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»Der Witz ist das einzige Ding, was um so weniger gefunden wird, je eifriger man es sucht«, erfuhr schon Friedrich Hebbel. Er war der erfolgreichste Autodidakt der deutschen Literaturgeschichte, arbeitete sich vom Maurerlehrling zum bedeutendsten Dramatiker des 19. Jahrhunderts hoch. In seinen Stücken ist der Mensch der Vernichtung preisgegeben, wenn er seine Aufgabe in dieser Welt erfüllt hat.
Um diesem Schicksal zu entgehen, haben wir uns eilends an eine Fortsetzung des Buches >Ganz Deutschland lacht! 50 deutsche Jahre im Spiegel ihrer Witze< gemacht. Zum Glück hatten wir ja bei unserer ersten Ernte auf den fetten Weiden der Erinnerung nicht alles abgegrast. Wir folgten also weiter den Spuren des Gelächters. Wo immer gelacht wurde, forschten wir, fragten Prominente und andere Kundige nach ihren Witzen. So fanden wir viele Lieblingswitze der Deutschen, die wir in diesem Buch vereinen. Auf einem zweiten Bildungsweg haben wir in diesem Buch Witze mit Themen gekoppelt, deren Ernsthaftigkeit nicht unbedingt Witz vermuten ließ. Wenn die Wirtschaft zum Beispiel »unser Schicksal« ist, kann sie dann trotzdem witzig sein?
Ein Mann erhält einen Anruf: »Ist da Rothschild?«
Sagt der Angerufene: »Großer Gott, sind Sie falsch verbunden!«
Bei manchen dieser Fundsachen fielen wir in tiefe Zweifel. Worüber lachen wir in Deutschland eigentlich? Wissen wir immer so genau, was ein guter Witz ist? Als ich mich bei meiner Bäckersfrau beschwerte, die Brötchen seien aber heute sehr klein geraten, sagte sie: »Ach, wissen Sie, Herr Thoma, man steckt da nicht drin.«
Können andere das auch witzig finden?
Jean Paul hat gesagt: »Der Witz ist ein verkleideter Priester, der jedes Paar traut.« Und der Philosoph Friedrich Theodor Vischer fügte hinzu: »Die Paare am liebsten, deren Verbindung die Verwandten nicht dulden wollen.«
Das ist witzig, erklärt uns aber wenig.
George Orwell hat geschrieben, jeder Witz sei eine winzige Revolution. Das klingt kühn, aber der Versuch, diesen Satz zu belegen, könnte eine Dissertation herausfordern.
Clausewitz, nomen est omen, hat den Witz mit der Kriegslist verglichen: »Wie der Witz eine Taschenspielerei mit Ideen und Vorstellungen ist, so ist die List eine Taschenspielerei mit Handlungen.« Das leuchtet ein. Aber es bringt uns auch nicht viel weiter.
Wann und wo habe ich zuletzt gelacht? Wer zuletzt lacht, soll ja im Vorteil sein. Gelacht habe ich über die Kleinanzeige in der >WAZ<: »Raumpflegerin für den Raum Castrop-Rauxel gesucht.«
Neulich sagte mir jemand auf die Frage, wie es ihm gehe: »Schlecht! Mein Hund hat Flöhe, und ich habe die Grippe.«
»Hätten Sie es lieber umgekehrt?«, habe ich zurückgefragt.
War das schon ein Witz? Oder kostet Sie das als Leser nur ein müdes Lächeln?
Über was können wir in Deutschland in diesem neuen Jahrtausend lachen? Warum kann der Mensch überhaupt lachen? Nietzsche hat gesagt, der Mensch leide so tief, dass er das Lachen erfinden musste. Lachen als Notwehr also. Und der Philosoph Henri Bergson schrieb: »Das Lachen würde seinen Zweck verfehlen, wenn es von Sympathie und Güte gekennzeichnet wäre.« Ist Lachen Hochmut, wie Cicero meinte, oder hat der fröhliche rheinländische Kunsthistoriker, Professor Heinrich Lützeler, recht, der rühmte, dass Lachen Pathos und Selbstüberschätzung zerstöre? Das Lächeln steht vergleichsweise strahlend da, ist Teil der Körpersprache, signalisiert Freundlichkeit und Zutrauen. Aber warum lachen wir?
Unbestritten dürfte sein, dass Lachen zu einer Entwicklungsstufe gehört, in der wir Menschen den Tieren intellektuell überlegen wurden. So mögen wir dem Verhaltensforscher Konrad Lorenz zustimmen, der meinte: »Das Lachen entspricht dem Triumphgeschrei der Gänse.«
Aber sonst haben wir lachend mit Tieren nichts gemeinsam. Der Mensch ist bekanntlich das einzige Lebewesen, das lachen kann. Deswegen spricht man ja vom tierischen Ernst. Wenn wir einen Hund anlachen, kann das sogar gefährlich werden, weil der das für Zähneblecken halten kann. Und die Hühner lachen auch nicht wirklich.
Bargeld dagegen lacht, sagt der Kaufmann. Das heißt: Lachen ist vor allem eine Reaktion der Freude. Wenn es jedoch ironisch, zynisch, höhnisch klingt, fühlen wir uns als Autoren dieses Buches nur noch bedingt zuständig. Da begegnen wir einer speziellen Form des Lachens, der Schadenfreude. Sie meinte der französische Nobelpreisträger Henri Bergson wohl, als er anmerkte, Witz sei doch immer die Degradierung eines anderen.
Aber auch Schadenfreude kann etwas sehr Befreiendes haben. Slapstick-Filme oder Comic-Strips wie >Tom & Jerry< leben davon, selbst Wilhelm Busch wäre ohne dieses Lustgefühl nie erfolgreich geworden. Es genügt aber auch ein Esel, der einen kurzen Auftritt auf einer Theaterbühne hat und dabei hingebungsvoll Wasser lässt. Das Gelächter ist garantiert. Aber was haben wir davon?
»Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts«, schrieb Immanuel Kant. »Es gibt ein überlegenes und unterlegenes Lachen«, urteilte der Freiburger Professor Lutz Röhrich. Wir kennen ja auch die Erklärung, Lachen sei aus Siegesfreude entstanden. Mir gefällt immer noch gut, was Chris Howland in unserem ersten Buch >Ganz Deutschland lacht!< über die mögliche Entstehung des Lachens dazu eingefallen ist: Er stellt sich vor, dass einer unserer noch affenähnlichen Vorfahren auf einer Bananenschale ausrutschte. Ein Artgenosse beobachtete den Sturz und begleitete seine Erheiterung mit einem Glucksen. Das erste menschliche Lachen.
Mittlerweile lachen alle Menschen gern. Wer nichts zu lachen hat, ist arm dran. Er wird womöglich ausgelacht, wird damit zum Außenseiter. Der Mensch braucht das Lachen, nimmt ohne Lachen Schaden. Was Kant noch nicht wusste: Lachen ist nicht überflüssig, es dient der Gesundheit, weil es das Immunsystem stärkt. Das versichert jeden-falls der Immunbiologe Professor Uhlenbruck in diesem Buch. Wir lachen die Dinge tot, die uns krank machen oder kränken. Man kann natürlich auch das übertreiben, kann einen Lachanfall kriegen, einen Lachkrampf, sich sogar totlachen, wenn man keine Luft mehr bekommt und vor Lachen platzt. Aber wer hat das schon erlebt? Und Lachsalven haben mit dem Totlachen nichts zu tun.
Nein, wir lassen uns gern bestätigen, dass Lachen gesund ist. Damit haben wir eigentlich ein Gesundheitsbuch geschrieben. Richtig ist auch, dass beim Lachen rund 80 unserer 656 Muskeln gebraucht und damit trainiert werden, Muskeln, die wir außer durch das Lachen kaum so ausgiebig bewegen können.
Kann man Lachen lernen? Meyers Konversationslexikon von 1900 nennt Lachen eine »eigentümliche Modifikation der Atembewegungen, bei der die Ausatmung in mehreren schnell hintereinander folgenden Stößen unter mehr oder weniger starkem Schall ausgeführt wird, während die Einatmung meist in einem kontinuierlichen, etwas beschleunigten und tiefen Zuge geschieht.« So komisch ist also Lachen. Aber es geht noch weiter: »Diese Bewegung ist stets mit einer Zusammenziehung der mimischen Gesichtsmuskeln verbunden, die im wesentlichen auf eine Verbreiterung der Mundspalte und Hebung der Mundwinkel hinausläuft.« Selten so gelacht! Das klingt, als sei »lachhaft« eine Strafform, zu der man verurteilt werden kann, und da könnte einem glatt das Lachen vergehen. Der russische Gelehrte Fjodor Abramow beschrieb 1909 das Lachen sogar als eine Art Unglücksfall: »Lachen besteht in der Störung der Atembewegungen, hervorgerufen durch die rhythmische Zusammenziehung des Zwerchfells.« Ein Witz zum Üben:
Der steinreiche alte Junggeselle kommt spät nach Hause. Der Diener, der lange gewartet hat, hilft ihm aus dem Mantel und murmelt: »Na, du stocktaubes Schwein, wieder bei den Weibern gewesen und das Geld verspielt?« Sagt der Alte: »Nein, Johann, in der Stadt gewesen, Hörgerät gekauft!«
Im Mittelalter sah man das Lachen oft als Sünde an. Anfang des 20. Jahrhunderts, so darf man aus den Zitaten schließen, stand das Lachen offenbar immer noch nicht hoch im Kurs. Dabei berief man sich gerade in jener Zeit auf die antiken Vorbilder des Abendlandes. Aus den ehrwürdigen Gemäuern des Altertums schallt das homerische Gelächter zu uns herüber. Der Dichter Homer beschrieb es als »unauslöschliches Gelächter der seligen Götter« und malte damit eine vergnügliche Vorstellung himmlischer Zustände. Kollege Plato tadelte diese »Enthemmung«, mit der die Himmelsbewohner ein schlechtes Vorbild gäben. Man könnte glauben, unsere abendländischen Vorfahren hätten sich geschämt, wenn sie lachen mussten.
Max Frisch fragt in seinen Tagebüchern: »Kennen Sie ein Anzeichen dafür, dass Gott Humor hat?« Das Bejahen unterstellte, dass Gott auch Witze macht. Aber das wollen wir, auch wenn es uns manchmal so vorkommen mag, doch nicht vermuten. Vor allem: Witz und Humor setzen immer menschliche Schwächen voraus. Und die bleiben uns Erdenbürgern vorbehalten.
Aber Humor macht auch stark. Ich behaupte: Wer Humor hat, lässt sich zum Beispiel schwer mobben. Der Angreifer hat keine Chance, taumelt ins Leere und gerät zu einer komischen Figur.
Lachen ist ein demokratischer Vorgang - es belebt selbst den Bundestag. Im streng humorlosen Nationalsozialismus dagegen gab es keine Debatten mehr, sondern nur noch Kundgebungen. Alles war Teil eines großen Schauspiels, eine Theaterform der Rhetorik mit Aufmärschen und Marschmusik, Fahnen, Fanfaren, Pauken und Trommeln. Schon Tacitus schrieb: »Herrscht das Volk, regiert die Rede, herrscht Despotismus, dann regiert der Trommelwirbel.«
Das Gelächter erhielt eine ganz neue Funktion, stellte der Germanist Hans Mayer fest. Während die klassischen Redner mit Heiterkeit und Ironie wirken wollen, zielten Hitler und Goebbels auf das brüllende Gelächter, das vernichtet. Sie wollten ihre Gegner auslachen und entwickelten das Schlagwort als gefährliche Waffe. Der Nachdenkliche, der Intellektuelle, der Argumentierende, der Witzige, sie wurden die eigentlichen Feinde. Sie sollten nichts mehr zu lachen haben.
Immanuel Kant hat notiert: »Es muss in allem, was ein lebhaft erschütterndes Lachen erregen soll, etwas Widersinniges sein.«
Als ich vor kurzem in Gedanken an dieses Manuskript in einen leichten Schlummerschlaf fiel, sah ich bewaffnete Demonstrantengruppen durch meine Traumlandschaft aufeinander zutraben. Sie gerieten sich in die Haare oder vielleicht auch nur in die Glatzen. Die Anführer stürmten Parolen brüllend aufeinander zu. Doch dann verhedderten sie sich in ihren rasselnden Fahrradketten, rutschten auf dem wolkigen Untergrund aus oder stolperten mit ihrem Ungestüm und fielen - platsch! - auf den Bauch. Und plötzlich mussten all die grimmigen Kämpfer hinter ihnen lachen. Sie hielten sich wiehernd die Bäuche vor Lachen. Die Häuptlinge hatten mit diesem Missgeschick jede Autorität verloren. Dem folgenden Gelächter hielt keine Ideologie stand. Das Lachen wirkte im Sinne des Wortes entwaffnend. Die Kämpfer lachten sich hustend an und klopften sich freundschaftlich auf die Schulter. Wer lachen muss, kann nicht mehr böse sein, da zerbröseln Aggressionen und Missmut. So einen Erfolg mit Lachen zu erreichen, das wäre doch etwas.
Der Grieche Demokritos vertrat eine Philosophie des seelischen Gleichgewichts. Ziel aller Erkenntnisse und Lebensweisheit sei die Gemütsruhe. Er soll sich stets amüsiert haben, wenn er andere Menschen sah. Bei Kindern gilt das als unartig, aber ihn nannte man deswegen den »lachenden Philosophen«.
Heutzutage, auch wenn wir mit der Lampe des Diogenes gesucht hätten, könnten wir keinen lachenden Philosophen finden. Das heißt, wir wollen nicht zu früh resignieren, vielleicht gibt es doch einen: Peter Sloterdijk schlägt sich mit seinem Satz vor: »Nur die Hochmütigen weigern sich, Unsinn zu reden«.
Ihm folgen wir gern. So haben wir uns wacker bemüht, dem Vorwurf des Hochmuts zu entgehen und allerlei Unsinn zu versammeln. Wir haben auch Witziges aus Privatbesitz gesucht. Und auch dabei waren wir erfolgreich, wurden zu lachenden Nutznießern. Wir können unsere Mitwisser oder Mitwitzer nicht alle nennen. Wir möchten aber allen herzlich danken. Auch mit ihrer Hilfe lacht Deutschland nun hoffentlich weiter.
Wir widmen diese Fortsetzung Michael Lentz, unserem Freund und Mitautor, Professor an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Er ist leider schon während der ersten Vorbereitungen zu diesem zweiten Buch gestorben. Er hat gern gelebt. Er hat gern gelacht. Wir haben um ihn geweint.
Dieter Thoma
Millenniumsangst und Krisenwitz: Ganz Deutschland lacht sich ins neue Jahrtausend
Der Tag beginnt wie alle anderen Tage. Als müsse er erst angeschoben werden. Wolken verbergen den Sonnenaufgang, das Wetter ist so trübe wie schon im vergangenen Jahrtausend. Nichts macht diesen Tag außergewöhnlich. Dabei haben wir in der Nacht angeblich einen Jahrtausendwechsel erlebt, kamen mit ihm nicht mehr nur in die Jahre, sondern in die Jahrtausende.
Solch ein Datum hat es in unserer geschichtlichen Zeitrechnung erst zum zweiten Mal gegeben. Das erste Mal liegt schon hinter uns. Tausend Jahre eben. Aber fängt so, wie wir es erleben, wirklich ein neues Jahrtausend an?
Natürlich hatten die Mathematiker recht, wenn sie diesen Zeitpunkt nicht im Jahr 2000, sondern erst 2001 sahen. Die Zeitenwende begann wie als Erfüllung apokalyptischer Vorhersehungen. Im Jahr 2001 wurde der »11. September« durch terroristische Anschläge auf schreckliche Weise zum »Wort des Jahres«. Aber in unserer Computerwelt schienen die Toilettenzahlen 00 des Jahres 2000 zunächst wichtiger zu sein als die 01 der Puristen.
Das Millennium schürte Ängste, die denen des mittelalterlichen Jahres 1000 nur in wenig nachstanden. Das Datum lockte zahllose falsche Propheten aus der Deckung. Der 1999 gestorbene Johannes Gross hatte schon vorher entdeckt, das Gewerbe der Seherin Kas-sandra werde mittlerweile ein »anerkannter Heilberuf«. Nur dass die meisten Ansager des Unheils weniger den Weltuntergang fürchteten als einen Weltstillstand, herbeigeführt durch einen Computercrash. Die Zahlen 00, so meinten die Seher, müssten unsere technischen Gehilfen in die Jugendstilzeit des Jahres 1900 zurückwerfen und so verwirren, dass sie ihren Dienst versagen. Es sei zu erwarten, dass sie verrückt spielen, Atomraketen fliegen lassen, Ex- und Implosionen erzeugen, dass sie alle wichtigen Daten löschen, die unser Leben bestimmen, die Gehalts- und Rentenzahlungen stoppen. Sie könnten das Leben richtig lebensgefährlich machen.
Die aufgeschreckte Menschheit sorgte darum vor. Lebensmittel und Wasser wurden gehortet, Heizmaterial besorgt, falls die Ölheizungen versagen. Und die Fahrpläne wurden geändert. Die deutsche Bahn ließ vorsichtshalber über Mitternacht alle ihre Züge anhalten. Auch ohne die 00 im Computer entgleisen ja normale Züge heutzutage ohnehin schon häufiger als früher. Das Königlich-Bayerische Medizinalkollegium schrieb bereits 1835 in weiser Voraussicht: »Ortsveränderung mittels irgendeiner Art von Dampfmaschinen sollte im Interesse der öffentlichen Gesundheit verboten sein.«
Und dann entpuppte sich die Angst vor dem Datum 00 als der Witz des Jahrtausends. Die Computer waren besser als ihr Ruf. Und die Menschen fragten sich, warum sie eigentlich diesen Jahreswechsel als so wichtig eingeschätzt hatten.
Erst 2001 sollten wir uns an den Bonner Kunsthistoriker Professor Lützeler erinnern. Der hatte beschrieben, dass der Witz gerade in Notzeiten immer wichtig und hilfreich war:
Schäl kommt Anfang 1945 in voller Marschausrüstung auf die Rheinbrücke zu. Tünnes wartet da, an das Brückengeländer gelehnt. Er fragt voller Verwunderung:
»Warum läufst du denn so?«
Schäl antwortet düster: »Ich eile an die Front.«
Da sagt Tünnes: »Da brauchst du doch nicht so zu laufen — die kommt doch hier vorbei!«
Oder wie der Münchner Kabarettist Weiß-Ferdl 1944 sagte: »Wer heute noch lebt, ist selber schuld dran. Bomben sind doch genug gefallen.«
Auch die Engländer kehrten nach dem Jahrtausendwechsel ohne größere Umstände in den Alltag zurück und kürten die folgende Geschichte zum Witz des Jahres 2001:
Sherlock Holmes und sein Assistent Dr. Watson zelten. Mitten in der Nacht weckt Holmes seinen Begleiter auf und sagt: »Siehst du die Sterne über uns? Sag mir, was du daraus schließt!« Dr. Watson holt weit aus. »Zehntausende, was sag' ich, Millionen von Sternen sehe ich da oben. Und wenn nur ein winziger Prozentsatz davon Planeten sind, so besteht doch die große Chance, dass irgendwo in der Unendlichkeit dort auch Leben ist wie bei uns hier auf dem Planeten Erde. Vielleicht überlegen dort gerade Lebewesen dasselbe wie wir. Und was siehst du?« Darauf sagt Sherlock Holmes: »Jemand hat uns das Zelt geklaut!«
Einem namhaften Politiker brachte auch das Jahr 2000 schon Unglück: Es traf den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl. Und mit ihm seine Partei.
Kohl musste eingestehen, Millionen an Spendengeldern nicht gemeldet und eigenmächtig verteilt zu haben. Die Nation erregte sich über sein Ehrenwort zugunsten anonymer Geldspender, über schwarze Kassen und kriminell erscheinende Machenschaften. Betroffen waren zusätzlich einige Politiker, die speziell für law and order zuständig gewesen waren. Da hat wieder einmal die Wirklichkeit all das überboten, was sich Witzemacher und Kabarettisten je ausdenken können. Es hieß:
Wer künftig wählen geht, muss juristische Konsequenzen fürchten. Wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.
Oder die Oma, die sich erinnert:
Dabei ist der Kohl doch immer so brav in die Kirche gegangen. Vielleicht waren es schwarze Messen . . .
Es wurde die Frage gestellt:
Was ist der Unterschied zwischen Retortenkindern und der CDU? - Keiner. Beide kennen ihre Spender nicht.
Und bei Frau Professor Noelle-Neumann in Allensbach lief angeblich die schlichte Umfrage:
»Wie viel ist zwei mal zwei?«
Die Hausfrau antwortet: »Wenn ich es richtig gelernt habe: vier.« Der Steuerberater fragt zurück: »Welches Ergebnis wünschen Sie denn?«
Der Rechtsanwalt entgegnet: »Vier, würde ich sagen, aber ob wir bei Gericht damit durchkommen, weiß ich nicht.«
Der Politiker erklärt: »Das war vor meiner Zeit, ich sage nichts!«
Schuld an dieser Verunsicherung sollte Altbundeskanzler Adenauer sein:
Adenauer macht sich Sorgen um seine Partei in der deutschen Politik. Er bittet um eine Audienz beim lieben Gott und sucht um himmlische Hilfe nach. Der Heilige Vater lässt den Kanzler sein Anliegen vortragen: Künftig sollen Menschen, die Politiker werden, mit drei Merkmalen ausgestattet sein. Erstens: Sie sollen klug sein; zweitens: Sie sollen Charakter haben. Und drittens: Sie sollen der CDU angehören. So wird es beschlossen und in den himmlischen Computer eingegeben. Da hat jedoch der Teufel seine Hand im Spiel und schleust einen Virus ein. Der sorgt dafür, dass immer nur zwei der drei vorgesehenen Merkmale zusammenkommen können. Das Ergebnis: Den klugen Menschen in der Partei fehlt der Charakter; denjenigen mit Charakter fehlt es an Klugheit. Und wenn sie klug sind und Charakter haben, sind sie nicht in der Partei. Das ist Teufelswerk.
Für die SPD kam der jüngste Aufschwung so unerwartet wie einst die Wiedervereinigung, deren zehnjähriges Jubiläum eher zurückhaltend gefeiert wird. Dem historischen Ruf »Wir sind das Volk« wird eine Antwort aus dem Westen entgegengesetzt: »Wir auch!«
Die Feierlichkeiten zur Vereinigung wurden von einem besonders bösen Witz begleitet:
Die gute Fee wird wieder tätig und hat Gründe, drei Männern je einen Wunsch zu erfüllen: einem Mann aus Warschau, einem aus Dresden und einem dritten aus Stuttgart.
Der Pole wünscht sich, dass jeder Pole einen Mercedes besitzen solle.
»Erfüllt«, sagt die Fee und wendet sich dem zweiten zu: »Und Sie?«
Der Mann aus Dresden überlegt nicht lange. »Ich möchte die Mauer wiederhaben und wieder Devisen aus dem Westen kassieren.«
»Gemacht«, sagt die Fee. »Und Sie?«, fragt sie den Mann aus Stuttgart.
»Ach«, meint der, »wenn diese beiden Wünsche erfüllt sind, brauche ich eigentlich nur noch einen guten Cognac!«
Dass die SPD ebenfalls von einem regionalen Spendenskandal erschüttert werden könnte, dass es die FDP noch schlimmer erwischen sollte, konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand voraussehen. Und dass Gerhard Schröder die Bundestagswahl 2002 verlieren könnte, auch nicht. Da mussten erst ein Jahrtausendhochwasser und ein drohender Krieg gegen den Irak sowie der Absturz der FDP zu Hilfe kommen, damit Schröder mit nur rund sechstausend Stimmen Vorsprung weiter Kanzler bleiben konnte. Der Witz daran war, dass er es offenbar selbst nicht geglaubt hatte. Es gab keinen Plan in der Schublade, der auf seine Realisierung wartete. Die Regierung versammelte sich augenscheinlich im Kanzleramt wie zu einer Fahrt ins Blaue und fragte: »Was wollen wir denn jetzt mal machen?«
Es war ein Witz, über den die Bürger nur schwer lachen konnten. Und die Scherze dazu klangen eher bemüht:
Was ist der Unterschied zwischen der SPD und einer Telefonzelle? In der Telefonzelle muss man erst zahlen und dann wählen.
Vor dem Kanzleramt stolpert ein Rentner und stürzt.
Der Kanzler hilft ihm wieder auf die Beine.
»Das ist aber nett«, bedankt sich der Mann.
»Dafür wählen Sie mich beim nächsten Mal wieder«, sagt der
Kanzler.
Meint der Rentner: »Ich bin doch nur auf den Rücken und nicht auf den Kopf gefallen!«
Eine alte Dame will bei ihrer Bank tausend Euro auf ihr Sparbuch einzahlen. Sie fragt den Schalterbeamten: »Ist das Geld bei Ihnen denn auch sicher?« »Aber natürlich, liebe Frau!« »Und wenn die Bank pleite macht?« »Das macht sie nicht.«
»Und wenn sie es doch tut? Man liest doch so viel!«
»Dann gibt es einen Sicherungsfond, hinter dem die Bundesbank steht!«
»Und wenn die pleite macht?«
»Dann steht die Bundesregierung dafür gerade!«
»Und wenn die zurücktritt?«
»Liebe Frau! Das sollte Ihnen doch tausend Euro wert sein!«
Dabei waren die Deutschen während des Wahlkampfs überraschend Vizeweltmeister im Fußball geworden, was für alle Parteien die Stimmung vorübergehend aufhellte. Doch rasch merkten alle, dass man sich dafür nichts kaufen kann.
Die Welt verändert sich schnell, vor allem durch die Globalisierung. Und merkwürdige Moden kommen auf. Für viele Menschen hat der Fortschritt, vor allem die Technisierung manchmal schon das Tempo des freien Falls angenommen. Sie koppeln sich ab. Da half auch der populäre Boris Becker nicht viel, dem beim Spielen mit dem Internet von der Werbung ein neuer Kultspruch in den Mund gelegt wurde: »Ich bin drin!« Doch der flockige Werbespruch erhielt fast fatale Bedeutung, als Becker 2002 beinahe wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis gelandet wäre.
Ob alles Neue erstrebenswert ist, können wir fragen, aber es nützt uns nichts. Wir können es nicht verhindern. Die Vernetzung zwingt den Menschen ins Netz, in dem er schnell gefangen ist. Manche meinen, dass die Sprache durch die moderne Kommunikation lebendiger geworden sei, weil junge Leute sich wieder mehr Briefe schreiben. Sie nennen sie nur E-Mail oder SMS. Ohne sich an langen Satzreihen aufzuhalten, verdichtet sich die moderne Poesie auf kryptische Buchstabenfolgen. Die Romeos des neuen Jahrtausends raunen ihrer Liebsten »HDL« oder Herz zerreißender »HDLFIUE« zu (»hab dich lieb« bzw. »hab dich lieb für immer und ewig«). Traurige Herzen rufen »bse« in den Äther und wollen damit keine Diskussion über Rinderkrankheiten entfachen (»bin so einsam«). Der französische Verseschmied Cyrano de Bergerac würde heute seine Angebetete zweifelnd fragen: »LIDUMINO?« (»liebst du mich noch?«) und ihr verlangend ein »bab« zuwerfen (»Bussi aufs Bauchi«). Und Neuzeit-Romantiker verabreden sich zum »KUWIHEBEKERZ« (»Kuscheln wir heute bei Kerzenschein?«). Na dann »gn8«! - Gute Nacht!
Lassen diese seltsamen Wort-Sprudeleien hoffen? Die Vorstellung, dass in Zukunft immer mehr Menschen allein vor Apparaten sitzen und vernetzt Botschaften übermitteln, kann uns ja eher gruseln lassen. Wie vertragen die Betroffenen diese neue Einsamkeit?
Es ist zu vermuten, dass einer der blühenden Zukunftsberufe der des Psychotherapeuten sein wird. Für die Menschen, die noch Gespräche suchen. Deswegen nehmen auch die PsychotherapeutenWitze zu.
Eine Frau kommt zum Psychotherapeuten. Sie sagt: »Bitte helfen Sie mir, Herr Doktor, ich höre dauernd Stimmen, aber ich sehe niemand.«
»Aha«, sagt der Therapeut, »und wann haben Sie das immer? Tagsüber oder in der Nacht?«
»Immer, wenn ich telefoniere«, antwortet die Patientin.
Ein Star unter den Therapeuten-Witzen ist dieser:
Ein krank aussehender, fahrig und nervös wirkender Mann kommt zu einem Psychotherapeuten und klagt: »Ich kann mit niemandem darüber reden, ich gehe daran kaputt. Stellen Sie sich vor, ich bin plötzlich zum Bettnässer geworden. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll! Ich verkrieche mich, vereinsame, fühle mich sterbenskrank.«
Der Therapeut beruhigt ihn: »Das werden wir schon wieder hinkriegen. Als Erstes müssen wir nicht das Leiden bekämpfen, sondern Ihre Einstellung dazu. Sie dürfen sich nicht als Außenseiter fühlen, sie teilen diese Krankheit mit vielen anderen. Das heißt, Sie müssen zunächst einmal die Angst davor verlieren. Darum werden wir uns in den ersten Sitzungen kümmern.« Dreimal kommt der Patient, dann bleibt er plötzlich aus, ist wie vom Erdboden verschwunden.
Nach einem halben Jahr sieht der Therapeut seinen ehemaligen Patienten auf der Straße. Der Mann sieht blühend aus, gesund und fröhlich.
»Wie geht es Ihnen denn?«, fragt der Therapeut. »Fabelhaft«, antwortet der Patient. »Ich meine, mit Ihrer Krankheit?« »Keine Probleme!«
»Das heißt: Sie machen nicht mehr ins Bett?«
»Doch«, strahlt ihn der Patient an, »aber ich mache mir nichts mehr daraus!«
Die Familie wird noch als Fluchtburg gesehen, obwohl sie das selten sein kann. Auch da treten Störungen auf. Die Wohnung muss »neu renoviert« werden, wie man im Rheinland sagt:
In einem Reihenhaus im Ruhrgebiet will die Familie Schmidt ihre Wohnung herrichten und fragt sich, wieviel Material sie zum Tapezieren benötigt.
»Frag doch mal bei Meiers gegenüber«, sagt die Frau zu ihrem Mann, »die haben doch voriges Jahr auch renoviert, und deren Wohnung ist genauso groß.«
Der Mann geht herüber und fragt, wie viel Tapete sie gekauft hätten. Die Nachbarn geben auch gerne Auskunft. »60 Rollen Tapete haben wir geholt«, sagt der Nachbar. Dieselbe Menge besorgt sich die Familie Schmidt auch. Nach der Renovierung sehen die Schmidts erstaunt, dass zwölf Rollen Tapete übrig bleiben.
Herr Schmidt geht wieder zu Meiers und sagt: »Es ist etwas Merkwürdiges passiert. Wir haben doch genau gleich große Wohnungen, aber bei uns sind zwölf Rollen übrig geblieben.« »Gar nicht merkwürdig«, antwortet Nachbar Meier, »das ist uns auch so gegangen!«
Der älteste in Deutschland gefundene Kalender stammt aus dem Jahre 1439 und ist auf zwei Holztafeln gedruckt. Im Jahre 1700 bekam die Sozietät der Wissenschaften in Berlin vom Großen Kurfürsten das so genannte Kalendermonopol verliehen, und erst 1815 durften Buchhändler eigene Kalender herstellen. Gegen eine Steuerabgabe, versteht sich.
Mindestens 150 von 365 Tagen im Jahr haben eine besondere Bedeutung, ohne dass die Kalender sie alle festhalten. Nur die wichtigen, wie Rosenmontag und Muttertag, Maria Empfängnis und der Weltspartag stehen auch darin.
Andere muss man selber hineinschreiben, wie Opas Ehrentag:
Der von der Familie wegen der zu erwartenden Erbschaft verehrte Großvater feiert seinen 75. Geburtstag. Der alte Herr war für seinen etwas lockeren Lebenswandel bekannt. »Wir haben etwas Schönes für dich, mit einer kleinen Einschränkung«, sagt der Sohn. »Was ist es denn?«, will der Jubilar wissen. »Gleich treten in unserem Wohnzimmer drei StripteaseTänzerinnen auf.«
»Na fabelhaft«, sagt der Jubilar, »und was ist die Einschränkung?« »Sie sind genauso alt wie du«, sagt der Sohn.
Viele Deutsche fürchten inzwischen, Deutsch könne sich gegenüber der Weltsprache Englisch durch die globale Vernetzung zu einem Provinzdialekt wandeln, und der Nobelpreis für Günter Grass sei in diesem Verlauf eine Art Abschiedsgeschenk gewesen.
Das wäre mehr als eine Rechtschreibreform. Auch die wurde allerdings wie eine schreckliche Drohung aufgebauscht, veränderte wenig und verunsicherte viele. Einen besonderen Kalauer erfand der Kabarettist Konrad Beikircher, der fragte:
Was ist nach der Rechtschreibreform der Unterschied zwischen der heiligen Ursula und einem Ford Mondeo? Keiner. Beides sind »Mertürer«.
Wer keinen Computer besitzt, der ihn die neue Rechtschreibung lehrt, schreibt, wie ihm die Nase gewachsen ist. Deswegen machte sich die >FAZ< zum Vorreiter des Gewohnten und nahm die Reform für sich wieder zurück. Es scheint jetzt alles erlaubt zu sein. Sonst müsste man erst genau prüfen, wie Dschinghis Khan jetzt geschrieben wird, bevor man diese alte Geschichte wieder belebt:
Dschinghis Khan, der Herrscher und Feldherr, will sich malen lassen. Das hat aber seine Tücken, denn der Fürst besitzt einen Buckel und ein Triefauge. Wie soll man ihn malen, damit er zufrieden ist?
Der erste Künstler übersieht einfach die Gebrechen und malt ihn als einen makellosen und strahlenden Helden. Das ist dem Auftraggeber zu offensichtlich geschönt, er lässt den Maler hinrichten. Der zweite Künstler folgert daraus, dass der Fürst realistisch gemalt werden will. Er stellt ein naturgetreues Bild her: Dschingis Khan mit Buckel und Triefauge. So will es der Auftraggeber nun doch nicht. Auch diesen Maler lässt er hinrichten. Der dritte Künstler endlich wird belohnt. Er überlegt eine Weile, malt dann den Feldherrn von der Seite und als Bogenschützen: Ein Arm, der zum Bogenspannen angezogen ist, verdeckt den Buckel, und das Triefauge ist zum Zielen zugekniffen.
Von den alten Griechen und Römern weiß man zwar, dass sie über eine Witzkultur verfügten, überliefert sind jedoch nur wenige Beispiele. So der Witz von Hierokles von Alexandria:
Ein reicher Grieche versiegelte seinen Weinkrug, damit nichts gestohlen werde. Seine Sklaven bohrten aber ein Loch in den Boden des Krugs. Sie verschlossen es immer wieder mit Wachs. Der Besitzer wunderte sich, dass der Wein trotz des Siegels weniger wurde. Da riet ihm ein Freund: »Schau doch mal nach, ob der Wein nicht von unten entnommen wird!«
Darauf entgegnete der Besitzer: »Du bist ein Narr, nicht der untere Teil verschwindet, der obere!«
Der tiefe Sturz des in den Finanzskandal verwickelten Parteivorsitzenden Helmut Kohl zwang die CDU zu einer radikalen Verjüngungskur. Sie überschlug dabei einfach die 68er-Generation, die der SPD den Wahlsieg gebracht hatte und die nun regierte.
Im April 2000 wurde in Essen zum ersten Mal eine Frau zur Vorsitzenden einer großen Volkspartei gewählt. Sie war 46 Jahre alt und hieß Angela Merkel. Das bedeutete aber nicht, dass sich insgesamt im Geschlechterkampf Wesentliches geändert hätte. Obwohl die Frauen laut Gerichtsbeschluss seither in der Bundeswehr auch »Dienst an der Waffe« tun dürfen. Kanzlerkandidat der Union wurde jedoch wieder ein Mann, der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber. Der nimmt dafür in sein »Kompetenzteam« künftiger Minister eine junge Frau auf, die schwanger und unverheiratet ist und sich besonders für Schwule und Lesben einsetzt. Schon unter der rot-grünen Regierung können sich seit August 2001 Schwule und Lesben in eheähnlichen Partnerschaften zusammentun.
Tünnes will wegen der Homosexualität auswandern. Sagt Schäl: »Du bist doch gar nicht so.« Tünnes: »Das stimmt, aber erst war es verboten, dann wurde es erlaubt. Heute wird es belohnt. Jetzt will ich weg, bevor es Pflicht wird!«
Wir erleben das erste »Fernseh-Duell« der beiden Kanzlerkandidaten. Ohne erwähnenswerte Ergebnisse für dieses Buch. Die Amerikaner ziehen als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September in den Krieg gegen Afghanistan und der Nahostkonflikt eskaliert, seitdem Ariel Sharon in Israel die Wahl gewonnen hat. Nennenswerte Witze dazu sind uns auch da nicht begegnet. Wenn man von zynischen Beispielen wie diesem absehen will:
Ein Amerikaner will einem Einheimischen in Afghanistan den augenscheinlich gewordenen Fortschritt klarmachen: »Früher gingen die Frauen auf der Straße tief vermummt und demütig hinter den Männern her. Heute gehen sie zehn Meter vor den Männern her.«
Sagt der Afghane: »Ja, aber das ist wegen der Tretminen.«
In solchen Zeiten werden Witze, die noch erzählt werden, oft altmodischer, kommen wie historisch legitimiert daher. Als wollten die Erzähler sagen: »Ja, damals, da hatten die Leute noch etwas zu lachen!« Sie konzentrieren sich lieber auf das Naheliegende, die Themen vor der Haustür.
In der nordrhein-westfälischen Landesregierung werden Proteste ernst genommen, dass es vor der Fußball-WM 2006 kein Sportstadion gebe, das einen weiblichen Namen trage. Alle seien nach Männern benannt. Die Städte und Gemeinden werden dringend aufgefordert, sich Gedanken zu machen. Es gehen aber keine Antworten ein.
Nur aus Gelsenkirchen kommt der Vorschlag, das Parkstadion umzubenennen in »Ernst-Kuzorra-seine-Frau-ihr-Stadion«.
Noch älter ist diese Geschichte aus dem Wien der zwanziger Jahre.
In einer Kaserne vor der Stadt haben sich die Rekruten angewöhnt, es mit dem Zapfenstreich nicht so genau zu nehmen, und die Wache drückt ein oder zwei Augen zu. Der Feldwebel steht deswegen eines Abends selbst am Tor.
»Wo kommen Sie jetzt noch her?«, faucht er den Ersten an, der zu spät kommt.
»Wissen S'«, sagt der, »ich habe einen Fiaker genommen, aber das Pferd ist zusammengebrochen, da musste ich den ganzen Weg zu Fuß gehen.«
Der zweite, der noch kommt, gebraucht dieselbe Entschuldigung: »Fiaker genommen, Pferd zusammengebrochen, musste zu Fuß gehen.«
Auch der dritte beruft sich auf diese Ausrede. Er will gleichfalls einen Fiaker genommen haben, dann sei das Pferd umgefallen, und er habe zu Fuß gehen müssen.
Als der vierte ankommt, nimmt ihm der Feldwebel wütend die offensichtlich verabredete Entschuldigung vorweg und schnauzt ihn an: »Weiß schon, Fiaker genommen, Pferd zusammengebrochen, und Sie mussten zu Fuß gehen!« »Aber, nein«, wehrt sich der Soldat, »Taxi genommen, aber da war kein Durchkommen. Ganze Straße voll toter Pferde!«
Oder man weicht den real existierenden Umständen von vornherein aus:
Zwei Statuen, eine weibliche und eine männliche, stehen sich seit über hundert Jahren in einem Park gegenüber und sehen sich an. Beide unbekleidet. Eine gute Fee wandert durch diesen Park, sieht die beiden und wird von Mitleid gepackt. Sie sagt: »Ich werde euch für zwanzig Minuten lebendig machen, und Ihr könnt dann tun, was Ihr nach so langer Zeit am liebsten tun wollt.« Glücklich hüpfen die beiden von ihren Sockeln und verschwinden im Gebüsch. Dort hört man sie fröhlich kichern. Pünktlich nach zwanzig Minuten kehren beide zurück und stellen sich brav auf ihre Sockel.
»Ihr haltet euch ja perfekt an die Abmachung«, lobt die Fee, »dafür will ich euch belohnen. Ich komme nächste Woche wieder vorbei und schenke euch noch einmal 20 Minuten!« »Das ist ja toll«, sagt die weibliche Statue zur männlichen, »dann werden wir es mal umgekehrt machen: du hältst die Taube fest, und ich scheiße ihr auf den Kopf!«
Und dann will ich noch eine fast weise Geschichte erzählen, die sich ganz leicht auch in den deutschen Alltag des dritten Jahrtausends übertragen lässt.
Ein Schuhmacher sitzt in Kairo auf der Straße und tut seine Arbeit. Einige Kinder sehen ihm zu. Das stört ihn nach einer Weile, er will die Gaffer loswerden. »Ich habe gehört, an der Nilbrücke soll es umsonst Bananen geben«, lügt er. Die Kinder laufen schnell weg, um zur Nilbrücke zu kommen. Nach fünf Minuten legt der Schuhmacher das Handwerkszeug aus der Hand, zieht seinen Rock an und will gehen.
»Wo willst du hin?«, fragt ihn seine Frau.
»Zur Nilbrücke«, antwortet er, »vielleicht gibt es da wirklich Bananen!«
Im Sommer 2000 werden 24 Kilometer östlich der ägyptischen Hafenstadt Alexandria im Meer die Überreste der antiken Städte Heraklion, Menuthis und Kanopus gefunden. Eine archäologische Sensation! Aus Israel kommt dieser Witz über neue Ausgrabungen zu uns:
Ein Ägypter und ein Jude geraten in Streit, welche der beiden alten Kulturen die wertvollere gewesen sei. Der Ägypter sagt: »Was noch niemand weiß, aber es stimmt: Voriges Jahr hat man bei den Ausgrabungen der im Meer versunkenen Stadt auch Leitungen in der Erde gefunden, Drähte, die beweisen, dass es damals in dieser Stadt bereits Telefonanschlüsse gegeben hat!«
Der Jude winkt mit der Hand ab. »Auch wir haben gegraben. Rund um Jerusalem. Wir haben gegraben und gegraben. Und wir haben nichts gefunden! Unsere Vorfahren haben also bereits die drahtlose Telegraphie genutzt!«
Was beweisen archäologische Funde? Werden Ausgräber späterer Jahrtausende zum Beispiel nicht von uns glauben müssen, wir hätten drei Beine gehabt? Weil sie in unseren Autowracks auch drei Fußhebel finden?
Schon im Jahr 2000 ist es gelungen, das menschliche Erbgut zu entschlüsseln. Damit ist eine neue Tür zur Allmacht geöffnet worden. Wir dürfen nun vermuten, dass es noch in diesem Jahrtausend zum schwärzesten Witz der Erdgeschichte kommen könnte: Dem Menschen gelingt es, sich unsterblich zu machen und sich gleichzeitig auszurotten.