auf eines der Polsterstühlchen, aber die Polster waren jetzt hart wie Marmelstein und gaben nicht mehr nach. In ihrer Tasse war noch ein Schluck Schokolade, aber das Tässchen war nicht mehr von der Stelle zu bewegen. Momo wollte den Finger in die Flüssigkeit tauchen, aber sie war hart wie Glas. Das gleiche war mit dem Honig. Sogar die Brotkrümchen, die auf dem Teller lagen, waren vollkommen unbeweglich. Nichts, nicht die winzigste Kleinigkeit konnte jetzt mehr verändert werden, wo es keine Zeit mehr gab.

Kassiopeia strampelte und Momo schaute sie an.

»aber deine zeit verlierst du!«, stand auf ihrem Rückenpanzer.

Um Himmels willen, ja! Momo raffte sich auf. Sie lief durch den Saal, schlüpfte durch das kleine Türchen, lief weiter durch den Gang und spähte bei der großen Tür um die Ecke und fuhr im gleichen Augenblick zurück. Ihr Herz begann rasend zu klopfen. Die Zeit-Diebe liefen gar nicht fort! Im Gegenteil, sie kamen durch die Niemals-Gasse, in der ja nun auch die rückwärtslaufende Zeit aufgehört hatte, auf das Nirgend-Haus zu! Das war im Plan nicht vorgesehen gewesen!

Momo rannte zurück in den großen Saal und versteckte sich, mit Kassiopeia im Arm, hinter einer großen Standuhr.

»Das fängt ja schon gut an«, murmelte sie.

Dann hörte sie die Schritte der grauen Herren draußen im Gang hallen. Einer nach dem anderen zwängte sich durch das kleine Türchen, bis ein ganzer Trupp von ihnen im Saal stand. Sie schauten sich um.

»Eindrucksvoll!«, sagte einer von ihnen.»Das ist also unser neues Heim.«

»Das Mädchen Momo hat uns die Tür geöffnet«, sagte eine andere aschengraue Stimme,»ich habe es genau beobachtet. Ein vernünftiges Kind! Ich bin gespannt, wie sie es angestellt hat, den Alten herumzukriegen.«

Und eine dritte, ganz ähnliche Stimme antwortete:»Nach meiner Ansicht hat der Sogenannte selbst klein beigegeben. Denn dass der Zeit-Sog in der Niemals-Gasse ausgesetzt hat, kann nur bedeuten, dass er ihn abgestellt hat. Er hat also eingesehen, dass er sich uns fügen muss. Jetzt werden wir kurzen Prozess mit ihm machen. Wo steckt er denn?«Die grauen Herren sahen sich suchend um, dann sagte plötzlich einer von ihnen und seine Stimme klang noch eine Spur aschenfarbener:»Da stimmt was nicht, meine Herren! Die Uhren! Sehen Sie sich doch nur die Uhren an! Sie stehen alle. Sogar die Sanduhr hier.«

»Er hat sie eben angehalten«, meinte ein anderer unsicher.»Eine Sanduhr kann man nicht anhalten!«, rief der erste.»Und doch, sehen Sie nur, meine Herren, der rinnende Sand ist mitten im Fall stehen geblieben! Man kann die Uhr auch nicht bewegen! Was bedeutet das?«

Noch während er redete, klangen laufende Schritte aus dem Gang herein, dann quetschte sich ein weiterer grauer Herr aufgeregt gestikulierend durch die kleine Tür und rief:»Soeben ist Nachricht unserer Agenten aus der Stadt gekommen. Ihre Autos stehen. Alles steht. Die Welt steht still. Es ist unmöglich, irgendeinem Menschen noch das kleinste bisschen Zeit zu entreißen. Unser gesamter Nachschub ist zusammengebrochen! Es gibt keine Zeit mehr! Hora hat die Zeit abgestellt!«

Einen Augenblick herrschte Totenstille. Dann fragte einer:»Was sagen Sie? Unser Nachschub ist zusammengebrochen? Aber was wird dann aus uns, wenn unsere mitgeführten Zigarren verbraucht sind?«

»Das wissen Sie selbst, was dann aus uns wird!«, schrie ein anderer.»Das ist eine fürchterliche Katastrophe, meine Herren!«

Und nun schrien plötzlich alle durcheinander:»Hora will uns vernichten! - Wir müssen sofort die Belagerung abbrechen! - Wir müssen versuchen, zu unseren Zeit-Speichern zu kommen! - Ohne Wagen? Das können wir nicht rechtzeitig schaffen! Meine Zigarren reichen nur noch für siebenundzwanzig Minuten! - Meine für achtundvierzig! - Dann geben Sie her! - Sind Sie verrückt? - Rette sich, wer kann!«

Alle waren auf das kleine Türchen zugerannt und drängten gleichzeitig hinaus. Momo konnte aus ihrem Versteck beobachten, wie sie sich in ihrer Panik gegenseitig wegboxten, schoben und zogen und immer heftiger in ein Handgemenge gerieten. Jeder wollte vor dem anderen hinaus und kämpfte um sein graues Leben. Sie schlugen sich die Hüte von den Köpfen, sie rangen miteinander und rissen sich gegenseitig die kleinen grauen Zigarren aus den Mündern. Und jeder, dem das widerfuhr, schien plötzlich alle Kraft zu verlieren. Er stand da, die Hände ausgestreckt, mit einem greinenden, angstvollen Ausdruck im Gesicht, wurde rasch immer durchsichtiger und verschwand zuletzt. Nichts blieb von ihm übrig, nicht einmal sein Hut.

Schließlich waren nur noch drei der grauen Herren im Saal und denen gelang es nun doch, nacheinander durch das kleine Türchen hinauszuschlüpfen und davonzukommen.

Momo, unter einem Arm die Schildkröte, in der anderen Hand die Stunden-Blume, lief hinter ihnen her. Jetzt kam alles darauf an, dass sie die grauen Herren nicht mehr aus den Augen verlor.

Als sie aus dem großen Tor trat, sah sie, dass die Zeit-Diebe schon bis zum Anfang der Niemals-Gasse gelaufen waren. Dort standen in den Rauchschwaden andere Gruppen von grauen Herren, die aufgeregt gestikulierend aufeinander einredeten.

Als sie die aus dem Nirgend-Haus Gekommenen rennen sahen, begannen sie ebenfalls zu rennen, andere schlossen sich den Fliehenden an, und binnen kurzem befand sich das ganze Heer Hals über Kopf auf dem Rückzug. Eine schier endlose Karawane grauer Herren rannte stadteinwärts durch die seltsame Traumgegend mit den schneeweißen Häusern und den verschieden fallenden Schatten. Durch das Verschwinden der Zeit hatte nun natürlich auch hier die geheimnisvolle Umkehrung von schnell und langsam aufgehört.

Der Zug der grauen Herren führte vorbei an dem großen Ei-Denkmal und weiter bis dorthin, wo die ersten gewöhnlichen Häuser standen, jene grauen, verfallenen Mietskasernen, in denen die Menschen wohnten, die eben am Rande der Zeit lebten. Aber auch hier war nun alles starr.

In gebührendem Abstand hinter den letzten Nachzüglern folgte Momo. Und so begann nun eine umgekehrte Jagd durch die große Stadt, eine Jagd, bei welcher die riesige Schar der grauen Herren floh und ein kleines Mädchen mit einer Blume in der Hand und einer Schildkröte unter dem Arm sie verfolgte.

Aber wie sonderbar sah diese Stadt nun aus! Auf den Fahrbahnen standen die Autos Reihe neben Reihe, hinter den Steuerrädern saßen bewegungslos die Fahrer, die Hände an der Schaltung oder auf der Hupe (einer tippte sich gerade mit dem Finger an die Stirn und starrte wütend zu seinem Nachbarn hinüber), Radfahrer, die den Arm ausgestreckt hielten, um zu zeigen, dass sie abbiegen wollten und auf den Gehsteigen all die Fußgänger, Männer, Frauen, Kinder, Hunde und Katzen vollkommen reglos und starr, sogar der Rauch aus den Auspuffrohren.

Auf den Straßenkreuzungen waren die Verkehrspolizisten, ihre Trillerpfeife im Mund, mitten im Winken stehen geblieben. Ein Schwärm Tauben schwebte über einem Platz unbeweglich in der Luft. Hoch über allem stand ein Flugzeug wie gemalt am Himmel. Das Wasser der Springbrunnen sah aus wie Eis. Blätter, die von Bäumen fielen, lagen reglos mitten in der Luft. Und ein kleiner Hund, der gerade ein Bein an einem Lichtmast hob, stand, als wäre er ausgestopft.

Mitten durch diese Stadt, die leblos war wie eine Fotografie, rannten und jagten die grauen Herren. Und Momo immer hinterdrein, doch immer vorsichtig darauf bedacht von den Zeit-Dieben nicht bemerkt zu werden. Aber die achteten sowieso auf nichts mehr, denn ihre Flucht gestaltete sich immer schwieriger und anstrengender.

Sie waren ja nicht daran gewöhnt, so große Strecken im Laufschritt zurückzulegen. Sie keuchten und rangen nach Atem. Dabei mussten sie immer noch ihre kleinen grauen Zigarren, ohne die sie ja verloren waren, im Mund behalten. Manch einem entglitt die seine im Laufen und ehe er sie noch auf dem Boden wiederfinden konnte, löste er sich bereits auf.

Aber nicht nur diese äußeren Umstände machten ihre Flucht immer beschwerlicher, sondern mehr und mehr drohte jetzt schon Gefahr von Seiten der eigenen Leidensgenossen. Manche nämlich, deren eigene Zigarren zu Ende brannten, rissen in der Verzweiflung einfach einem anderen die seine aus dem Mund. Und so verringerte sich ihre Anzahl langsam, aber ständig.

Diejenigen, die noch einen kleinen Vorrat von Zigarren in ihren Aktentaschen trugen, mussten sehr Acht geben, dass die anderen nichts davon merkten, sonst stürzten sich die, welche keine mehr hatten, auf die Reicheren und versuchten, ihnen ihre Schätze zu entreißen. Es gab wilde Schlägereien. Ganze Haufen von ihnen warfen sich aufeinander um etwas von den Vorräten zu grapschen. Dabei rollten die Zigarren über die Straße und wurden im Tumult zertreten. Die Angst, von der Welt verschwinden zu müssen, hatte die grauen Herren vollkommen kopflos gemacht.

Und noch etwas bereitete ihnen immer zunehmende Schwierigkeiten, je weiter stadteinwärts sie kamen. An manchen Stellen der großen Stadt stand die Menschenmenge so dicht, dass sich die grauen Herren nur mühsam zwischen den Leuten durchschieben konnten, als seien diese Bäume in einem dichten Wald. Momo, die ja klein und schmal war hatte es da natürlich bedeutend leichter. Aber selbst ein Flaumfederchen, das reglos in der Luft hing, war so unbeweglich, dass die grauen Herren sich fast die Köpfe daran einschlugen, wenn sie aus Versehen dagegenrannten.

Es war ein langer Weg und Momo hatte keine Ahnung, wie lang er noch sein würde. Besorgt blickte sie auf ihre Stunden-Blume. Aber die war inzwischen erst voll aufgeblüht. Noch bestand also kein Grund zur Sorge.

Doch dann geschah etwas, was Momo augenblicklich alles andere vergessen ließ: Sie erblickte in einer kleinen Seitenstraße Beppo Straßenkehrer!

»Beppo!«, schrie sie, außer sich vor Freude und rannte zu ihm hin.»Beppo, ich hab dich überall gesucht! Wo warst du denn die ganze Zeit? Warum bist du nie gekommen? Ach, Beppo, lieber Beppo!«

Sie wollte ihm um den Hals fallen, aber sie prallte von ihm ab, als ob er aus Eisen wäre. Momo hatte sich ziemlich weh getan und die Tränen schössen ihr in die Augen. Schluchzend stand sie vor ihm und schaute ihn an.

Seine kleine Gestalt wirkte noch gebückter als früher. Sein gutes Gesicht war ganz schmal und ausgezehrt und sehr blass. Um das Kinn war ihm ein weißer, struppiger Stoppelbart gewachsen, denn zum Rasieren hatte er sich keine Zeit mehr genommen. In den Händen hielt er einen alten Besen, der schon ganz abgenützt war vom vielen Kehren. So stand er da, reglos wie alles andere und schaute durch seine kleine Brille vor sich auf den Schmutz der Straße.

Jetzt endlich hatte Momo ihn also gefunden, jetzt, wo es gar nichts mehr half, weil sie sich ihm nicht mehr bemerkbar machen konnte. Und vielleicht würde es das letzte Mal sein, dass sie ihn sah. Wer konnte wissen, wie alles ausgehen würde. Wenn es schlecht ausging, würde der alte Beppo in alle Ewigkeit so hier stehen.

Die Schildkröte zappelte in Momos Arm.

»weiter!«, stand auf ihrem Panzer.

Momo rannte auf die Hauptstraße zurück und erschrak. Keiner der Zeit-Diebe war mehr zu sehen! Momo lief ein Stück in der Richtung, in welcher vorher die grauen Herren geflüchtet waren, aber vergebens.

Sie hatte ihre Spur verloren!

Ratlos blieb sie stehen. Was sollte sie nun tun? Fragend blickte sie auf Kassiopeia.

»du findest sie, lauf weiter!«, lautete der Rat der Schildkröte.

Nun, wenn Kassiopeia vorherwusste, dass sie die Zeit-Diebe finden würde, dann war es ja auf jeden Fall richtig, ganz gleich, welchen Weg Momo einschlug.

Sie lief also einfach weiter, wie es ihr gerade in den Sinn kam, mal links, mal rechts, mal geradeaus.

Inzwischen war sie in jenen Teil am nördlichen Rande der großen Stadt gekommen, wo die Neubauviertel mit den immer gleichen Häusern und den schnurgeraden Straßen sich bis zum Horizont dehnten. Momo lief weiter und weiter, aber da ja alle Häuser und Straßen einander vollkommen glichen, hatte sie bald das Gefühl, gar nicht vom Fleck zu kommen und an der gleichen Stelle zu laufen.

Es war ein wahrer Irrgarten, aber ein Irrgarten der Regelmäßigkeit und Gleichheit.

Momo war schon nahe daran, den Mut zu verlieren, als sie plötzlich einen letzten grauen Herren um eine Ecke biegen sah. Er humpelte, seine Hose war zerrissen, Hut und Aktentasche fehlten ihm, nur in einem verbissen zusammengepressten Mund qualmte noch der Stummel einer kleinen grauen Zigarre.

Momo folgte ihm bis zu einer Stelle, wo in der endlosen Reihe der Häuser plötzlich eines fehlte. Stattdessen war dort ein hoher Bauzaun aus rohen Brettern errichtet, der ein weites Geviert umgab. In diesem Bauzaun war ein Tor, das ein wenig offen stand und dort hinein huschte der letzte Nachzügler der grauen Herren. Über dem Tor befand sich ein Schild und Momo blieb stehen, um es zu entziffern.

Achtung!

Höchste Lebensgefahr

Unbefugten

ist der Eintritt strengstens

verboten

EINUNDZWANZIGSTES KAPITELDas Ende, mit dem etwas Neues beginnt

Momo hatte sich mit dem Buchstabieren der Warntafel aufgehalten. Als sie nun durch das Tor schlüpfte, war auch von dem letzten grauen Herren nichts mehr zu sehen. Vor ihr lag eine riesige Baugrube, die wohl zwanzig, dreißig Meter tief sein mochte. Bagger und andere Baumaschinen standen umher. Auf einer schrägen Rampe, die zum Grunde der Grube hinunterführte, waren einige Lastwagen mitten in der Fahrt stehen geblieben. Da und dort standen Bauarbeiter, reglos in ihren jeweiligen Haltungen erstarrt. Aber wohin nun? Momo konnte keinen Eingang entdecken, den der graue Herr benutzt haben mochte. Sie schaute auf Kassiopeia, aber diese schien auch nicht weiterzuwissen. Keine Buchstaben erschienen auf ihrem Panzer.

Momo kletterte auf den Grund der Baugrube hinunter und schaute sich um. Und nun sah sie plötzlich nochmal ein bekanntes Gesicht. Da stand Nicola, der Maurer, der ihr damals das schöne Blumenbild an die Wand ihres Zimmers gemalt hatte. Natürlich war auch er reglos, wie alle anderen, aber seine Haltung war seltsam. Er stand da, eine Hand an den Mund gelegt, als ob er irgendwem etwas zuriefe und mit der anderen Hand zeigte er auf die Öffnung eines riesenhaften Rohres, das neben ihm aus dem Boden der Baugrube ragte. Und es ergab sich gerade so, dass er dabei Momo anzublicken schien.

Momo überlegte nicht lang, sie nahm es einfach als ein Zeichen und kletterte in das Rohr hinein. Kaum war sie drin, geriet sie ins Rutschen, denn das Rohr führte steil abwärts. Es machte allerlei Windungen, sodass sie wie auf einer Rutschbahn hin und her geschleudert wurde. Hören und Sehen verging ihr beinahe bei der rasenden Fahrt, tiefer und tiefer hinunter. Manchmal trudelte sie um sich selbst, sodass sie mit dem Kopf voran dahinsauste. Aber sie ließ dabei weder die Schildkröte noch die Blume los. Je tiefer sie kam, desto kälter wurde es.

Einen Augenblick dachte sie auch daran, wie sie wohl je wieder hier herauskommen könne, aber noch ehe sie recht dazu kam, sich Gedanken zu machen, endete die Röhre plötzlich in einem unterirdischen Gang.

Hier war es nicht mehr finster. Es herrschte ein aschengraues Halblicht, das von den Wänden selbst auszugehen schien.

Momo stand auf und lief weiter. Da sie barfuß war, machten ihre Schritte kein Geräusch, wohl aber die des grauen Herrn, die sie nun wieder vor sich hörte. Sie folgte dem Klang.

Von dem Gang zweigten nach allen Seiten andere Gänge ab, ein unterirdisches Aderngeflecht, das sich, wie es schien, unter dem ganzen Neubau-Viertel hinzog.

Dann hörte sie Stimmengewirr. Sie ging ihm nach und lugte vorsichtig um eine Ecke.

Vor ihren Augen lag ein riesiger Saal mit einem schier endlosen Konferenztisch in der Mitte. Um diesen Tisch saßen in zwei langen Reihen die grauen Herren - oder vielmehr, das Häuflein, das von ihnen noch übrig war. Und wie armselig sahen diese letzten Zeit-Diebe jetzt aus! Ihre Anzüge waren zerfetzt, sie hatten Beulen und Schrunden auf ihren grauen Glatzen und ihre Gesichter wirkten verzerrt von Angst. Nur ihre Zigarren brannten noch.

Momo sah, dass ganz hinten an der Rückwand des Saales eine riesige Panzertür ein wenig offen stand. Eisige Kälte wehte aus dem Saal. Obwohl Momo wusste, dass es nichts half, kauerte sie sich nieder und wickelte die nackten Füße in ihren Rock.

»Wir müssen«, hörte sie nun einen grauen Herrn sagen, der ganz oben am Konferenztisch vor der Panzertür saß,»sparsam mit unseren Vorräten umgehen, denn wir wissen nicht, wie lange wir mit ihnen auskommen müssen. Wir müssen uns einschränken.«

»Wir sind nur noch wenige!«, schrie ein anderer.»Die Vorräte reichen auf Jahre hinaus!«

»Je eher wir zu sparen beginnen«, fuhr der Redner ungerührt fort,»desto länger werden wir durchhalten. Und Sie wissen, meine Herren, was ich mit sparen meine. Es genügt völlig, wenn einige von uns diese Katastrophe überstehen. Wir müssen die Dinge sachlich betrachten! So, wie wir hier sitzen, meine Herren, sind wir zu viele! Wir müssen unsere Zahl beträchtlich verringern. Das ist ein Gebot der Vernunft. Darf ich Sie bitten, meine Herren, nun abzuzählen?«

Die grauen Herren zählten ab. Danach zog der Vorsitzende eine Münze aus der Tasche und erklärte:»Wir werden losen. Zahl bedeutet, dass die Herren mit den geraden Zahlen bleiben, Kopf bedeutet die mit den ungeraden.«

Er warf die Münze in die Luft und fing sie auf.

»Zahl!«, rief er.»Die Herren mit den geraden Zahlen bleiben, die mit den ungeraden werden ersucht sich unverzüglich aufzulösen!«

Ein tonloses Stöhnen lief durch die Reihe der Verlierer, aber keiner wehrte sich.

Die Zeit-Diebe mit den geraden Zahlen nahmen den anderen ihre Zigarren fort und die Verurteilten lösten sich in Nichts auf.

»Und nun«, sagte der Vorsitzende in die Stille hinein,»dasselbe noch einmal, wenn ich bitten darf.«

Die gleiche schauerliche Prozedur erfolgte ein zweites, ein drittes und schließlich sogar ein viertes Mal. Zuletzt waren nur noch sechs der grauen Herren übrig. Sie saßen sich zu drei und drei am Kopfende des endlosen Tisches gegenüber und sahen sich eisig an. Momo hatte den Vorgang mit Schaudern beobachtet. Sie bemerkte, dass jedes Mal, wenn die Zahl der grauen Herren geringer wurde, die fürchterliche Kälte merklich nachließ. Im Vergleich zu vorher war es jetzt schon beinahe erträglich.

»Sechs«, sagte einer der grauen Herren,»ist eine hässliche Zahl.«

»Genug jetzt«, antwortete einer von der anderen Seite des Tisches,»es hat keinen Zweck mehr, unsere Zahl noch weiter zu verringern. Wenn es uns Sechsen nicht gelingt, die Katastrophe zu überdauern, dann gelingt es Dreien auch nicht.«

»Das ist nicht gesagt«, meinte ein anderer,»aber falls es nötig sein sollte, können wir ja immer noch darüber reden. Später, meine ich.«

Eine Weile war es still, dann erklärte einer:»Wie gut, dass die Tür zu den Vorratsspeichern gerade offen stand, als die Katastrophe begann. Wäre sie im entscheidenden Augenblick geschlossen gewesen, dann könnte sie jetzt keine Macht der Welt öffnen. Wir wären verloren.«

»Leider haben Sie nicht ganz Recht, mein Bester«, antwortete ein anderer.»Indem das Tor offen steht, entweicht die Kälte aus den Gefrierkellern. Nach und nach werden die Stunden-Blumen auftauen. Und Sie alle wissen, dass wir sie dann nicht mehr daran hindern können, dorthin zurückzukehren, wo sie hergekommen sind.«

»Sie meinen«, fragte ein dritter,»dass unsere Kälte jetzt nicht mehr ausreicht, die Vorräte tiefgekühlt zu halten?«

»Wir sind leider nur sechs«, erwiderte der zweite Herr,»und Sie können sich selbst ausrechnen, wie viel wir ausrichten können. Mir scheint, es war ziemlich voreilig unsere Anzahl derartig rigoros zu vermindern. Wir werden nichts dabei gewinnen.«

»Für eine von beiden Möglichkeiten mussten wir uns entscheiden«, rief der erste Herr,»und wir haben uns entschieden.«

Wieder entstand eine Stille.

»So werden wir also nun vielleicht jahrelang sitzen und nichts tun, als uns gegenseitig bewachen«, meinte einer.»Ich muss gestehen - eine trostlose Vorstellung.«

Momo dachte nach. Hier nur zu sitzen und weiter zu warten, hatte gewiss keinen Sinn. Wenn es keine grauen Herren mehr gab, dann würden die Stunden-Blumen also von selbst auftauen. Aber vorläufig gab es die grauen Herren ja noch. Und es würde sie immer weiter geben, wenn sie nichts tat. Aber was konnte sie tun, da die Tür zu den Vorratsspeichern ja offen stand und die Zeit-Diebe sich nach Belieben Nachschub holen konnten? Kassiopeia strampelte und Momo schaute sie an.

»du machst die tür zu!«, stand auf ihrem Panzer.

»Das geht nicht!«, flüsterte Momo.»Sie ist doch unbeweglich.«

»mit der blume berühren!«, war die Antwort.

»Ich kann sie bewegen, wenn ich sie mit der Stunden-Blume berühre?«, wisperte Momo.

»du wirst es tun«, stand auf dem Panzer.

Wenn Kassiopeia es vorauswusste, dann musste es wohl auch so sein. Momo setzte die Schildkröte vorsichtig auf den Boden. Dann steckte sie die Stunden-Blume, die inzwischen schon ziemlich welk war und nicht mehr sehr viele Blütenblätter hatte, unter ihre Jacke.

Ungesehen von den sechs grauen Herren gelang es ihr, unter den langen Konferenztisch zu kriechen. Dort lief sie auf allen Vieren weiter, bis sie das andere Ende des langen Tisches erreichte. Nun saß sie zwischen den Füßen der Zeit-Diebe. Das Herz klopfte ihr zum Zerspringen. Leise, leise zog sie die Stunden-Blume hervor, nahm sie zwischen die Zähne und krabbelte zwischen den Stühlen hindurch, ohne dass einer der grauen Herren es bemerkte.

Sie erreichte die offen stehende Tür, berührte sie mit der Blüte und schob gleichzeitig mit der Hand. Die Tür drehte sich geräuschlos in ihren Angeln, drehte sich wirklich und fiel donnernd ins Schloss. Der Hall löste ein vielfaches Echo im Saal und in den tausend unterirdischen Gängen aus.

Momo sprang auf. Die grauen Herren, die nicht im Entferntesten damit gerechnet hatten, dass außer ihnen noch irgendein anderes Wesen vom völligen Stillstand ausgenommen sein könnte, saßen vor Schreck erstarrt auf ihren Stühlen und stierten das Mädchen an.

Ohne sich zu besinnen, rannte Momo an ihnen vorbei auf den Ausgang des Saales zu. Und nun rafften sich auch die grauen Herren auf und jagten hinter ihr drein.

»Das ist doch dieses schreckliche kleine Mädchen!«, hörte sie einen rufen.»Das ist Momo!«

»Das gibt es nicht!«, schrie ein anderer.»Wieso kann sie sich bewegen?«

»Sie hat eine Stunden-Blume!«, brüllte ein dritter.

»Und damit«, fragte der vierte,»konnte sie die Tür bewegen?«Der fünfte schlug sich wild vor den Kopf:

»Dann hätten wir das ja auch gekonnt! Wir haben doch genügend davon!«

»Gehabt, gehabt!«, kreischte der sechste,»aber jetzt ist die Tür zu! Es gibt nur noch eine Rettung: Wir müssen die Stunden-Blume des Mädchens kriegen, sonst ist alles aus!«

Inzwischen war Momo schon irgendwo in den Gängen verschwunden, die sich immer wieder verzweigten. Aber hier wussten die grauen Herren natürlich besser Bescheid. Momo jagte kreuz und quer, manchmal lief sie einem Verfolger fast in die Arme, aber immer wieder gelang es ihr zu entwischen.

Und auch Kassiopeia beteiligte sich auf ihre Art an diesem Kampf. Sie konnte zwar nur langsam krabbeln, aber da sie ja immer im Voraus wusste, wo die Verfolger laufen würden, erreichte sie die Stelle rechtzeitig und legte sich so in den Weg, dass die Grauen über sie stolperten und sich auf dem Boden überkugelten. Die Nachkommenden fielen über die Liegenden und so rettete die Schildkröte mehrmals das Mädchen vor dem fast schon sicheren Gefasstwerden. Natürlich flog sie dabei selbst oft, von einem Fußtritt getroffen, gegen die Wand. Aber das hielt sie nicht ab, weiterhin das zu tun, wovon sie eben vorherwusste, dass sie es tun würde.

Bei dieser Verfolgung verloren einige der grauen Herren - besinnungslos vor Gier nach der Stunden-Blume - ihre Zigarren und lösten sich, einer nach dem andern, in Nichts auf. Schließlich waren nur noch zwei von ihnen übrig.

Momo war in den großen Saal mit dem langen Tisch zurückgeflohen. Die beiden Zeit-Diebe verfolgten sie rund um den Tisch, konnten sie aber nicht einholen. Dann teilten sie sich und liefen in entgegengesetzten Richtungen.

Und nun gab es für Momo kein Entrinnen mehr. Sie stand in eine Ecke des Saales gepresst und blickte den beiden Verfolgern angsterfüllt entgegen. Die Blume hielt sie an sich gedrückt. Nur noch drei schimmernde Blütenblätter hingen daran.

Der erste Verfolger wollte eben die Hand nach der Blume ausstrecken, als der zweite ihn zurückriss.

»Nein«, schrie er,»mir gehört die Blume! Mir!«

Die beiden fingen an sich gegenseitig zurückzureißen. Dabei schlug der erste dem zweiten die Zigarre aus dem Mund und der drehte sich mit einem geisterhaften Wehlaut um sich selbst, wurde durchsichtig und verschwand. Und nun kam der letzte der grauen Herren auf Momo zu.

In seinem Mundwinkel qualmte noch ein winziger Stummel.

»Her mit der Blume!«, keuchte er, dabei fiel ihm der winzige Stummel aus dem Mund und rollte fort. Der Graue warf sich auf den Boden und grapschte mit ausgestrecktem Arm danach, konnte ihn aber nicht mehr erreichen. Er wandte Momo sein aschengraues Gesicht zu, richtete sich mühsam halb auf und hob zitternd seine Hand.

»Bitte«, flüsterte er,»bitte, liebes Kind, gib mir die Blume!«

Momo stand noch immer in die Ecke gepresst, drückte die Blume an sich und schüttelte, keines Wortes mehr mächtig, den Kopf.

Der letzte graue Herr nickte langsam.»Es ist gut«, murmelte er,»es ist gut -, dass nun - alles - vorbei - ist - - -«

Und dann war auch er verschwunden.

Momo starrte fassungslos auf die Stelle, wo er gelegen hatte. Aber dort krabbelte jetzt Kassiopeia, auf deren Rücken stand:»du machst die tür auf.«

Momo ging zu der Tür, berührte sie wieder mit ihrer Stunden-Blume, an der nur noch ein einziges, letztes Blütenblatt hing und öffnete sie weit.

Mit dem Verschwinden des letzten Zeit-Diebes war auch die Kälte gewichen.

Momo ging mit staunenden Augen in die riesigen Vorratsspeicher hinein. Unzählige Stunden-Blumen standen hier wie gläserne Kelche aufgereiht in endlosen Regalen und eine war herrlicher anzusehen als die andere und keine war einer anderen gleich - Hunderttausende, Millionen von Lebensstunden. Es wurde warm und wärmer wie in einem Treibhaus.

Während das letzte Blatt von Momos eigener Stunden-Blume abfiel, begann mit einem Mal eine Art Sturm. Wolken von Stunden-Blumen wirbelten um sie her und an ihr vorüber. Es war wie ein warmer Frühlingssturm, aber ein Sturm aus lauter befreiter Zeit.

Momo schaute wie im Traum umher und sah Kassiopeia vor sich auf dem Boden. Und auf ihrem Rückenpanzer stand in leuchtender Schrift:»fliege heim, kleine momo, fliege heim!«

Und dies war das Letzte, was Momo von Kassiopeia sah. Denn nun verstärkte sich der Sturm der Blüten ganz unbeschreiblich, wurde so gewaltig, dass Momo aufgehoben und davongetragen wurde, als sei sie selbst eine der Blumen, hinaus, hinaus aus den finsteren Gängen, hinauf über die Erde und hinauf über die große Stadt. Sie flog dahin über die Dächer und Türme in einer riesigen Wolke aus Blumen, die immer größer und größer wurde. Und es war wie ein übermütiger Tanz nach einer herrlichen Musik, in dem sie auf und nieder schwebte und sich um sich selbst drehte.

Dann senkte sich die Blütenwolke langsam und sacht hernieder und die Blumen fielen wie Schneeflocken auf die erstarrte Welt. Und wie Schneeflocken, so lösten sie sich sanft auf und wurden wieder unsichtbar, um dorthin zurückzukehren, wohin sie eigentlich gehörten: in die Herzen der Menschen.

Im selben Augenblick begann die Zeit wieder und alles regte und bewegte sich von neuem. Die Autos fuhren, die Verkehrsschutzleute pfiffen, die Tauben flogen und der kleine Hund am Lichtmast machte sein Bächlein.

Davon, dass die Welt für eine Stunde still gestanden hatte, hatten die Menschen nichts bemerkt. Denn es war ja tatsächlich keine Zeit verstrichen zwischen dem Aufhören und dem neuen Beginn. Es war für sie vorübergegangen wie ein Wimpernschlag.

Und doch war etwas anders geworden als vorher. Alle Leute hatten nämlich plötzlich unendlich viel Zeit. Natürlich war darüber jedermann außerordentlich froh, aber niemand wusste, dass es in Wirklichkeit seine eigene gesparte Zeit war, die nun auf wunderbare Weise zu ihm zurückkehrte.

Als Momo wieder recht zur Besinnung kam, fand sie sich auf einer Straße wieder. Es war die Seitenstraße, wo sie vorher Beppo gefunden hatte und wirklich, dort stand er noch! Stand mit dem Rücken zu ihr, auf seinen Besen gestützt und schaute nachdenklich vor sich hin, ganz wie früher. Er hatte es auf einmal gar nicht mehr eilig und konnte sich selbst nicht erklären, wieso er sich plötzlich so getröstet und voller Hoffnung fühlte.

Vielleicht, dachte er, habe ich jetzt die hunderttausend Stunden eingespart und Momo freigekauft.

Und genau in diesem Augenblick zupfte ihn jemand an der Jacke und er drehte sich um und die kleine Momo stand vor ihm.

Es gibt wohl keine Worte, die das Glück des Wiedersehens beschreiben können. Beide lachten und weinten abwechselnd und redeten fortwährend durcheinander und natürlich lauter dummes Zeug, wie das eben so ist, wenn man vor Freude wie betrunken ist. Und sie umarmten sich immer wieder und die Leute, die vorübergingen, blieben stehen und freuten sich und lachten und weinten mit, denn sie hatten ja nun alle genügend Zeit dazu.

Endlich schulterte Beppo seinen Besen, denn es versteht sich wohl von selbst, dass er für diesen Tag nicht mehr ans Arbeiten dachte. So wanderten die beiden Arm in Arm durch die Stadt, heimwärts zum alten Amphitheater. Und jeder hatte dem anderen unendlich viel zu erzählen.

Und in der großen Stadt sah man, was man seit langem nicht mehr gesehen hatte: Kinder spielten mitten auf der Straße und die Autofahrer, die warten mussten, guckten lächelnd zu und manche stiegen aus und spielten einfach mit. Überall standen Leute, plauderten freundlich miteinander und erkundigten sich ausführlich nach dem gegenseitigen Wohlergehen. Wer zur Arbeit ging, hatte Zeit, die Blumen in einem Fenster zu bewundern oder einen Vogel zu füttern. Und die Ärzte hatten jetzt Zeit, sich jedem ihrer Patienten ausführlich zu widmen. Die Arbeiter konnten ruhig und mit Liebe zur Sache arbeiten, denn es kam nicht mehr darauf an, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit fertig zu bringen. Jeder konnte sich zu allem so viel Zeit nehmen, wie er brauchte und haben wollte, denn von nun an war ja wieder genug davon da.

Aber viele Leute haben nie erfahren, wem das alles zu verdanken war, und was in Wirklichkeit während jenes Augenblicks, der ihnen wie ein Wimpernschlag vorkam, geschehen ist. Die meisten Leute hätten es wohl auch nicht geglaubt. Geglaubt und gewusst haben es nur Momos Freunde.

Denn als die kleine Momo und der alte Beppo an diesem Tag ins alte Amphitheater zurückkamen, waren sie alle schon da und warteten: Gigi Fremdenführer, Paolo, Massimo, Franco, das Mädchen Maria mit dem kleinen Geschwisterchen Dedé, Claudio und alle anderen Kinder, Nino, der Wirt, mit Liliana, seiner dicken Frau und seinem Baby, Nicola, der Maurer und alle Leute aus der Umgebung, die früher immer gekommen waren und denen Momo zugehört hatte. Dann wurde ein Fest gefeiert, so vergnügt, wie nur Momos Freunde es zu feiern verstehen und es dauerte, bis die alten Sterne am Himmel standen. Und nachdem der Jubel und das Umarmen und Händeschütteln und Lachen und Durcheinanderschreien sich gelegt hatte, setzten alle sich rundherum auf die grasbewachsenen steinernen Stufen. Es wurde ganz still.

Momo stellte sich in die Mitte des freien runden Platzes. Sie dachte an die Stimmen der Sterne und an die Stunden-Blumen. Und dann begann sie mit klarer Stimme zu singen.

Im Nirgend-Haus aber saß Meister Hora, den die zurückgekehrte Zeit aus seinem ersten und einzigen Schlaf erweckt hatte, auf seinem Stuhl an dem kleinen zierlichen Tischchen und schaute Momo und ihren Freunden lächelnd durch seine Allsicht-Brille zu. Er war noch sehr blass und sah aus, als sei er eben von einer schweren Krankheit genesen. Aber seine Augen strahlten.

Da fühlte er, wie etwas ihn am Fuß berührte. Er nahm seine Brille ab und beugte sich hinunter. Vor ihm saß die Schildkröte.

»Kassiopeia«, sagte er zärtlich und kraulte sie am Hals,»das habt ihr beide sehr gut gemacht. Du musst mir alles erzählen, denn diesmal konnte ich euch ja nicht zusehen.«

»später!«, stand auf dem Rückenpanzer. Dann nieste Kassiopeia.

»Du hast dich doch nicht etwa erkältet?«, fragte Meister Hora besorgt.

»und wie!«, war Kassiopeias Antwort.

»Das wird durch die Kälte der grauen Herren gekommen sein«, meinte Meister Hora.»Ich kann mir denken, dass du sehr erschöpft bist und dich erst einmal gründlich ausruhen möchtest. Also ziehe dich ruhig zurück.«

»danke!«, stand auf dem Panzer.

Dann hinkte Kassiopeia davon und suchte sich einen stillen und dunklen Winkel. Sie zog ihren Kopf und ihre vier Glieder ein und auf ihrem Rücken, für niemand mehr sichtbar als nur für den, der diese Geschichte gelesen hat, erschienen langsam die Buchstaben: