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Hätte man mich jemals gefragt, wie alt er sei, ich hätte geantwortet: so in meinem Alter. Mit anderen Worten: ein später Teenager. Stellen Sie sich also meine Überraschung vor, als mir Camillo Felgen mitteilte, er sei 81 Jahre alt.
Wir nahmen beide in Köln an der Aufzeichnung einer Fernsehsendung teil, so dass wir eine Menge Zeit hatten, Automatenkaffee zu schlürfen und in der Kantine herumzusitzen. Wir waren beide Rundfunkpioniere und hatten uns deshalb viel zu erzählen.
Die meisten jungen Leute, die heute Radio hören, haben wahrscheinlich noch nie etwas von uns gehört. Wenn Sie sich jetzt also fragend am Kopf kratzen, erzähle ich Ihnen gerne, dass Camillo der erste Disc-Jockey bei Radio Luxemburg war und als solcher Radiogeschichte geschrieben hat. Er setzte die ganze Ära des Privatradios in Gang, die sich später im Privatfernsehen fortsetzte. Außerdem ist er Sänger, und seine Platte >Sag Warum< verkaufte sich 1959 eine Million mal (und ist immer noch die Lieblingsscheibe vieler Leute). Viele Millionen Menschen sahen ihn im Fernsehen, als er in den sechziger und siebziger Jahren die enorm erfolgreiche Gameshow >Spiel ohne Grenzen< präsentierte.
Dieter Thoma schrieb 1959 über einen Besuch bei Camillo: »Zwei kleine Zimmer und Tausende von Platten in Kleiderschränken. Herbert von Karajan schaut mit ernster Miene von der Wand. Er hängt ganz oben, als sei er der Häuptling der acht Dutzend Schnulziers darunter. Am Schreibtisch davor sitzt Camillo Felgen, Chef der deutschen Abteilung von Radio Luxemburg, Gebieter über die Herzen von nachweislich elf Millionen dankbarer Hörer in der Bundesrepublik. Die fühlen sich hier zu Hause, abseits der deutschen Erde, aber nahe dem deutschen Gemüt in Radio Luxemburg.
>Versprecher gehören dazu<, sagt Camillo. Er geht zwischen den Ansagen aus dem Studio zum Telefon und sagt später den Hörern: >Ich war mal eben telefonieren, Freunde.< Unmittelbarkeit ist alles. Den Hörern das Gefühl geben, dass da ein Mensch am Mikrofon sitzt. Und das macht, so viel man gegen den meistgehörten europäischen Schnulzensender einwenden mag, die entscheidende Wirkung aus.
Camillo ist selber Schlagertexter, Sänger und Manager, arbeitet mit der Routine des Erfolgreichen. Ein überlegen wirkendes Lachen hat er in der Kehle parat wie Filmsternchen ihr Smiling. Während eine Platte läuft, überlegt er mit mir, wo die Melodie wohl geklaut sein könnte. Dann sagt er seinen Hörern, es sei ihm leider auch nicht eingefallen.«
Das ist jetzt über vierzig Jahre her.
»Kennst du ein paar gute Witze?«, fragte ich Camillo. Dabei muss er eigentlich keine Witze erzählen. Seine ganze Art, sich auszudrücken, ist sehr amüsant.
»Warum?«
»Wir sammeln für unser neues Buch Witze«, sagte ich.
Er dachte ein paar Momente nach. »Es ist immer das Gleiche«, sagte er schließlich. »Wenn dich jemand nach einem bestimmten Namen fragt oder nach einem Witz oder einem bestimmten Datum, ist dein Kopf plötzlich leer.«
»Ich habe dieses Problem seit meiner Schulzeit«, sagte ich.
Er blickte auf. »Hast du E-Mail?«
»Jeder über Siebzig hat E-Mail«, antwortete ich. »Ich sag dir etwas«, fuhr er fort. »Ich denk ein bisschen nach und schick dir dann ein paar Zeilen, in Ordnung?« Zwei Tage später kam seine E-Mail an:
Ein Mann kommt nach vielen Jahren in seine alte Heimat zurück. Er fährt einen riesigen, mit allen Schikanen versehenen amerikanischen Wagen und gibt mächtig an. Dann trifft er auf einen alten Schulkameraden, dem er seinen Reichtum mit einem Wort erklärt: Er sei jetzt ein erfolgreicher Musiker. Der Kamerad wundert sich, da der Auswanderer ja in der Schule in Gesang und Musik eine Null war.
»Du kennst doch die neuen, südamerikanischen Orchester, in denen immer einer >Huh< schreit.« »Und das bist du?«
»Nein, ich bin der, der den, der >Huh< schreit, in den Arsch tritt.« Hier noch ein Witz, den ich schon jahrelang nicht mehr erzählt habe: Der feine Unterschied.
Zwischen einer Dame und einem Diplomaten gibt es einen. Wenn der Diplomat »ja« sagt, meint er »vielleicht«, wenn er »vielleicht« sagt, meint er »nein«, und wenn er »nein« sagt, ist er kein Diplomat.
Wenn eine Dame »nein« sagt, meint sie »vielleicht«, wenn sie aber »vielleicht« sagt, meint sie »ja«, und wenn sie »ja« sagt, ist sie keine Dame.
Dieter Thoma
Tünnes trifft Klein Erna: Der regionale Witz
Regionale Witze vermitteln das Lebens- und Sprachgefühl der Menschen, ihre jeweiligen Eigenheiten, Macken und Vorlieben. Auch durch die Sprache wird einem Witz der regionale Stempel aufgedrückt, manchmal nur durch die Namen der handelnden Personen, unter denen der Kölner Tünnes mit seinem Freund Schäl und die Hamburgerin Klein Erna zu den Berühmtheiten zählen.
Regionale Schmuckstücke sind auch die Kölner Löwenwitze. Einen sehr schönen hatten wir für unser erstes Buch >Ganz Deutschland lacht< aufgestöbert:
Tünnes trifft den Schäl: »Wo bist du gewesen?«
»Ja, ich war auf Löwenjagd in Afrika.«
»Auf der Löwenjagd? Wie viele Löwen hast du denn geschossen?«
»Geschossen habe ich keinen.«
»Wieso warst du denn dann auf der Löwenjagd?«
»Ja, weißt du, für Löwen ist keiner schon viel.«
Er steht neben einem anderen Kölner Witz, von dem ich behaupte, dass kein anderer die Kölner Lebensart so gut spiegelt. Diese »Kölner Lebensart« ist das, was aus mehr als zweitausend Jahren germanischer, römischer, hansischer, französischer und rheinischer Tradition zusammengewachsen ist. Mit Kölsch in den Adern, Karneval im Herzen und Vertrauen zu den Heinzelmännchen.
Der Tünnes begegnet dem Schäl mit Gepäck. »Wo willst du denn hin?« »Ich fahre in die Sahara.« »Sahara, ist das nicht gefährlich?« »Wieso gefährlich?«
»Na, du gehst nach dem Mittagessen ein Stück raus in die
Sahara, und dann kommt so'n Löw' an.«
»Dann nimm ich mein Gewehr und schieß den Löw' tot!«
Sagt der Schäl: »Tünnes, inne Sahara, nach dem Essen, du denkst an nix Böses — da hast du doch gar kein Gewehr bei dir.«
»Na gut, dann nehme ich ming Revolver und schieß den Löw' tot.«
Sagt der Schäl: »Nach dem Mittagessen, auf 'nem Verdauungsspaziergang, da hast du doch keinen Revolvergürtel um.« »Dann nehme ich einen Knüppel und schlage den Löw' tot.« Sagt der Schäl: »Tünnes, inne Sahara, nix als Sand, wo willste da 'nen Knüppel finden?«
Sagt der Tünnes: »Schäl, hälste nu mit dem Löwen oder hälste mit mir?«
Auf einer Lesung fragte mich ein Zuhörer: »Gibt es den nicht auch mit einer anderen Pointe?« Er hätte nicht besser fragen können. Es freut einen immer, wenn man schnell zu Diensten sein kann. Jean Pütz hat mir gerade diesen erzählt:
Tünnes erzählt von Abenteuern, die er in der Sahara erlebt hat. »Ich gehe da nichts Böses ahnend spazieren, kommt da plötzlich ein Löwe auf mich zu. Da nehme ich mein Gewehr, ziele dem Löwen genau zwischen die Augen und drücke ab. Nichts passiert. Das Gewehr hat Ladehemmung. Der Löwe kommt jetzt schneller auf mich zu, leckt sich schon mit seiner riesen Zunge das Maul. Da werfe ich das Gewehr weg und laufe, was ich kann. Ich spüre schon den Atem des Löwen im Nacken, da springe ich auf einen Baum und bin gerettet.«
Sagt Schäl: »Tünnes, in der Sahara, da gibt es doch gar keine Bäume!«
Sagt Tünnes: »In dem Moment war mir das völlig egal!«
Regionale Witze leben von den Verschiedenheiten zwischen Nachbarn. Wie bei Kölnern und Düsseldorfern.
Die meisten Witze brauchen Vorurteile, um zu wirken, jemanden, über den man lachen kann. Der Aachener Professor Jürgen Rink sagt: »Wir haben gerade eine Untersuchung gemacht. Sie hat nicht viel Neues gebracht, aber um einen Witz zu belegen, reicht es. Wir fragten: wie seht ihr den Holländer, den Deutschen und euch selbst? Natürlich waren alle Befragten sehr von sich überzeugt. Der Holländer gilt vornehmlich als sparsam und etwas geizig. Und der Düsseldorfer hat ein besonderes Verhältnis zum Holländer. Inwiefern, ist schnell erzählt«:
In der Weihnachtszeit kommen Holländer mit vielen, vielen hundert Bussen, bevölkern den Düsseldorfer Weihnachtsmarkt, kaufen nichts und fahren wieder ab. Ein Düsseldorfer sieht am Ufer des Rheines einen Menschen, der die Schöpfhand in das Wasser hält. Offenbar will er Wasser aus dem Rhein. Der Düsseldorfer läuft dahin und ruft schon von weitem: »Das dürfen Sie nicht, da ist Dreck drin, Chemikalien, das ist völlig verseucht! Sie können krank werden und sogar sterben!« In diesem Moment dreht sich der Mensch mit der Schöpfhand rum, schaut zum Düsseldorfer auf und fragt: »Wat secht u?«
Der Düsseldorfer grinst und sagt: »Sie müssen beide Hände nehmen, beide Hände!«
Die Hamburgerin Klein Erna, eine kleine Göre mit einer umfangreichen Familie namens Pumeier, wird Zeit ihres Lebens von etwas unappetitlichen Scherzen begleitet.
Als Mama mal wieder selbst im Fischladen einkauft, sagt die Fischfrau:
»Was ich Sie noch fragen wollte, Frau Pumeier, was Ihre Klein Erna ist, die spuckt ja jedes Mal, wenn sie einkaufen kommt, in die Heringstonne. Schad ja nix, aber was soll das?«
Onkel Emil ist schon eine ganze Zeit tot, da kommt bei Tante Frieda so'n Mann anne Tür, der altes Zeug kauft. Er fragt Tante Frieda, ob sie nicht 'nen Anzug von Onkel Emil zu verkaufen hätte.
»Anzug nicht«, sagt Tante Frieda, aber 'ne Jacke wolle sie abgeben.
»Aber warum wollen Sie mir die Hose denn nicht verkaufen?«, fragt der Mann.
Da sagt Tante Frieda: »Zu die Hose bin ich noch zu traurig zu.«
Klein Erna! Klein Erna! Komm rauf; Füße waschen! Mama braucht die Schüssel gleich für Salat!
Bahnbrechend sind die Geschichten, in denen sich Klein Erna als Theaterbesucherin äußert. Man hat natürlich ein Abonnement.
Zu >Lohengrin<: »Ischa'n schönes Stück. Ich hab' nur nicht verstanden, was der Leutnant zu der Gans gesagt hat!«
Zu >Othello<: »Ischa'n ganz furchtbares Stück! Hab' ich doch meine Gummistiefel in gelassen!«
Im Zoo: »Klein Erna, du sollst nicht so nah ran an die Eisbären! Bist sowieso schon so erkältet!«
Zu einem geflügelten Wort ist die Beerdigung von Onkel Emil geworden:
Onkel Emil ist zu Grabe getragen worden. Es ist eisig kalt und die Straßen spiegelglatt, so dass auf dem Weg vom Krematorium zum Friedhof die schwarz gekleideten Familienmitglieder immer wieder ausrutschen und auf dem Hosenboden landen. Schließlich wird es der trauernden Frau Pumeier zu viel. Sie öffnet die Urne und ruft: »Schluss mit die Pietät! Jetzt wird gestreut!«
Aus Berlin kennen wir die »wa'«-Witze. Zum Beispiel:
Der kleine Barbierlehrling ist über Mittag alleine im Laden, als ein baumlanger amerikanischer schwarzer Soldat das Geschäft betritt und sagt: »Rasieren bitte.«
Da wehrt sich der Junge und sagt: »Mister, ick bin Lehrling, ick kann dat nich.«
»Rasieren bitte«, wiederholt der Soldat und setzt sich hin. »Auf Ihre Verantwortung.« Der Junge fängt an, ihn einzuseifen, wetzt das Messer und — zack — haut er ihm erst mal an der Backe einen Schnitt rein.
Der Amerikaner verzieht keine Miene.
Der Junge gibt weiter sein Bestes. Doch wieder passiert ihm ein Fehler und — zapp — haut er ihm ein halbes Ohr ab. Der Kunde verzieht keine Miene.
Als der Junge ihm die Nasenspitze wegnimmt, da rollen zwei dicke Tränen durch den weißen Schaum. Da sagt der Kleine: »Heimweh, wa?«
Oder die viel gerühmte Berliner Schlagfertigkeit:
Viele Autos haben sich zu einem langen Beerdigungskonvoi formiert. Ein Mann unter den vielen Zuschauern fragt einen Jungen: »Weißt du, wer da begraben wird?« Sagt der: »Ick gloobe, der vorne im ersten Wagen.«
Bei den Regionen muss man auch Westfalen, die nördliche, angeblich von Dickschädeln bevölkerte Hälfte des Bundeslandes NordrheinWestfalen, erwähnen.
Der Rundfunkjournalist C.W. Koch erzählt dazu: »Jedes Mal, wenn der frühere Bundespräsident Heinrich Lübke Urlaub in seinem Heimatland Westfalen, im Sauerland, machte, wurde der Landrat alarmiert. Der musste eine vertrauenswürdige Doppelkopfrunde zusammenstellen, und ich galt wohl als vertrauenswürdig, jedenfalls war ich ein paar Mal dabei. Ich bin mal durch Afrika gereist mit ihm, und diesen berühmten Satz: >Guten Tag meine Damen und Herren, guten Tag liebe Neger<, den hat Lübke damals in mein Mikrofon auf dem Flughafen von Dakar im Senegal gesagt. Ich weiß bis heute nicht, wie das verbreitet worden ist. Ich hab' es nicht getan. Bei der Gelegenheit habe ich aber gehört, dass der damalige Chefdolmetscher der deutschen Bundesregierung grundsätzlich etwas anderes übersetzte, als Lübke gesagt hatte. Er vermittelte einen ordentlichen Text, und da weißhaarige Männer in Afrika immer sehr beliebt waren und großes Ansehen hatten, konnte Lübke erzählen, was er wollte, der Dolmetscher fand schon die richtigen Worte und wahrte sein Ansehen.«
Die Geschichte dieses Dolmetschers wäre vermutlich auch ein Buch wert. Reden eines Bundespräsidenten, die nie gehalten wurden, sondern als scheinbare Übersetzung entstanden. Über diesen Mann müsste man schreiben! Wenn er nicht gerade seine Rolle als Staatsoberhaupt spielte, konnte Heinrich Lübke ein sehr unterhaltsamer Gesprächspartner sein. Lübke hatte eine ausgesprochen pfiffige Art. Und er war ein geschickter Skat- und Doppelkopf-Spieler. Doch auch hier legte er großen Wert darauf, dass die Etikette gepflegt wurde:
»Er verlangte, dass man ihn mit >Herr Bundespräsident ansprach. Man durfte ihm nicht sagen: >Da haben Sie aber jetzt eine falsche Karte gezogen.< Sondern: >Da haben Sie aber jetzt eine falsche Karte gezogen, Herr Bundespräsident^ Worauf er antwortete: >Das mach' wohl sein.<
Er sprach ein bisschen Sauerländer Platt, und er sprach sehr leise. Wahrscheinlich deswegen, weil er wusste, dass ihm als Bundespräsident jeder zuhören musste. Irgendwann am Abend kam dann seine Frage: >Meine Herren, möchten Sie denn auch mal, dass der Bundespräsident ein paar Sauerländer Dönekes zum besten gibt?<
Selbstverständlich, Herr Bundespräsident, gerne wollen wir das.< Und dann hatte er zwei Geschichten auf der Pfanne. Es waren immer dieselben. Spannend war, in welcher Reihenfolge er sie erzählte. Die eine Geschichte ging so:
>Stellen Sie sich vor, meine Herren<, sagte er, >da war auch so eine Runde, wie wir sie hier haben; die hatten im Gasthaus gesessen und es war zwei Uhr nachts geworden und der Heinrich Schulte Quakenkamp, der war schon ziemlich betüttert. Er hatte einen über'n Durst getrunken und fand doch verdorich sein
Häuschen nicht mehr. Alle waren se schiefergedeckt und Fachwerk, und er hatte schon das dritte Mal vergeblich mit dem Schlüssel geprokelt, und einmal hatten se schon ein Nachtgeschirr auf ihn ausgeleert. Sie können sich vorstellen, was der arme Kerl verzweifelt war. Und nun kam er dann an sein Häuschen, und dann kam seine Frau Wilhelmine oben annen Schlagladen und sagt: >Bist du es, Heinrich?< Worauf er ganz kläglich sagte: >Hoffentlich.<
Heinrich Lübke erzählte diese Geschichte noch erheblich länger, was durchaus ganz unterhaltsam sein konnte. Die Pointe blieb immer dieselbe. Die andere Geschichte war bei ihm immer verbunden mit einem Stück Geschichtsunterricht:
>Meine Herren, ich kann ja wohl voraussetzen, dass Sie die Geschichte unseres Vaterlandes und unserer Nachbarländer einigermaßen parat haben. Deswegen dürfte der Ausdruck >Isonzofront< auch in Ihrem Leben eine gewisse Rolle spielen. Also Isonzofront — das spielte sich in den Alpen ab. Die Österreicher waren gegen die Italiener ganz gewaltig in die Bredullje geraten. Und jetzt wurde das 17. Infanterieregiment aus Iserlohn an die Isonzofront gebracht, in Eilmärschen, damit die Italiener zurückgeworfen werden konnten. Heinrich Wilhelm Schulte-Quanekuntel vom 17. Infanterieregiment aus Iserlohn musste also jetzt Wache stehen an der Isonzofront. So stand er da und hatte seinen Gewehrriemen festgenommen, als ein k.u.k.-österreichischer Leutnant vorbeikam. Aber Heinrich Wilhelm Schulte-Quanekuntel übersah ihn, der war Luft für ihn. Das ärgerte den Leutnant und der sagte: Sagen S', Sie, Gefreiter, ich bin Leutnant, mein Kaiser und Ihr Kaiser sind Verbündete, also Sie müssen mich grüßen.
Worauf Heinrich seinen Gewehrriemen noch ein bisschen fester fasste und sagte: Wir vom 17. Infanterieregiment aus Iserlohn sind nicht in Eilmärschen hier an die Isonzofront geworfen worden, um Ihnen zu grüßen, sondern um Ihnen aus der Scheiße zu ziehen.<
Das erzählte Heinrich Lübke etwa in der Dauer von einer halben Stunde.«
Wenn ich an westfälische Geschichten denke, fällt mir als erste eine ein, die mir mein Vater erzählt hat, als ich klein war. Um sie zu verstehen, muss man wissen, wie damals Personenzüge gebaut waren.
Als in den Zügen der Reichsbahn noch jede zweite Sitzreihe eine Abteiltür hatte, schlugen die Schaffner bei Abfahrt des Zuges alle offenen Türen zu, auch jene, hinter der Bauer Bohnekamp sitzt. Die Tür fällt jedoch nicht ins Schloss, sondern kommt mit Wucht zurück und haut mit der Klinke dem Schaffner gegen den Kopf. Wütend schlägt er sie ein zweites Mal zu, diesmal heftiger. Wieder federt die Tür mit der gleichen Wucht zurück und trifft seine Nase. Der Schaffner guckt genauer nach, was da los ist. Und da sitzt Schulze Bohnekamp und grinst: »Jünksken, so lange ich meinen Daumen dazwischen halte, kriegst du die Tür nicht zu!«
Koch begrüßt das neue Stichwort. »Wenn ich den Kölnern erzählen sollte, was die Westfalen für Leute sind, dann habe ich mich immer an meinen Freund erinnert, den Hinnerk aus Appelhülsen.«
Hinnerk habe ich neulich getroffen mit so'nem Pferd am Halfter, und der machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Ich sagte: »Was ist los?«
»Au«, sagt er, »das ist ein ganz verfaulter Tag heute. Ich komme in den Stall, da liegt dieser Gaul auf allen Vieren im Stroh und ich sach >los, Hannes, upstan, arbeiten<. Und der guckt mich an, als ob er sagen wollte >Du kannst mal inne Meese klei'n<. Und ich die Peitsche vonne Wand, hab' dem eine übergetrocken. Da ist der aufgesprungen, hat ausgekeilt und mir genau vorn Kopp. Und jetzt lahmt der blöde Gaul, jetzt muss ich mit dem zum Tierarzt.«
So sollen wir Westfalen sein. Es gibt da noch einen ganz alten Witz:
Große Bauernbeerdigung. Die Bäuerin war vom Pferd erschlagen worden, und das ganze Dorf war natürlich bei der Beerdigung.
Und der eine Nachbar von dem, der sieht, wie die Leute immer ans Grab treten, und wenn die Frauen kommen, dann nickt der verwitwete Ehemann immer, und wenn die Männer kommen, dann schüttelt er immer den Kopp.
Es ärgert ihn, dass er nicht weiß, was da vor sich geht. Er tritt näher heran und hört, wie die Frauen immer sagen: »Herzliches Beileid.«
Und der verwitwete Ehemann nickt immer und sagt: »Dankeschön, Dankeschön.«
Und die Männer sagen: »Kannste mich den Gaul mal leihen?«
Wenn die Westfalen aber fragten, was die Kölner für Leute seien, meint mein westfälischer Gast, da habe er immer die Geschichte vom heiligen St. Gereon, dem Schutzpatron der Arbeitslosen erzählt.
In der St. Gereonskirche steht eine kostbare Statue aus dem 14. Jahrhundert, eben der Schutzpatron der Arbeitslosen. Und da kommt der Tünnes und sagt: »Lieber heiliger St. Gereon, isch hann kinn Arbeit, und wenn isch bis morgen keine Arbeit habe, dann komm' ich mit der Axt und hau' disch kapott, haste dat verstanden?« Und damit geht er weg.
Der Küster, der hinter der Säule steht, hat das gehört. Er läuft zum Pfarrer und sagt: »Alarm, Alarm, Herr Pfarrer, wir müssen die GSG-9 benachrichtigen! Ich weiß genau, der Tünn, der kriegt so schnell keine Arbeit, der haut uns morgen unseren heiligen St. Gereon kaputt.«
Da sagt der Pfarrer: »Ruhig Blut, den bringen wir erst mal in Sicherheit in die Sakristei. Und dafür stellen wir diese kleine Figur aus Gips hin. Dann wollen wir mal warten, was passiert.« Am nächsten Morgen kommt der Tünnes mit einer riesigen Axt in die Kirche und sagt: »Dat han isch dir gesagt, wenn isch kinn Arbeit habe, dann ... Wo ist denn deine Papa, der Feigling?«
Auch der Kölner Dompropst Heinz Werner Ketzer gab hinreißende Geschichten zum Besten. Zum Beispiel diese:
Der kleine Tünnes hat fünf Mark von der Oma gekriegt und soll auf die Kirmes gehen, nach Nippes. Und dann kommt er dahin,
und es steht alles still. Kein Karussell läuft.
Und er sagt: »Isch will Karussell fahren, wat is los?«
Da kommt einer vorbei: »Ruhig Junge, der Papst ist gestorben.«
Fragt der Tünnes: »Habt ihr keinen anderen, der dat Karussell anstellen kann?«
Da muss man die fabelhafte Geschichte von Heinrich Lützeler aus der >Philosophie des Kölner Humors< aufwärmen. Es ist vermutlich die bekannteste Kölner Pointe:
Fronleichnamsprozession in Köln. Eine ortsfremde Dame bemerkte höchst unkundig zu ihrer Freundin: »Sieh doch mal, wie hübsch die weißen Kinderchen sind!«
Da wandte sich das Mädchen aus der Reihe um und stellte, gekränkt, knapp richtig:
»Mer sin doch de Engelscher, du Aaschloch!«
Heinrich Lützeler habe ich auch noch in einer Talk-Show-Sendung, dem >Kölner Treff<, erlebt. Dort erzählte er:
Ein Mann kommt in die Post in Bonn und sagt: »Ich hätte gern zehn Briefmarken.«
Fragt der Verkäufer: »Wünschen Sie sie einzeln oder am Stück?« »Bitte am Stück, aber ganz dünn geschnitten. Wir haben heute abend noch Besuch!«
Lützeler knüpfte eine kleine Abhandlung daran, was sich alles aus diesem Dialog an tiefsinnigen Erkenntnissen ableiten lässt. Von guter Vorsorge bis zum Geiz.
C. W. Koch hat jetzt lauter kleine, gutmütige Lachfältchen im Gesicht. Das seien Kölner Klassiker, meint er. Aber auch die Bayern und ihre Witze liebe er sehr. Vor allem dann, wenn die Preußen mitspielen. Die seien so etwas wie die Ostfriesen der Bayern.
Ein Preuße steht auf dem Turm der Münchner Frauenkirche. Es ist ein wunderschöner Tag mit strahlend weiß-blauem Himmel. An der Balustrade stehen zwei in Trachtenmäntel gekleidete Männer neben ihm. Neugierig schaut der Preuße herüber. Die Männer zwinkern freundlich zurück. Dann bewundern sie die Aussicht:
»Ah, welch ein wunderbarer Blick.«
Da sagt der eine von den bayerisch gewandeten Leuten: »Du, lass uns fliegen.«
Der Preuße schaltet sich ein und fragt erstaunt: »Fliegen, wieso fliegen?«
Da sieht er, wie einer der beiden auf die Balustrade steigt, seinen Lodenmantel ausbreitet, hinabspringt und durch die Luft segelt. »Wunderbar«, schwärmt er vom blau-weißen Himmel herab, umkreist die beiden Kirchtürme und landet wieder. Der andere Bayer hat sich das Ganze vergnügt angeschaut und meint: »Ja, des mach i auch.«
Und so breitet auch er seinen Lodenmantel aus, fliegt in die Höhe, dreht ein paar Runden und kommt zurück. Da sagt der Preuße: »Was die mit ihren Lodenmänteln können, das kann ich mit meinem Trenchcoat auch.« Er öffnet seinen Mantel, springt hinab und klatscht unten aufs Pflaster. Da sagt der eine Bayer zum anderen: »Gell, mir sann schon rechte Teifi, mir bayrischen Engeln.«
Aber sein Lieblingswitz von den Bayern, sagt C. W. Koch, sei immer noch dieser:
Ein Preuße kommt am Hauptbahnhof in München an und erblickt zwei Seppelhosenträger. Er geht auf die beiden Einheimischen zu und fragt: »Männeken, können Se mir mal sagen, wo dat Hofbräuhaus is'?«
Er kriegt keine Antwort.
»Excuse me, Sir, where is the Hofbräuhaus?«
Keine Antwort.
»Excusez moi, Monsieur, ou se trouve la maison de Hofbräu?« Keine Antwort.
Der Preuße wird immer ärgerlicher. In 14 Sprachen versucht er es, ganz zum Schluss auch auf Hebräisch. Vollkommen entnervt geht er weg.
Da sagt der eine Bayer zum anderen: »Du, hast g'hört, wie viele Fremdsprachen der hat kenna?«
»Jo mei«, antwortet der, »aber hat's ihm was g'nutzt?«
Dabei ist mir ein relativ seltenes Beispiel eingefallen, ein skurriler Witz im regionalen Milieu:
Der Schäl stöhnt: »Mensch, was bin ich üde!«
Tünnes fragt: »Wat soll dat heißen? Etwa, du bist müde?«
»Ja, genau.«
»Warum sagst du dann nicht müde statt üde?« »Dazu bin ich zu üde.«
Manchmal ähneln Kölner Witze jiddischen Geschichten, und die Figuren darin dem Schwejk.
Tünnes und Schäl haben ein Restaurant eröffnet. Faul wie er ist, hat Schäl nur auf die Speisekarte geschrieben: »Fleisch von allen Tieren«. Der Tünnes kellnert, und gleich der erste Gast bestellt nach einem Blick auf die Karte: »Eine Scheibe Elefantenrüssel.« Tünnes läuft in die Küche und sagt: »Da ha'm wir den Salat! Wat soll ich denn jetzt sagen?«
Der Schäl geht selber hin und fragt den Gast: »Wie viel Elefant wollen Sie denn haben?«
»Na, wie ich gesagt habe, eine Scheibe.«
»Nä«, sagt Schäl, »für eine Scheibe schneiden wir unseren
Elefanten nicht an!«