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Mein Nachbar Sergej hat mit seinem Ford Escort Scheiße gebaut. Er hat ein paar von diesen rotweiß gestreiften Dingern gerammt, die um jede Baustelle herumstehen. Sofort war die Polizei zur Stelle und packte ihn in Handschellen. Sergej erklärte, dass er unschuldig sei und nur habe helfen wollen. Es sei an dem Tag zu schnell zu dunkel geworden und das gestreifte Ding habe nicht geblinkt.
»Es sollte doch blinken, oder?«, fragte er die Beamten. Er habe gedacht, die Absperrung hätte ausgedient und irritiere jetzt nur die Autofahrer, erklärte Sergej. Also habe er überflüssige Absperrung unauffällig und unbürokratisch aus dem Weg räumen wollen.
Sein Alkoholtest war hervorragend. Das Gerät zeigte 0,34 Promille, beim zweiten Versuch sogar nur 0,26 - das Bier vom Vortag quasi. Die Polizei ließ ihn trotzdem nicht weiterfahren. Die Beamten nahmen Sergej mit aufs Revier, wo er noch einmal durchsucht wurde. Außerdem wurde ihm Blut abgenommen und ein Drogentest durchgeführt. Der Arzt fragte ihn, welcher Wochentag sei, und zwang ihn, sich mit der rechten Hand mehrmals an das linke Ohr zu fassen. Die Polizisten rieben sich schadenfroh die Hände.
»Mindestens neun Monate Fahrverbot«, prophezeite der eine.
»Wenn alles gut läuft, vielleicht sogar noch mehr«, sagte der andere.
Nach zwei Wochen bekam mein Nachbar jedoch seinen Führerschein wieder zurück, zusammen mit einem Schreiben der Amtsanwaltschaft. Dort stand:
»Sehr geehrter Herr Silberstein,
anliegend erhalten Sie Ihren polizeilich sichergestellten Führerschein vorbehaltlich des Ausganges des noch gegen Sie anhängigen Ermittlungsverfahrens zunächst zurück. Hochachtungsvoll, Justiz Struck.«
»Sie machen sich lustig über mich«, witterte Sergej. »Man sieht es doch, sie schicken mir Briefe in Reimen! Diese Schweinedichter!«
Im Internet las er dann, dass sie eigentlich kein Recht hätten, ohne sein Einverständnis sein Blut für irgendwelche Drogentests zu missbrauchen.
»Ich möchte mich beschweren, wenn möglich ebenfalls in Reimen. Du bist doch Dichter, kannst du für mich nicht einen Brief in Reimen aufsetzen?«, fragte er mich.
»Ich bin kein Dichter«, entgegnete ich. »Außerdem kann ich in diesem Schreiben keine Reime finden. Im Deutschen kann man doch fast alle Worte grammatikalisch so biegen dass sie die gleichen Buchstaben am Ende haben.«
Bei uns im Hof hängt auch seit Ewigkeiten so ein Reim: »Das Anschließen von Fahrrädern an der Wasserleitung ist zu unterlassen, sonst muss die Verwaltung sie kostenpflichtig entfernen lassen.« So gesehen ist in Deutschland jeder Hauswart ein Dichter. In Indonesien übrigens ist es noch schärfer. Dort ist »Dichter« fast ein Schimpfwort - ein höflicher Ersatz für »faule Säcke«, weil sich im Indonesischen alles reimt. Wenn dort zum Beispiel ein Mann gefragt wird, was seine Frau mache, und er darauf antwortet: »Sie dichtet«, dann heißt das, die Frau hat nichts zu tun. Man hat mir erzählt, dass auch in Südindien, in Kerala, alle leicht zu Dichtern werden, weil fast jedes Wort in ihrem Dialekt mit »lam« endet.
»Ach so«, sagte Sergej, »alles klar. Dann mache ich es halt alleine.«
Eine Stunde später zeigte er mir den Entwurf seines gereimten Briefes an die Amtsanwaltschaft:
»Bezüglich Ihres Schreibens, das ich bekam, möchte ich mich beschweren lam lam lam. Der Brief gibt keine Antwort, wie es dazu kam, dass ich mit 0,26 Promille zwei Stunden in Handschellen lam lam lam. Wie schadenfroh der Beamte mir das Blut abnahm, das kränkt mich immer noch lam lam lam. Angesichts der Tatsache, dass ich doch davonkam, bezeichne ich ihre Arbeit als lam lam lam.«
Meine Frau und ich waren begeistert. Seitdem lebt die Poesie in unserem Haus und in unseren Herzen.