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Samstag brach Mrs. Pollifax frühzeitig nach New York auf und verbrachte den Nachmittag vor dem Abflug bei Abercrombie & Fitch. Sie triumphierte, weil sie einen neuen Reisehut entdeckt hatte. Es war kein ausgesprochener Tropenhelm, sah ihm aber so merkwürdig ähnlich, daß sie ihre Enttäuschung schnell verwand. Es war ein weißer, rund gewölbter Strohhhut mit einer einzigen roten Feder, die hinten befestigt und über den Kopfteil bis zu der kleinen Krempe vorn geführt war. Dort wurde sie durch eine Klemme gehalten, eine schmale rote Linie milderte die Strenge des Hutes und verlieh ihrem zwei Jahre alten blau-weiß gestreiften Kostüm einen verwegenen Pfiff.
Sie war in keiner Weise auf Abercrombie vorbereitet gewesen. Gewiß hatte sie ein- oder zweimal aus Neugier den Kopf zur Tür hereingesteckt, aber nie vorher das Geschäft unter dem Aspekt einer bevorstehenden Safari betreten. Nun, durch die neue Situation befugt, verlor sie alle Hemmungen, besonders nachdem sie entdeckt hatte, daß sie wegen der im Winter verlorenen fünf Pfund unerwarteterweise in eine Hose Größe vierzig paßte.
Innerhalb einer halben Stunde hatte sie ihre Garderobe beisammen: Zwei Paar lange Khakihosen samt einer Buschjacke, einen dicken Rollkragenpullover und eine lange, blaßblaue Strickjacke mit Gürtel. Das alles würde in ihrem Koffer Platz finden. Den Rest ihrer schöpferischen Fantasie verwandte sie auf das Zubehör, das sie in Ekstase versetzte. Sofort erlag sie einer riesigen, farbigen Sonnenbrille, die ihr das Aussehen einer Marsbewohnerin verlieh, dann kaufte sie eine Taschenlampe, dazu einen Leuchtstift zum Schreiben im Dunkeln, und nur mit Bedauern entschied sie sich gegen einen Satz Aluminiumschüsseln, die sich so ineinanderschachteln ließen, daß sie in ein flaches Etui paßten. Sie kaufte ein seidenes Halstuch mit sich jagenden Zebras darauf, einen Khakihut und einen Staubschleier, weil ja immerhin die Möglichkeit bestand, daß sie in einen Sandsturm geriet. Sie glaubte mit ihren Einkäufen fertig zu sein - bis sie den Schirm erblickte.
»Er ist ziemlich groß«, erklärte der Verkäufer, der ihr fasziniert zusah. »Es ist nämlich ein Herrenschirm.«
»Ja, aber ist er nicht schön?« fragte sie und betrachtete voller Entzücken seine Regenbogenfarben: violett, blau, grün, gelb, orange und gelbrot.
»Ich glaube, in Sambia ist die Regenzeit vorüber.«
»Richtig«, sagte sie bedächtig. »Aber es ist doch eigentlich eine Sache der Wortwahl, finden Sie nicht?«
»Wie bitte?« fragte er verwirrt.
»Ich meine, einen Regenschirm könnte man genauso gut einen Sonnenschirm nennen. Wenn die Regenzeit vorüber ist, dann scheint die Sonne. Sehr viel Sonne, möchte ich annehmen.«
»Ja«, sagte der junge Mann verblüfft. »Ja, das ist bestimmt richtig. Sonne und Staub.«
Sie nickte. »Und dann habe ich meinen Staubschleier und meinen Sonnenschirm . «
»So ist es«, sagte er, weil er begann, ihre Überlegungen zu verstehen.
»Und wenn man sich in irgend etwas verliebt«, gestand sie, »dann tut es hinterher immer leid, daß man es nicht gekauft hat.«
»Ganz richtig«, erwiderte er herzlich. »Dann müssen Sie ihn natürlich haben.«
Pollifax kaufte ihn, was ihr nicht einmal dann leid tat, als er am Flughafen als Waffe klassifiziert wurde, und sie zusehen mußte, wie er während der ganzen Reise Gepäckrutschen hinuntergeworfen wurde. Das war, fand sie, ein geringfügiges Übel, wenn man einen so prächtigen Regenschirm besaß. Oder Sonnenschirm.
Und so flog Mrs. Pollifax an jenem Abend nach London ab, ausreichend geimpft und ausgerüstet mit einem Koffer voller pflegeleichter Sachen und anderer kleiner Schätze. Die prächtigen Magazine lockten sie nicht. Während der Reise holte sie ihr Buch über afrikanische Tiere heraus und las: >Die Pferdeantilope bietet mit ihrem kraftvollen, massigen Körper, der schwarzweißen Gesichtszeichnung, den starken Hörnern und den langen Ohren ein prächtiges Bild<, und dann schlief sie ein. Als sie wieder aufwachte, las sie: >Die Säbelantilope ist tief dunkelbraun, die alten Männchen sind indessen tiefschwarz<, und wiederum nickte sie ein. Im
Londoner Flughafen Heathrow machte sie in einem kleinen Aufenthaltsraum abermals ein Schläfchen, und am Sonntagabend um acht Uhr bestieg sie die Maschine der Sambia-Airways nach Lusaka.
Hier erlebte sie ihre erste Enttäuschung. Da Sambia ein junges Land war, kaum zehn Jahre alt und in schneller Entwicklung begriffen - die Dritte Welt, dachte sie feierlich - hatte sie ein paar exotische Reisegefährten erwartet. Statt dessen fand sie sich zwischen Passagieren wieder, die ihr wie britische Familien auf Urlaubsreise vorkamen mit Babys und kleinen Kindern. Die einzigen Farbtupfer waren die hübschen schwarzen Stewardessen in ihren orangefarbenen Minikleidern.
Halb dösend, halb wachend verbrachte sie die Nacht, entschlossen, den ersten Blick auf Afrika keinesfalls zu versäumen. Als der Tag graute, öffnete sie die Augen und erblickte eine Fläche von Kräuselwolken, der eine hellorangefarbene Sonne entschlüpfte, die wiederum eine sanftrosa Spur hinterließ. Alle Schläfrigkeit verschwand. Voller Freude setzte sie sich auf. Nach und nach wurden die Wolken lichter und lösten sich schließlich auf, die Sonne tauchte den Himmel in warmes, helles Licht, Mrs. Pollifax schaute aus ihrem Fensterchen nach unten: sie sah Afrika.
Endlich Afrika dachte sie, und durchaus kein schwarzer Kontinent. Aus dieser Höhe sah es aus, als sei die Erdoberfläche abgeschält, zu einer trüb orangefarbenen Kruste verkocht und dann mit grünen Flechten dünn besprenkelt worden. Am sonderbarsten aber waren die hier und da auftauchenden Erderhebungen. Wirklich, dachte sie, die sehen genauso aus wie Blasen in einem dicken Brei, der auf dem Herd blubbert.
Bald wurde das Bild gefälliger, und das blasse, staubige Grün wich einem dichten, mit roten Lehmwegen geränderten Gewebe, wie aus grobem Garn, das sich bis zum Horizont erstreckte. Einmal war sie überzeugt, ein Dorf aus Hütten zu sehen, und sie erschauerte bei der Vorstellung, daß dort unten Eingeborene beim Morgengrauen erwachten, ohne zu ahnen, daß sie vom Himmel auf sie hinunterschaute.
Ein aufregender Gedanke, daß sie auf dieser unter ihr ausgebreiteten Erde landen sollte, und sie begann zu überlegen, was nun vor ihr lag... In ihrer Handtasche befanden sich Unterlagen, die ihr das Reisebüro in New York zugeschickt hatte, und sie erinnerte sich, daß sie am Flughafen von Lusaka von einem Reiseführer abgeholt und unverzüglich ins Intercontinental-Hotel gebracht werden sollte. In Lusaka sollte sie rund sechs Stunden bleiben (14.30 Uhr Abfahrt vom Hotel nach Kafue-Park). Aber bevor sie am Nachmittag um halb drei zum Kafue-Nationalpark aufbrach, hatte sie die begründete Hoffnung, Farrell wiederzusehen, was ihrer Ankunft einen zusätzlichen Reiz verlieh.
Seit ihrer Abreise aus New York hatte sie sich unaufhörlich Gedanken gemacht, was Farrell wohl in Sambia trieb, und jetzt versuchte sie von neuem, das, was sie von ihm wußte, mit dem Land da unten in Verbindung zu bringen. Als sie Farrell kennenlernte, hatte er in Mexico City eine Kunstgalerie betrieben und auch selber gemalt, hatte aber erwähnt, daß er am Anfang der Revolution für Castro Gewehre geschmuggelt und einmal ein Charterboot aus Acapulco herausgesteuert habe. Irgendwann dazwischen war er auch für Carstairs tätig gewesen. Jetzt lebte er im Ruhestand.
Da Sambia im Binnenland lag, konnte es hier keine Charterboote geben; die sambische Revolution war 1964 beendet worden, also gab es keine Gewehre zu schmuggeln. Was aber mochte Farrell hier gefunden haben? Vielleicht wieder eine Kunstgalerie? Je länger sie diesem Gedanken nachhing, um so besser gefiel er ihr. Natürlich sammelte er primitive Kunst und spezialisierte sich auf Holzschnitzereien, Trommeln und Speere, die er an Touristen verkaufte. Und natürlich malte er auch seine eigenen Bilder, und sie wollte eins kaufen. Ganz bestimmt wollte sie eins kaufen, mit nach Hause nehmen und in ihrer Wohnung aufhängen. Es machte ihr Vergnügen, sein neues Leben in Sambia mit hübschen Fantasiebildern zu illustrieren, wobei sie auch eine schöne Frau nicht vergaß; denn bestimmt, das spürte sie, gäbe er einen ausgezeichneten Ehemann ab - wie so manche Wüstlinge im Ruhestand -, und vielleicht hatten sie schon ein Kind.
Auf einmal merkte sie, daß das Signal - Nicht Rauchen - Bitte anschnallen - schon eine Weile aufgeleuchtet war, und jetzt unterbrach auch eine Stimme ihre Grübeleien und kündigte die bevorstehende Landung an. Mrs. Pollifax schnallte sich fest und versuchte, ihrer Erregung Herr zu werden. Das war nicht leicht. Denn zwei Nächte im Flugzeug und die Ankunft auf einem neuen Kontinent wirkten wie eine Überdosis Adrenalin, verstärkt durch eine erhebliche Menge Coffein.
Die 707 verlor an Höhe, setzte zur Landung an, berührte den Boden, rollte aus und hielt vor einem hübschen Flughafengebäude. Mrs. Pollifax stieg aus und bemerkte als erstes, daß der Morgen in Afrika kalt sein konnte. Fröstelnd ging sie zur Paßkontrolle, um eine Anzahl langweiliger Formulare auszufüllen. Dann trat sie in die Eingangshalle hinaus und passierte eine Menschenmenge, die hinter einer Absperrung wartete. Ein lächelnder junger Schwarzer in einem karierten Hemd mit einer Windjacke über der Schulter trat auf sie zu.
»Mrs. Pollifax?«
»Ja«, sagte sie erleichtert.
»Ich bin Homer Kulumbala. Willkommen in Lusaka.«
»Danke«, sagte sie und strahlte ihn an.
Sie warteten auf ihren Koffer und dann auf ihren Schirm, der Homer zu erschrecken schien. Nach einem Blick darauf sagte er mahnend: »Der könnte leicht gestohlen werden. Sie müssen gut auf ihn achtgeben, solange wir in der Stadt sind. Er ist sehr schön.«
»Ja, nicht wahr?« sagte sie beglückt.
Ein paar Minuten später fuhren sie in schneller Fahrt in einem VW-Bus mit der Aufschrift des Reisebüros stadteinwärts. Mrs. Pollifax' erster Eindruck war: eine weiträumig angelegte, moderne Stadt in einem Meer von Bougainvilleas. Und als sie vor dem Hotel hielten, erklärte Homer ihr, daß er sie um halb drei ins Safaridorf Chunga fahren werde. Sie bedankte sich und übergab dem Träger ihren Koffer, den Schirm aber trug sie selbst.
In ihrem Hotelzimmer ruhte Mrs. Pollifax sich keineswegs aus. Sie nahm sich lediglich die Zeit, den gestreiften Flanellschlafanzug aus dem Koffer zu nehmen, ehe sie zum Telefonbuch auf dem Bord unter dem Apparat griff. Mit dem Buch auf dem Schoß setzte sie sich auf ihr Bett, stellte nach einem Blick auf den Einband überrascht fest, daß es das ganze Land umfaßte, und blätterte eifrig die Seiten um, bis sie bei Lusaka angelangt war. »A... B... C... D... E... F«, murmelte sie und fuhr mit dem Finger die Kolonne der F's entlang. Farrell, der Name, nach dem sie suchte, glänzte durch Abwesenheit.
Unmöglich, dachte sie mit gerunzelter Stirn und begann entschlossen von vorn, aber ein Farrell war nicht zu finden. Zutiefst enttäuscht, suchte sie unter dem Buchstaben F auch in Städten wie Chingola, Kazungula und Kitwe. Es gab kaum Familiennamen, jedoch eine Menge von Büros und Konsumgenossenschaften. In kleineren Städten mit nicht mehr als einem Dutzend Eintragungen stellte sie fest, daß das Amt nur ein paar Stunden am Tag erreichbar war; aber auch hier kein Farrell. Eine intensive Sucharbeit lag vor ihr, und sie wußte, daß sie in nur sechseinhalb Stunden nach Chunga aufbrechen mußte.
Diesmal begann sie ganz vorn im Telefonbuch, aber nach einer Stunde angestrengten Suchens hatte sie John Sebastian Farrell immer noch nicht gefunden. Und doch hatte Bishop ihr berichtet, er sei hier; denn alle ihm nach Lusaka zugesandten Schecks waren eingelöst worden.
Barclays Bank, schoß es ihr durch den Kopf, sie ergriff den Hörer, wählte die Rezeption und erkundigte sich nach den Öffnungszeiten der Banken. Von acht bis zwölf, informierte sie der Angestellte.
Jetzt war es halb neun. »Und nachmittags?« Nachmittags keine Schalterstunden.
Mrs. Pollifax bedankte sich, ergriff mit einem entsagungsvollen Blick auf ihr Bett ihre Handtasche und verließ voller Hoffnung das Hotel.
Die Cairostraße war eine belebte Hauptstraße mit einem breiten Grünstreifen in der Mitte und modernen Geschäften auf beiden Seiten. Frauen flanierten vorbei in langen, buntfarbigen Röcken, Blusen und Turbanen, dazwischen Frauen in eleganten europäischen Kleidern und Sandaletten. Die meisten Gesichter waren schwarz, und ein Großteil der Stimmen, die sie hörte, sprachen in reizendem britischen Ton. Es war eine heitere, lärmerfüllte Szenerie voll kleiner hupender Wagen, Motorrollern, Landrovern und Fahrrädern.
Mrs. Pollifax bezahlte den Taxifahrer, der vor dem Hotel gestanden hatte, betrat die Bank und ging zum Schalter mit der Aufschrift Auskunft-Post. Der Schalterbeamte mit einem Ausdruck zugeknöpfter bürokratischer Reserviertheit auf dem schwarzen Gesicht wirkte einschüchternd. Sie räus-perte sich, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. »Wird hier die Post abgeholt?«
»Ja, Madam.« Er sah sie ausdruckslos an. »Ihr Name?«
»Ich will keine Post abholen. Ich suche nach einem Herrn, der hier seine Post abholt. Ich habe seine Privatadresse nicht«, erklärte sie, »ich komme aus Amerika und stelle fest, daß er nicht im Telefonbuch steht.«
»Das ist recht interessant«, bemerkte er höflich.
»Sein Name ist John Sebastian Farrell«, fuhr sie fort. »Ich dachte, Sie schickten seine Briefe vielleicht weiter an eine Adresse?«
Sein Blick blieb reserviert, aber nach kurzem Überlegen drehte er sich um und rief: »Jakob!«
Der strahlend lächelnde junge Mann, der daraufhin erschien, gehörte einer anderen Generation an. Seine Krawatte war feuerrot, er sah sehr entschlossen aus. Als Mrs. Pollifax ihre Frage wiederholte, antwortete er prompt: »Keine Nachsendeadresse, seine Post bekommt er nur hier.«
»Persönlich?« fragte sein Vorgesetzter. Er schien genau verstanden zu haben, was Mrs. Pollifax wollte.
»Ich habe ihn nie gesehen«, sagte Jakob. »Ein Junge holt sie ab.«
»Immer?« Mrs. Pollifax' Stimme schwankte.
»Auch ich habe diesen Mann nie gesehen«, sagte der ältere Angestellte. »Es war irgend etwas Geheimnisvolles um ihn, natürlich. Auch ich habe nur einen Jungen nach Mr. Farrells Post fragen hören. Nicht oft, manchmal drei Monate lang nicht. Jedesmal ein anderer Junge.«
»Oh«, sagte Mrs. Pollifax, und der Mut verließ sie. »Oh, liebe Zeit. Sind - vielleicht dürfte ich nicht danach fragen -aber sind jetzt Briefe für ihn da, so daß vielleicht schon bald jemand seine Post abholen kommt? Ich würde dann einen Zettel hinterlassen.«
Ihre Bestürzung rührte beide und sie sahen sie mitfühlend an. Jakob sagte ernsthaft: »Es wäre bestimmt gut, wenn Sie Ihrem Freund einen Brief schrieben, aber Mr. Farrells Post ist erst vor vierzehn Tagen abgeholt worden. Ich habe sie selbst übergeben. Es war wieder ein kleiner Junge mit einem Zettel, der ihn zum Abholen berechtigte.«
»Ich verstehe«, erwiderte Mrs. Pollifax. »Ja, also ich danke Ihnen beiden sehr.«
»Sie müssen ihm schreiben«, sagte der ältere Mann.
»Ja«, meinte sie. »Ja natürlich.«
Sie trat wieder hinaus in die Sonne, überquerte die Straße bis zu der parkähnlichen Grünfläche zwischen den Fahrbahnen und setzte sich auf eine Bank unter einem Baum. Sie war den Tränen nahe, vermutlich das Ergebnis zweier halbdurchwachter Nächte, aber nicht nur deswegen und nicht nur, weil Farrell zu ihrem Auftrag gehörte. Mit ihrem Auftrag hatte ihr Kummer überhaupt nichts zu tun. Sie war Farrell von Herzen zugetan und hatte sich so auf ein Wiedersehen gefreut.
Neben ihr auf der Bank lag eine Zeitung. Sie nahm sie zur Hand und schlug sie auf, um ihrer Tränen Herr zu werden. Es war eine Nummer der Times of Sambia, und in der vagen Hoffnung, Farrells Namen in ihr zu finden, schaute sie auf die Rückseite, entschlossen, die ganze Zeitung durchzulesen. Auf dieser Rückseite fielen ihr verschiedene Anzeigen-Rubriken auf. In einer Rubrik Persönliches las sie:
Barmherziger Samariter: Hilf Verzweifeltem und Selbstmordgefährdetem. Schreib an Postfach 1 A oder ruf an unter..
Verloren: Mercedesschlüssel auf dem Ladentisch der Nationalen Handelsbank liegengelassen, Montag, 10 Uhr 30. Finder wird um Rückgabe gebeten.
Mrs. Pollifax kam eine Idee. Wagenschlüssel hatte sie nicht verloren, wohl aber Farrell. Selbstmordgefährdet war sie nicht, im Augenblick aber sah ihre Enttäuschung einer Verzweiflung sehr ähnlich. Sie suchte nach dem Impressum der Zeitung und kam zu einem Entschluß. Abermals lenkte sie ihre Schritte zu Barclays Bank und erkundigte sich nach dem Weg zur Geschäftsstelle der Times. Sie bekam ihre Auskunft, und zehn Minuten später betrat sie das Gebäude der Times of Sambia, nur wenige Blocks von der Cairostraße entfernt, wo man ihr ein Formular zum Ausfüllen gab.
Sie schrieb ihren Namen und ihre Heimatadresse und dann:
John Sebastian Farrell: Bin hier auf Safari, möchte Sie sehen.
Zurück am 16. Juni, Intercontinental-Hotel. Herzogin.
Während sie dies schrieb, merkte sie, daß ein Herr am Schreibpult gegenüber ein ähnliches Formular auszufüllen begann, und als sie aufblickte, sah sie, daß er sie starr anstarrte. Er war groß, mindestens ein Meter neunzig, hatte ein gefurchtes, dunkelbraungebranntes Gesicht und einen weißen Haarschopf. Als ihre Blicke sich begegneten, nickte er. »Gutes Gesicht.«
»Wie bitte?« fragte sie verblüfft.
»Gutes Gesicht«, wiederholte er mit einem Akzent, der den Amerikaner verriet. »Sehen alt genug aus, um so was nicht übelzunehmen.«
»Alt genug, ja«, sagte sie und lächelte ihn an.
»Hab' meine Brieftasche verloren«, erklärte er mit einer Handbewegung, die das Büro miteinbezog.
»Ich hab' einen Freund verloren«, sagte sie und ging mit ihrem Formular zu dem jungen Mann hinter dem Schalter. »Wie schnell können Sie dies in Ihrem Blatt veröffentlichen?«
Der junge Mann nahm das Formular und las es ihr mit seiner hellen Stimme unnötig laut vor. »John Sebastian Farrell: Bin hier auf Safari, möchte Sie sehen. Zurück am 16. Juni. Intercontinental-Hotel. Herzogin.« Nach einem Blick auf seine Uhr versicherte er ihr, daß die Anzeige bestimmt in der nächsten Morgenausgabe erscheinen werde und daß sie einen Kwacha und zwanzig Ngwee koste.
»Ungefähr zwei amerikanische Dollar«, warf der riesige Mann ein, der wartend neben ihr stand, und während er in ihre Geldbörse schaute, deutete er auf eine der größeren Silbermünzen. »Das da ist Ihr Kwacha, und die kleine ist die zwanziger Ngwee.«
»Ja, vielen Dank«, stammelte sie, bezahlte die Gebühr und eilte zum Ausgang. Hinter sich hörte sie den Amerikaner sagen: »Morgen, mein Name ist Cyrus Reed. Hab' eine Brieftasche verloren.«
Draußen auf der Straße fand sie ein Taxi, aus dem gerade ein Fahrgast ausstieg, und fuhr zum Hotel. Zurück in ihrem Zimmer, stieg sie in ihren Flanellpyjama und beschloß, jeden Gedanken an Farrell zunächst beiseite zu schieben. Sie hatte getan, was in ihrer Macht stand. Wenn er noch in Sambia war, würde er die Anzeige lesen, alles Weitere war nun seine Sache.
Jetzt lag anderes vor ihr: wilde Tiere und Aristoteles. Lächelnd schlief sie ein.