77788.fb2 Meine russischen Nachbarn - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 33

Meine russischen Nachbarn - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 33

Wer wird Milliardär?

Meine russischen Nachbarn interessieren sich sehr dafür, wie man in Deutschland superreich wird. Wenn man der hiesigen Forbes-Liste glauben darf, ist es in jedem Land ein anderer Weg, der zu Reichtum führt. Es hat viel mit der Mentalität und den daraus resultierenden Einkaufgewohnheiten zu tun. Was einen Deutschen reich macht, würde Russen bloß in den Wahnsinn treiben und umgekehrt: Was den Russen bereichert, bringt den Deutschen womöglich um. In Amerika ist die Sache längst klar. Dort kommen alle Milliardäre aus dem Netz. Sie haben ihr Geld im Internet, mit dem Internet oder aus dem Internet verdient. Sie leben im Internet und sind in Wirklichkeit eine Computeranimation. Ihr Reichtum ebenso wie ihre ganze Existenz findet in nicht-realen Räumen statt.

In Deutschland sind die Milliardäre solide. Es sind Menschen, die es geschafft haben, eine Unmenge von billigem Fummel und eine astronomische Anzahl von Würstchen in Riesenkonservendosen unter die Massen zu bringen. Die Reichsten unter den Reichen sind die Gebrüder ALDI, nach der gleichnamigen Lebensmittelladenkette benannt. Sie verkaufen in den größten Kaufhallen die billigsten Lebensmittel, die außerdem noch extrem lange halten. Und wenn man lange genug in diesen Lebensmitteln herumwuselt, findet man immer noch andere Lebensmittel, die noch billiger sind und noch länger halten. Wir hatten einmal einen Lutscher bei den Gebrüdern ALDI gekauft, zwei Wochen lang an ihm gelutscht und ihn dann an die Nachbarn weitergegeben. Sie haben ihn nach drei Monaten aber weggeworfen. Er klebte dann den ganzen Winter an der Mülltonne im Hof fest, ist dabei keinen Zentimeter kleiner geworden - und wer weiß, wie lange die Gebrüder ALDI schon an ihm gelutscht hatten, bevor sie ihn überhaupt an uns verkauften.

Diese Brüder hat keiner jemals so richtig gesehen. Sie sind öffentlichkeitsscheu und kleiden sich unauffällig. Niemand weiß, wie sie aussehen. Jeder Kunde von ALDI könnte ein ALDI-Bruder sein. Das Geheimnis ihres Erfolgs liegt eindeutig in der hiesigen Mentalität. Die Deutschen legen nämlich unheimlich gerne Vorräte an, weil sie sich ständig Gedanken über die Zukunft machen. Es könnte immer etwas geschehen: Die Erde könnte aufhören sich zu drehen, das Bier könnte ausgehen oder die Würste vergriffen sein. Für einen solchen Fall der Fälle haben alle Deutschen Keller. Sie kaufen auf Vorrat ein, und wenn man ihnen dabei zwei Kisten Bier zum Preis von einer anbietet, sagen sie nicht nein. Diese Schwäche ihrer Landsleute haben die Gebrüder ALDI erkannt und zu ihren Gunsten genutzt. Sie haben mehr Lebensmittel an die Massen verkauft, als die Massen imstande sind aufzuessen. Also haben die Massen den Rest im Keller verbuddelt.

Ich glaube, auch die Gebrüder ALDI haben einen Keller, den größten, den es in Deutschland gibt. Dort lagern sie die Lebensmittel, die sie aus verschiedenen Gründen nicht an die Massen verkauft haben. Und sollte es so weit sein, dass ein Krieg ausbricht oder eine Naturkatastrophe, steigen die Brüder mit dem Rest der Bevölkerung in ihren Keller, machen ein Bier auf und kommen erst wieder an die Oberfläche, wenn das Übel vorbei ist. Allerdings verfallen die meisten Lebensmittel trotz Konservierungsstoffe, wenn zu lange nichts passiert. Dann werden die Deutschen nervös und marschieren für alle Fälle in Afghanistan ein.

Neben den Gebrüdern ALDI gibt es in Deutschland noch weitere 52 Milliardäre. Es sind in erster Linie Versicherungsvertreter sowie Kaffee- und Aspirin-Produzenten, weil sich die Deutschen stets um ihre Rente sorgen, aus Sorge zu viel Kaffee trinken und davon Kopfschmerzen bekommen. Und nichts hilft bekanntermaßen besser gegen Kopfschmerzen als Aspirin. Der Gerechtigkeit halber muss hier gesagt werden: Es gibt unter den deutschen Milliardären auch einen Kunsthistoriker, was natürlich die hiesigen Reichen ungemein adelt. In welchem anderen Land werden schon Geisteswissenschaftler so unglaublich reich? Nur in Deutschland. Er besetzt auf der Forbes-Liste Platz 194, der Kunsthistoriker Burda. Leider sind die kunsthistorischen Werke, die ihm zu Reichtum verholfen haben, nicht aufgelistet. Es müssen wahnsinnig wichtige Entdeckungen gewesen sein.

Die deutschen Milliardäre sind bescheidene Menschen, sie fallen nicht auf. Aber auch die russischen Milliardäre leben nicht in Saus und Braus, wie viele denken. Sie müssen sich ständig Gedanken machen, was sie mit ihrem Geld anstellen, weil Geld in Russland eine sehr flüchtige Substanz ist. Man kann es in keiner Bank verstecken, es bleibt nie lange in einer Tasche liegen, springt wie ein Floh von einem zum anderen - heute deins, morgen meins. Deswegen strengen sich russische Milliardäre unheimlich an, um ihr Geld zu bändigen. Trotzdem tauchen auf der russischen Forbes-Liste jedes Jahr neue Namen auf, die alten verschwinden, und niemand fragt sich: Wo ist der sympathische Herr von Platz 64, was war los, was ist mit ihm passiert? Und niemand weint ihm eine Träne nach, außer seiner Mutter oder seiner Frau, wenn er eine hatte. Die russischen Massen sind ihren Milliardären gegenüber schadenfroh, wie Massen halt so sind.

Die Tätigkeiten der russischen Milliardäre sind geheimnisvoller als die der Deutschen. Natürlich gibt es auf der russischen Liste ein paar sibirische Ölscheichs ein paar Nickel- und Aluminiummagnaten, doch bei den meisten weiß man überhaupt nicht, womit sie ihr Geld verdient haben. Da steht einfach nur »Herr X., Direktor« oder »Herr Y., Vorsitzender«. Oder einfach nur »Herr X« oder »Y«, als hätte seine Mutter diesem Herrn seine Milliarden ins Bettchen gelegt. Doch alle Welt weiß, weder Mutter noch Vater konnten dies tun. Sie haben ihre aktive Lebensphase im entwickelten Sozialismus verbracht, in dem es keine Reichen geben durfte. Im entwickelten Sozialismus landeten Reiche im Knast. Es sitzen übrigens auch heute ziemlich viele reiche Russen im Knast, gleichzeitig stehen sie auf der Forbes-Liste. Das darf man jetzt. In einer Demokratie schließt das eine das andere nicht aus, man kann gleichzeitig im Knast sitzen und reich sein. Dann lesen wir auf der Forbes-Liste neben Herr X oder Y: »vorübergehend inhaftiert«.

Wie sitzt ein Milliardär seine Strafe ab? Ich stelle mir dabei eine große, gut gelüftete Zelle vor, mit riesigen Nacktfrauenkalendern an der Wand, sauberer Kloschüssel und einem Fernsehgerät mit vergoldeter Fernbedienung. Auch das Fenstergitter ist vergoldet. Dazu vielleicht noch ein Gitarrist, der jeden Morgen zum Frühstück die schönsten und leidenschaftlichsten Knastlieder live zum Besten gibt. Beim genauen Blick auf die Forbes-Liste lässt sich die Frage, Wer wird Milliardär? leicht beantworten. Es kann einfach jeden treffen.