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Als der Grieche Phokion im Athener Parlament nach einer Rede tosenden Applaus erhielt, fragte er seinen Nachbarn: »Habe ich etwas Dummes gesagt?«
Applaus ist nicht einfach das neutrale Ergebnis eines Erfolgs, wie uns diese kleine Anekdote beweist. Für jeden hat Beifall eine andere Bedeutung und einen anderen Wert. Während der Dreharbeiten zu einem Fernsehfilm über die Folkwang-Schule in Essen fragte ich Schauspielschüler, was ihnen Beifall bedeute. »Applaus ist besser als jede Psychotherapie«, antwortete einer spontan. Für andere Nachwuchsdarsteller war der Beifall »eine Anerkennung meiner Leistung«, »etwas Wunderschönes« oder gar ein »Lebenselixier«.
Der französische Philosoph Charles de Secondat, Baron de la Brede et de Montesquieu sah das etwas anders; vielleicht, weil ihm nie applaudiert wurde. Er distanzierte sich vom Klatschen und warnte: »Für seine Arbeit muss man Zustimmung suchen, aber niemals Beifall.«
Solche Einwände stillen nicht die Sehnsucht der Menschen nach Applaus. Wir gieren geradezu nach Beifall, wobei festzustellen ist, dass wir Normalsterblichen so etwas wie lauten Beifall für unser Tun selten erleben dürfen. Schon in der Schule müssen wir uns mit einer guten Note begnügen, oder die Lehrer finden auf dem Elternsprechtag anerkennende Worte:
Die Lehrerin zu Fritzchens Mutter: »Ich muss Ihnen ein Kompliment machen. Ihr Sohn ist wirklich das artigste Kind in der ganzen Klasse!«
Strahlt die Mutter: »Das freut mich natürlich sehr. Das hat er sicherlich von seinem Vater, der wird auch jedes Mal wegen guter Führung vorzeitig entlassen.«
Auch im späteren Berufs-, Ehe- oder Liebesleben fällt das Lob selten enthusiastisch aus. Viele müssen der Anerkennung sogar nachhelfen, und selbst dann gelingt es manchen nicht, die richtigen Worte zu »finden«. Über den ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, wird dazu folgender Witz erzählt.
Honecker möchte wissen, ob ihn die Menschen in der DDR als Vater der Errungenschaften des Sozialismus anerkennen und schätzen. Während einer Reise durch die DDR befiehlt er seinem Fahrer, in einem Dorf anzuhalten. Honecker klingelt an einer Haustür. Ein kleiner Junge öffnet ihm. Honecker fragt: »Na mein Junge, erkennst du mich?« Der Junge antwortet: »Nee!«
Honecker verlegen: »Ihr habt doch ein kleines Häuschen?« Junge: »Ja!« Honecker: »Ein Auto?« Junge: »Ja!«
Honecker: »Einen Farbfernseher?« Junge: »Ja!«
Honecker: »Und schöne Kleidung zum Anziehen?« Junge: »Ja!«
»Siehst du Junge, dass alles hast du mir zu verdanken«, sagt Honecker voller Stolz. »Nun weißt du doch sicher, wer ich bin?« Der Junge dreht sich um, läuft zu seiner Mutter in die Küche und ruft voller Freude: »Mami, Mami, Onkel Peter aus München ist da!«
Was ist Beifall schon anderes als ein lautes Kompliment, von dem der Schauspieler Johannes Heesters sagt, dass es »die charmante Vergrößerung einer kleinen Wahrheit« sei. Politiker und Künstler scheinen besonders süchtig danach zu sein. Und wie jede Droge vernebelt auch diese den Verstand. Wie im Fall des Rocksängers Peter Gabriel. Der glaubte, die Wogen des Applauses während eines Auftritts könnten ihn tatsächlich tragen. Er sprang von der Bühne ins Publikum. Doch statt ihn aufzufangen, traten die Menschen beiseite. Gabriel fiel ins Nichts und auf die Nase und verstauchte sich sämtliche Glieder.
So etwas kann einem Künstler wie dem Düsseldorfer Maler Jörg Immendorf nicht passieren. Frenetischen Jubel, kreischende Fans suchen man oder frau in der Bildenden Kunst vergebens. »Ein Maler ist immer allein. Ich muss an meinem eigenen Beifall arbeiten«, erzählt Akademie-Professor Immendorff. »Manchmal bin ich entzückt und applaudiere mir. Und dann wieder zerreiße ich mich selbst.«
Schlimmer noch als gar kein Applaus oder ein falsches Kompliment muss für einen Künstler der Beifall zum falschen Zeitpunkt sein, der nicht nur die Stimmung, sondern gleich das ganze Werk verdirbt. Oder Zwischenrufe:
Im Opernhaus hat Luciano Pavarotti gerade den letzten Ton gesungen. Bevor der Beifall einsetzen kann, springt ein Mann auf und schreit: »Haaalloo? Ist hier ein Arzt, ist hier ein Arzt?« Ein anderer Mann steht auf und ruft: »Ja! Ich bin Arzt!« Darauf der erste: »Das ist Musik, was? Wie hat es Ihnen gefallen, Herr Kollege?«
Früher gingen die Zuschauer viel großzügiger mit dem Beifall um als heute. Früher war es sogar möglich, in einer Predigt zu klatschen. Bis Anfang des Jahrhunderts war es durchaus üblich, dass das Publikum im Symphoniekonzert nach jedem Satz applaudierte. Heute gilt dies als unangemessen. In der Oper wird nur noch nach jeder Arie, im Jazz nach jedem Solo geklatscht. Und wer an den falschen Stellen Beifall spendet, outet sich als Nicht-Kenner. Man sieht: Nicht jeder Applaus, jedes Lob kommt gleich gut an.
Die Software-Highsociety ist während der Cebit in Hannover zu einer Dampferfahrt eingeladen. Ein Teilnehmer fällt über Bord. Große Aufregung, alles drängt an die Reling. Da hechtet Microsoft-Gründer Bill Gates in die Fluten, ergreift einen hingeworfenen Rettungsring, wird an Deck gezogen und mit riesigem Beifall empfangen. Während ein Mitarbeiter ihm eine Decke umlegt, zischt Gates wütend: »Finde sofort heraus, wer mir den Tritt gegeben hat!«
Den Düsseldorfern sagt man nach, dass sie sogar applaudieren, wenn ein Teller am Boden zerbricht - es könnte ja ein Kunststück sein. Hier der Witz dazu:
99 Düsseldorfer und ein Berliner sitzen im Flugzeug. Der Boden bricht ein, alle Passagiere hängen frei in der Luft und halten sich verzweifelt an der Gepäckablage fest.
Plötzlich sagt der Pilot: »Einer muss sich opfern, sonst stürzen wir alle ab.«
Da sagt der Berliner: »Ich bin alt, habe kein Geld, ich kann mich opfern.«
In diesem Moment klatschen alle Düsseldorfer Beifall.
Helmut Markwort, zitatensicherer Chefredakteur des Magazins >Fo-cus<, zitierte in seinem wöchentlichen Magazin-Tagebuch Lessing, der 1767 über einen schleimenden Kritikerkollegen schrieb: »Der wahre Virtuose spottet über jede uneingeschränkte Bewunderung, und nur das Lob desjenigen kitzelt ihn, von dem er weiß, dass er auch das Herz hat, ihn zu tadeln.«
Ein Hahn besichtigt seine Hühnerfarm. Er schreitet durch die Reihen, und vor mancher Henne bleibt er stehen und applaudiert ihr für die vorbildliche Lege-Arbeit. Nachdem er die Besichtigungstour beendet hat, zieht er ein Straußenei aus seiner Reisetasche und sagt: »Mädels, ich will ja nicht meckern, aber guckt mal, was die Konkurrenz macht . . .«
Alle Menschen brauchen Zustimmung und Bestätigung. Künstler nennen es Applaus, Dichter erwarten die positive Kritik, und Manager fordern Tantiemen und ein Millionen-Gehalt. Die Fähigkeit eines Menschen, das Werk eines anderen zu bewundern, ist die Wurzel jeder Kunst. Applaus ist das Schmiermittel des Kulturbetriebs.
Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, schreibt in seinem Buch >Wieder zu Hause<, dass »jüdische Künstler ein unstillbares Verlangen nach Beifall und Beliebtheit haben. Die Juden wollen angenommen werden. Der jüdische Filmkomiker Jerry Lewis hatte jahrelang ein Poster an seiner Bürotür hängen, auf dem stand: >Zögern Sie nicht! Kommen Sie herein! Sie sind willkommen, und ich liebe Sie!< Und bitte lieben Sie mich, sollte das heißen.«
Der Entertainer Robert Kreis erzählte mir, wie ihn die Sehnsucht nach Applaus in arge Verlegenheit brachte. Wer den Künstler nicht kennen sollte: Der 1949 auf Java geborene Robert Kreis präsentiert uns schon seit vielen Jahren Chansons und Couplets aus der Kabarettwelt der zwanziger und dreißiger Jahre. Dazu zieht er einen Frack an, streicht sich Pomade ins Haar und malt sich ein »Menjou«-Bärt-chen an. Darüber hinaus benötigt er nur wenig, um seinen Figuren auf der Bühne Leben einzuhauchen: Eine kleine Geste, ein verschämter Blick, ein plötzliches Funkeln in den Augen, die zitternde Stimme einer alternden Diva.
Nach einer Vorstellung im Düsseldorfer Schauspielhaus trafen wir uns mit Freunden im Theater-Restaurant »Monte Christo«. Der Entertainer freute sich so über seinen gerade erlebten Erfolg, dass er uns eine wahre Geschichte verriet, in der Beifall eine Rolle spielt:
»Ich trat mit meiner Band in einem wunderbaren Theater auf. Ein kleines Haus. Ausverkauft. 100 Plätze. Bezauberndes Publikum.« Der Künstler strahlt. »Der Szenenapplaus wollte nicht enden. Aber ich musste hinaus in meine Kabine, das Kostüm wechseln und in die nächste Rolle schlüpfen. Eine alte Diva.« »Und dann? Mach's nicht so spannend!« Christel kennt den Freund als munteren Plauderer.
»Ich zog mir den alten Pelzumhang über. Die grauhaarige Frauenperücke. Lila Brille. Etwas Schminke. Und rannte los.« »Warum bist du gerannt?«, fragt Jürgen.
»Ich wollte mit dem Applaus des letzten Liedes das neue beginnen. Ein Gewirr von Gängen. 50 Meter lang war die Strecke mindestens. Endlich die Tür. Ich öffnete sie. Betrat mit großer Geste die Bühne . . .« Robert schweigt. Wir sehen ihn an.
»Was war?!« Kathrin will das Ende der Geschichte hören. »Gewaltig große Bühnenbilder! Und Musiker! Eine Sängerin! Ein Sänger! Ein Chor! Und alle sahen mich entsetzt an.« »Warum?«
»Sie spielten auf der großen Bühne des Theaters den >Figaro<. Und ich mittendrin. Eine alte Diva!« Die Freunde lachen. Erst leise.
»Ich hatte die falsche Bühne erwischt. Das große Haus. 1000 Premierengäste blickten die alte Diva an, als wäre sie das Phantom der Oper.«
Der Sänger lacht zusammen mit den Freunden und einigen Gästen des Lokals, die an Nachbartischen zugehört haben.»Und was hast du gemacht? Da auf der großen Bühne?«, fragt Werner in einer Atempause.
Robert blickt in die Runde. Niemand wagt zum Glas zu greifen. An den Nachbartischen schweigen die Fremden. Der Kellner steht mit fünf Tellern dampfender Nudeln in der Hand und hat vergessen, wem er sie servieren soll.
»Toi, toi, toi<, habe ich den Kollegen zugerufen. Dann habe ich mich umgedreht, die Tür hinter mir zugeschlagen und bin gerannt, so schnell ich konnte. — Ich wollte doch den Applaus auf meiner eigenen Bühne nicht verpassen ...«
Wo freiwillig Beifall ist, gehört er zur Kultur - wo er verordnet wird, herrscht Diktatur. Jeder kennt die Bilder von Fähnchen schwingenden Applaus-Paraden, die einst an den Mächtigen der DDR vorüberzogen oder heute noch von Chinas Herrschern abgenommen werden. Da wird selbst der letzte Freiraum jener, die das Staatsgeschehen nur beobachten dürfen, zum Gefängnis. Wenigstens in diesem Punkte zeigte Kaiser Nero Fairness. Er bezahlte seine Claqueure.
Für seine Auftritte als Sänger und Musiker verpflichtete er einen Trupp von 5000 Mann. Diese Plausores studierten vorher verschiedene Arten von Beifall ein; das Klatschen mit hohlen Händen, im-brex genannt, und das mit flachen Händen, testa.
Griff der Kaiser in die Saiten, klatschten sie hohl und flach - und kassierten dafür nach heutigen Maßstäben Manager-Gehälter. Des Kaisers Klatscher machten Schule, das System wurde in den Theaterstädten Europas weiterentwickelt bis hin zur »assurance de succes dramatique« in Paris. Dieses Büro übernahm Anfang des 19. Jahrhunderts gegen Honorar Aufträge für alle Arten des Beifalls wie auch des Missfallens.
Die meisten Politiker von heute sind sich selbst genug. Wir alle kennen die Fernsehbilder aus den Parlamenten, wenn sich die Politikerinnen und Politiker gegenseitig Beifall spenden - dabei gilt die Zustimmung meist nur den Angehörigen der eigenen Fraktionen. In den Protokollen liest sich das dann so wie hier in einem Bericht des Gesundheitsausschusses des österreichischen Parlaments:
Präsident Dr. Werner Fasslabend: »Wir gelangen jetzt zum 28. Punkt der Tagesordnung. Ich eröffne dazu die Debatte. Gemeldet hat sich als erste Rednerin Frau Dr. Pittermann. - Ich ersuche um Ihre Ausführungen.«
Abgeordnete Dr. Elisabeth Pittermann (SPÖ): »Ihr Demokratieverständnis ist bei Gott sehr eigenartig!« (Beifall von der SPÖ.) »Ihre Minister haben in der Fernsehzeit ununterbrochen geredet, damit sie eine billige Plattform haben. Aber den frei gewählten Abgeordneten wollen Sie das Wort verbieten, weil Sie jetzt schlafen gehen wollen!« (Beifall von der SPÖ.) »Wenn Sie sich physisch nicht in der Lage fühlen, in der Nacht hier zu arbeiten, dann, würde ich sagen, gehen Sie eben in die Invaliditätspension!« (Beifall von der SPÖ. — Abg. Ing. Westenthaler: »Mit Invaliden macht man keine Scherze, Frau Kollegin! Das ist eine Pietätlosigkeit! Mit invaliden Menschen Witze zu machen!« — Weitere Zwischenrufe.)
»Herr Präsident! Herr Staatssekretär!« (Unruhe im Saal. — Präsident Dr. Fasslabend gibt das Glockenzeichen. — Abg. Ing. Westenthaler: »Mit Menschen macht man keine Witze! Das war kein guter Witz! Pietätlos!«) »Von Ihnen, Herr Staatssekretär, weiß ich, dass Sie in der Nacht arbeiten können, denn wir haben Kammersitzungen bis um 4 Uhr früh gehabt, und wir sind es auch in unserem Beruf gewöhnt, nachts zu arbeiten.« (Anhaltende Zwischenrufe.)
»Präsident Dr. Werner Fasslabend: Meine Damen und Herren! Der Lärmpegel ist so hoch, dass man von hier heroben fast überhaupt nichts versteht.«
Beifall ist immer eine Art Lärm: selbst der Applaus, den wir uns selber zollen. Dazu stellte Rainer Eppelmann, deutscher Politiker,
Theologe und ehemaliger Bürgerrechtler in der DDR, fest: »Skandale haben die Politik zum Punchingball der Öffentlichkeit gemacht. Wer am härtesten draufschlägt, erhält den lautesten Applaus.«
Aber wie im richtigen Leben ist diese Regel auch in der Politik nicht allgemeingültig. Erst recht kommt nicht jeder Witz beim Publikum an. Das kann man allerdings nur dadurch feststellen, dass man ihn erzählt. Johann Wolfgang von Goethe erkannte weise: »Der Witz setzt immer ein Publikum voraus. Darum kann man den Witz auch nicht bei sich behalten. Für sich allein ist man nicht witzig.«
Und das ist ein guter Grund, hier noch schnell einen Witz zu erzählen, der sich ebenfalls um den Beifall rankt:
Den Amerikanern war es endlich gelungen, ihren Top-Spion in Moskau einzuschleusen. Der Mann war fünf Jahre lang ausgebildet worden. Sie hatten ihm alles beigebracht, was sie über Russland wussten. Er war total auf Russe getrimmt worden. Am Ende der Ausbildung bezweifelte er ernsthaft seine amerikanische Staatsbürgerschaft, er fühlte sogar wie ein Russe. Kurz und gut: Es gab keinen besseren!
Sein erster Auftrag führte ihn in eine kleine russische Kneipe. Er setzte sich an einen Tisch und bestellte eine Flasche Wodka, die er in einem Zug leerte. Der Wirt nickte anerkennend und meinte: »Briderchen, du säufst wie ein Russe, aber du bist keiner!« Unserem amerikanischen Freund lief es eiskalt den Rücken herunter. Sollten die ganzen harten Jahre der Ausbildung umsonst gewesen sein? Konnte es sein, dass der erste Russe, der seinen Weg kreuzte, seine Tarnung durchschaut hatte? Hatten sie die Russen doch unterschätzt?
Während ihm noch diese quälenden Fragen durch den Kopf gingen, sprang er auf, griff sich eine Balalaika, die zufällig herumlag und spielte so gut, dass alle Anwesenden begeistert klatschten und ihm zujubelten. Und das Lied, das er dazu sang, war so traurig, dass sogar den anwesenden KGB-Agenten die Tränen über die Wangen liefen.
Auch der Wirt klatschte Beifall, doch etwas im Gesicht des Mannes ließ unserem Spion das Blut in den Adern gefrieren. Dann sagte der Wirt: »Bravo, Briderchen, du spielst und singst besser als jeder Russe, aber. . . du bist kein Russe!« Jetzt wollte es der Spion aber wissen. Er gab der ebenfalls anwesenden Band einen Wink, und als diese eine wilde Melodie anstimmte, begann er einen Kasatschok zu tanzen, dass allen Hören und Sehen verging. Er wirbelte durch die Kneipe, und alle weiblichen Herzen flogen ihm zu. Als er unter dem frenetischen Beifall der Anwesenden erschöpft den Tanz beendete und ein letztes Mal seine Beine hoch in die Luft geschleudert hatte, dachte er: Jetzt kann niemand mehr Zweifel an meiner Identität haben.
Doch das leichte Kopfschütteln des Wirtes, dass er in der tobenden Menge ausmachte, belehrte ihn rasch eines Besseren. Hier hatte er seinen Meister gefunden. Er befürchtete gar, dass der russische Geheimdienst KGB möglicherweise schon lange von seinem Einsatz wusste und einen Topmann auf ihn angesetzt hatte.
Mit hängenden Schultern ging er auf ihn zu. Der Wirt sagte mit einem Seufzer: »Briderchen, Briderchen, du tanzt wie ein russischer Gott, aber du bist kein Russe!«
Das war zuviel für unseren wackeren Helden. Schluchzend brach er zusammen und stammelte nur noch: »Ja, ja, du hast recht, aber wie, in aller Welt konntest du das wissen?« Der Wirt zuckte leicht mit den Schultern und meinte: »Bei uns in Russland gibt es keine Schwarzen!«
Dieter Thoma Schlagfertig: Ist Tennis witzlos?
Ein Golfspieler drischt seinen Golfball über eine Hecke nach draußen. Man hört kurz darauf Bremsen kreischen, Schreie, dumpfe Geräusche.
Der Golfspieler bleibt wie hypnotisiert am Abschlag stehen,
wartet. Nach einer Weile hört man die Sirenen mehrerer Unfallwagen. Ein Mann kommt um die Hecke gelaufen. Er fragt: »Haben Sie eben diesen Ball nach draußen geschlagen?« Der Golfspieler nickt. »Was ist denn passiert?« »Ein ganz böser Unfall. Der Ball hat einen Radfahrer an der Stirn getroffen, der ist umgefallen. Ein dahinter fahrender Omnibus musste ausweichen und ist einen Abhang hinunter gestürzt. Die Verletzten werden gerade geborgen.« »Um Gottes willen«, sagt der Golfspieler, »was soll ich denn nur machen?«
»Das kann ich Ihnen sagen«, antwortet der Mann, »Sie dürfen an diesem Abschlag um keinen Preis den Schläger nach links verkanten!«
Geht das auch mit Tennis? Oder bleibt es ein Rätsel, warum es keine Tenniswitze, aber so viele Golfwitze gibt.
Dabei kann Tennis durchaus komisch sein. Ein Tennisclub ist wie ein Golfclub eine Art »schlagende Verbindung«. In ihr finden sich aktive und nichtaktive Mitglieder. Auch nachtaktive. Die Aktiven sollen in Weiß spielen, die anderen können wählen. Man kann Doppel spielen und Doppelfehler machen. Es gibt gemischte Doppel, aber keine gemischten Doppelfehler. Jedenfalls nicht auf dem Tennisplatz.
Es empfiehlt sich, ein Tennisspiel mit dem Aufschlag zu beginnen. Der muss geübt werden. Ein Aufschlag kann auch der Aufprall nach einem freien Fall sein. Der muss nicht geübt werden. Aufschlag meint auch beim Zubereiten von Rühreiern das Aufschlagen derselben. Auch das setzen wir voraus. Aufschlag ist sodann das Erhöhen einer Geldsumme.
Ich übe oft Aufschlag. Mein Club ebenfalls. Fast mit jedem Jahresbeitrag gibt es irgendeinen Aufschlag. Er wird auch Zuschlag genannt. Es ist eine Art Rundumschlag. Seitdem bin ich tennisarm. Aber ein Tennisarm ist immer noch besser als ein Schwimmbecken.
Das Gegenteil von Aufschlag ist im Tennis nicht Abschlag, sondern Rückschlag. Anders als im Leben ist das nicht negativ gemeint. Der Rückschlag kann mit der Rückhand und mit der Vorhand ausgeführt werden. Vorschlag gibt es dagegen im Tennis nicht. Dafür braucht man einen Hammer.
Schlag haben ist ja etwas Positives. Der Flügelschlag der Geschichte. Nachtigallen schlagen auch. Und wenn man lange genug nachdenkt, fallen einem vielleicht doch ein paar Tenniswitze ein:
»Schlechtere Tennisspieler als mich gibt es nicht«, klagt ein
Clubmitglied nach dem Match.
»Doch«, sagt ein anderer, »aber die spielen nicht.«
Fachlich heißt Rückschlag »return« und Aufschlagen »servieren«. Aber Kellner werden da nicht gebraucht. Und wer reserviert ist, ist noch kein Rückschläger. Er wird höchstens abserviert. Mahlzeit! Und für alle, die auf ihre Linie achten müssen, gibt es Linienrichter.
Wir kennen im Tennis auch die Schlaghand. Schlagfuß müsste so gesehen mit Fußball zu tun haben. Hat er aber nicht. Dafür gibt es dort Abschläge. Auch ohne neues Rabattgesetz.
Sie merken, Tennis ist fast eine Wissenschaft, und ich verliere mich in der Tennissprache, die so vieldeutig ist und manchmal rätselhaft. Schläger, Aufschläger, Rückschläger, Schmetterer. Wenn ein guter Aufschläger dem Ball auch noch Schnitt mitgibt, ist er dann auch ein guter Aufschneider? Dann hieße Schnitt im Aufschlag auch Aufschnitt. Sehe ich verschlagen aus, wenn ich den dritten Ball nacheinander ins Aus verschlagen habe? Mindestens fluche ich. Also Fluchball.
Oder sollte ich mich lieber bei verunglückten Schlägen an den alten Bibelspruch halten: Die einfachen werden die schwersten sein?
So haben manchmal im Doppel meine Gegner vor mir weniger Angst als meine Partner.
Eine Mit-Sportlerin hat mir neulich gesagt, ein schwarzer Schläger passe zu mir. Sie hat es nicht begründet. Aber ich musste mich fragen: Bin ich überhaupt ein Schlägertyp? Wenn ja, dann aber doch zart besaitet, denke ich.
Manche Tennisspieler haben Fußfehler. Nicht nur solche, aber allein für die gibt es Punktabzüge. Andere leiden offenbar unter Sehfehlern. Immer, wenn sie den Ball ins Netz hauen, schieben sie es auf die Netzhaut.
Woran denken wir bei dem Wort Netz zuerst? An das Verkehrsnetz? An Fischer? Das soziale Netz könnte uns einfallen. Netz-Ge-wölbe, Netz-Melonen, Haarnetze, Moskitonetze, Schienennetze und Spionagenetze. Netzstrümpfe auch. Erinnern wir uns an das nostalgische Schmetterlingsnetz? Darin ist das Wort »schmettern« enthalten.
Neulich wäre ich einer Partnerin gerne ins Netz gegangen. Aber sie hielt mich konstant Longline. An langer Leine. Als ich dann über Kopf spielen wollte und zu reden anhub, machte sie einen Punkt. Das war mein letzter Satz.
Dafür habe ich Lob für einen Lob bekommen. Der Schiedsrichter rief Einstand, aber mein Gegner hat keinen ausgegeben. Einen halben Fluch war mir das wert. Halb-Fluchball.
»Sie machen mir Mut. Ich habe manchmal den Eindruck, ich sollte noch einmal Trainerstunden nehmen.«
»Ach «, erwiderte der Partner: »Hatten Sie schon mal welche?«
Und noch ein Tenniswitz? Nicht ganz überzeugend. Man kann ihn für fast jede Sportart benutzen.
»Kann ich den Aufschlag noch verbessern?« »Man kann alles verbessern.«
»Bevor Sie gehen — was finden Sie denn richtig gut bei mir?«
»Tja, richtig gut?«
»Gar nichts?«
»Doch.«
»Was denn?«
»Dass Sie jedesmal neue Bälle mitbringen!«
Solche Geschichten kann man selber erfinden. Ich stelle mir dann gern einen souveränen Schiedsrichter vor:
»Dreißig beide«, ruft der Schiedsrichter im Doppel. Er verbessert sich, sagt: »Dreißig alle!«
Als die Spieler fragend hochsehen, fügt er hinzu: »Jedenfalls viele!«
Für Golfspieler, so finden Tennisspieler, ist einer, der sich noch mit Tennis befasst, ein Gestriger, einer, der den Anschluss verpasst hat. Wie einer, der noch Steuern zahlt, kein Geld in Luxemburg oder Lichtenstein deponiert hat, besser Deutsch als Englisch spricht und zuweilen Gruppenreisen macht.
Manche haben diesen nur mühsam zurückgehaltenen Ausdruck in den Augen, diese Distanz, mit der man sich abgrenzt von Menschen, die nicht ganz gleichberechtigt, nicht satisfaktionsfähig, zu sein scheinen. Die altmodisch, halbgebildet oder hinter der Entwicklung zurückgeblieben sind.
Golfspieler besitzen etwas, das sie von Tennisanhängern signifikant unterscheidet: Sie haben ein Handikap. Ein Handikap ist nicht etwa eine Mütze mit eingebautem Telefon, sondern es beschreibt den erreichten Durchschnittswert von Schlägen. Golfspieler haben vergessen, dass ein Handikap aus dem Pferdesport kommt und dort benachteiligten Pferden eine Chance geben soll. Pferde spielen selten Golf.
Tennis kommt vom französischen »Tenez«, das heißt halten, den Ball im Spiel halten. Der japanische Kaiser, der Tenno, hat nichts damit zu tun. Golf ist Englisch, erinnert an schnelle Autos, milde Meeresbuchten, den Golfstrom, der sogar Palmen in England wachsen lässt. Golf ist die große Welt, die Weite des Platzes mit achtzehn Löchern und bis zu 550 Meter langen Spielbahnen. Golf ist Natur pur, man kann Golf nicht auf Teppichboden spielen. Tennis geht sogar in einer westfälischen Tenne.
Nein, es ist einleuchtend und sinnfällig, dass Tennisspieler, vom Golfstrom mitgezogen, die Sportart wechseln, den Tennisschläger mit einem Siebener Eisen vertauschen oder wie die anderen dreizehn Möglichkeiten sonst heißen.
Ist es der bei Golfspielern vermutete Snobismus, der zu Witzen reizt? Paul Kuhn, Handicap 24 und kein »Neugolfer«, ist der erste, der mir eine Erklärung für Golfwitze anbietet: »Weil es ein Sport ist, der wie kein anderer so verbissen und ehrgeizig von Nichtsportlern betrieben wird.«
Das Wetter ist trübe, der Golfplatz kaum besucht. Als ein Spieler am zweiten Loch bewusstlos zusammenbricht, ist niemand da, der dem erschrockenen Partner helfen kann.
Als der schließlich mit dem Mann über der Schulter am Clubhaus ankommt, springen die anwesenden Menschen auf. »Den ganzen Weg zurück haben Sie den Kranken getragen!«, rühmt einer der Clubfreunde.
»Das war nicht das Schlimmste«, antwortet der Ankömmling, »aber diese sechzehn Löcher: jedes Mal wieder rauf und runter. . .«
Es gibt auch Witze, die nicht unbedingt an einen Golfplatz gebunden sein müssten.
Die berühmte Dreiergruppe, ein katholischer Geistlicher, ein evangelischer Pfarrer und ein Rabbi spielen Golf. Es ist ein besonders heißer Tag, und in der Mittagszeit ist der Platz ganz leer. An einem Teich schlägt der Rabbi vor: »Wollen wir nicht kurz hineinspringen und uns abkühlen?«
»Aber wir haben doch gar kein Badezeug mitgenommen«, wenden die beiden anderen ein.
»Es ist doch keiner da, der uns sehen könnte«, meint der Rabbi. Nach einigem Zögern legen alle die Kleidung ab und erfrischen sich. Als sie danach nackt am Ufer stehen, kommt hinter einer Buschreihe eine Besuchergruppe daher. Die drei reagieren erschrocken, aber unterschiedlich: Die zwei Geistlichen verschränken ihre Hände unten vor dem Körper, während der Rabbi sich rasch das Gesicht zudeckt.
Als die etwas verwunderten Besucher wieder gegangen sind, sehen die beiden den Rabbi fragend an.
»Je nun«, sagt der, »was soll ich euch sagen? Meine Gemeinde kennt mich am Gesicht!«
Dafür ist der nächste Witz nicht ohne Golfplatz denkbar. Er ist ein Klassiker unter den Golfwitzen, der bekannteste wahrscheinlich, ich habe fast Hemmungen, ihn zu erzählen.
Zwei reifere Herren spielen Golf. Am Loch zehn, das ziemlich am Rande des Platzes liegt, sehen sie, etwa zweihundert Meter entfernt, auf einer Straße eine Beerdigungsgesellschaft gehen.
Da bleibt einer der Spieler stehen, nimmt die Mütze ab und verneigt sich.
»So pietätvoll habe ich Sie ja noch nie erlebt«, wundert sich der Mitspieler.
»Sie müssen wissen«, sagt der Angesprochene, »wir waren schließlich 26 Jahre verheiratet!«