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Wieder war die Gehmaschine in Charlottenburg. Mit flotten S-Bahnfahrten ist es nichts mehr. Gleich nach den ersten Versuchen ging etwas kaputt: die Bahn streikt wieder. Wir haben fleißig geschafft. Unsere Entwürfe und Vorschläge sollen nun bei allen möglichen zuständigen Ämtern eingereicht werden.
Eine neue Erfahrung wurde mir unterwegs zuteil. Aus einem Rasenplatz wurden Leichen ausgehoben zwecks Umbettung auf einen Friedhof. Eine Leiche lag bereits auf dem Schutt. Ein lehmiges, längliches Bündel in Segeltuch. Der ausgrabende Mann, ein älterer Zivilist, wischte sich den Schweiß mit seinen Hemdärmeln und fächelte sich mit seiner Kappe Luft zu. Zum ersten Mal verspürte ich, wie Menschenaas riecht. In allen möglichen Schilderungen hab ich den Ausdruck »süßlicher Leichengeruch« gefunden. Ich finde das Beiwort »süßlich« ungenau und keineswegs ausreichend. Mir kommt dieser Dunst gar nicht wie ein Geruch vor; eher wie etwas Festes, Dickliches, wie ein Luftbrei, ein Brodem, der sich vor dem Gesicht und den Nüstern staut; der zu stockig und dicht ist, um eingeatmet zu werden. Es verschlägt einem die Luft. Es stößt einen zurück wie mit Fäusten.
Überhaupt stinkt Berlin jetzt sehr. Der Typhus geht um; die Ruhr läßt kaum jemanden aus. Herrn Pauli hat sie kräftig erwischt. Und die Grindige ist, wie ich abends hörte, abgeholt worden, sie soll in irgendeiner Typhusbaracke liegen. Überall fliegenverseuchte Müllfelder. Fliegen über Fliegen, blauschwarz und fett. Muß das ein Leben für die Biester sein! Jeder Kotkrümel ist eine summende, schwarzwimmelnde Kugel.
Eine Parole hat die Witwe gehört, sie geht derzeit in Berlin um: »Die strafen uns mit Hunger dafür, daß etliche Werwölfe in diesen Tagen auf Russen geschossen haben.« Ich glaube nicht daran. In unserer Gegend sieht man überhaupt keine Russen mehr, da wäre gar keine Beute für Werwölfe. Ich weiß nicht, wo die Iwans geblieben sind. Die Witwe behauptet, daß die eine der beiden in unserem Haus verbliebenen Jubelschwestern, Anja mit dem niedlichen Söhnchen, nach wie vor fleißig anschleppenden Russenbesuch bekomme. Wer weiß, ob das gutgeht. Ich sehe Anjas weiße Gurgel im Geiste schon aufgeschlitzt über der Sofalehne.
(Ende Juni an den Rand gekritzelt: Nicht Anja und nicht Gurgel, aber eine Inge, zwei Häuser weiter, nach einer Saufnacht mit vieren, Unbekannten, bisher nicht Entdeckten, am Morgen mit zerklopftem Schädel aufgefunden. Erschlagen mit einer - natürlich leeren - Bierflasche. Bestimmt nicht aus Bosheit oder Mordgier, sondern einfach so, vielleicht im Streit um die Reihenfolge. Oder diese Inge hat über ihre Besucher gelacht. Betrunkene Russen sind gefährlich, sie sehen rot, wüten gegen sich und gegen jeden, wenn gereizt.)